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Ausgabe:

1947 Nr. 3

Spalte:

139-144

Autor/Hrsg.:

Jepsen, Alfred

Titel/Untertitel:

Ibn al-Kalbis "Buch der Götzenbilder" 1947

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139

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 3

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Ziehung des Hymnus zu dem persönlichen Anliegen des Dichters
, das er im I. Teil ausspricht, von da aus näherzutreten.
Man könnte sich damit zufrieden geben, das erwähnte merkwürdige
Zurücktreten der besonderen Glaubensnöte des Beters
im Hymnus hinter den allgemeinen Formen des Lobpreises damit
zu erklären, daß neben der Formgebundenheit an die kultische
Tradition der überwältigende Eindruck der Epiphanie
Gottes und seiner Heilstaten in der Vergangenheit den Beter
jene Fragen ganz vergessen läßt, die ihn bis dahin gequält
haben, und daß der Jubel des Hymnus die schmerzlichen
Klagen einfach übertönt. Dann aber würde der I. Teil des
Psalms in der Luft hängen, und es wäre nicht einzusehen,
warum sein Verfasser es überhaupt noch für nötig erachtete,
ihn dem Hymnus voranzustellen. Die Zusammengehörigkeit
der beiden Teile des Psalms läßt sich nur verstehen und rechtfertigen
, wenn die persönlichen Probleme des I. Teils im II.
mitenthalten und gelöst sind und somit die beiden Teile den
Anfangs- und Endpunkt des Wegs bezeichnen, auf dem der
Dichter aus der Ungewißheit des Zweifels au Gott befreit
wurde zur Gewißheit, daß Gottes Gnade und Heilswillen auch
in der Not der Gegenwart nicht aufgehört haben v 8ff. Tatsächlich
ist der unselige Hiatus zwischen dem Einst und Jetzt,
unter dem der Dichter gelitten hat, in dem kultischen Erlebnis
der Epiphanie Gottes und seines Heils aufgehoben; in der
Feierstunde des Festkults ist dem Dichter die Manifestation
Gottes und seiner Heilstaten nicht mehr ein vergangenes Geschehen
, dem er in Distanz gegenüberstellt, sondern aktuelle
Gegenwart Gottes und Verwirklichung seines Heils, in die er
zusammen mit der Gemeinde selbst unmittelbar mithineiu-
genommen ist, nicht mehr getrennt von ihr durch die Kluft der
Zeiten und Gedanken. Diese Gegenwartsgewißheit bedeutet
dem Dichter Uberwindung seiner Zweifel und Autwort auf
seine Fragen. Seine innere Befreiung ist selbst ein Stück Heilsgeschehen
, und der Vortrag seines Psalm in festlicher Stunde
an heiliger Stätte ist das lebendige Zeugnis vor der Gemeinde,
das, genau wie beim Danklied, die persönliche Erfahrung des
einzelnen Gemeindeglieds hineinstellt in den großen Rahmen
der in die Gegenwart hereinragenden Heilsgeschichte Gottes
mit seinem Volk. Im Zusammenhang dieses heilsgeschichte
liehen Denkens gehört der als heilige Verpflichtung empfundene
Vortrag solcher Psalmen zur Heilmanifestation Gottes im
Kult wie das Echo zum Schall, den es zurückwirft. Er hat den
Sinn, Gottes Lob „zu mehren" Ps 71, 4, d. h. die Fülle seines

Ruhms und seiner Macht (Ps 68, 35), die zugleich auch Segen
und Heil für seine Verehrer bedeutet, zu erweitern und zu
stärken. Diese Zusammenschau der im Kultgeschehen aktivierten
allgemeinen heilsgeschichtlichen Tradition der Vergangenheit
mit dem besonderen Anliegen des Dichters in der Gegenwart
läßt sich aber auch im Hymnus selbst noch nachweisen. An
der einzigen Stelle des Hymnus, an der der Dichter über die
traditionsgebundenen Gedankengänge hinausgreift, wo wir
also gleichsam noch den persönlichen Klang seiner Stimm'
und sein eigenes Urteil vernehmen, in v 20 c schlägt er die
Brücke zwischen den Heilstaten Gottes aus der Vergangen
heit und dem Rätsel der Gegenwart, mit dem er sich abgequält
hat, wenn er sagt:,,doch deine Fußspuren sind nicht erkannt
worden". Die gewöhnliche Annahme, daß er damit lediglich
habe sagen wollen, die nachströmenden Wasser hätten die
Fußspuren, die Gott beim Durchschreiten des Meeres hinterlassen
habe, wieder, verdeckt, traut dem Dichter etwas zuviel
Naivität zu und befriedigt nicht, weil, so verstanden, der Satz
völlig beziehungslos im Psalm stehen würde. Ich sehe in der
Aussage ein Nachklingen der eigenen Frage des Beters, der
auch vergeblich nach den Spuren göttlicher Führung Ausschau
gehalten hat und sich nun damit tröstet, daß es dem Menschen
unmöglich ist, Gottes Spuren im Zeitgeschehen zu erkennen
und daraus die weittragenden Folgerungen für sein Verhalten
zu ziehen, die er selbst als „sein Kranksein" v 11 erkannt und
bezeichnet hat. So gefaßt rundet sich die Gedankeillinie des
Psalms, indem sie am Ende zu seinem Anfang zurückbiegt, zu
einem einheitlichen in sich geschlossenen Ganzen. Die Not der
Gegenwart, die dein Beter den Blick auf Gottes Walten verhüllt
, ist zwar geblieben, aber sie quält ihn nicht mehr; denn
er ist der göttlichen Gnade und Treue auf anderem, viel unmittelbarerem
Weg gewiß geworden, als daß das getroste Ver
trauen in Gottes Führung, das leise in dem friedlichen Bild des
Schlußverses mitschwingt, durch trübe Eindrücke von außen
her noch erschüttert werden könnte. Anderseits ist dieser neu
geweckte Glaube an die in der Heilsgeschichte gegenwärtige
Offenbarung Gottes doch nicht so, daß er dem Dichter den
Ernst nüchterner Wahrhaftigkeit abschwächen und das Auge
verschließen würde vor dem ungelösten und unlösbaren Rätsel
des in der Geschichte verborgenen Gottes: Er sieht diesem
Rätsel offen ins Auge; aber das ist die geheime Kraft dieses
Glaubens, daß er das Rätsel der Geschichte stehen läßt und
seine Not überwindet, indem er es — trägt.

Ibn al-Kalbis „Buch der Götzenbilder"

Aufbau und Bedeutung

Von A. Jepsen, Greifswald

(Hin /','ißjeldt zum 60. Geburtstag

Schon als W. Robertson Smith 1889 seine Vorlesungen
über die Religion der Semiten herausgab, erkannte er klar die
Schwierigkeit, die sich seinem Thema entgegenstellte. Denn
was sollte als „semitisch" angesprochen werden? Gewiß ist
die enge Verwandtschaft der semitischen Sprachen ein Hinweis
darauf, daß die Stämme, denen diese Sprachen eigentümlich
, auch blutsmäßig eng miteinander verwandt waren.
Aber damit ist nicht bewiesen, daß alle religiösen Züge, die
in einer semitischen Sprache überliefert sind, auch wirklich
den Semiten eigen waren. Das eindeutigste Beispiel für diese
Verhältnisse ist ja die Lage in Babylon, auf die schon Smith
mit Recht hingewiesen hat. Wir sehen heute noch deutlicher
als er, daß wesentliche Grundzüge der babylonischen Religion
sumerisch und nicht semitisch sind. Und eine reinliche Aussonderung
des eigentümlich Semitischen ist bis jetzt noch
nicht gelungen. Aber die Frage taucht ja nicht nur bei den
Akkadern auf. Für Assyrien gilt zunächst das gleiche, insofern
die Assyrer mit dem babylonischen auch das sumerische
Pantheon übernommen haben; und doch ist die Lage bei
ihnen noch verwickelter, als die besonderen Züge der assyrischen
Frömmigkeit und Lebenshaltung von den Hurritern
mitgeprägt erscheinen1. Das gleiche gilt in noch stärkerem
Maße von Mesopotamien und Syrien. Noch übersehen wir
nicht genau, wie alt und wie stark die semitische Bevölkerung
in diesen Gebieten war; sicher aber scheint, daß die Semiten
gewiß nicht die einzigen, aber auch wohl nicht ihre ersten
Bewohner waren. Es ist daher bei den Nachrichten der Spätzeit
, etwa bei Lukian, immer zweifelhaft, ob bei den religiösen
Riten hurritisches oder kleinasiatisches oder eben semitisches

') Vgl. Ooetze, Hethiter, Churriter u. Assyrer, S. 175. v. Soden, Der
Aufstieg des Assyrerreiches, S. 17.

Erbe vorliegt. Und selbst in Phönizien und Palästina, wo
noch am ersten die semitische Bevölkerung überwog, ist der
Einfluß fremder Völkerschaften so stark gewesen, daß im
Einzelfall jede Überlieferung daraufhin geprüft werden muß,
ob sie auf die Semiten zurückzuführen ist. Diese Prüfung wird
auch den Ras-Samra-Texten gegenüber nicht unterlassen
werden dürfen; denn auch in Ugarit lebten Semiten und
Hurriter nebeneinander, und wie weit sich die semitische
Mythologie rein erhalten hat, ist noch zu fragen.

Man könnte bei dieser Situation bedenklich werden; ist
es denn überhaupt möglich, die Eigenart der altsemitischen
Religion zu erkennen ? Wo erfahren wir etwas über Semiten,
die sich nicht mit anderen Stämmen verbunden haben? Das
scheint nur an einer Stelle der Fall zu sein, bei den Arabern,
und so sagt auch Smith schon: „In mancher Hinsicht zeigt
die Religion des heidnischen Arabien, obwohl wir über sie
kaum eine Nachricht haben, die nicht nachchristlicher Herkunft
ist, einen äußerst primitiven Typus, der der primitiven
und unveränderlichen Art des nomadischen Lebens entspricht
."1 Kein Wunder, daß mau den Nachrichten über die
arabische Religion besondere Bedeutung beimaß.

Es war nur wieder das Bedenken, das schon Smith hervorhob
, daß fast alles, was wir über die Araber hören, erst
aus später Überlieferimg stammt. Immerhin glaubte man
doch, bestimmte Rückschlüsse sich erlauben zu dürfen, da
die Nachrichten eben der „primitiven und unveränderlichen
Art des nomadischen Lebens" zu entsprechen schienen. Und
so suchte man die spärlichen Überlieferungen zu sammeln,
um so das Wesen der altarabischen und damit auch der altsemitischen
Religion zu erkunden.

') The Religion of the Semltes, 3. ed., S. 14.