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Ausgabe:

1947

Spalte:

292-294

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Aeppli, Ernst

Titel/Untertitel:

Lebenskonflikte 1947

Rezensent:

Böhme, Kurt

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„neuen Stils" und diese zu Verächtern des Pietismus-Stils; am Begriff der
„Salbung", den die Pietisten aus dem „neuen Stil" für sich in Anspruch genommen
hatten, läßt sich dieses Gegeneinander aufzeigen; durch die Gegner
des Pietismus und Anhänger des „neuen Stils" wurde der Begriff der „Salbung"
zu einem Hohnwort gestempelt. Führte der „neue Stil" die v. Mosheim, Reinbeck
, Cramer zur glänzenden Verkündigung des alten Christentums, so verwickelte
er die Sack und Jerusalem schon in die Aufklärung. In Schweden
huldigte man am Anfang des 18. Jahrunderls dem gemäßigten Stil des
17. Jahrhunderts: Häufung von Bibelzitaten, Reichtum an Synonymen, nur
werden die Bildreden nun gesünder, die Anekdoten weniger, der, ,innereMensch"
wird in den Vordergrund gestellt, das Ganze ist nur abstrakter, bleibt aber
religiös tief. Teils vom Pietismus, teils vom Herrenhutertum hatte diese Predigt
die großen Gefühlsworte. Nun kam in diese Stillage die Wolffsche Philosophie
, die Vernunft, die Natur hinein; die Folge war ein Beschreiben, Darlehen
, Beweisen, eine Abdankung des Gefühls zugunsten der Nützlichkeit und
des Sinnes für die elegante Sprache zugunsten der Vernünftigkeit (denn am
linde des 18. Jahrhunderts war in Schweden der Sinn für Eleganz der Sprache,
verfeinerte Rhetorik erwacht — Einfluß des Dänen Bastholm.) Die wirklich
altreligiösen Kreise werden sich kaum um die „neue" Predigt gekümmert
haben, besonders seit sie aufklärerisch wurde. So beginnt das 19. Jahrhundert
in Schweden mit einem Stil, den man „biblischen Archaismus" und „Poetis-
nius" nennen kann. Thomander verkörpert ihn. Dagegen Schartau ist der
Pietist des 17. Jahrhunderts, aber voll Klarheit, übersichtlicher Darstellung,
liebt die Definition, das Abstrakte, Bildlose (gegen die Herrenhuter!), scheut
auch pädagogische Abzweckung nicht, hat wenig Bibelzitatc und webt nie
biblische Worte in seine eigenen Worte ein. Mit Schartau bilden Wallin und
Rosenius das Trio, dem in Schweden die Prediger des 19. Jahrhunderts anhingen
, dem einen oder dem anderen, dem einen und dem anderen (Wallin der
Rhetoriker, Schartau der Bibliker, Rosenius derText-Exegetiker). Wichtig war,
daß Rosenius nicht archaisierte, sondern modernisierte. So kommt (von der Freikirche
her) das „Werktagsmäßige" in den Predigtstil: kolloquial, nicht aber
vulgär. Am Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sich in der schwedischen Predigt
ein „moderner Stil" neuer Art: realistisch (Hammarsten, Rundgren, bei letzterem
sogar wieder der Humor auf der Kanzel!), expressionistisch, keine Gedrängtheit
des Stils mehr, nur Tempo und Energie, großer Wortvorrat, moderne
Ausdrflcke, neue expressive Bilder, mehr expressiv als klar, kräftige Adjektive
aus der Erweckungspredigt und altpictistische-schartauischc Termini, doch
zum Schluß klassisch-christliche Formulierung (tiklund, Söderblom, N. Bes-
kow); „Erfahrung", „Geschichte", „Leben" sind nun Zentralworte; die allgemein
-literarischen Veränderungen wirken sich auf die Predigt aus, weil die
Predigt das wirkliche Leben ergreift.

Schließlich wendet sicli die Predigtkritik in Schweden gegen den stilistischen
Einfluß der Bibelübersetzung, gegen die Gcfühlsworte, gegen den
poetisch-impressionistischen Zug. Auch in Schweden ist die Prosa seit 1900
einfacher, schärfer, strammer, nüchterner geworden. Andere Kritiker aber
wenden sich gegen die modernen Ausdrücke in der Predigt (aus der kulturellen
und politischen Diskussion), sie sind für Anschluß an den Stil der Bibelübersetzung
— Wifstrand meint aber, das seien meist „die Liturgiker, die Kirchen-
toneuthusiasten, die Paramentenbewunderer", die alles so würdig als möglich
haben wollen (ein interessantes Urteil, das freilich die Sache nicht entscheidet!).
So gibt es heute in Schweden drei Predigtstile: die alte kirchliche festlichbiblische
Art — die gefühlsgetragene rhetorisch-poetische Art — die modern-
räsoniereude Art (mit modernen Ausdrücken und der modernen Versamm-
lungs-, Vortrags-, Zeitimgs-Phraseologic). Und als „Salbung" wird nun von der
Welt alles Unnatürliche bezeichnet.

Die Einzelheiten, welche der zweite Teil bespricht, betreffen Bibelzitatc,
Archaismus, Adjektive, Genitive, Synonyme, Perioden, Normalprosa, Alltagssprache
, Wendung an den Hörer, Gleichnisse, Exempcl.

Der dritte Teil ist (leider) der kürzeste, enthält aber eine Fülle der wichtigsten
Beobachtungen. Der urchristliche Predigtstil war ohne höhere stilistische
Aspirationen (bei den Rhetoren herrschte damals der Rückgriff auf die
Klassik), hatte aber durch das AT etwas Festliches. Im 2. Jahrhundert hat der
christliche Predigtstil Berührung mit der heidnischen Bildung (Kommentare
wie die Philos, die Diatrlbe, die Panegyriken, die Declamatio). Origenes zeigt
die Breite seiner Zeit und ihre Normalprosa, er hat keine rhetorischen Aspirationen
. 11. Clemensbrief erinnert in seiner syntaktischen Einfachheit an die syna-
gogale Predigt, hat biblischeren Klang als Origenes. Der Brief der Gemeinden
von Lyon und Vienne von 177 ist zwar keine Predigt, zeigt aber die Stilelemente
der neuen Predigt: Griechische Schönheit und biblische Bildersprache und neu-
testamentliche Innerlichkeit, Umschreibungen, Häufung von Synonymen,
wenig rhetorische Klangfiguren. Die dem Hippolyt von Rom zugeschriebenen
Homilien sind Bibelauslegungen, stark rhetorisch, declamatio, Ausrufe, Fragen
, Antithesen, Parallelen. Gregor v. Nazianz und Basilius von Seleucia,
besoudersBasilius, sind in ihrer Predigt voll rhetorischer Figuren; Chrysostomus
und Basilius der Große sind klassischer Art; die Makariushomilien bilderreich,
symbolreich, aber nicht auf sprachliche Effekte aus. Die lateinische Predigt,
beruhend auf der griechischen, ist zum Teil stark rhetorisch geartet (Petrus
Chrysologus das Gegenstück zu Basilius v. Seleucia!), — zum Teil aber (Gau-
dentius v. Brescia, Caesarius v. Arles) Volkspredigt für ein einfaches und einfältiges
Auditorium, und diese Volkspredigt wurde zur Predigt in den entstehenden
Volkssprachen des frühen Mittelalters. Die rhetorisch anspruchsvolle
Prunkprcdigt wurde zur scholastischen Predigt, zum „neuenStil" desMittelaltcrs,
die Volkspredigt zur grobkörnigen, burlesken, satirischen, energischen Moralpredigt
. Die mystische Predigt liebt Bilder und Gleichnisse für die innere Erfahrung,

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nicht rhetorische Feinheiten. Die Vadstenapredigten sind maßvolle Beispiele
der Volkspredigt mit scholastischem Einfluß. Die Reformation stellt die Predigt
inhaltlich auf die Hauptgedanken der Bibel; Luther ist im Predigtstil Uli
generis (freie Disposition, Volkston, natürliche Sprache im Trösten, Vorliebe für
den Literalsinn, drastische Polemik, pädagogischer Zug, Breite, Synonymen-
häufting). In England hat Hugh Latimer einen Luther ähnlichen Stil, steht
aber dem Mittelalter noch näher. Calvin, fern aller Effekthascherei, klar, streng,
übersichtlich, hat eine gewisse eintönige Festlichkeit. Im 17. Jahrhundert repetierte
man dann den mittelalterlichen Stil, und Im Predigtstil war das Mittelalter
erst mit Tillotson und (In den lutherischen Ländern) mit der Vereinigung
von Pietismus und Klassizismus zu Ende — aber nicht ohne Verlust. — Damit
hat der Verf. den Anschluß an den ersten Teil erreicht.

Es ist für den Theologen wertvoll, in der Frage der Predigt
einmal einen Philologen zu hören, und über den Reichtum
zu staunen, den Philologie hier auszubreiten vermag.
Aber die theologische Frage drängt dann umsomehr: Was gehört
am Predigtstil in das „Anziehen des neuen Menschen",
und was in die jeweilige Mode ? Der Verf. ist deutlich ein
Gegner der Linie Sophisten—Mittelalterliche Prunkpredigt—
Barockpredigt—Feststil von heute, und ein Anhänger der
„klassischen" Einfachheit; aber aus welchem innerlich zureichenden
Grunde kamen das Mittelalter und die Barockzeit
zu ihrem Predigtstil ? War das bloß rhetorische Anfälligkeit ?

Wertingen Leonhard Fendt

Aeppli, Ernst: Lebenskonflikte. Eine psychologische Beratung. Erlenbach
-Zürich: Rcntsch 1942. 291 S. 8». RM5.20; gbd. RM 6.50.

Vor nahezu zwei Jahrzehnten machte der damalige Berliner
Psychotherapeut Dr. med. Fritz Künkel (seit etwa einem
Jahrzehnt in USA.) den Versuch, durch briefliche Beratung
Menschen zu helfen, die durch Nöte und Sorgen in charakter-
liche oder körperliche Leiden geraten waren, die nur durch
seelische Entwicklung überwunden werden können. Das Ergebnis
dieses Versuchs war nicht allzu ermutigend; denn auf
einen erfolgreichen Briefwechsel kamen drei erfolglose. Gleichwohl
waren die 1933 veröffentlichten ,,Krisenbriefe" viel begehrt
. Trotz der nicht unberechtigten Bedenken gegen Selbst-
heilungsversuche ließen sich die Leser, die sich in einem
Lebenskonflikt befanden, auch aus Briefen, die nicht an sie
selbst gerichtet waren, offenbar gern Rat und Wegweisttng
geben.

Titel und Untertitel des vorliegenden Buches von Aeppli
erinnern unmittelbar an den Künkelschen Versuch. Die Ausführung
ist aber weit entfernt davon. Was Aeppli an direkter
Beratung gibt, ist ziemlich mager und geschieht gleichsam
nur hier und dort am Rande. Darüber will er jedoch keinen
Zweifel lassen, daß es keine Konfliktslösung ohne Mut und
Tapferkeit gibt. „Dazu muß man sich erziehen!"

„Der reife Mensch wird immer versuchen, dem Kampf, in dem er steht,
einen Sinn abzugewinnen. Er wird sich fragen: Was will er mit mir? Was ist
jetzt ineine notwendige Einstellung, das notwendige Tun, das eben die Not
wendet? . . . Wo ein Mensch sich, so gut er es nur kann, um eine wertvolle
und sinngerechte Lösung seiner Konflikte bemüht, da antwortet die Seele
auf dieses Bemühen durch alles Schmerzliche hindurch mit einem eigenartig
positiven Gefühl. Mag der Weg der Bemühungen noch so schwer sein, wo
der ganze Einsatz geschieht, da antwortet ein inneres Lebensvertrauen, das
wohl In die Sphäre der religiösen Gewißheit gehört. Es sagt leise: Fürchte
dich nicht, ich bin bei dir."

Aber an direkter Beratung im einzelnen: wie man sich
denn nun dazu erziehen soll! (Wenn der seelisch Kranke das
könnte: sich selbst erziehen, würde er ja nicht „psychologische
Beratung" suchen! Aber er kann sich — von leichten
Fällen abgesehen — ebensowenig „erziehen", wie er sieh nach
gutgemeinten Ratschlägen „zusammennehmen" kann. Darum
braucht er einen Helfer, der nun nicht „erzieht", sondern den
Prozeß einer Uinlebung anzuregen versucht); an praktischen
Hinweisen, an konkreter Wegweisung fehlt es. Und wer um
die Fragwürdigkeit einer brieflichen und vollends literarischen
Psychotherapie weiß, wird diesen Mangel eher zuguteschreiben.
Noch besser wäre es gewesen, der Untertitel hätte ein Mißverständnis
oder falsche Erwartungen gar nicht erst aufkommen
lassen. Daß im übrigen,,psychologische" „Beratung" in Lebenskonflikten
, gleichsam als Ersatz für eine vielleicht langwierige
Behandlung gedacht, an sich schon eine fragwürdige Angelegenheit
ist, sei nur nebenbei gesagt. Jedenfalls der behandelnde
Psychologe gibt keinen „Rat", sondern hilft dem
Patienten, einen eigenen Weg zu finden. Denn das ist es ja
gerade, worauf es wesentlich ankommt, daß der Patient lernt,
die Verantwortung selbst zu übernehmen und sie nicht auf die
Schultern des Therapeuten abwälzt.

Was Aeppli statt allzu billiger Rezepte, mit denen der,
der au Leib und Seele leidet, eben doch nichts oder zumeist
nur wenig anfangen kann, im ersten Teil seines Buches gibt,

Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 5