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Ausgabe:

1947

Spalte:

87

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Künzle, Magnus

Titel/Untertitel:

P. Franz von Bormio 1947

Rezensent:

Staehelin, Ernst

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87

ss

den totus homo zu fragen, inwieweit die ,,Wiedergeburt", d.h.
die „neue Kreatur" eben auch die „Vernunft" betreffe, zumal
die sapientia aliena eben sapientia spiritus ist! Daß erst „auf
dem Boden des christlichen Glaubens" die Philosophie „recht
eigentlich möglich" werde, nennt in einer m. E. so nicht haltbaren
Folgerung die Verfänglichkeit des Betrachtungsschemas
vom tertius usus der Vernunft. Denn von der Vernunft wird
ja eine „Wiedergeburt" ausgesagt, von der lex — tertius usus
legis! — hingegen nicht. Das darf man nicht unbeachtet lassen.
Denn Luther rückt sonst in eine gewisse Nähe zu den Sätzen
des Vatikanums über fides und ratio (wenn man den Gedanken
von der cooperatio beider ausschaltet). „Auch eine sich
auf diese Welt besclwänkende Weltanschauung hat keine
Eigengesetzlichkeit, sondern wird erst auf dem Boden des
Glaubens möglich" — das ist wohl die Antwort auf die vom
Vf. von der Gegenwart her gemeinte Befragung Luthers. Aber
gerade sie kann nicht so einfach lauten. Im übrigen hat Vf.
sicher recht mit der Feststellung, daß Luthers Berufung auf
die ratio, vor allem im Nebeneinander von scriptura und ratio,
eben die wiedergeborene, die von der Hl. Schrift nicht zu
lösende ratio meine. Vielleicht wäre es aber richtiger gewesen,
beim „tertius usus rationis" die desillusionierende Funktion
der „Gottesweisheit" stärker zu betonen, statt den Begriff der
„christlich bestimmten Vernunft" im Anschluß au Holl zu
Hilfe zu nehmen, die angeblich mit dem „christlichen Liebesgebot
" zusammenfalle und — wiederum angeblich — die weltliche
Ordnung „veredle", „versittliche". Hier wird der sonst
so schön herausgearbeitete sachliche „Parallelismus" zwischen
iustitia und sapientia verlassen. Die Gegenprobe — „veredelt"
die iustitia aliena die iustitia civilis, so gewiß diese von jener
beeinflußt wird ? — würde das deutlich aufdecken; ebenso die
Analyse eines „simul stultus simul sapiens".

Kap. 4 fragt danach, wie sich die Weisheit aus dem Glauben
zum articulus stantis et cadentis ecclesiae verhalte, da
eine „ähnlich verpflichtende Erklärung gegenüber der Weltanschauung
wie gegenüber der Werkgerechtigkeit... bei Luther
nicht festzustellen" sei. Sachlich müßte aber beim Thema
Gottesweisheit und Weltanschauung ein „zweiter" articulus
st. et cad. eccl. vorliegen, wie eindrucksvolle Zitate aus
Luthers letzter Wittenberger Predigt nochmals dartun. Die
Frage ist aber insofern nicht ganz glücklich gestellt, als die
auch vom Vf. allein herangezogene bekannte Belegstelle für
die Rede von jenem articulus, Art. Smalc. II, i, nicht so eng
auf die Werkgerechtigkeit allein zu deuten ist, sondern in
ihrem christologischen Gesamtzusammenhang gewürdigt sein
will, also durchaus die vom Vf. herausgestellten Aussagen über
die sapientia aliena mit einschließt.

Kurze Folgerungen fassen in Kap. 5 die Ergebnisse zusammen
. Die ganze Studie stellt einen sauberen und in vielem
sehr erfreulichen Beitrag zur Lutherforschung dar, wenn auch
nicht von der Reichweite des ähnlichen Fragen gewidmeten
Buches von W. Link über Luthers Ringen um die Freiheit der
Theologie von der Philosophie (1940).

Göttingen E.Wolf

Künzle, Dr. P. Magnus, O.M.Cap.: P. Franz von Bormio. Gründer d.
schweizer. Kapuzinerprovinz. Einsiedeln: Benziger 1940. 157 S. m. 30 Abb.,
1 Titelb. gr. 8". Fr. 5,75; Lw. Fr. 6,80.

Unter den Gestalten, die zur Restauration des Katholizismus
im 16. Jahrhundert beigetragen haben, nimmt P. Franz
von Bormio einen nicht unwesentlichen Platz ein. Geboren
als Antonio de Sermondi im veltlinischeu Bormio, empfing
er eine sorgfältige Bildung und trat früh in den Kapuzinerorden
ein. 1563 ist er Guardian im Kloster von Varese. Zwei
Jahre wirkte er als Missionär in Kreta. Dann trat er in seiner
Veltliner Heimat dem von den Bünduer Herren beförderten
Protestantismus entgegen und gründete das Kloster in Do-
maso am Corner See. Weiter finden wir ihn als Fastenprediger
und Karitasapostel in Vicenza, als Provinzial der Mailänder
Kapuzinerprovinz, als Begleiter des Päpstlichen Visitators
Bonhomini im Veltlin, als Reformator der Frauenklöster
um Mailand. Endlich, als der Kapuzinerorden dem Drängen
Carlo Borromeos und anderer, ein Missionswerk in der Innerschweiz
zu begründen, nachgegeben hatte, wurde P. Franz
zum Generalkommissar des Unternehmens bestimmt. 1581
legte er den Grund zum Kloster in Altdorf; unmittelbar
darauf folgte der Einzug in Staus und in Luzern. Im April ^83
starb P. Franz.

Künzle, ein Ordensbruder des Dargestellten, hat für seine
Monographie ein umfangreiches Quellenmaterial zugezogen.
Die Verarbeitung ist wertvoll; doch trägt sie stark erbaulichen
Charakter.

Basel Ernst Staehelin

Lindblom, joh., u. Pleijel, h.: Observationes Strengnenses. utg. med

inledning och kommcntar. (Mit e. Zusammenfassung in dt. Sprache.) Stockholm
: Sv. Kyrkans Diakonistyrelses bokförlag [1943]. 222 S. gr. 8°.
= Acta historico-ecclesiastica Suecana 5. Kr. 5.—.

Im Jahre 1541 erschien erstmalig die ganze Bibel in
schwedischer Sprache. In der Hauptsache fußt die sog. Gustav -
Vasa-Bibel auf der deutschen Übersetzung Martin Luthers.
Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Frage einer neuen
Bibeledition akut wurde, spielte dabei ebenfalls die Luther-
sche Übersetzung eine wichtige Rolle. Von einer Neuübersetzung
wollte die Geistlichkeit jedoch eigentlich nichts wissen.
Ganz anderer Ansicht war indessen Herzog Karl, der spätere
König Karl IX. Er setzte es auch durch, daß im Jahre 1600
eine Bibelkommission eingesetzt wurde, welche die Aufgabe
erhielt, die geltende Übersetzung nach „dem lateinischen,
griechischen und hebräischen Text" zu korrigieren. Im Grunde
wollte Karl eine möglichst wortgetreue Übersetzung zustande
bringen, eine Übersetzung „verbum de verbo".

Das Ergebnis der Arbeit dieser Bibelkommissiou liegt uns
vor in den „Annotationes Strengneusium" oder, wie die Arbeit
später allgemein genannt wurde, „Observationes Strengnenses
" (OS). Diese Arbeit wurde in den Jahren 1600 und

1601 von einer aus vier der bekanntesten Kirchenführer
Schwedens bestehenden Kommission mit dem späteren Erz-
bischof Olaus Martini an der Spitze ausgeführt. Grundlage
der Arbeit war die Übersetzung vom Jahre 1541, die vorgenommenen
Berichtigungen und Änderungen scheinen ursprünglich
in ein interfoliertes Exemplar der Gustav-Vasa-
Bibel eingetragen worden zu sein.

Die OS waren seit langem bekannt und werden häufig im
Zusammenhang mit den Bemühungen um eine revidierte Bibelübersetzung
während des 17. Jahrhunderts erwähnt. Erst jetzt
sind sie indessen im Druck erschienen und zum Gegenstand
einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung von historischen
wie exegetischen Gesichtspunkten aus gemacht worden.
Das Ergebnis ist ein aus verschiedenen Gesichtspunkten vollwichtiges
wissenschaftliches Werk. Der Professor der Exegetik
Joh. Lindblom und der Professor der Kirchengeschiehte
H. Pleijel, beide an der Universität Land, haben in ihrer Edition
der OS alles gesagt, was Zu sagen ist.

Aufgabe der eingesetzten Bibelkommissiou war es, einen
besseren und zuverlässigeren Text zu schaffen als den der
Gustav-Vasa-Bibel. Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich
die Mitglieder des Ausschusses indessen in erster Linie an die
Luthersche Übersetzung von 1545 gewandt und damit die
Linie in der Geschichte der schwedischen Bibel weiter verfolgt,
die eine immer engere Anlehnung an Luthers Übersetzungen
bedeutet. Neben Luther, dem Urtext und mehreren anderen
Bibelwerken hat die Kommission fleißig die lateinische Übersetzung
von S.Pagninus herangezogen. Indessen hatte man
sich nicht sklavisch an einen bestimmten Text gehalten,
sondern man hat „mal zu dem einen, mal zu dem andern gegriffen
. In zahlreichen Fällen hat man einen neuen und, wie
man glaubte, besseren Text erhalten, indem man verschiedene
Texte miteinander kombinierte" (S.27). Das Ergebnis der
Arbeit der Kommission waren zwar manche Verbesserungen,
in gewissen Fällen aber direkte Verschlechterungen. Es ist dalier
ganz erklärlich, daß die OS keine nennenswerte Rolle in
der Geschichte der schwedischen Bibel gespielt haben. In erster
Linie liegt dies aber au der Haltung, die die führenden Männer
der Kirche selbst ihrem Werke gegenüber einnahmen.

Als die OS fertig vorlagen, wurden sie der Geistlichkeit
zur Begutachtung vorgelegt, sie wurden anerkannt und zum
Druck empfohlen. Auch die Reichsstände auf den Reichstagen

1602 und 1604 stimmten dem Druck bei. Die treibende Kraft
war jedoch die ganze Zeit Herzog Karl. Großzügig bewilligte
er die Mittel für den Druck, besorgte das notwendige Papier
und erwog, als gleichwohl nichts geschah, die Bibel in Nürnberg
drucken zu lassen. Die Kirchenführer weigerten sich
indessen hartnäckig, die revidierte Übersetzung als die amtliche
Bibel der schwedischen Kirche drucken zu lassen.
Sie machten vielmehr im Jahre 1604 den Vorschlag, die Arbeit
privat herauszugeben. Im Jahre darauf erschien auch das
Neue Testament in schwedischer Übersetzung mit den Berichtigungen
der Strängnäser Kommission. Dies war jedoch
ein rein privates Unternehmen. Der Grund für die Abneigung
der Kirchenführer, die von ihnen selbst revidierte und gutgeheißene
Übersetzung aus öffentlichen Mitteln drucken zu
fassen, war (S.30) selbstverständlich die Furcht vor Herzog
Karl. Als die Kommission bei der Revision Luther den dominierenden
Faktor hatte sein lassen, war sie damit von der von
Karl gegebenen Weisung und seinem Wunsch nach einer wörtlicheren
Übersetzung abgewichen. Hinzu kommt noch, daß