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Ausgabe:

1947 Nr. 5

Spalte:

288-289

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Emrich, Richard Stanley

Titel/Untertitel:

The conception of the church in the writings and life of the German-English philosopher Baron Friedrich von Hügel 1947

Rezensent:

Stählin, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 5

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werden, wie dies In besonderer Weise bei Holl deutlich wird.
Andrerseits scheint das Erlebnis Luthers, das ihn ins Kloster
trieb und ihn auf seinem ganzen weiteren Wege begleitete —
uäuilicn der Eindruck von der in der Herrschaft des Todes
sich offenbarenden Majestät Gottes — als der Schlüssel zum
Verständnis des Evangeliums, woraus sich dann die mancherlei
Verhandlungen über die Unsterblichkeit der Seele und den
Glauben an die Auferstehung in Verbindung mit der systematischen
Verarbeitung der eschatologischen Fragen ergeben.
Gegenüber dieser Abwendung von den rationalen Tendenzen
der älteren Theologie führt die kurze Blüte der religionsgeschichtlichen
Schule die ältere Linie fort, indem sie die Unvereinbarkeit
des geschichtlichen Christentums mit der nur
aus dem Wesen des Menschen sich ergebenden Deutung der
Religion gegen den Absolutheitsanspruch des Christentunis
geltend macht. (Vgl. die ausgezeichneten Ausführungen Georg
Wennings über Walter Erich Köhlers Buch über den ,,Systematiker
" der religionsgeschichtlichen Schule Ernst Trocltsch,
in „Die Tatwelt", 18, 3, 1943, S. i32ff.)

Die religionsgeschichtliche Schule ist die Ausläuferin der
liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts. Sie ordnet den Allgemeinbegriff
der Religion der konkreten Erscheinung der
Religion über und erweist sich damit als Rationalismus.
Ihre Verwandtschaft mit dem Deismus des 17. und der Aufklärung
des 18. Jahrhunderts ist handgreiflich. Tatsächlich
setzt aber der Allgemeinbegriff die konkreten Erscheinungsformen
voraus. Das Wesen der Religion kann infolgedessen
nur dann geschichtlich begriffen werden, wenn die Besonderheiten
der verschiedenen Religionen als ein entscheidender
Faktor beachtet werden. Gegenüber der Entwertung des geschichtlichen
Christentums setzt dann ein energischer und
temperamentvoller Protest seitens der „dialektischen" Theologie
ein, die im schärfsten Gegensatze zu der Humanisierung
des Christentums jeden Zusammenhang des Christentums mit
dem Wesen des Menschen bestreitet. Dieser Protest geht sogar
so weit, daß alles, was sich neben dem Christentum als „Religion
" findet, nicht den Anspruch erheben kann, es mit Gotteserkenntnis
zu tun zu haben. Man wird allerdings fragen dürfen,
ob bei dieser Stellungnahme der geschichtliche Charakter des
Christentums, wie er durch die Erscheinung seines Stifters in
der „Fülle der Zeiten" bedingt ist, verstanden werden kann.
Die dialektische Theologie bringt es in ihrem Protest gegen
die Uberschätzung des rationalen Verständnisses der Religion
nur zu einer Umkehrung des Vorzeichens in dem Verhältnisse
von Vernunft und Offenbarung, bleibt aber in der dem Liberalismus
eigentümlichen Unvereinbarkeit beider befangen.

Die Bedeutung des Buches von Thielicke scheint darin zu
bestellen, daß in ihm die verschiedenen Linien, die in der
theologischen Entwicklung des letzten halben Jahrhunderts in
die Erscheinung treten, insgesamt zur Auswirkung kommen.
Das Schwergewicht seiner Bemühungen liegt offenbar auf der
Abgrenzung der christlichen Auffassung gegenüber der Ab-
schwächung des Todesproblems in den „Weltanschauungen".
Damit hat es vornehmlich der erste Teil des Buches zu tun.
Im zweiten Teil handelt es sich dann um die „biblische Eröffnung
der Wirklichkeit des Todes", wobei in einem kurzen
„Exkurs" die Gedanken Luthers besonders berücksichtigt
werden.

Den Hauptinhalt des Buches bildet eine Vorlesung, die
der Verf. offenbar vor dem Jahre 1941 gehalten hat. Im Anhange
ist ein Brief an einen seiner Zuhörer, der bald darauf
den Fliegertod gestorben ist, abgedruckt. Darauf folgen noch
fünf weitere Beilagen, in denen einzelne Fragen noch nachträglich
kurz erörtert werden.

Der Verf. verfügt über eine umfassende Belesenheit über
die außertheologische Literatur der Gegenwart. Soweit er sich
mit den großen Vertretern der Geistesgeschichte beschäftigt,
geschieht dies allerdings nur in skizzenhafter Weise. Kant
z. B. bekommt — abgesehen von gelegentlichen kurzen Bemerkungen
über seine Ethik — kaum sechs kleingedruckte
Zeilen und Schopenhauer gerade das Doppelte. Etwas ausführlicher
werden Piaton, Nietzsche und Goethe bedacht.
Aber der Verf. hat bereits in der „Vorbemerkung" darauf hingewiesen
, daß es ihm nicht darum zu tun ist, die wichtigsten
Typen der Geistesgeschichte ausführlich zu Worte kommen
zu lassen, sondern daß er sie nur als „Bilderbuch" des zweiten
Teiles benutzen wolle (S. 11). Der Vortrag ist lebendig und
eindrucksvoll, vielleicht etwas zu sehr mit modernen Schlagwörtern
belastet und gelegentlich reichlich populär. In der
Polemik gegen ausgesprochene Gegner des Christentums stört
gelegentlich die Maßlosigkeit der Invektiven, die im Rahmen
eines Buches befremdet, das der christlichen Verkündigung
dienen soll. Wie sehr dies letztere dem Verf. am Herzen liegt,
sieht man aus allen seinen Ausführungen. In einem besonderen
Abschnitt „Die Botschaft von der Todesgrenze in
der Verkündigung" (S. 162—164) spricht er über „die Art, wie
diese Lehre vom Tode zu predigen, an den Gräbern zu verkünden
und im weltanschaulichen Gespräch zu vertreten
sei", und unterstreicht damit das seelensorgerliche Anliegen
seiner Bemühungen.

Auf Einzelheiten einzugehen, würde den Rahmen der Rezension sprengen.
Ich beschränke mich nur auf eine Bemerkung. Der Einfluß der dialektischen
Theologie zeigt sich in seiner bedingungslosen Verwerfung der sog. „natürlichen
Theologie". Ausführlich wird dies Thema in einer besonderen Schrift
des Verf.s behandelt, die mir nicht zu Gesicht gekommen ist. Wenn diese Ablehnung
der „natürlichen Theologie" in dem Sinne gemeint ist, daß es einen
rationalen Beweis für das Dasein Gottes nicht gibt, so ist sie selbstverständlich
berechtigt. Aber das menschliche Bewußtsein besteht nicht bloß aus dem
rationalen Denken: Das könnte man wenigstens auch heute noch von Schleiermacher
lernen, den Thielicke —• nach dem Dogma der dialektischen Theologie
— in einem kurzen Zwischensatz abtut (S. 157). Aber überraschenderweise
wird ihm dann Pascal zum Kronzeugen, obgleich Pascal doch nur ein
tastender Vorläufer Schleiermachers war. Der Glaube an Gott soll nicht auf
einem „Erkenntnisvorgange" ruhen, sondern „die Erkenntnis Gottes vollzieht
sich nur auf dem Rücken der Anerkenntnis. Sie ist also eine durch und durch
existenzielle Angelegenheit" (S. 174). Aber ist die Unterscheidung von „Idee
und Existenz" (Heise) keine philosophisch-erkenntnistheoretische Aussage?
Und ist die „Anerkenntnis" nicht ein Vorgang in der Seele des Menschen?
Tatsächlich hat der Verf. denn auch die rationalistische Einseitigkeit der
üblichen „natürlichen Theologie" nicht überwunden. In demselben Zusammenhange
meint er — in der üblichen Auslegung von Römer 1 —, daß nach der
Meinung des Paulus der Mensch „die Objektivation des Schöpfers in seiner
Schöpfungswelt erkenne" (S. 173). Also soll wohl für Paulus der Gottesglaube
zunächst seine Grundlage in dem kosmologischen Beweise haben, aus dem
dann die Heiden nur nicht den an sie ergehenden Anspruch herausgehört
haben (S. 80, Anm. 1)? Die an diesem Punkte vorliegende Unsicherheit in
den Gedanken des Verf.s tritt besonders deutlich darin zutage, daß er sich
die geistreichen Spekulationen Karl Heims über die „Nichtunikehrbarkeit der
Zeitlinie" aneignet, aber in einer Anmerkung sich dagegen verwahrt, daß
damit — wie es bei Heim der Fall ist — ein demonstrierbares Daseinsphänomen
festgestellt werde, während für ihn selbst diese Gedanken Heims sich nur „aus
der Offenbarung" ergeben. Aber diese Versicherung verliert ihre Eindruckskraft
gegenüber den rein rationalen Erwägungen, mit denen er den Begriff der
„gerichteten Zeitstrecke" aus ihrem Gegensatze gegenüber der „Zyklischen
Uhrzeit" gewinnt (S. 165) — wobei übrigens die Uhrzeit als Maßstab der
Zeiteinteilung mit dem Daseinsphänomen der Zelt als kosmologischer
Größe nichts zu tun hat.

In der Vorbemerkung stellt der Verf. der bisherigen
„Apologetik" seine Arbeit als eine „theologische" Arbeit gegenüber
, die „eine Ahnung zu haben glaubt vom Geheimnis des
Heiligen Geistes" (S. io). Darin kommt programmatisch der
Bekenntnischarakter des Buches zum Ausdruck, und in der
Kraft und Lebendigkeit, mit der der Verf. seine vielseitige Vertrautheit
mit dem modernen Geistesleben und seine Rhetorik
in den Dienst des Evangeliums stellt, ist zweifellos die Wirkung
begründet, die es auf den Leser auszuüben vermag.

Göttingen Carl Stange

Em r ich, Phil. D. Richard s.: The conccption of the church in the wri-
tings and life of the german-english philosopher Baron Friedrich

von Hügel. München: E. Reinhardt 1939. (52 S.) gr. 8° = Aus der Welt
Christi. Frömmigkeit, hrsg. von Fr. Heiler Nr. 14. RM 2.50.

Die Gestalt, mit der uns diese (von Fr. Heiler angeregte)
Marburger Dissertation bekannt machen will, und ihre ganze
Gedankenwelt scheint zunächst gänzlich am Rande dessen zu
stehen, was uns heute unmittelbar berührt. Der Sproß eines
österreichischen Adelsgeschlechtes und einer schottischen
Mutter, von Geburt und mit Überzeugung Katholik, aber
unter mannigfaltigen protestantischen Einflüssen aufgewachsen
, mit Emst Troeltsch und Rudolf Eucken nahe befreundet
, kosmopolitisch und universal in seiner geistigen Haltung
und in der Mannigfaltigkeit der Menschen, die in seinem
schönen Londoner Hause aus- und eingingen: eine solche Gestalt
ist uns durch das geistige Schicksal, das darin repräsentiert
ist, ferner gerückt als durch das schwierige Englisch, in
der v. H. fast alle seine Bücher geschrieben hat. Der junge
amerikanische Verfasser versucht die Religionsphilosophie von
Hügels aufzuschließen von seinen Gedanken über die Kirche
her. Alle Religion bewegt sich in drei Elementen, einem rationalen
, einem mystischen (wobei nicht vergessen werden darf,
daß diese Vokabel in der englischen Sprache eine sehr viel
umfassendere Bedeutung hat als in unserem Sprachgebrauch)
und einem geschichtlich-organisatorischen. Eine scharfe Antithese
, die eines dieser Elemente gänzlich aus dem Raum der
wahren Religion verbannen wollte, erscheint diesem komplexen
Denken als der eigentliche Sündenfall jedes rel.-philos. Denkens
, ihre echte Verbindung vielmehr als die Voraussetzung