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Ausgabe:

1947 Nr. 2

Spalte:

89-91

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Sauer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Naturgesetzlichkeit und Relativismus 1947

Rezensent:

Mie, Gustav

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so

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 2

90

die Geistlichkeit eigentlich keine neue Bibelübersetzung, sondern
nur einen Neudruck der alten wünschte. Denn „omnis
mutatio etiam neccessaria est periculosa".

Als Karl von der Ausgabe des Neuen Testamentes von
1605 erfuhr, gab er auch einigen ihm nahestehenden Theologen
den Auftrag, nach dem Vorbilde der Bibel Johannes
Piscators das Alte Testament „verbum de verbo" zu übersetzen
. Diese Arbeit führte jedoch zu keinem bleibenden Ergebnis
. Auch Karl sah ein, daß eine solche Ubersetzung nicht
viel Wert hatte. Erst 1618 erschien eine neue Bibelausgabe,
die sog. Gustav-Adolf-Bibel.

Die vorliegende Edition und die beigegebene wissenschaftliche
Untersuchung bereichern in einem wesentlichen Punkte
unsere Kenntnis in der Geschichte der schwedischen Bibel und
liefern zugleich einen sehr wichtigen Beitrag zur schwedischen
Geistesgeschichte sowohl von anno 1600 als von 1943-

Lund Sven Kjöllerström

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Sauer, Friedrich: Naturgesetzlichkeit und Relativismus. Eine Einf. in die

Philosophie des Naturbcgriffs. München: Reinhardt 1943.113 S. 8°. RM2.50.
Die kleine Schrift enthält fünf Vorträge. Die beiden ersten
Vorträge schildern, wie nach der großen Umwälzung, welche
Koperuikus hervorbrachte, die beiden großen Forscher Johannes
Kepler und Galileo Galilei eine neue Wissenschaft, novam
scientiam, begründeten. Kepler war der erste, der den Begriff
des mathematisch formulierten Naturgesetzes einführte, und
Galilei war der Begründer der experimentellen Methode der
Physik, er war der erste Physiker in dem Sinne, den dieses
Wort heute hat. Wie groß der Gegensatz zwischen den Lehren
dieser beiden Männer gegen die mittelalterliche Weltanschauung
war, und gegen was für Widerstände sie zu kämpfen
hatten, wird in den beiden Vorträgen außerordentlich lebendig
und anschaulich dargestellt. Im dritten und vierten Vortrag
wird geschildert, in welcher Weise diePhilosophie sich dieser
neuen Art die Welt zu betrachten anzupassen suchte. In der
Philosophie von Rene Descartes wird das erkennende Ich aus
dem Alf des Seins ganz herausgetrennt. Alles Sein zerfällt in
zwei Substanzen: erstens die res cogitans, die denkende, ich-
hafte Substanz, und zweitens die res extensa, die ausgedehnte
Substanz. Vor dem Abgrund des Solipsismus wird das von der
äußeren Welt abgekapselte Ich bewahrt durch die Gottesidee.
Descartes behauptet, es sei eine klare und deutliche Idee in mir,
die über den Seinsbezirk meines Ich hinausweist, die Idee
,,Gott". Aber in der res extensa hat die res cogitans gar keinen
Platz: Alle Naturvorgänge, auch alle Lebensvorgänge sind
rem mechanisch bewirkt. Die Tiere sind eigentlich nur Maschinen
. Auch der menschliche Körper wird bei Descartes
zur reinen Maschine. Neben der von Descartes begründeten
rationalistischen Ausgestaltung der egozentrischen Grundposition
hat sich dann noch eine andere sensualistische entwickelt
, welche von der äußeren Erfahrung, von der reinen
subjekt-unabhängigen Erfahrung als dem seinsmäßig ersten
ausgeht. Diese Richtung der Philosophie hat sich vor allem in
England ausgebildet, ihre bedeutendsten Vertreter sind John
Locke und David Himie, über welche nun im vierten Vortrag
ausführlich gehandelt wird. Woraus die Erfahrung letztlich
entsteht, sind die Sinnesempfindungen. Der Bereich der Sinnes-
empfindungen begrenzt aber das Ich wie eine undurchdrmg-
liche Hülle, so daß die Außenwelt selber für das Ich transzendent
, unerreichbar, ist. Die Philosophie des Sensualismus
fuhrt zu dem Abgrund des Relativirnus hin. Da alle Sinnesempfindungen
individuell sind, kann es keine allgemein geltenden
Naturgesetze geben. Auch ein Kausalitätsprinzip gibt es
nicht. Die Idee der Kausalität bildet unser Bewußtsein sich
nur auf Grund von Gewohnheit, weil sie für unser Leben nützlich
ist. Gerade diese englische Philosophie hat nun nach der
Meinung des Verfassers das Wissenschaftsbild der modernen
Physik auch in Deutschland mehr und mehr durchsetzt. Mau
sei sogar zu der Ansicht gekommen, daß die Ergebnisse der
Experimente nicht nur eine, sondern mehrere mathematisch
geformte Theorien zuließen, und daß die Frage, welche von
diesen Theorien die richtige sei, nicht entschieden werden
könnte. E. Mach hat als Kriterium der Wahrheit das sog.
Okonomieprinzip eingeführt: Die einfachste und brauchbarste
Theorie wird als „wahr" bezeichnet. So sind wir zum vollständigen
Relativismus gekommen, und „unter englischem Einfluß
bedroht die Gefahr einer Zersetzung der uralt-indogermanischen
Wahrheitsfrage das kulturelle Europa". Es ist die vordringlichste
Aufgabe der DeutschenPhilosophie, den Relativis-
nius restlos zu überwinden.

Diese Aufgabe sucht nun der Verfasser in dem fünften und
letzten Vortrag zu lösen. Vor allem: Es ist gar nicht wahr,
daß die Sinneswahrnehmungen ein unmittelbar Gegebenes ausmachen
, welches der wissenschaftlichen Betrachtungsweise
den Rohstoff liefern könnte. Vielmehr setzt ihre begriffliche
Fassung so wie auch ihre intentioneile Erreichung durch das
Bewußtsein schon eine bestimmt geartete gegenständliche Erkenntnis
voraus. Die gegenständliche Außenwelt ist für unser
Erlebnis ursprünglicher als die Sinneswahrnehmungen. Ferner:
Alle experimentellen Forschungen geschehen durch Apparate,
die nach bestimmten Plänen hergestellt sind. Man kann aber
Pläne nur dann verwirklichen, wenn ihr gedankliches Sein in
das wirkliche Sein hineinpaßt. Die Möglichkeit von Experimenten
setzt also bereits Naturgesetzlichkeit voraus, und zwar
kann diese Naturgesetzlichkeit nicht mehrdeutig sein, es gibt
nur eine eindeutige Planung und ihre eindeutige Verwirklichung
. Um Experimente machen zu können, muß man schon
einen bestimmten klaren Einblick in die Kausalzusammenhänge
des Wirklichen haben. Weiter aber ist es wichtig, sich
klar zu machen, daß die planhafte Einordnung eines Dinges
in den experimentmäßigen Wirkungszusammenhang das Ding
doch noch nicht zu einem Baustein der vollen Wirklichkeit
macht. Sie macht es nur zu einem auswechselbaren Baustein
einer Apparatur. Aber ein Ding kann für mein Leben oder für
das Leben anderer Menschen noch eine besondere Bedeutung
haben. Der Verfasser führt als Beispiel das Stück Blei an,
welches Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen tötete. Was
dieses Stück Blei zu dem macht, was es ist, das ist nicht seine
physikalisch-chemische Beschaffenheit allem, das sind auch
nicht die zufälligen Umstände seines Daseins, es ist eben das
Blei, welches dem großen Schwedenkönig den Tod bedeutete.
Und diese Bedeutung bestimmt sein Sein und seine Wirklichkeit
. Auch die Heimaterde, die uns trägt, können wir uns nicht
ausgewechselt denken durch eine chemisch-physikalisch gleiche
andere Erde. Unsere Heimatserde ist in einer Seiuseinheit mit
uns, diese eine Erde, unsere Heimatserde. Schließlich betont
der Verf. noch, daß die Zerreißung des Alls in Denken und
Ausdehnung, in Ichhaftes und Nicht-Ichhaftes, welche Descartes
eingeführt hat, verkehrt ist. Was ist beispielsweise ein
Ton oder eine Farbe ? Zweifellos ist die Ursache für das Auftreten
einer Tonempfindung oder einer Farbempfindung eine
mechanische, bezw. eine elektromagnetische Schwingung. Den
Ton oder die Farbe als Seiendes macht aber erst das aufnehmende
Organ, das beseelte Ohr, das beseelte Auge, möglich
, das Organ, zu dem man ein Bewußtsein hinzudenken
muß. Das Sein der Wirklichkeit, in der wir leben, ist durch das
Quantifizierbare, das Mathematische an ihm nicht erschöpft.
Auge und Ohr als qualitative beseelte Siunesbereiche gehören
nicht minder zum Sein der wirklichen Welt. Es gibt nun aber
höhere und niedrigere, geistigere und weniger geistige Sinne.
Zu den ersteren gehören Auge und Ohr, zu den anderen gehört
vor allem der Tastsinn. Das Tasten ist nichts weiter als das
Bewußtwerden des Endes der Wirkungskette vom Objekt zu
meinem körperlichen Sein. Das Tasten als solches ist gestaltlos
, die scheinbare Gestalthaftigkeit eines getasteten Inhalts
ist sekundär und geht letztlich auf Sehbares zurück. Wesentlich
für das Tasterlebnis ist, daß ich mich als vom Gestalteten
getrennt seiend erlebe; der Gegensatz von innen und außen ist
ertastet. Wie ganz anders ist das Erlebnis eines Klanges! Hier
ist nichts an mein Ohr lokalisiert. Ich lebe in dem Klange auf,
indem ich mich darin vergesse. Ähnlich ist es mit dem Sehen.
Im Schauen gibt es nicht die Unterscheidung von „Objekt au
sich" und „Abbild für mich". „Ich" komme im Anschauen
nicht vor. Dem Hören und dem Sehen ist es gleichermaßen
fremd, daß dabei etwas auf mich wirkt. So wie der Gedanke
an die schwingend wirkende Seite dem Tasterlebnis adäquat
ist, so inadäquat ist auch nur die Erinnerung daran dem
Klangerlebnis. Dasselbe gilt für das Sehen. Der Schauende
denkt nicht daran, daß angeblich elektromagnetische Schwingungen
erforderlich seien, damit er etwas sehe. Der Gegensatz
von „innerlich" und „äußerlich" in dem Sinne, den Descartes
damit verbindet, ist ein typisch getasteter. Am Tastsinnesdatum
hat sich letztlich der naturwissenschaftliche Begriff der
Wirklichkeit als dessen, was wirkt, gebildet. Es gibt auch ein
optisches Tasten. Alle physikalischen Messungen beruhen auf
der Beobachtung von Koinzidenzen. Wenn man beobachtet,
wie ein Zeiger mit einer Marke in Deckung kommt, so ist das
ein optisches Tasten, und das liegt allem Messen letzten Endes
zugrunde. Man kann nun den Gegensatz Goethes zur Newton-
schen Optik verstehen. Der große Augenmensch Goethe
sträubte sich gegen den Tastcharakter des physikalischen
Wirklichkeitsbegriffes, sobald es sich um Licht und Farben
handelte. Goethe spricht immer wieder mit Recht von dem
denkenden, erkennenden Auge. Man muß die Einseitigkeit und