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Ausgabe:

1947 Nr. 6

Spalte:

335-338

Autor/Hrsg.:

Moe, Olaf

Titel/Untertitel:

Das Priestertum Christi im NT außerhalb des Hebräerbriefs 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 6

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In diesem Zusammenhang hat aber auch Mt. 19, 13—15
etwas zu sagen, und kann nicht so schnell abgetan werden,
wie das in dem Vortrag geschieht. Wenn in Mt. 19 auch nicht
von der Taufe die Rede ist, und gar nicht die Rede sein kann,
da diese die Gegenwart Christi im Geist voraussetzt, so ist
doch der Segen, den Jesus den Kindern durch Handauflegung
spendet, seiner Wirkung nach analog, wenn nicht derselbe wie
der Segen der Taufe. Eröffnet er doch das Reich Gottes für
die Kinder. Mt. 19 ist ja nicht so zu verstehen, als solle man
die Kinder deshalb zu Jesus kommen lassen, weil ihnen (von
Natur) das Reich Gottes offen stellt. Der Sinn des Wortes ist
vielmehr der, daß man die Kinder nicht hindern solle zu Jesus
zu kommen und den Segen zu empfangen, weil sie für das
Reich Gottes bestimmt sind, das ihnen durch die Handauflegung
Jesu in seinem Segen auf getan wird. Die Handauflegung
ist nicht eine an sich überflüssige Bestätigung, daß
ihnen das Reich Gottes gehört, sondern eine Mitteilung des
in dem Segen Jesu zu ihnen kommenden Reiches. Wenn aber
Kinder den Segen Jesu, der ihnen die Gnade der Herrschaft
Gottes schenkt, empfangen können, können sie auch die Taufe,
die nach Pfingsten dasselbe vermittelt, erhalten. Und wenn
Jesus die Kinder gegen die Abwehr seiner Jünger zu sich ruft,
und das Verlangen der Eltern, sie von ihm gesegnet zu sehen,
erfüllt, so ist das ein Fingerzeig, daß der erhöhte Herr auch
die Kinder zur Taufe ruft und sie ihnen auf Verlangen derEltern
wirksam erteilt — gegen das Bedenken mancher seiner Jünger.

Die Taufe der Kinder ist nicht nur möglich, sie ist auch
notwendig. Sie ist nicht nur notwendig, sondern sie ist auch
dem gesamten Heilsziel Gottes angemessen. Es ist ja nach
dem NT nicht zu verkennen, daß der Heilswille Gottes nicht
nur auf den neuen Menschen, sondern auch auf das neue
„Volk", die neue Menschheit und die neue Welt abzielt. In
Jesus Christus ist der Same Abrahams erschienen (Gal. 3,
15ff.). In ihm ist der zweite Adam gekommen, der in sich
die neue Menschheit trägt (Rom. 5, i2ff.; 1. Kor. 15, 44ff.;
Eph. 2, i2ff.). In seinem Leib, der Kirche, bemächtigt sich
der erhöhte Herr der Welt, indem er durch sie alles in allen
erfüllt (Eph. 1, 23; 3, i8f.; 4, 15t.). Von daher ist es verständlich
, daß die Kirche die Tendenz hat, sich als Volk und Menschheit
und schließlich als Kosmos auszuprägen und sich so jedes
Alter (wie ja auch alle Verhältnisse und Institutionen) kritisch
einzuverleiben». Der Vortrag meint etwas gegen die Kindertaufe
zu sagen, wenn er als das eigentliche Motiv für das zähe
Festhalten an ihr das Verlangen nach dem corpus christianum
und nach der „Volkskirche" aufdeckt. Aber ist dieses Verlangen
illegitim ? Ist die Idee des corpus christianum illegitim,
wenn, wie das NT deutlich erkennen läßt, die Kirche ein
Kosmos ist ? Mir scheint, die Zähigkeit des Festhaltens an der
Kindertaufe, zuletzt oft noch gegen die eigenen theologischen
Voraussetzungen, beweist ein restliches Bewußtsein von der
Tendenz der Gnade, ein „Volk" und den Kosmos zu durchdringen
. Freilich, wenn man unter „Volkskirche" „Massenkirche
" und „Staatskirche" versteht, und in dem Willen der
Kirche, die Welt heimzuholen, nur das Bestreben erkennt,
nicht in der Minderheit zu leben, dann verwehrt man sich
durch diese Interpretation der Motive die Einsicht in die
echten Zusammenhänge2. Aber sehen wir davon ab. Kann die
Taufe von Erwachsenen und die Reduzierung der Kirche auf
eine sog. Freiwilligkeitskirche die Christenheit auch nur einen
Augenblick vor dem Schicksal, „Staatskirche" zu werden, bewahren
? Im Gegenteil! Ein Staat, der die Kirche seiner Botmäßigkeit
unterwerfen will, wird die Erwachsenentaufe nur
begrüßen. Er selbst vertritt ja — jedenfalls zum Schein —

auch den Standpunkt, daß jeder Mensch nach seiner Facon
selig werden müsse und es daher eine Vergewaltigung des
Menschen sei, wenn er schon als Kind von den Eltern her
der Kirche angehörte. Auch er ist für die freie Entscheidung
für den christlichen Glauben oder besser gegen ihn. Die These
von der Erwachsenentaufe würde sein Bestreben, bei dem er
— wohl mit Recht — mit dem natürlichen Unwillen des Menschen
gegen den christlichen Glauben rechnet, theologisch sogar
rechtfertigen. Sind die Kinder noch nicht getauft, dann
hat er ja um so mehr, dann hat er sozusagen von Natur ein
Anrecht auf die Kinder.

Auch noch von einer anderen Seite her ist die Angemessenheit
der Kindertaufe zu betrachten. Die Gnade hat
nicht nur eine extensive Tendenz, sondern auch eine intensive.
Die Kindertaufe entspricht nicht nur dem universalen, sondern
auch dem radikalen Willen der Gnade. Sie will den einzelnen
Menschen bis zur Wurzel und von der Wurzel her
heiligen. Darüber haben wir in anderem Zusammenhang schon
gesprochen. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, daß diese
Tendenz mit der universalen konform geht, ja daß beide einander
bedingen. Aus diesem Totalitätsanspruch der Gnade ist
das allmähliche Sich-Durchsetzen der Kindertaufe auch zu
verstehen.

Endlich entspricht die Kindertaufe auch dem Wesen der
Gnade, zuvorkommende Gnade zu sein. Sie ist ja nicht Gnade,
wenn sie nicht allem Tun des Menschen vorauseilt und das
Fundament der Existenz legt. Diese zuvorkommende Gnade
wirkt sich natürlich nicht nur in der Taufe der Unmündigen
aus. Aber hier treibt sie ihr kräftigstes und greifbarstes Werk.
Denn in der Kindertaufe kommt sie nicht nur jeweils einzelnen
Entscheidungen des Menschen zuvor, sondern wird Grund und
Kraft der gesainten Existenz. In der Kindertaufe wird das
Wirklichkeit, daß die Macht, der sich mein Leben verdankt,
das konkrete Gnadenhandeln Gottes ist, daß der Mensch seinen
Ursprung tatsächlich in der Gnade hat und tatsächlich von
der Gnade lebt.

So sehen wir: der Sakraments- bzw. Tauf begriff, den
Barth in diesem Vortrag entfaltet, ist nicht der des NT. Und
die Konsequenz, die er aus diesem Taufbegriff zieht, die Abschaffung
des baptismus infantium, ist nicht im Sinn des NT.
Dieses kennt zwar — als Zeugnis der Situation der Entstehung
der Kirche — die Kindertaufe wahrscheinlich nicht, aber sein
Tauf- bzw. Sakramentsbegriff ermöglicht und fordert sie zusammen
mit seinem Kirchenverständnis. So hat die Kirche sich
mit Recht für sie entschieden und bis heute aus guten Gründen
fast überall daran festgehalten, selbst dort, wo man sonst
nicht geneigt ist, dem Urteil der Tradition Folge zu leisten.
Sollte sich der Sakraments- bzw. Taufbegriff, wie er in den
Darlegungen Barths vertreten wird,, in der evangelischen
Kirche durchsetzen, wozu viel Neigung besteht, so würde
diese sich auch an diesem Punkt weit vom NT entfernen.
Sollte sich gar die Konsequenz, die Barth aus seinem Taufbegriff
gezogen hat, in der evangelischen Kirche durchsetzen,
wozu freilich noch keine große Neigung besteht, weil man in
der Praxis oft noch ein größeres Wissen um das Dogma hat
als in der Theologie, so würde eines der letzten Fundamente
der Einheit der Kirche dahinfallen. Die Gefahr dieses Beispiels
einer permanenten „Reformation" der Kirche kann nicht
deutlich genug aufgezeigt werden. Halten wir uns lieber an
das, was Augustin sagt: Hoc (seil, den baptismus infantium)
ecclesia Semper habuit, Semper tenuit, hoc a maiorum fide
suseepit, hoc in finem perseveranter custodit (Senno 176 de
verb. ap. 2).

Das Priesterlum Christi im NT außerhalb des Hebräerbriels

Von Olaf

Die Lehre vom munus sacerdotale Christi im engeren
Sinne, d. h. von seiner hohenpriesterlichen Stellung, gründet
sich bekanntlich wesentlich auf den Hebräerbrief. Die Absicht
dieser Zeilen ist, zu zeigen, daß die Anschauung von Christus
als Hohenpriester nicht so einzig im NT dasteht. Der Sonder-

') Vgl. Iren. II, 22,4: „Ist er doch gekommen, um alle zu retten, alle,
die durch ihn für Qott wiedergeboren werden, die Säuglinge und die Kleinen,
die Kinder, die Jünglinge und die Greise. So durchlebte er jedes Lebensalter,
wurde den Säuglingen zulieb ein Säugling und heiligte die Säuglinge; und
den Kindern zulieb ein Kind und heiligte die, welche in diesem Alter stehen,
indem er ihnen das Vorbild der Frömmigkeit, der Gerechtigkeit und des Gehorsams
gab; und den Jünglingen zulieb ein Jüngling, wurde ihnen ein Vorbild
und heiligte sie für den Herrn .. ."

•) Welches das Motiv der Kirche war, zeigt z. B.Cyprian ep.64, 2 im Zusammenhang
seiner Ausführungen über die Taufe der Kinder vor dem achten

Moe, Oslo

beitrag, den der Hebräerbrief zur Lehre von der Versöhnung
liefert, besteht nicht darin, daß er die erste Schrift des NT
wäre, welche Christus als Hohenpriester darstellt, sondern in
dem Nachweis, den Hebr. 7—10 bringt, daß er Hoherpriester
nach der Ordnung Melchisedcks ist.

Lebenstag: ..... unser aligemeines Urteil ging vielmehr dahin, daß man

keinem einmal geborenen Menschen Gottes Barmherzigkeit und Onade versagen
darf. Denn da der Herr in seinem Evangelium sagt: „Der Sohn des
Menschen Ist nicht gekommen, um die Seelen der Menschen zu verderben,
sondern um sie zu retten", so darf, soviel an uns liegt, womöglich keine Seele
verloren gehen. Denn was fehlt demjenigen noch, der einmal in Gottes I land
im Mutterschoß gestaltet Ist? Nur uns nämlich und unseren Augen scheinen
die Neugeborenen im Laufe der irdischen Tage zu wachsen. Alles aber, was
von Oott geschaffen wird, ist kraft der Majestät und Wirksamkeit des göttlichen
Schöpfers vollkommen."