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Ausgabe:

1947 Nr. 6

Spalte:

365-366

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Tyciak, Julius

Titel/Untertitel:

Wege östlicher Theologie 1947

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Seite 1

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365

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 6

366

D ah inen, Kaplan an der schwedischen Seemannskirche in
Oslo, über die Lunder Theologische Schule schließt das
Buch ab. Diese moderne lutherische Theologie wird vor allem
von Gustav Aulem, Anders Nygren und Ragnar Bring vertreten
. Ihr Hauptcharakteristikum ist das Interesse an Luther
als einem Interpreten ursprünglichen christlichen Denkens.
Die verbindende Klammer zwischen der klassischen und der
lutherischen Theologie findet man in der Idee der göttlichen
Liebe. Sie muß das erste Motiv in der christlichen Theologie
sein, was merkwürdigerweise vernachlässigt, aber von Luther
in seiner ursprünglichen Bedeutung wieder entdeckt worden
ist. Wenn behauptet wird, daß Luther einseitig den Glauben
betont hat gegenüber der Liebe, so hat sich Luther in Wahrheit
nur gegen ihre Deutung als Caritas gewandt, weil diese
neben der agape den eros mit einschließt. So ist vielmehr die
Predigt vom Glauben für die Reformation identisch mit der
Predigt von der agape. In einem Nachwort „An Luthers
Grab 1946" unterstreicht Hans P. Ehrenberg noch einmal
die gegenwärtige Bedeutung Luthers für seine Kirche. Luther
ist von den Toten zu seiner Kirche zurückgekehrt. Wir sehen
heute nicht mehr in ihm, wie jahrhundertelang, das religiöse
Genie, sondern wieder, wie seine Zeitgenossen, den Vater der
Kirche, den „Heiligen des Glaubens". Zu dieser Erkenntnis
haben uns die deutsche Lutherforschung und die Lunder Theologische
Schule verholten. So bemüht sich die Kirche jetzt
wieder, die „reine Lehre", die Rechtfertigung allein aus
Gnaden und aus Glauben, zu lehren und zu leben. Diese reine
Lehre ist kein isoliertes Dogma, sondern die „Lehre aller
Lehren", das Augenglas, durch das die Kirche die volle Wahrheit
erkennt, und der Schlüssel zur wahren Frömmigkeit. Das
echte Verständnis Luthers schließt wohl aus, daß Luther die
Ganzheit der katholischen Kirche repräsentiert, aber begründet
ohne Zweifel seinen Titel als eine genuine Verkörperung
der Apostolizität, die im Dienst einer echten katholischen
Kirche stellt. Ein Vorwort zu dem Buch hat Eivind Berg-
grav, Bischof von Oslo, geschrieben. In ihm wendet er sich
aufs schärfste gegen die modernen Verleumder Luthers, die
ihn wegen seiner mißverstandenen Lehre von den zwei Regi-
nienten zu einem Vorläufer Hitlers stempeln wollen. Im Gegensatz
dazu unterstreicht er, daß der norwegische Kirchen-
kampf ohne eine besondere theologische Erklärung, wie die
Barmer, allein mit Lutherworten geführt wurde. Dabei haben
die Erfahrungen gelehrt, daß es keinen größeren Gegensatz
als den zwischen Martin Luther und Adolf Hitler geben kann.

Das Wertvolle an diesem Buche ist, daß hier in seltener
Kürze und dennoch fast erschöpfender Vielseitigkeit die Weltbedeutung
Luthers gerade in der Gegenwart uns nahe gebracht
wird. Dieses Bekenntnis zu einem heute noch leben-
digen Luther und seiner Kirche in solcher Klarheit und Einhelligkeit
, obwohl die Verfasser nicht weniger als fünf ver-
schiedensprachigen lutherischen Kirchen mit eigener geschichtlicher
Entwicklung angehören, kann nur den überraschen
, der im Luthertum eine abgetane Sache und in der
Lutherischen Kirche einen versteinerten Uberrest aus vergangenen
Zeiten sieht. „Luther spricht": nach dem Anliegen
der Verfasser dieses Buches zu den Christen in England; es
täte aber not, daß er dadurch zugleich auch zu den Christen
in Deutschland spräche.

Berlin Llc. Dr. Johannes Pf eif fer

Tyciak, Julius: Wege Östlicher Theologie. Geistesgeschichtliche Durchblicke
. Bonn: Verl. d. Buchgemeinde [1946]. 205 S. gr. 8" ■> Religiöse
Schriftenreihe d. Buchgemeinde. Pp. RM 6.—.

Julius Tyciak, Pfarrer in der Nähe Kölns, gehört mit zu
ekanntesten und vor allem aktivsten Unionsarbeitern
der katholischen Kirche. Neben seinen vielen Einzelstudien
kam er zum ersten Male in dem guten Sammelband : Der christliche
Osten, Geist und Gestalt (Regensburg 1939) an die
breiteste Öffentlichkeit, bei dem er neben Wunderle und
Werhun als Mitherausgeber zeichnet. Es ist so nicht verwunderlich
und entspricht Tyciaks Temperament, wenn die
erste größere Arbeit über die Ostkirche katholischerseits nach
dem Kriege aus seiner Feder stammt.

Sie ist ganz dem alten Ziele gewidmet, und das letzte
Kapitel unterrichtet uns in extenso über „Eigenklang und
Begegnung von Ost und West" (S. 1431t.). Das Werk ist
„eigentlich nur eine Vorarbeit zu einer östlichen Theologie"
(S. 9). Um so mehr warten wir mit Spannung auf die endgültige
Arbeit aus einer so berufenen Hand! Das Thema wird
in folgenden Kapiteln entfaltet: Der Logosgedanke als Mitte
ägyptischer Theologie. Der Enthusiasmus syrischen Denkens.
Hoheit und Nähe im byzantinischen Geisteskreis. Ostslawische
Universalität und Apokalyptik. Eigenklang und Begegnung
von Ost und West.

Etwas einseitig und übertrieben erscheint uns die Hochschätzung der
altrussischen Frömmigkeit. Verf. übersieht, daß in ihr auch wesentlich nihilistische
, ja destruktive Kräfte schlummerten, wie sie dann im Raskol in spezifischen
Situationen zum Ausdruck kamen. Die altrussische Apokalyptik ist
weniger eschatologisch als vielmehr chiliastisch geordnet, d. h. sie ist gekennzeichnet
durch mannigfache häretische Tendenzen südöstlicher Sektenherde1.
— Ungerechtfertigt ist Tyciaks Meinung über den Halleschen Pietismus, den
er geradezu für manche Zersetzungserscheinungen und sog. „demokratische
Tendenzen" in der russischen Ostkirche verantwortlich machen will (S. 12,
121). Chomjakov, dem „Laientheoiogen" des 19. Jahrhunderts z. B. wirft er
„auflösende demokratische Tendenzen des Kirchenbildes" vor (S. 121 u.
Anm.33). Aber gerade in Chomjakovs Arbeiten um den Begriff der Kirche
wird deutlich, wie sehr die Ostkirche hier um die Wahrung urchristlicher
Tendenzen ringt, die mit demokratischen keineswegs verwechselt werden
dürften. Bei Chomjakov insbesondere wird die Problematik der Unionsarbeit
offenbar, und sie ist wohl weniger leicht abzutun, als es Tyciak tut. Was den
Halleschen Pietismus in Rußland anbetrifft, sei grundsätzlich auf die Arbeiten
cyzevskyjs hingewiesen. Sie dürften das Urteil Tyciaks revidieren. Tyciak
unterläßt es hinzuweisen, daß der Hallesche Pietismus jene protestantische
Geistigkeit in Rußland bekannt gemacht hat, die erst eine fruchtbare Beschäftigung
mit der ostkirchlichen mystischen und Väter-Literatur in ihren
Voraussetzungen schuf. Gerade die russische Religionsphilosophie, deren Väter
Ivan Kirejevskij und Vladimir Solovjev er anführt, ist ohne diese Befruchtung
undenkbar*. Unter Hinweis auf die Studien cyzevskyjs nennen wir nur
diese Daten: Anfang des 18. Jahrhunderts erscheint die erste Übersetzung
Jakob Böhmes, „unseres heiligen Vaters". Filaret (Gumilevskij), der Historiker
des russischen religiösen Schrifttums, bezeugt auch den Eingang Böhmescher
Schriften bei den einfachen Bauern. Simon Todorskyj, später Bischof von
Pleskau, studiert um 1730 in Halle Orientalistik. Er übersetzt 1735 Johann
Arndts „Das wahre Christentum" und das „Informatorium Biblicum". Seitdem
erfolgen mehrere Auflagen von Johann Arndt, der sogar einen geistlichen
Schriftsteller wie Tychon von Zadonsk (1724—1783) stark beeinflußte. Nach
dieser Inspiration durch Halle beginnt etwa um 1780 eine eigene russische
Ubersetzungswelle, die bezeichnenderweise Hand in Hand geht mit der Einarbeitung
in die östlichen Kirchenväter. Böhme wird nun von dem Ukrainer
Hamalija übersetzt. Daneben erscheinen: „Biblisches und emblematisches
Wörterbuch" des Schwaben und Pietisten Oetinger, der bei uns fast verschollene
Genesis-Kommentar von Valentin Weigel, Gottfried Arnolds „Kirchen
- und Ketzerhistorie", und nicht zu vergessen die Schriften von Bengel,
die gerade auch sozial-politisch nicht ohne Wirkung geblieben sind. Hildegard
Schäder hat in ihrer Arbeit über die „Heilige Allianz" darauf hingewiesen,
wie stark alle diese Gedanken auf die Konzeption Alexander I. gewirkt haben.
Ernst Benz hat in seiner Studie „Russische Eschatologie, Studien zur Einwirkung
der Deutschen Erweckungsbewegung in Rußland" (Kyrios 1936,
H. 2) ausführlichst auf das gleichnamige Problem in der russischen Frömmigkeit
und Theologie aufmerksam gemacht. Wir haben diesen Hinweis kurz
skizziert, um den genannten Vorwurf Tyciaks gegenstandslos zu machen.

Das Buch ist in der Tyciak eigentümlich gehobenen
Sprache geschrieben, unter Vermeidung von Fremdwörtern
bzw. deren Verweis in die Klammer. Ein Anhang „Erklärung
der theologischen und philosophischen Fachausdrücke", eine
Übersicht „über die im Buche angeführten Personen der östlichen
Geistesgeschichte" und endlich ausführliche „bibliographische
Llinweise" lassen die Arbeit für weiteste Kreise
geschrieben und berechnet erscheinen. Um so mehr glauben
wir unsere Kritik gegenüber der genannten konfessionellen
Verzeichnung anmelden zu müssen.

Brandenburg Konrad Onasch

Haggenmüller, Odo: Heilige Gottesgeburt. Ein altsyrischer Traktat
über die Taufe. Beuron: Beuroner Kunstverlag 1947. 46 S. kl. 8" = Wort
der Wahrheit 1. RM 1.10.

Der wissenschaftliche Gewinn dieser kleinen Veröffentlichung
in geschmackvollem Gewände bestellt darin, daß sie
uns mit dem Inhalt eines bisher unedierten Traktates des
fruchtbarsten jakobitischen Schriftstellers des 9. Jahrhunderts
bekannt macht, nämlich des Moses bar Kepha, mit dem als
Bischof angenommenen Namen Severus (f 9°3)-

Die vorliegende Ubersetzung ist auf Grund der Photographie
einer Handschrift von Scharfah im Libanon gemacht;
zur Ergänzung bzw. Erweiterung ist der erweiterte Text der
syrischen Handschrift Nr. 147 der Vatikanischen Bibliothek
herangezogen worden, dem drei Einlagen entnommen sind.
Der Inhalt des Traktates ist im wesentlichen eine Darlegung
des symbolischen Sinnes der bei der Taufe üblichen Gebräuche
und angewandten Formen und Mittel. Schon einmal ist uns
ein syrischer Traktat über die Taufe geschenkt worden in

') Vgl. Kljueevskij, Geschichte Rußlands (Berlin 1925), Kap. 14 u. 15.
Die geistliche Volksdichtung, als Äußerung der geistigen Kultur des russischen
Volkes, von H.Stammler, Heidelberg 1939.

■) Vgl. etwa: O. Florovskij, Westliche Einflüsse in der russischen
Theologie. Erweiterte Wiedergabe eitles Vortrages auf dem I. panorthodoxen
Theologenkongreß, Athen, November 1936. Kyrios, 1937, H. 1.