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Ausgabe:

1947

Spalte:

82-83

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zerries, Otto

Titel/Untertitel:

Das Schwirrholz 1947

Rezensent:

Trimborn, Hermann

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81

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 2

H-2

in der iSia, der ,,image creatrice" und „inspiratrice" (S. 80);
der „image unitive et repräsentative" (S. 262), und zwar sofern
sie — letztlich die Einheit gebende Idee des Guten — schöpferische
Kraft jenseits der gedanklich faßbaren Strukturen, der
tldt!, ist; sie ist aber auch zugleich das Bild in der Seele, die
Intuition bzw. die Kraft der Intuition als die Kraft des vovs,
der mit dem göttlichen vovs, in dem die urbildliche töia gründet
, gleichen Wesens ist. Denn so wenig die ä$>i gedankliche
Schöpfungen sind, so sehr sind sie als die Strukturen der Dinge
dem logischen Denken erfaßbar, während die Idee nur der Intuition
zugänglich ist.

Im Verhältnis von tlSos und iSia ist deshalb zugleich das
Spannungsverhältnis angezeigt, das im platonischen Philosophieren
wirksam ist; zwischen wissenschaftlicher Analyse
und der sie erst begründenden Intuition. Eben dieses Spannungsverhältnis
bestimmt den Gang des platonischen Philosophierens
, den der Verf. verfolgt, indem er die einzelnen Dialoge
unter der Fragestellung tläos und Üia bald knapper, bald
ausführlicher analysiert. Die Untersuchung gewinnt etwas Erregendes
, dem fast dramatischen Gang des platonischen Philosophierens
entsprechend.

Hier macht sich nun freilich ein subjektives Moment geltend
. Der Angabe des Dionys. Hai. folgend glaubt der Verf.,
daß Piaton seine Dialoge ständig neu bearbeitet habe, und er
rechnet deshalb sowohl mit späteren Einfügungen neuerer
Ausführungen in frühere Dialoge, wie mit der Aufnahme
früherer Entwürfe in spätere Werke. So soll z. B. der Diotima-
Abschuitt erst später in das Symposion eingefügt worden sein;
so sollen dem Phaidros und dem Theaitetos, wie sie uns vorliegen
, weit frühere Entwürfe zugrunde liegen. Die Argumente
für solche Annahmen sind nicht immer gleich überzeugend;
manchmal scheint mir der Verf. die Methode des platonischen
Philosophierens und die platonische Ironie zu verkennen,
wenn er Piaton auf Aussagen festlegt, die nicht ernst gemeint
sind, sondern nur die Problematik der Sache erhellen sollen;
oder wenn er bestimmte Aussagen auf bestimmte Entwicklungsstufen
festlegt, die vielmehr einen Gesichtspunkt bewußt
isolieren, so daß nicht gefolgert werden kann, daß dem Platoii
zur Zeit der betr. Aussagen die umfassendere Problematik, in
der sie stehen, noch nicht zum Bewußtsein gekommen wäre.
Man wird also manchmal gegen die Konstruktion der Entwicklung
skeptisch sein. Indessen ist natürlich nicht zu bezweifeln,
daß eine Entwicklung im platonischen Denken vorliegt, und
ebensowenig ist zweifelhaft, daß der Verf. sie im ganzen zutreffend
zeichnet. Fraglich ist freilich das Urteil, daß die Epi-
nomis, die der Verf. für ein echtes Werk Piatons hält, der Abschluß
des platonischen Werkes ist. (Vgl. über die Echtheitsdiskussion
Fr. Müller, Gnomon 16, 1940, 286—307.)

Das Wesentliche und Fruchtbare ist, daß der Verf. durch
seine Darstellung deutlich herausstellt, wie auf Piaton die verschiedenen
Motive des griechischen Philosophierens gewirkt
haben, und wie sie von ihm verarbeitet worden sind. Die innere
Bewegung des platonischen Philosophierens wird deutlich.

Der Gang der Entwicklung, den der Verf. zeichnet, ist kurz
der folgende. Dem Einfluß des Kratylos schreibt der Verf.
keine primäre Bedeutung zu. Die platonische Konzeption der
Idta geht auf Sokrates zurück, der gegenüber dem sophistischen
Relativismus der Überzeugung ist, daß in der menschlichen
Seele die Normen des Handelns zu entdecken sind, die
das begriffliche Denken zur Klarheit bringt. Die Ausgestaltung
des Begriffes äSos als „Struktur" erfolgt unter dem Einfluß
der Pythagoreer, von denen Piaton lernt, daß die mathematischen
Begriffe ebenso wie die ethischen des Sokrates die körperliche
Wirklichkeit transzendieren und in der Seele aufzufinden
sind, so daß sich eine Parallelität der mathematischen
und der ethischen Begriffe zeigt und diese ebenso wie jene als
„Strukturen" zum Objekt der Wissenschaft gemacht werden
können. Indessen, der Begriff des Sokrates ist eine dynamische
Größe, die mathematischen Gestalten der Pythagoreer
sind statische Größen. Deshalb ist die Kombination beider eine
..hybride" Union. Und damit ist nun gerade ein wesentliches
Motiv des platonischen Denkens bezeichnet: das Streben, den
statischen und den dynamischen Charakter des Mot als Einheit
zu verstehen. Die innere Bewegtheit des Philosophierens
Piatons wird dadurch hervorgerufen, daß die Orientierung des
Ados an den mathematischen Gestalten der Pythagoreer ihn
dem Eleatismus entgegentreibt, von dem er sich nur allmählich
in immer wiederholten Anstrengungen löst. Er kann ja den
dynamischen Sinn des äöos nicht preisgeben; und dabei wirkt
außer dem Einfluß des Sokrates und dem dem Piaton selbst
eigenen Realismus vor allem Heraklit auf ihn ein, aber auch
das Weltbild des Demokrit und schließlich Anregungen des
jungen Aristoteles. Die Entwicklung des platonischen Denkens
besteht „dans la recherche de l'equilibre harmonieux entre la

Structure Immobile, fondement necessaire de la Science, et
une Force vivante que notre intuition pose spontanemeut
comme caracterisation de la realite, mais qu'il est difficile de
faire rentrer sous l'espece de l'Eternite, naturellement in-
herente ä l'Eidos" (S. 15t.). Wie diese Spannung durch die Begriffe
flSoe und iSta oder durch den Gegensatz von wissenschaftlichem
Denken und Intuition bezeichnet werden kann,
so durch den Gegensatz von Apriorismus und Realistik. In
dieser Spannung gründet die platonische Methode der Dialektik
, die als Verbindung von 7.6yoe und Intuition mit der Erfassung
der Formen zugleich die Erfassung der Realität erstrebt
; und in ihr gründet die eigentümliche Doppelseitigkcit
der platonischen löia.

An der Hand der einzelnen Dialoge wird diese Bewegtheit
als Entwicklung dargestellt, wobei die Orientierung am 7. Brief
vielfach die Direktion gibt. Den Abschluß bildet ein „Epilog",
in dem auf Grund der vorangegangeneu Analysen die Unangemessenheit
der aristotelischen Kritik an der platonischen
Ideenlehre aufgewiesen und vor allem das Verhältnis des eldos
zur Zahl geklärt wird. Es ist schmerzlich, daß J. Stenzel, auf
dessen „Zahl und Gestalt bei Piaton und Aristoteles" der Verf.
mehrfach verweist, zu diesem Buche nicht mehr Stellung
nehmen kann. Als fördernde neuere Beiträge zu dem Zahl-
Gestalt-Problem bei Piaton und Aristoteles, das hier in der
Kürze nicht weiter behandelt werden kann, darf ich zum
Schluß auf die beiden Schriften von Kurt Reidemeister hinweisen
: „Mathematik und Logik bei Plato" und „Das System
des Aristoteles" (Hamburger mathematische Einzelschriften
35 und 37, 1942/43).

Marburg R. Bult mann

Zerries, Otto: Das Schwirrholz. Untersuchg. über d. Verbreitung u. Bi>
deutg. d. Schwirren im Kult. Mit 12 Abb. im Text, 1 Titelb. u. 16 Bildtaf.
sowie 12 Kt. Stuttgart: Strecker u. Schröder 1942. IX, 242 S. 8» = Studien
zur Kulturkunde, hrsg. v. Ad. E. Jensen, Bd. 7. RM 15.—; geb. 17.—.
Gestützt auf einen vollständigen Verbreitungsnachweis
des Schwirrholzes und verwandter Geräte will der Verf. die
Frage beantworten, welcher Art die geschlossene Weltanschauung
war, deren Ausdruck das S. ist; hierzu ist auch die
Verwendung des S. im einzelnen zu prüfen und zu ermitteln,
was es selber eigentlich darstellt, und erst nach einer Klärung
all dieser Fragen wird eine kulturgeschichtliche Ursprungsbestimmung
dieses weitverbreiteten Kultgerätes möglich sein.

Den ersten und größeren Teil des Buches stellt deshalb
eine Untersuchung über die Verbreitung des S. dar: ein genauer
, mit Quellenzeugnissen unterbauter sowie mit Karten
und Bildern veranschaulichter Nachweis, der Anspruch auf
Vollständigkeit erhebt und die mit dem S. verbundenen Riten
und Mythen einbezieht, nicht nur für die „ethnographischen"
Erdteile, sondern auch unter Auswertung der Vorgeschichte,
der Antike und der Volkskunde Europas und des Mittelmeergebiets
.

Die Frage nach der Bedeutung des S. geht aus von Raum
und Sinn seiner Verwendung im Kult. Es zeigt sich dabei, daß
der weitaus größte Teil der kultischen Verwendung des S. mit
dem Komplex der Reifeweihen (bezw. den sinnverwandten
Männerbünden, Toten- und Fruchtbarkeitskulten) verbunden
ist, wobei das S. die Stimme eines übernatürlichen Wesens verkörpert
; alle anderen, „profanen" Verwendungen treten deutlich
in Randgebieten der kultischen Anwendung auf.

Eine Analyse des im S. verkörperten Wesens (zumal im
Zusammenhang der Initiation) deckt verschiedenartige Vorstellungen
auf: teils hat das Schwirrholzwesen tierische Natur,
teils verkörpert das S. Ahnen oder Tote, in anderen Fällen
sind es Naturgewalten oder atmosphärische Erscheinungen,
vor allem der Donner (die teils wieder als Stimme von Himmelswesen
oder Schöpfergottheiten aufgefaßt werden). Fast
überall verbreitet ist der Glaube, daß das Schwirrholzwesen
die Initianden tötet oder frißt und wieder zum Leben erweckt.

Es schließen sich an diese Kernfragen ergänzende Untersuchungen
an: die Verwendung des S. im Zusammenhang mit
der Zeugung, als Liebeszauber und in agrarischen Riten. Sein
Gebrauch bei der Krankenheiluug, der Geisterabwehr und als
Todeszauber erweist sich ebenso wie seine Verwendung zum
Wetterzauber, als Spielzeug, Kinderschreck oder Vogelscheuche
als entartetes Derivat der Benutzung im Kult.
Schließlich geht der Verf. auf die Substitute des S. als Mittel
akustischer Darstellung im Kulte ein, wie es Flöten, Pfeifen,
Trompeten und Topfblasiustrumente, aber auch Trommeln,
Schellen und Schwirrscheiben, sämtlich in sinnverwandter Anwendung
, sind.

Bezüglich des kulturgeschichtlichen Ursprungs des S.,
dessen einmalige Entstehung Zerries für gesichert hält, ge-