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Ausgabe:

1947 Nr. 5

Spalte:

280-281

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Humbert, Paul

Titel/Untertitel:

Problèmes du livre d'Habacuc 1947

Rezensent:

Herrmann, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 5

280

ein kurzer Schlußteil zusammenfaßt, stellt als Grundstock der
ganzen Erzählungsreihe eine in sich geschlossene und umsichtig
aufgebaute Jakobserzählung heraus, in der sich zwar
die Jakob-Laban-Geschichte mit ihren zwei Rahmenstücken
durch mehr episodisches Denken und Erzählen deutlich von
der fortgeschrittenen Kunst der Josephserzählung mit ihren
umfassenderen, in eng verbundeneu Szenen aufgebauten Gedankenkreisen
unterscheidet, aber doch eine so starke innere
Verwandtschaft mit jener aufweist, daß das Ganze als literarisches
Werk eines Erzählers verstanden werden kann. Von
diesem Werk ist eine spätere Bearbeitung zu unterscheiden
, die sich weithin mit den bisher für P in Anspruch
genommenen Stücken deckt, aber auch andere Stücke, vor
allem Kap. 35, 36, 38, 46, 48, beigesteuert hat, die teils als
ältere Traditionsstoffe, teils als Neubildungen angesprochen
werden. Die Tendenzen der Bearbeitung sind Harmonisierung
und Ergänzung, um den Verheißungsgedanken noch stärker zur
Geltung zu bringen, daneben die Vorliebe für Listen und
Zahlen, also das, was man schon bisher als Eigenheit des
priesterlichen Erzählers kannte. Zur Vorgeschichte der
Jakobserzählung liefert die Untersuchung nur die Bestätigung
der bisher geltenden Annahme, daß der schriftlichen
Fixierung eine längere mündliche Überlieferung vorangegangen
ist, die aber die hervorragende schriftstellerische Leistung des
Haupterzählers nicht in Frage stellen kann. Für einige wenige
Stücke sind schriftliche Vorlagen zu vermuten, z. B. 34, 35.22,
38, 49. Uber Art und Umfang des älteren Stoffes, der demnach
dem Erzähler vorlag, ergeben sich dagegen aus der Gesamt-
untersuchung keine greifbaren Resultate.

Prüft man dieses Ergebnis auf seine Schlüssigkeit an Hand
der Einzeluntersuchung, so ergeben sich freilich starke Bedenken
: Denn je stärker die Episodik der Erzählung herausgearbeitet
wird, was besonders für den Laban-Komplex gilt,
um so dringlicher wird die Frage, ob mit der heutigen Ordnung
und Verknüpfung der Einzelerzählungen nicht viel mehr die
Arbeit eines Redaktors beschrieben wird, der verschiedene
Uberlieferungen miteinander auszugleichen hatte, als die eines
originalen Erzählers, der den Stoff neu formte. Der Vf. legt
sich diese Frage an einigen Stellen selbst vor, glaubt sie aber
negativ entscheiden und für die verbleibenden Diskrepanzen
in der Darstellung erzälilungstechuische Erfordernisse verantwortlich
machen zu dürfen. Das mag vielleicht da und dort
genügen, kann aber gerade die bedeutsamsten Widersprüche
innerhalb der Erzählung nicht heilen, wir denken etwa an
32. 4—9 verglichen mit 14—22, an 28. iff. gegenüber 29. i5ff.,
an 30. 25 ff. gegenüber 31. yi. Auch die Benützung eines mit
magischen Elementen durchsetzten Motivs wie der Duda'im
möchte man eher einer alten Tradition als einem frei gestaltenden
Erzähler zutrauen. Wenn die Segensformel 27. 27ff. auf
Grund der Verschiedenheit ihrer Bestandteile auf zwei Rezensionen
verteilt werden muß, die mit sonstigen Anzeichen
doppelter Uberlieferung in diesem Kapitel übereinstimmen, so
ist die Grundlage der Quellenscheidung bejaht. An solchen
Punkten wird aber auch ein Mangel der vorliegenden Untersuchung
fühlbar, nämlich die schwache Berücksichtigung des
eigentümlichen Sprachgebrauchs der verschiedenen Perikopen.
Darf man in Gen. 30 den merkwürdigen Wechsel des Gottesnamens
und der Vokabel für „Magd" übergehen? Kann die
Rückbeziehung von 33. 8 auf das Vorhergehende untersucht
werden, ohne das Wort riortTO zu beachten, das sich zwar wohl

in 32. 8f., aber nicht in 32. i4ff. wiederfindet? In solchen
Fällen Sollte es sich zeigen, daß die formgeschichtliche und die
literarkritische Methode „sich gegenseitig ergänzen" (S. 3).

Im Blick auf die Bearbeitung der Jakobserzählung
läßt sich die Frage nicht abweisen, ob sie nicht mit zuviel
ungleichartigen Stücken belastet ist, die eine einheitliche Tendenz
nicht mehr erkennen lassen. Läßt sich Kap.38 oder 48
wirklich aus dem Streben nach Ergänzung verstehen ? Läuft
Kap. 49 und 50 nicht eher auf die Schaffung von Widersprüchen
als auf Harmonisierung hinaus ? Ist die Erzählung
von der Verleihung des Namens Israel in 35. 9ff. wirklich als
„heilsgeschichtliche Ausdeutung" und „Ergänzung" der Jab-
bokerzählung erklärbar ? Wie hier die Annahme von selbständigen
Sonderüberlieferungen nahe liegt, so bei den Stücken
34 und 35. 22 f., die mit 38 zusammen gerade die vier ältesten
Leahsöhne in eigentümlichem Licht zeigen. Uber dem Versuch,
zwischen ihnen und Gen. 49 eine ursächliche Verbindung herzustellen
, geht diese Zusammengehörigkeit natürlich verloren,
da der Judaspruch nicht mit Kap. 38 in Beziehung gebracht
werden kann. Aber ist die Einordnung des sog. Jakobsegens
in die Erzählung haltbar, wenn man die eigentümliche Natur
der dort vereinigten Sprüche als Stammeslieder erkennt, für
die gegenüber der Erzählung von vornherein selbständige Herkunft
anzunehmen ist ? Auch sonst tritt die Bedeutung der
Stammestradition allzuwenig hervor, obwohl sie etwa in
Kap. 30, wo man mit rein formgeschichtlichen Begriffen nicht
durchkommt, wie in 32. 4, wo die unvermittelte Versetzung
Esaus nach Se'ir ebenfalls unerklärt bleiben muß, einen
Fingerzeig geben könnte. Die Listen des Bearbeiters stoßen
überdies darauf hin. Und darf man an dem Problem der in
individuellem Gewand verborgenen Stammessage vorübergehen
, wo man von der Vorgeschichte der Jakobserzähluug
spricht ?

So werden durch Eisings Untersuchung eine ganze Reihe
von Fragen aufgeworfen, die es nicht zulassen, von einem abgeschlossenen
Ergebnis zu reden. Je höher man die rastlose
Bemühung um die Aufhellung der literarischen Probleme des
Pentateuch schätzt, um so mehr wird man wünschen, daß der
Verf. bei seiner gewiß zu erwartenden Weiterarbeit an diesen
Aufgaben die formgeschichtliche Forschung noch stärker mit
der literarkritischen verbinde und so zu einer umfassenderen
Verwertung der bisherigen Vorarbeiten gelange.

Basel W. Eichrodt

Humbert, Paul: Probletnes du livre d'HabacUC. Neuchätel: Secretariat de
l'Universite 1944. 303 S. 8° = Memoires de l'univ. de Neuchätel, Tome 18.

Ein Buch von gut 300 Seiten großoktav über einen Text
von 3 Seiten! Das mag dem Laien wunderlich und selbst dem
Fachmann etwas reichlich erscheinen — vollends, wenn der
Verfasser nicht einmal beansprucht, den Gegenstand erschöpfend
behandelt zu haben, sondern nur Beiträge zur Lösung gewisser
Probleme liefern will, die das Büchlein Habakuk bietet.
Und doch findet sich in Humberts Buch kein unnötiges Geschwätz
; das war auch nicht zu erwarten, wenn man weiß, dal.!
wir ihm schon manche wertvolle Arbeit verdanken.

Ausgangspunkt ist ihm das durchaus unbefriedigende
Bild, das mau aus den bisherigen Kommentaren und Einleitungen
zum Buch Habakuk erhält, und das nicht nur durch
die tatsächliche Problematik des Buches bedingt ist, sondern
auch durch methodische Fehler und Irrwege. Im Gegensatz zu
einer subjektivistischen Kritik, die allzu rasch mit Konjekturen
, Amputationen und Umstellungen bei der Hand ist und
den Text als eine literarisch amorphe Masse behandelt, will
Humbert durch mühsame, aber methodisch einwandfreie Arbeit
unter tunlichster Respektierung des überlieferten Textes
ein wissenschaftlich wohl fundiertes Bild des Propheten und
seiner Schrift herausstellen.

Aus der Literatur hebt er im Vorwort als wertvoll die 1932 in Aussig erschienene
, bei uns wohl weniger beachtete textkritische Studie von J. Lachmann
hervor. Vor allem aber weist er auf die umwälzende Bedeutung der Qat-
tungsforschung Gunkels hin, auf der grundsätzlich auch seine literarische
Analyse fußt, die er im 1. Kapitel seines Werkes bietet (S. 9—30). Sie führt
ihn zu dem Ergebnis, daß es sich bei den im Buche Habakuk zu konstatierenden
Stücken von Prophetie und Kultlyrik nicht um eine mehr oder weniger
zufällige Ncbeneinanderstellung von Elementen zwiefacher Herkunft handelt,
sondern um eine organische und absichtsvolle Ordnung.

Das 2. Kapitel enthält und begründet die textkritischen Änderungen,
die dem Verfasser (von ihm oder von andern vorgeschlagen) notwendig erscheinen
; sie werden durchweg ausführlich erörtert und motiviert und halten
sich von unnötigen und willkürlichen Konjekturen fern. — Den meisten Raum
des Werkes (S.80—248) beansprucht das 3. Kapitel: Les affinites litteraircs
du vocabulaire d'Habacuc. In überaus eingehender und sorgsamer Weise untersucht
Humbert hier (natürlich mit Ausnahme von ganz uncharakteristischen
Wörtern wie Wasser, Stadt, Stein usw.) die einzelnen Vokabeln auf ihre Verwandtschaft
mit anderen aittestamentlichen Autoren bezw. bestimmten Gruppen
von Schriften, klassifiziert in vorexilische geschichtliche, vorexilische
prophetische (einschließlich Ez.), exilische und nachexilische geschichtliche,
exilischc und nachexilische prophetische Texte, Welsheitsliteratur, Psalmen
(wobei wir nicht übersehen dürfen, daß in dieser Klassifikation der Stellen
allerdings, und unvermeidlich, das ganze Heer der literaranalytischen Probleme
des AT steckt I).

Der Untersuchung der einzelnen literarischen Einheiten folgt jeweils die
Zusammenfassung, und am Schluß die Zusammenfassung der gesamten Ergebnisse
: Die Sprache des Habakuk schöpft aus zwei Quellen, dem Wortschatz
der Prophetie und der Kultlyrik, und zwar In einer fast beständigen Durchdringung
beider; in dieser Verbindung erweist sich Habakuk als Kultprophet.
Seine Sprache zeigt sich in allen literarischen Einheiten des Buches mit
den Propheten des ausgehenden 7. Jahrhunderts und mit dem Deuteronomium
besonders verwandt, was die Ansetzung des Habakuk im letzten Viertel des
7. Jahrhunderts stark und bestimmt bestätigt. — Das 4. Kapitel ist der vielverhandelten
Frage gewidmet, wer mit dem gottlosen Tyrannen gemeint ist,
gegen den Habakuk ein fünffaches „Wehel" schleudert. Humbert berichtet
über die große Zahl der vorgeschlagenen Lösungen in acht Abschnitten, um
dann seine eigene Lösung in eingehender Untersuchung zu entwickeln: Der
Tyrann ist Jojakim, und das Buch Habakuk ist unmittelbar vor dem Zug
Nebukadnczars gegen Juda im Jahre 602/1 geschrieben; Habakuk gehört
keineswegs zu den Heilsprophetcn, den Gegnern des Jeremla, sondern genau