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Ausgabe:

1947 Nr. 2

Spalte:

77-80

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Paulus und der Hellenismus 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 2

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Paulus und der Hellenismus1

Von R. Bultmann; Marburg

Der Grundgedanke dieses gelehrten und scharfsinnigen
Buches ist der, daß Paulus in gewisser Weise das Christentum
in eine Mysterienreligion verwandelt hat, freilich mit dem entscheidenden
Vorbehalt, daß für ihn Jesus als der auferstandene
Herr der Kirche doch die konkrete Gestalt der Evangelien
blieb — „in spite of the incautious outburst of 2 Cor. 5,
! 6!" —, während die Zentralgestalten der hellenistischen Kulte,
wo sie über das Niveau der alten Religionen hinausragen, zu
vagen Abstraktionen werden, die nur Symbole einer Gottheit
sind, die ihrerseits nichts ist als eine Projektion des menschlichen
Geistes in den Kosmos (S.181).

Wie aber hat Paulus das Christentum hellenisiert ? Indem
er die urchristliche Eschatologie in eine Kosmologie hinüberführte
; indem er Jesus das Gewand einer kosmischen Gestalt
gab. Maßgebend war dafür die Erfahrung in Athen (der
Verf. hält den Bericht act. 17 für historisch), wo Paulus das
Scheitern der eschatologischen Verkündigung erlebte. Für
diese Predigt war das Ohr der hellenistischen Hörer verschlossen
; denn so verbreitet auch früher im Hellenismus
eschatologische Spekulationen und Weissagungen waren, seit
Augustus ist die eschatologische Erwartung abgestorben; nur
noch im Judentum lebt die Apokalyptik fort. Paulus mußte
also, wollte er für griechische Hörer verständlich reden, das
Evangelium in die Formen hellenistischer Kosmologie fassen
(c.l: the failure of eschatologie).

Vorbereitet war dieses Verfahren im hellenistischen Judentum
, das ebenfalls auf die Eschatologie verzichten mußte,
wenn es gebildete Heiden gewinnen wollte. Es redete daher
in Begriffen der hellenistischen Philosophie und in der Terminologie
der Mysterienreligionen; es stattete seinen Monotheismus
, ohne ihn im Grunde preiszugeben, mit den Motiven
orphischer, stoischer und astrologischer Spekulation aus (c. 2:
The synagogue and the gentiles).

Vor allem war diese Tendenz in der Ausbildung der Gestalt
der Weisheit wirksam. In ihr fand das Judentum das
Mittel, einerseits seinen Monotheismus zu behaupten, und
andrerseits eine den Kosmos durchwaltende göttliche Macht
anzuerkennen und sich damit auf kosmologische Spekulationen
des Hellenismus einzulassen. Die Weisheit ist eine kosmische
Gestalt, die den Abstand zwischen Gott und Mensch überbrückt
; sie ist nach der Meinung des Verf. im 3. Jahrh. a. Chr.
im Gegensatz zur Isisgestalt, mit der dann auch die syrische
Astarte verschmolz, ausgebildet worden. Wurde sie im palästinischen
Judentum mit der Tora identifiziert, so im hellenistischen
mit der stoischen Weltvernunft; als solche war sie
umso leichter mit dem Monotheismus vereinbar, als sich in
der späteren Stoa unter dem Einfluß des Poseidonios eine
Kombination des Monotheismus des Timaios mit dem Pantheismus
der Schule vollzogen hatte. Auch bei Philon erscheint
die Gestalt der Sophia; doch ist sie bei ihm wesentlich durch
den Logos verdrängt (c.3: the divine wisdom).

Wollte Paulus die Befreiung des Menschen der hellenistischen
Welt verständlich machen, so konnte er an die
Anschauung von den Weltzeit-Perioden anknüpfen, die auch
das Judentum beeinflußt hatte. Galt im Judentum die Tora
als die Gabe Gottes, die die durch Adams Fall verdorbene
Menschheit von der Herrschaft des Bösen, zumal der Gestirnmächte
, befreit, so übertrug Paulus hl Rom und Gal die Rolle
der Tora auf Christus. Er lehrt: der menschliche Geist, der
seit dem Fall Adams in die Materie verstrickt ist, hat nicht
die Kraft, der Tora zu gehorchen, er wird aber durch die Gabe
des göttlichen Geistes, die Christus beschafft hat, gekräftigt,
und damit erhält der Gläubige auch die Freiheit von der Macht
der Gestirne, die zu gewinnen sich Mysterienreligionen, Magie
und Philosophie bemühen. Der Grund für die Wirkung des
Todes Jesu ist die Tatsache, daß sich Christus, das präexistente
Gottwesen, freiwillig in die Materie und damit unter die
Herrschaft jener Mächte begeben (das soll der Sinn von Gal. 3,
13 sein) und so durch seinen Tod diese Herrschaft gebrochen
hat (c.4: from omega to alpha).

War aber Jesus über die Tora erhaben, so muß er nach
hellenistischem Denken auch in der kosmischen Rangordnung
so viel höher stehen, und deshalb identifiziert ihn Paulus, wie
bes. 1. Kor. 10, iff. zeigt, mit der kosmischen Gestalt der
Weisheit. Er hatte darin im hellenistischen Judentum Vorganger
, insofern hier die Messiasgestalt wie durch den Logos,
so auchdurch die Sophia ersetzt werden konnte. Von hier aus
verstellt der Verf. nun auch die paulinische Verbindung von

Kosmos durchwaltende Geist, dessen „äfflatus" den Menschen
über das Irdische erhebt. Paulus muß deshalb, will er den Gebildeten
die christlichen Geistesgaben verständlich machen,
gerade die ethischen Kräfte, Glaube, Hoffnung und Liebe, an
Stelle der ekstatischen Phänomene setzen. "The effect of
1 Cor. 13 was to harmonise the "Spirit" of God as manifested
in the Church with the Wisdom of God as interpreted in the
light of the later Stoic tradition by the author of Wisdom"
(S.122. — c.5: and the rock was Christ).

Die Ablehnung der „keinem intelligenten und gebildeten"
Heiden einleuchtenden Auferstehungslehre in Korinth führt den
Paulus dazu, obgleich er am apokalyptischen Schema festhält,
die Immaterialität des Auferstehungsleibes zu lehren; ja er
spielt 1. Kor. 15,28 mit dem philosophischen Gedanken der Absorption
aller Dinge in Gott. Vollends vollzieht er in 2.Kor.
eine völlige Umwandlung der Eschatologie in hellenistischem
Sinne. Er identifiziert das Licht des ersten Schöpfungstages
nicht wie das Judentum mit der Tora, sondern mit Christus
bzw. mit der in seiner Person geoffenbarten yvöims tov O-eov
und setzt dieses Licht der Gotteserkenntnis mit dem göttlichen
Element im Menschen gleich, von dem die Popularphilo-
sophie redet. Er kann daher auch die popularphilosophische
Anschauung von der Gefangenschaft des Geistes im Gefäß des
irdischen Leibes übernehmen (2.Kor. 4, 7ff.) und diese wiederum
mit der christlichen Vorstellung vom christlichen Leben
als dem ständigen Sterben und Auferstehen mit Christus kombinieren
. Dabei stellt letzterer Gedanke wieder eine Umwandlung
der jüdischen Märtyrertheologie dar, die aber dadurch
ins Hellenistische transformiert ist, daß der Übergang vom
Jetzt zum Einst als Verwandlung begriffen wyird, die durch
die Gabe des Geistes bewirkt wird, wobei schließlich noch die
Vorstellung vorn Himmelsgewand, zusammengeflossen aber
mit dem stoischen Gedanken von der Seele als eineniTeil des
himmlischen Feuers, zu Hilfe kommt. Hat Paulus mittels
solcher Alchemie (diesen Ausdruck gebrauche ich!) die Eschatologie
dem hellenistischen Denken geopfert, so hält er gleichwohl
, um den judenchristlichen Gegnern keine Handhabe zu
bieten, am Gedanken des Endgerichtes fest, wenngleich dieser
neben dem Verwandlungsgedanken keine reale Bedeutung
mehr hat (c.6: the life of the world to come).

Das Auftreten der Irrlehrer zu Kolossae (der Verf. hält
den Kol. für paulinisch) zwingt den Paulus aber noch zu einer
weiteren Ausbildung seiner Christologie. In Kolossae wird die

Taufe durch höhere Mysterien überboten; durch Christus_

so lehrt man — ist zwar die Vergebung der Sünde beschafft,
aber er führt noch nicht zur höchsten himmlischen Höhe jenseits
des Machtbereiches der kosmischen Gewalten. Sein
Leiden beweist, daß er selbst diesen Mächten unterlegen war,
und die Leiden des Apostels zeigen es ebenso. Man fordert
Fasten und dergl. als Vorbereitung auf Visionen, in denen
Engel den Weg zu höheren Sphären zeigen. Um zu behaupten,
daß die Erlösung durch Christus vollständig ist und nicht der
Ergänzung bedarf, muß Paulus die kosmische Bedeutung
Christi entwickeln: als die göttliche Sophia ist er allen kosmischen
Mächten überlegen. Und zugleich mit ihm wird die
Ekklesia zu einer kosmischen Größe erhoben: sie ist der Leib,
deren Haupt Christus ist. Die Vorstellung vom Leib und vom
Haupt entstammt nach der Meinung des Verf. der Stoa; sie
war vielleicht schon von den Gegnern des Paulus aus dem
Politischen ins Kosmische übertragen worden, wobei orientalische
und orphische Gedanken mitgewirkt haben. Paulus erklärt
nun nicht mir Christus für das Haupt, sondern er vereint
auch Kosmologie und Geschichte, indem er die Auferstehung
Christi in Korrespondenz mit seiner kosmischen
Stellung setzt. Vor allem behauptet er, daß in Christus als
der Sophia das ganze göttliche Pleroma, die ganze kosmische
Fülle, wohne, und daß daher sein Tod die vollkommene Versöhnung
des ganzen Kosmos gewirkt habe. In seiner Kreuzigung
, die vermöge seiner Übernahme des materiellen Leibes
möglich war, ist der Fall Adams in den materiellen Leib rückgängig
gemacht worden, und die Leiden seiner Diener vervollständigen
nur dieses Geschehen, so daß Kreuz und Leiden
kein Anstoß sein dürfen. Das Ergebnis — von Paulus gewollt
oder nicht — ist dieses: die Basis der christlichen Predigt
ist hinfort nicht mehr das Kerygma („homiletic"), sondern
eine Philosophie; ,,The divine Wisdom, the pattern and agent

>) K n 0 x, Wilfred l., b. d. : St. Paul and the Church of the Gentiles.

v-nristus und nptü/ta; die hellenistische Sophia ist ja der den | Cambridge: University Press 1939. xii, 261 S. gr. 8°. 15 s.