Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1947

Spalte:

38-39

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Coornhert, Dirk Volkertszoon

Titel/Untertitel:

Zedekunst : dat is Wellevenskunste vermids waarheyds kennisse vanden mensche, vande zonden en de vande dueghden 1947

Rezensent:

Rhijn, Maarten

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

37

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 1

:w

bot ins rechte Licht zu rücken; er weist darauf hin, daß Bestrebungen
zu seiner Lockerung schon vorher vorhanden
waren und daß in Genf etwa seit Ende des 14. Jahrhunderts
(S.53, A11111.2) praktisch danach verfahren wurde. Endlich
wird die Bedeutung des Calvinismus für das wissenschaftliche
Leben seiner Ursprungsstadt erörtert und dabei vor allem von
der Akademie gesprochen. — Die zweite Periode ist für Genf
durch die Gestalt Bezas bestimmt. Im wesentlichen erscheint
Beza — seine Theologie bleibt wie diejenige Calvins unerörtert
— als der die Richtung treu wahrende Nachfolger des Reformators
. Die „Bibliokratie" bleibt erhalten, die Tendenz zur
Oligarchie verstärkt sich eher noch, wobei die Vendrable Com-
pagnie, nicht zuletzt infolge innerer Differenzen, an Gewicht
einbüßt. Die Akademie geht erheblich zurück, nicht weniger
der internationale Einfluß der Stadt. Von besonderem Interesse
ist der — m.E. voll begründete — Nachweis, daß Beza
hinsichtlich des Widerstandsrechtes eine andere Stellung einnimmt
als Calvin. Das Monarchomaclienproblem nimmt natürlich
auch sonst einen breiten Raum im Ganzen ein. — Mit
Bezas Tod beginnt für den Genfer Calvinismus eine Periode
von anderthalb Jahrhunderten des „status quo", der sich
freilich bei näherem Zusehen doch als eine deutlich rückläufige
Bewegung erweist, nahezu auf allen Gebieten. Das Ende des
calvinistischen Einflusses auf die Genfer Kultur, wie es der
Artikel über Genf in der Encyclopedie (hinter dem Verf. nicht
ohne Grund Voltaire vermutet) ausweist, ist während jener
Zeit des status quo vorbereitet.

Für Frankreich gibt Verf. die naheliegende Gliederung:
1. Die Periode der Märtyrerschaft, 2. Die politisch-militärische
Periode, 3. Die Zeit der Geltung des Edikts von Nantes, 4. Der
Einfluß der ausgewanderten Hugenotten auf die Zufluchtsländer
. Die erste Periode spielt für die Aufgabenstellung des
vorliegenden Werkes keine besonders wichtige Rolle. Hervorzuheben
ist die sehr interessante, im Anschluß an Luden
Romier gegebene Übersicht über die Verbreitung der hugenottischen
Märtyrerkirche (die von Coligny 1561 angegebene
Zahl von 2150 Gemeinden erscheint Romier als annehmbar!).
Einen vom Genfer Typus abweichenden, spezifisch französischen
Charakter findet Verf. in dieser ersten Periode noch
nicht ausgeprägt. Auch die zumindest von einer Gruppe unter
den Hugenotten auch dieser ersten Periode vertretene, von
Genf abweichende Widerstaudstheoric will Verf. nicht als
wesenhaften Unterschied gelten lassen. Die tiefgreifende Veränderung
, die sich in der zweiten, 1559 anhebenden Periode
vollzieht, führt der Verf. einerseits auf das starke Eindringen
militärischer Kräfte, andererseits auf das Bündnis des Hugenottentunis
mit der ständischen Bewegung der Zeit zurück.
Seit dem Frieden von Cäteau-Cambresis gab es eine große
Zahl von nicht mehr verwendeten Militärs, die zur französischen
Regierung in Opposition traten, nicht zuletzt aus na-
nionalen Motiven. Zugleich aber richtet sich eine starke ständische
Opposition gegen das immer stärker dem Absolutismus
/iistnbcndc Königtum. Beide Formen der Opposition verbinden
sieh mit dem Hugenotten tum. Doch zeichnen sich die
Linien nicht sofort klar ab. Katharina von Medici treibt bis
1 562 eine Politik, zu deren Durchführung ihr eine bewaffnete
Zusammenfassung der hugenottischen Kräfte erwünscht ist.
Das Jahr 1562 bringt dann den Umschwung, der die Hugenotten
in die militärische Abwehr drängte, bei der sie guten
Gewissens behaupten konnten, sich nicht gegen den König,
sondern gegen die zu richten, die den König in der Gewalt
hatten (S. 1 73). Ei beginnt die Zeit des großen Religionskrieges
(Verf. sieht die verschiedenen Phasen als Einheit), in dessen
Beginn die Hugenotten eine bewunderungswürdige Haltung
zeigen, der aber in seinem Verlauf einen schweren inneren
Rückgang der Bewegung mit sich bringt. Die wichtigste gedankliche
Komponente des militärischen Kampfes ist die bekannte
„monarchomachische" Theorie, die in Hotmans Fran-
Co-Gallia und in den Vindiciae'contra tyrannos ihren berühmtesten
Ausdruck findet. Es ist aber von höchster Bedeutung,
daß seit dem Regierungsantritt Heinrichs IV. die Hugenotten
entschieden zum Legitimismus hinüberneigen, dem sie bis in
die Jahre vor 1685 im Ganzen treu bleiben, während die
monarchomachischen Anschauungen nunmehr ihre Vertreter
in den Jesuiten finden. Freilich bedeutet hierbei die Zeit
zwischen der Ermordung HeinrichsIV. und der Einnahme von
La Rochelle eine gewisse Unterbrechung, doch ist die nunmehr
zum letzten Male mächtig aufflackernde bewaffnete
Opposition nicht mehr von der Gesamtheit der Hugenotten
getragen: die bürgerliche Mittelschicht will um jeden Preis
den Frieden. Von besonderem Interesse ist die Schilderung des
VerhältnissesMer Hugenotten zu Cromwell, dem man zunächst
als ,,Königsinorder" und Independenten mit tiefem Mißtrauen
begegnet, der jedoch eine Art Beschützerrolle in Anspruch

nimmt und tatsächlich ausübt. In diesem Zusammenhang wird
ein geheimer Nachrichtendienst organisiert, ähnlich wie später,
nach 1685. Der letzte, erregendste Zeitraum innerhalb dieser
dritten Periode — die beiden Jahrzehnte vor der Revokation
— erfährt die ihm zukommende eindringliche Würdigung. Insbesondere
wird die Frage erörtert, weshalb auf hugenottischer
Seite auch gedanklich von einem bewaffneten Widerstand
gegen die Regierungsniaßuahmen keine Rede ist. Der Verf.
verweist auf den auch und gerade unter Ludwig XIV. festgehaltenen
,,Legitimismus", wie er von den Synoden und insbesondere
durch die Theologie von Saumur vertreten wurde.
Als Gegner scheinen hier einerseits die Jesuiten, andererseits
die englischen Independenten. Den Abschluß des Bandes bildet
eine Darstellung des Einflusses der Hugenotten auf ihre Zu-
fluchtsländer. Daß hierbei die Niederlande stark in den Vordergrund
gerückt werden, ist begreiflich und dem deutschen Leser,
der den Zugang zu Quellen und Literatur hier nicht so leicht
hat, besonders willkommen. Sehr aufschlußreich sind die Mitteilungen
über Pierre Jurieu, der merkwürdig schillernd eine
Art Erneuerung der alten Widerstandsthcorien mit apokalyptischen
Anschauungen verbindet. Es folgt in der Reihe der
Zufluchtsländer die Schweiz, vornehmlich als Durchgangs-
gebiet in Frage kommend, wegen der Nähe Frankreichs sehr
zur Vorsicht genötigt, dann — reichlich kurz — das deutsche
Reich und endlich England, wo der Einfluß der eingewanderten
Hugenotten verhältnismäßig" gering blieb. Eine Frage von
besonderem Belang erhebt sich für den Verfasser allgemein:
wie kommt es, daß die nämlichen Hugenotten, die für ihr Bekenntnis
Leben und Heimat zu opfern bereit gewesen waren,
in der Fremde so oft zu Trägern der Aufklärung geworden
sind ? Die Antwort ist zweiteilig: erstens seien mit den eigentlichen
Hugenotten zusammen auch andere Franzosen ausgewandert
, die sich dem geistigen und politischen Zwangssystem
des Staates Ludwigs XIV. hätten entziehen wollen;
zweitens fehlte es neben den Merkmalen der Aufklärung durchaus
nicht an solchen des echten Calvinismus (S.325). Ich muß
gestehen, daß ich diese Antwort nicht für befriedigend halten
kann. Der Verf. zeigt selbst, daß die Hugenotten bereits auf
französischem Boden vor der Revokation gewisse Merkmale
der Frühaufkläruug erkennbar werden lassen; man braucht
nur au "die Schule von Saumur zu denken. Hinzu kommt —
was in unserem Bande durchweg zu wenig ins Licht tritt —,
daß ein unverkennbares Erbe des französischen Humanismus
in der ganzen Ilugenottengeschichte wirksam geblieben ist.
Und endlich ist es zwar vielleicht systematisch, nicht aber
historisch richtig, Aufklärung und Orthodoxie als in jedem
Falle klar gegenseitig abgrenzbare Gegensätze zu behandeln.
Das gilt auf reformiertem Boden in besonderer Weise.

Insgesamt: ein Werk von hoher Bedeutung, sowohl hinsichtlich
der mitgeteilten bzw. in neue Beleuchtung gerückten
Tatsachen, als auch besonders hinsichtlich der Klarheit und
überlegenen Besonnenheit des Urteils! Man kann nur wünschen
, daß es dem Verf. vergönnt sein möchte, die anderen
Bände bald folgen zu lassen.

Göttinnen Otto Weber

Coornhert, u.V.: Zedekunst dat is wellevenskunste. Vermids waar-

heyds kennisse vanden mensche, vande zonden ende vande dueghden
nu alder eerst beschreven int neerlandsch. Uitg. door Prof. Dr. B. Becker.
Leiden: E. J. Brill 1942. XXXIV, 528 S. gr. 8°. Fl. 10.-; geb. Fl. 12.-.
Leben und Werke Coornherts ziehen in der neueren Forschung
in den Niederlanden stark die Aufmerksamkeit auf
sich. A.Zijdcrveld, S.van der Meer und G.Kuiper haben ihm
Schriften gewidmet. Namentlich Dr.B.Becker hat hier neue
Wege gezeigt. Er hat die Quellen herausgegeben (Rijks Ge-
schiedkundige Publicatien, 1928) Und schrieb eine Studie über
seinen Perfektionismus (Archief voor Kerkgeschiedenis, 1926).

Dr. Becker bringt uns jetzt eine Ausgabe von Coornherts
Zedekunst. Dieses Werk ist auf Veranlassung von H. L. Spiegel
geschrieben, vielleicht ganz in Emden verfaßt und beendet
und wurde im Jahre 1586 gedruckt. Es ist ein Sprachdenkmal
von Bedeutung, hat aber besonders kirchengeschichtlichen
Wert als einer der ersten Versuche eine Ethik auf huimanistisch-
religiöser Grundlage zu geben.

Die Lektüre dieses Buches bringt uns in Berührung mit
einem Menschen, der glaubt, daß Gottes Liebe alles fügt, daß
wir alles aus seiner Hand annehmen sollen und seinem Gesetz
zu gehorchen haben. Christus sei nicht nur Vorbild, sondern
auch derjenige, durch den Gott zu uns spricht. Der Erbsündenlehre
ist Coornhert abgeneigt. Im allgemeinen denkt er optimistisch
über die Sünde. Er weiß wohl, daß es Sünde gibt,
aber die Wurzel sei die Unwissenheit und die Tatsache, daß
der Mensch nicht aufmerksam genug ist. Durch die Gnade