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Ausgabe:

1947 Nr. 6

Spalte:

363-365

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Luther speaks 1947

Rezensent:

Pfeiffer, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 6

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KIRCHENKUNDE

„Luther Speaks". Essays for the fourth centenary of Martin Luther's death
written by a group of Lutheran ministers from North and Central Europe
at present in Qreat Britain with a foreword by the Bishop of Oslo. London:
Lutterworth Press 1947. 192 S. 8». 8 s. 6 d.

Anläßlich Luthers 400. Todestag stellten eine Reihe lutherischer
Geistlicher, die gerade in England weilten, dieses Buch
zusammen zur Erinnerung und Malmung an den Reformator.
Ohne apologetischen oder polemischen Zweck will es weder
eine ,,Luther-Legende" erneuern noch den Anstößen nachgehen
, die Luther so vielseitig gegeben, und durch die er vor
allem aus der deutschen Geschichte nicht wegzudenken ist,
sondern ihn als den Schöpfer einer kirchlichen Überlieferung,
die sich besonders in den letzten dunklen Jahren bei den
lutherischen Christen in Werk und Zeugnis als so stark erwiesen
hat, uns nahe bringen.

In einem ersten Teil: „Luther spricht selber" kommt
Luther selbst zu Wort. Trostworte Luthers und einige
berühmte Stellen aus seinen Briefen, darunter die an
Friedrich den Weisen vom 5. III. 1522 und an Melanch-
thon in Augsburg vom 29./30. VI. 1530 stehen zuerst. Dann
folgt eine Würdigung Luthers als Beter von Hans P.
Ehrenberg, früher Professor in Heidelberg, jetzt wieder in
Westfalen, dem Herausgeber des Buches, worin auf die enge
Verbindung von Glauben und Gebet bei Luther hingewiesen
wird. Luther hat eigentlich ständig gebetet, wobei die starke
Betonung der Fürbitte jeden Gebets-Individualismus ausschloß
. Bei seinen Ausführungen über Luther und den
öffentlichen Gottesdienst unterstreicht Toive Harjum-
pää, bis 1945 finnischer Kaplan in London, die enge Verbindung
zwischen geistlichem Amt und Gottes Wort bei
Luther, die wiederum eine enge Verbindung zwischen der Predigt
und der Form des öffentlichen Gottesdienstes herstellt.
So ist die Predigt der eine Höhepunkt lutherischen Gottesdienstes
, dem als zweiter das Sakrament in enger Verbindung
mit Anbetung und Lobpreis folgt, während der eigentliche
Opferbegriff fehlt. Viggo Jensen, Kaplau der dänischen Gesandtschaft
in London, zeigt Luther als Prediger, wobei
deutlich wird, daß bei allen persönlichen Erfahrungen, die
durch diese Predigten hindurchklingen und sie so anschaulich
machen, Luther nur das eine Anliegen kennt, das lautere Wort
Gottes zu verkündigen. Als Lehrer wiederum bringt Wolfgang
Büsing, Pfarrer an der Christus-Kirche in London, uns
Luther nahe. Lehren bedeutet für Luther vor allem die Verkündigung
der christlichen Botschaft in einer Weise, daß die
Zuhörer sie verstehen können, was für den Pfarrer, den Schullehrer
wie auch für den Hausvater gilt. Dabei war sich Luther
darüber klar, daß solches Hören auf das Wort Gottes ganz
unvermeidlich auch im Bereich der Politik, der Wir tschaft und
des bürgerlichen Lebens überhaupt Frucht tragen würde. Anhangsweise
unterstreicht Büsing die Bedeutung der Taufe,
die für Luther der Anfang des christlichen Lebens ist, wobei
der Glaube nichts mit der Wirksamkeit der Taufe zu tun hat.
Freilich kann die Taufgnade ohne Glauben nicht empfangen
werden. Die Wiedertaufe lehnt Luther mit harten Worten ab,
da Gottes Bund in Christus mit dem Menschen ein für allemal
und endgültig gilt. Anschließend legt Andreas A b r a h a m s s o n,
Kaplan an der schwedischen Seemannskirche in Liverpool,
Luthers Lehre vom Abendmahl dar. Luthers Hauptverdienst
sieht er dabei in einer Wiederentdeckung des heiligen
Mahles als eines Gemeinschaftsmahles — Gemeinschaft mit
den Brüdern und Gemeinschaft mit Gott —, bei strengem
Festhalten seines Wesens als eines Sakramentes. Das Abendmahl
als Opfer bedeutet aber nicht, daß wir Christus opfern,
sondern daß wir uns dem Opfer Christi hingeben, wobei wir
uns selbst zusammen mit Christus opfern. Damit bekommt die
Abendmahlsliturgie ein „dramatisches Element". Gemeinschaft
, Danksagung und Sakrament gehen so ineinander über.
Den ersten Teil schließt dann Hans P. Ehrenberg ab mit
Ausführungen über Luther als Theologen. Von der reformatorischen
Grunderkenntnis her, erlöst allein aus Gnaden
und allein aus Glauben, geriet Luther in einen doppelten
Konflikt: mit dem Papsttum und den Fanatikern. Und so
hielt er ständig zwei verschiedene Predigten: eine über das
Wort, die Gnade, die Rechtfertigung und den Glauben, die
nach dem Inhalt ihrer Verkündigung bereits im 16. Jahrhundert
abgeschlossen wurde, und eine andere, die das Sakrament
, die Kirche, das Amt und „meine lieben Heiligen auf
Erden" umschloß, niemals ausgeschöpft wurde und im 19. und
20. Jahrhundert wieder neu aufgenommen wird. So fällt
Luthers Lehre scheinbar in zwei unvereinbare Hälften auseinander
, in die Lehre vom Glauben und die Lehre von den

Sakramenten. In Wirklichkeit aber sind in Christus Wort und
Sakrament nur Teile eines Ganzen. Aus diesem reinen Akt
göttlicher Gnade, erfaßt im Glauben, folgt der dritte Teil
lutherischer Lehre: die vom Staat. Die Antithesen in Luthers
Denken: Zorn und Liebe, Gesetz und Evangelium, weltliches
und geistliches Regiment, Bestrafung und Rechtfertigung,
Blutvergießen und Gnade sind abgeleitet von einem grundsätzlichen
Realismus, der Im Glauben allein wurzelt. Es ist ein
und derselbe Gott, der liebt und zürnt. Aber darum dürfen
dennoch geistliches und weltliches Regiment niemals vermengt
werden. Gnade zu erzeigen in der Regierung der Welt,
heißt, Gott versuchen. Seine Herrschaft aber über diese Welt
in Frage zu stellen, oder Gesetzlichkeit Im Reiche der Gnade zuzulassen
, bedeutet, Christus zu kreuzigen. Das eigentliche Versagen
aber der Lutherischen Kirche in Nachwirkung des Liberalismus
im 19. Jahrhundert, das ein schreckliches Gericht
über sie brachte, bestand darin, daß sie die wahre Lehre vom
Staat predigte ohne das reine und unbefleckte Evangelium
von der Gnade durch das Kreuz Christi. Denn, wenn das geistliche
Regiment nicht mehr um das reine Evangelium weiß,
kann es auch das weltliche nicht mehr seinen wahren Auftrag
von Gott lehren.

Im zweiten Teil: „Luther spricht noch immer" wird zunächst
von Dr. Hans Herbert Kramm, Pfarrer an der St.
Marien-Kirche in London, ein Uberblick über die Gestaltung
der Lutherischen Kirche in Deutschland gegeben. Er findet
ihre Grundlagen nach C. A. VII in der apostolischen Lehre,
nach C. A. VIII in der katholischen Struktur. Die Lutheraner
wollten ihre Kirche weder als eine Kapelle, in der sich
die Christen mit der rechten kirchlichen Erkenntnis, aber
getrennt vom Rest des Volkes, versammeln, noch als eine
religiöse Gesellschaft, in der für jedermanns privater Meinung
Raum bleibt. Diese Kirche will nicht Staats- vind nicht Freikirche
sein, und gründet sich weder auf ihre Geistlichen, noch
auf ihre einzelnen Glieder, sondern auf Wort und Sakrament.
Durch die göttliche Einsetzung des Amtes ist der einzelne
Geistliche unabhängig, sozusagen der Bischof seiner Gemeinde,
die örtlich die Kirche repräsentiert, freilich nicht im kongre-
gationalistischen Sinn. Einen Umriß der lutherischen
Reformation in Skandinavien gibt ferner Carl Söderberg
, schwedischer Gesandtschaftspfarrer und Rektor der
schwedischen Kirche in London. Die Reformation in Schweden
—Finnland und in Dänemark—Norwegen nahm einen
unterschiedlichen Verlauf, wenn auch im Endergebnis die vier
nordischen Kirchen einander sehr ähnlich sind. In Schweden
wurde die Kirche vor allem im Interesse der Könige zu einer
reformatorischen, unabhängigen und nationalen. Der Anstoß
zur Predigt der reinen Lehre Martin Luthers kam her von
Studenten, die aus Wittenberg zurückgekehrt waren. Dänemark
dagegen wurde direkt durch die lutherische Reformation
beeinflußt, die hier, im Gegensatz zu Schweden, keinen großen
Widerstand seitens der Bischöfe f and. Nachde maber Laurentius
Petrider erste evangelische Erzbischof von Schweden geworden
war, hat sich im Laufe der skandinavischen Geschichte gezeigt
, daß ein starker Episkopat eine sehr wertvolle Stütze
für die lutherische Kirche ist, um an der Lehre festzuhalten
und sie zu verbreiten und zugleich die Unabhängigkeit der
Kirche gegenüber den Ansprüchen des Staates zu verteidigen.
Es folgen dann ein Aufsatz von Dr. Carl Schweitzer, jetzt
wieder in Deutschland, über die Innere Mission und einer
von Pfarrer A. Rundblom, Sekretär der schwedischen Mission
, über die Äußere Mission. Luthers Gottesbegriff schließt
tätige Nächstenliebe mit ein. So ist Innere Mission Dienst
helfender Liebe in Wort und Tat. In Luthers Lehre von Gottes
unverdienter Gnade finden wir eine tiefe Begründung aller
missionarischen Arbeit. Und so ist es Tatsache, daß die ersten
großen evangelischen Missionsgesellschafteu auf lutherischem
Boden gegründet wurden, obwohl Luther niemals von „Mission
" in unserem Sinne gesprochen hat. Ein besonderes Anliegen
der lutherischen Missionsgesellschaften aber ist es immer
gewesen, soviel als möglich die Sitten und Gewohnheiten der
Eingeborenen zu erhalten. Unter dem Titel „Die Bibel in
Deutschland" gibt dann Pfarrer T. F. Laun aus Frankfurt
a. M., Kriegsgefangener in England, einen Uberblick über
die Geschichte der Bibelkritik, die in den Kirchenkanipf mündet
. Der Gegenschlag kam von der modernen biblizistischen,
pneumatischen und christologischen Auslegung der Schrift.
Hier wäre auch der Einfluß Karl Barths zu nennen, wenn
auch das, was er zu sagen hat, nicht das letzte Wort bedeutet.
Während die Barthianer siegreich den Historismus und
Psychologismus des 19. Jahrhunderts bekämpfen, neigen sie
dazu, die volle Wirklichkeit des Lebens der Kirche gering zu
achten. Denn die Kirche von heute braucht eine peumatische
oder besser geistliche Auslegung. Ein Artikel von Gunnar