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Ausgabe:

1947 Nr. 5

Spalte:

294

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Pies, Otto

Titel/Untertitel:

Im Herrn 1947

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Seite 1

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293

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 5

294

ist, kurz gesagt, eine DarstellungVon C. G. Jungs „Komplexer
Psychologie".

Er schildert den extravertierten Menschen, der sich so verhält, als
ob alles Lebenswichtige im Außen läge, und den Introvertierten, der von
den Inhalten der Seele angezogen ist und der Welt draußen nur zweitrangige
Bedeutung zuerkennt; den Empfindungstypus, bestimmt von den einfachen
Tatsachen und Gegebenheiten des Daseins, den Denktypus, dem der ursächliche
, kausale Zusammenhang der Lebenserscheinungen auffällt, den Gefühlstypus
, der die Weit der Erscheinung auf die Fähigkeit bezieht, etwas
als angenehm oder unangenehm, als Lust oder Unlust zu erleben, den Intuitiven
, der die Welt erspürend, über den Weg des Unbewußten erfährt.
Et setzt die Identität, das Gleichsein, in dem das Kind in weitgehender
Weise mit seinen Eltern und Geschwistern lebt, ab von der Identifikation,
der Gleichsetzung, In der der Erwachsene sich an Inhalte kettet, die nur
einen Teil seines Wesens ausmachen oder überhaupt außerhalb von ihm liegen
(wodurch er sich selbst verliert und behindert wird, eine reife Persönlichkeit
zu werden). Er erläutert die Begriffe der Projektion (als die Konflikte
schaffende Fähigkeit der Psyche, Eigenes in den anderen hineinzusehen und
für einen Teil des anderen zu halten) und der Komplexe (als gefühlsbetonte
unbewußte Inhalte der Seele, deren Kern häufig ein schwerwiegendes Erlebnis
ist, das einmal eine Schockwirkung, eine seelische Verwundung bewirkt hatte
und nun — eben als Komplex — die Fähigkeit besitzt, die seelischen Kräfte
an sich zu ziehen, aufzuschwellen und häufig das ganze Leben in eine Konfliktssituation
drängt). Das 28., 35., 42. Lebensjahr sollen besondere Konfliktzeiten
sein (Siebenerzyklus). Ein besonderes Kapitel widmet der Verf.
der Gefahr des Geheimnisses, das einsam macht, abschließt, In die Sonderung
führt, die bis an die Erkrankung reichen kann, und nach Bekennen
ruft. Von der Furcht, die wir haben, unterscheidet er die Angst, die uns hat
und deren zerstörende Energie — um in Jungscher Formulierung zu sprechen —
Gott als der „höchste psychisch erfahrbare Wert" lösend und entfährdend
in sich aufgenommen hat. Den „dunklen Bruder" in uns nennt er unsere
zweite Seele, uiisern Anteil am Bösen der Welt, bei dessen Anblick wir feststellen
, daß wir keine schwächenlosen Edclwesen sind, sondern alle „Sünder"
mit Mordphantasien und Todeswünschen. Der Traum wird gewürdigt als ein
großer Helfer des Menschen in seiner Konfliktnot, indem er — oft im Spiegelbild
großer Symbole, urtümlicher Sinnbilder — Lebenszusammenhänge erkennen
läßt, die uns sehr angehen und dem Träumer oft lange nachgehen,
dann nämlich, wenn der Traum einen empfindlichen Punkt, eine Konfliktseite
des Träumers berührte.

So sehr das Ganze einen systematischen Aufbau vermissen
läßt, wird es dem doch einen Dienst tun, der sich an
Hand einiger weniger (bei weitem nicht aller in Frage kommender
) Begriffe in die Gedankenwelt Juugscher Psychologie einzuleben
versuchen will. Wobei allerdings nicht unerwähnt
bleiben darf, daß es oftmals so schien, als ob im letzten Jahrzehnt
unter dem Druck von Nazimachthabern (auch als Jung
selbst bei ihnen in Ungnade gefallen war) die Jungsche Psychologie
in Deutschland, insbesondere wohl in Berlin, allzu betont
eine Vorrangstellung hatte, auf Kosten besonders der psychoanalytischen
und der jetzt erst so genannten, aber damals
schon bestehenden neo-psychoanalytischen Schule, deren vielfach
ein völlig anderes Bild bietenden Forschungsergebnisse
erst noch weiterhin fruchtbar zu machen wären, nachdem in
der Hitlervergangeuheit ihre Wirkungsmöglichkeiten nicht unbeschränkt
waren. Vom gegenwärtigen Stand der psychologischen
Forschungsarbeit erhält der Leser jedenfalls kein
vollständiges Bild. Die Bedeutung der Frühkindheits-
erlebnisse für die charakterliche Entwicklung wird zwar am
Rande einmal mit angedeutet, aber kaum so, daß sie dem
Leser in ihrer ganzen Tragweite voll zum Bewußtsein kommt.
Auffällig ist auch die gelegentliche Betonung nicht nur der
körperlichen, sondern auch der charakterlichen Vererbungen
, da der Psychologe heute auf Grund mannigfacher Beobachtungen
und Erfahrungen doch vielfach unter dem Eindruck
einer Pseudoheredität (Scheinerblichkeit) steht und da, wo
mau früher abartige Lebenseinstellungen bei Eltern und Kindern
erblichen Einflüssen zuschrieb, jetzt eher verwickelte Zusammenhänge
des Erlebens und tiefgreifende frühkindheitliche
Umwelteinflüsse am Werk sieht.

Aber auch wer Jung und seinen Schülern nicht überall zu
folgen vermag, wird doch nicht bestreiten, daß sie einen unauf-
gebbaren Schatz psychologischer Einsichten zu vermitteln
haben. Wenn es noch einer überzeugenden Darstellung dafür
bedurft hätte, so hätten wir sie im zweiten Teil des vorliegenden
Buches von Aeppli. Auch hier wieder sind zwar Abstriche
WJ machen. Aeppli verspricht zuviel, wenn er im Titel gemeinhin
von Lebenskonflikten spricht. Unter Verzicht auf die

Problematik des Kindesalters, eigentliche Berufskonflikte und
viele andere mögliche Lebenskonflikte beschränkt er sich im
zweiten Teil seines Buches im wesentlichen auf Fragen des
Liebes- und Ehelebens, um zum Schluß noch ein Kapitel
über „Die Begegnung mit dem Tode" anzuschließen. Auch
wem die Forschungsergebnisse der psychologischen Wissenschaft
im letzten halben Jahrhundert geläufig sind, wird die
in edler Sprache gebotene Darstellung nicht ohne Gewinn aus
der Hand legen.

Wenn der Verf. im Vorwort von einer psychologisch orientierten
Seelsorge spricht, so dürfte seine „Psychologische
Beratung" freilich kaum eine „christliche Seelsorge" zu nennen
sein. Wo er von der christlichen Botschaft spricht, ist eine gewisse
Distanzierung unverkennbar. Es scheint manchmal, als
ob er nicht weit vom Tore stehe, ohne durch das Tor selbst
in den Vorhof zu treten: „Schuldgefühl und Erlösungsbedürfnis
können den Menschen dazu bringen, durch die dunkle Gestalt
des Schattens hindurch zur Tiefe seines eigenen reifenden
Menschentums zu kommen". Oder: „Seelisch starke Menschen
glaubten immer daran, daß sie, ob sie leben oder sterben, dem
großen schöpferischen Urgrund des Lebens augehören und ihm
nicht verloren gehen, daß sie, fromm gesagt, ,des Herreu
sind'."

So ist es zwar kehle christliche Seelsorge, was Aeppli
bietet, keine „Pastoral Psychology", wie es die Engländer
nennen, aber doch eine Teildarstellung psychologischer Forschungsergebnisse
und Einsichten, die niemanden ohne Gewinn
lassen wird, der sich mit ihnen aviseinandersetzt. So gewiß
Seelsorge Seelsorge bleiben und — es sollte überflüssig
sein, es zu sagen — von psychologischen Experimenten frei sein
soll, so kann es doch dem Seelsorger wie dem Betreuten nicht
zum Schaden sein, wenn der Seelsorger mehr, als es bisher der
Fall zu sein pflegt, Einsicht gewinnt in die vielfach verschlungenen
Um- und Irrwege, wie sie die moderne medizinische
Psychologie aufgedeckt hat. Was den künftigen Seelsorgern
— als Seelsorgern — bisher vermittelt wurde, war oft
dürftig genug. So katin jede brauchbare Handreichung ihre
wichtige Aufgabe haben.

Berlin Kurt Böhme

Pies, Otto: Im Herrn. Gebete im Geist d. königl. Priestertums. Freiburg
I. Br.: Herder 1941. 593 S. kl. 8°. RM3.20; Lw. RM 4.50.

Ein Gebetbuch kann in dieser Zeitschrift nur nach seinem
wissenschaftlichen Wert besprochen werden. Welches aber
soll der wissenschaftliche Wert eines Gebetbuches sein ? Nun,
es kann das Gebetbuch einmal eine Sammlung weit auseinanderliegender
Gebete der Bibel, der Liturgien, der Kirchenväter
, der Späteren, der Neueren und Neuesten sein, so daß
der Wissenschaftler hier beisammen findet, was er sonst in der
„Diaspora" suchen muß. Es kann aber das Gebetbuch zweitens
als ein Zeugnis der gegenwärtigen Frömmigkeit einer Kirche
Bedeutung haben, demnach ein willkommener Beitrag zur
Kirchenkunde und Frömmigkeitskunde sein. Das vorliegende
katholische Gebetbuch ist in der Tat beides — eine Sammlung
und ein Zeugnis. In der Sammlung umschließt es die
Bibel, die Liturgien, die Väter, die Mittleren und die Neueren
und Neuesten in guter Auswahl; besonders dankbar sind wir
für die Stücke aus dem Rituale und dem Pontifikale. Als
Zeugnis lehrt es uns, daß die katholische Frömmigkeit unserer
Tage stark mit der Bibel und besonders mit den Psalmen gespeist
wird, wenn auch die Väter, das Mittelalter und die
Neueren und Neuesten ihren Dienst tun dürfen. Im Ganzen
setzt das vorliegende Buch die Linie fort, welche im Katholizismus
mit den „Gebeten großer Männer" begann, doch ist
auch die „liturgische Bewegung" beteiligt.

Eine „dichterische", hier „betende" Freiheit erlaubt sich der Verfasser,
wenn er biblische Stücke in die Gebetsform setzt und Gebetsworte zur Verbindung
der Texte findet. Für den Beter ist das ein Plus. — Georg Springer,
Berlin-Kaulsdorf, schrieb in Zierschrift vor jede Abteilung Bibelverse. —
Die Einteilung: Heilig ist der Herr — Dem Herrn geweiht — Leben Im
Herrn — Im Dienst des Herrn — Im Jahr des Herrn — Mutter des Herrn —
Die Heiligen des Herrn — In der Sorge für den Herrn (Hellige Kirche, Für
die Priester, Deutschland, Um Einheit im Glauben, Weltmission) — Alphabetisches
Inhalts- und Namenverzeichnis — Qucllenverzeichnis.

Wertingen Leonhard Fendt