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Ausgabe:

1947

Spalte:

276-277

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Christensen, Arthur

Titel/Untertitel:

Essai sur la démonologie iranienne 1947

Rezensent:

Kirfel, Willibald

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sprachlicher Beziehung meisterhaft geschrieben — voll neuer,
eindringender Erkenntnisse und vielfacher Korrekturen der
traditionellen Auffassungen vom Wesen magischer Kulturen
ist. Auch daß hier im Sinne der von uns immer wieder
geforderten und vertretenen Religionswissenschaft des Ver-
stehens gegenüber einer bloß musealen Registrierung der Tatsachen
betont wird „Alle Riten, alle Mythen und Dogmen
sind ja doch nichts an sich. Sie sind nur wert als Ausdruck
der religiösen Bewegung eines Menschenherzens" (S. 28), sei
mit besonderer Zustimmung vermerkt.

Der Referent kommt diesem Buche gegenüber in die sonderbare
Situation, einerseits die von ihm in verschiedenen
Schriften vertretene Erkenntnis einer tiefgreifenden strukturellen
Spaltung innerhalb der Religionsgeschichte zwischen
Volksreligion und Universalreligion (vgl. meine Schrift „Volksreligion
und Weltreligion", Leipzig 1938) mit ganz den gleichen
Argumenten hier bestätigt zu finden, andererseits aber diese
Strukturtypen in einer Weise auf die Erscheinungen der Reli-
gionsgeschichte angewandt zu sehen, die seinen lebhaften
Widerspruch hervorruft.

Der erste und m. E. wertvollste Teil der Untersuchung ist der Magie
gewidmet und nimmt seinen Ausgang von einer sehr berechtigten Kritik an
den traditionellen Theorien über die primitive Mentalität, die im allgemeinen
ein» Anwendung modernen Kausaldenkens auf Kultakte und magische Praktiken
der Primitiven darstellen. Dem gegenüber wird verlangt, vom Menschen
auszugehen, von seinem Lebensgefühl und dessen Eigenart (S. 16). Die im
Titel gemachte Unterscheidung zwischen Magie und Religion wird schon in
der Einleitung damit begründet, daß, wie Magie eine Sache der Einheit und
des Einheitsgefühls sei, „Religion" die zerbrochene Einheit des Lebensgefühles
voraussetze. Religion finde sich daher in dem hier zu Grunde gelegten Sinne
nur In den Kulturen der geschichtlichen Bewußtheit (S. 18f.). Hier liegt m. E.
das proton pseudos der ganzen Konstruktion: R. faßt unter dem Begriff „Kulturreligion
" unterschiedslos „Volksreligionen" und „Universalreligionen" zusammen
ohne zu beachten, daß die volksgebundenen Kulturreligioncn
strukturell zu den stammesgebundenen Naturrellgionen gehören.

Das Problem der Deutung der Magie und ihrer Praktiken wird sichtbar,
wenn man bedenkt, daß einerseits der Tod und die Toten mit besonders feierlichen
Riten bedacht werden, daß man aber andererseits — unter bestimmten
Voraussetzungen — ohne Bedenken Kinder aussetzt und tütet, daß auch der
Tod von Frauen und Sklaven keinerlei Begehungen nach sich zieht. Tod ist
also nicht gleich Tod, und offenbar handelt es sich bei dem Leben, das mit der
vitalen Geburt beginnt, nicht um das eigentliche und „wahre Leben" (S. 33).
Das wahre Leben beginnt mit der Aufnahme eines Menschen in Einheit des
Lebens, die ihn umschließt und die auch nach dem Tode bestehen bleibt (S. 43).
Die Riten haben also nicht den Sinn, kausal bestimmte Ziele zu verwirklichen,
sondern sie stellen das Leben dar: „Der darstellende Ritus ist nicht ein realistisches
Mittel, um das Dargestellte zu erreichen, denn er ist ja das Dargestellte
. Das vermißte Wesen fehlt nicht mehr, wo der Ritus anhebt" (S. 63).
Mit dieser Deutung der Magic sind auch die sonst so vielfach rätselvollen Phänomene
der Totenverehrung, der Blutrache, des Männerkindbettes, der Initiationsriten
einleuchtend erklärt.

Dem wahren Leben entspricht der wahre Tod, der in den magischen Kulturen
die seltene Ausnahme Ist: die Isolierung des Einzelnen aus der Lebenseinheit
(S. 48). Genau die gleiche Feststellung traf ich in meiner Schrift „Volksreligion
und Weltreligion" S.35: „Der isolierte Einzelne war in der Volksreligion
der zwar mögliche, aber immerhin seltene Ausnahmefall".

Als Gottheiten der magischen Religionswelt nennt R. neben den Toten,
die als gottheitliche Wesen verehrt werden, sofern sie zum Kreise des wahren
Lebens gehören (S. 69), die Dämonen, die nach R. außerhalb der als unio
magica bezeichneten Lebenseinheit stehen. Ob die Definition der Dämonen
als Verkörperung des bedrohlich Unbekannten (S. 70) ihrem Wesen erschöpfend
gerecht wird, scheint mir zweifelhaft zu sein; denn es bleibt unerklärt,
wieso das Fremde, also das bloß Negative numinose Qualität bekommt.
Auch die Funktlons-, Sonder- und Augenblicksgöttcr gehören nach R. in diese
Religionswelt. Zweifellos ist z.B. die römische Religion voll von Funktionsgöttern
, und doch gehört sie nach der Begriffsbestimmung des Verfassers
nicht in den Abschnitt Magie, sondern in den Abschnitt Religion, wie R. sie
versteht.

Die in den üblichen Darstellungen der primitiven Vorstellungswelt zumeist
synonym gebrauchten Begriffe mana, orenda, wakanda, brahman und
hamingja bind zwar alle inhaltlich verschieden, haben aber nach R. eine formale
Gemeinsamkeit, „daß ein Zentralkomplex (hier mana, dort wakanda etc.)
jeweils eine Kultur durchzieht, an dem alles hängt" (S. 85). Mir will scheinen,
Iis sei damit zu wenig gesagt. Die Gemeinsamkeit reicht doch wohl tiefer ins
Inhaltliche hinein. Mit diesen Begriffen ist gemeinsam eine numinose Einheit
als Letztes, Wirkliches und Wirkendes ausgesprochen.

Neben dieser Welt der „Magie", an deren höchst aufschlußreicher Deutung
ich nur auszusetzen habe, daß sie sich auf einen zu engen Kreis religions-
gcschichtlicher Phänomene bezieht, stellt R. nun die „Religion", die als
menschliche Ausgangssituation die Isolierung, Vereinzelung und Nivellierung
des Menschen (S. 101 f.) voraussetzt: „Die Religion setzt das historische Bewußtsein
, wie die Isolierung des Menschen voraus, und die Religion und die
Naturwissenschaft arbeiten gemeinsam an der Entgötterung des Lebens"
(S. 108). Dlete These wird Im einzelnen an der Polarität von Lehen und Tod,

an der Beziehung zu Welt und Zeit sowie an der Auffassung der Gottheiten
illustriert. Dieser Abschnitt ist m.E. durchaus anfechtbar, sofern in ihm unterschiedslos
Volksreligionen und Univcrsalreligionen wie der Islam und der Buddhismus
unter die gleiche Kategorie der „Erlösungsreligion" gebracht werden.
Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß Volksreligion und Universalreligion
die beiden großen Grundstrukturen der Religion darstellen. Die von mir unterschiedenen
Strukturen aber stimmen im wesentlichen überein mit den Strukturen
, die R. unterscheidet aber zu eng bzw. zu weit anwendet.

Die große Spaltung in der Religionsgeschichte liegt, wo
der Verf. sie ansetzt, bei der Isolierung und dem Erwachen des
Einzelnen. Aber diese Isolierung setzt ein bei dem Typus von
Religion, der sich äußerlich als Universalreligion darstellt,
denn der äußere Umstand der Verbreitung einer Religion über
verschiedene Völker und Länder hin beruht auf innerem Strukturwandel
der Religion, der wiederum auf dem von R. treffend
gekennzeichneten Wandel in der menschheitlichen Situation
beruht. Seltsamerweise nimmt R. auf den Unterschied
zwischen Volks- und Universalreligion in seinen Untersuchungen
überhaupt keinen Bezug. Ausgezeichnet also und
voll überraschend neuer Einsichten ist die Analyse der
magisch-religiösen Welt, in die indessen auch die volksgebundenen
Kulturreligioncn einbezogen werden müssen. Völlig
zustimmen kann ich auch der These, daß diese „magische"
Welt zerbricht in ihrem Einheitsgefühl und durch eine individualisierte
und isolierte Menschenwelt abgelöst wird, deren
„Unheilssituation", wie ich das nenne, durch das Heilsangebot
einer neuen Art von Religion überwunden werden soll. Diese
Situation und ihre Uberwindung aber liegt ausschließlich in
der Universalreligion vor.

Bad Godesberg Outtav Menschlng

Christensen, Arthur: Essai sur la denionologie Iranlenne. Kopenhagen
: Munksgaard 1941. 97 S. gr.8'= Dct kgl. Danske Vldenskabernes
Selskab. Hist.-filol. Meddelelser, XXVII, 1. Kr. 6—.

Bei den Ariern, den gemeinsamen Vorfahren der Inder
und Iranier, lassen sich noch zwei verschiedene Götterklassen
feststellen: die Daiva's und die Asura's, doch die Religionen
dieser beiden Volksgruppen differenzierten sich im Laufe der
Zeit auch dadurch, daß die eine diese, die andere jene Klasse
als herrschend und verehrungswürdig übernahm und die andere
dämonisierte. Waren es bei den Indern die Asura's, so bei den
Iraniern die Daiva's, die dem Schicksal dieser Dämonisierung
anheimfielen, und eben diese wurden jeweils der Grundstock
eines regelrechten Systems feindseliger und bösartiger Wesen,
das — zumal in Indien, später aber auch in Iran — durch
Aufnahme weiterer ähnlicher Gestalten, jedoch von anderer
Provenienz, noch wesentlich erweitert wurde.

Eine systematische Darstellung der iranischen Dämonologie
vom historischen Standpunkt aus hat sich der als Iranist
auch in Deutschland wohl bekannte Verfasser der vorliegenden
Abhandlung zur Aufgabe gestellt. Der historische Gesichtspunkt
führt zur Einteilung des Stoffes in sieben Kapitel, deren
Inhalt kurz folgender ist: die falschen Götter in den Gäthas,
die Dämonen und Ungeheuer in der Literatur der Yaäts, das
Dämonenwesen des Vendidat, der DaivarTempel in der 1935
in Persepolis gefundenen Inschrift des Xerxes, die Dämonen
und Ungeheuer in der mitteliranischen Literatur, die Divs,
Paris und Drachen in der neupersischen Epoche und schließlich
die arabischen und iranischen Dämonen.

Die Schlußfolgerungen der ausgezeichneten und in jeder
Hinsicht lehrreichen Abhandlung, in der auch neue Interpretationen
vorgetragen werden, gipfeln in der Feststellung,
daß die Dämonologie der Iranier stets das Antlitz der jeweils
herrschenden aufeinanderfolgenden religiösen Strömungen
trägt. Unter den Daiva's, also denGöttern gewisser großer Kommunitäten
, haben einige, die sich um Mithra und Auähitä gruppierten
und zunächst von Zoroastcr verworfen worden waren,
individuell ihren Platz im Kreis der zur Umgebung Mazdähs
gehörender Götter zurückerobert und ihren Einfluß auf die Anhänger
Zoroasters wieder gewonnen, während andere wie Indi a
und seine Gefährten, deren Verehrer überhaupt im westlichen
Iran saßen, für immer ins Infernum verbannt blieben. Bei allen
Zoroastriern des Westens wie des Ostens wurden die Daiva,
die zunächst nur den Charakter feindlicher Götter trugen,
allmählich zu Wesen, die von Natur aus böse und „dem guten
und wahren Glauben" entgegengesetzt sind, bis sie schließlich
mehr und mehr die Natur von Unholden annahmen. Es zeigt
sich hier ein klassisches Beispiel für die in der Geschichte der
Religionen wiederholt feststellbare Dänionisierung alter Götter
durch eine fremde überlagernde Volksschicht oder einen neuen
Glauben. Nach dem Sieg des Islams über Persien gesellten sich
zu den zoroastrischen Dämonen noch die verschiedenen