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Ausgabe:

1947

Spalte:

273-276

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ratschow, Carl Heinz

Titel/Untertitel:

Magie und Religion 1947

Rezensent:

Mensching, Gustav

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Theologische Literaturzeitnng 1947 Nr. 5

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den ist. Mt 12, 28 sagt also ebenso wie Mk i, 15, daß die Gottesherrschaft
„vor der Tür stellt", und es kann keine Rede davon
sein, daß dieses Wort „bewußt die eschatologische Dogmatik
der Juden über den Haufen wirft" (S. 65, A. 161).

M. Werner hatte gefordert, daß Mt 12, 28 nur gedeutet
werden dürfe „von der in den Herrenworten deutlich bezeugten
Naherwartung des futurisch-transzendent vorgestellten
Gottesreiches" aus. Demgegenüber erklärt es der Verf.
für „methodisch völlig unberechtigt, eine „Einheitlichkeit" der
Aussagen Jesu a priori zu unterstellen" (S. 65, A. 160). Der
Einwand ist nur bedingt richtig, nämlich nur, wenn die postulierte
Einheitlichkeit so eng gefaßt ist, daß sie jede Differenzierung
ausschließt; eine gewisse Einheitlichkeit ist selbstverständlich
vorauszusetzen und wird vom Verf. wie von jedem
Interpreten auch vorausgesetzt. Dem Verf. gegenüber ist aber
dazu noch zu sagen, daß sich die Interpretation, auch wenn
sie mit Differenzierungen und Abwandlungen (etwa mit einer
Entwicklung innerhalb der Wirksamkeit Jesu) rechnet, sich
im Umkreis der Möglichkeiten zu halten hat, die in dem Begriff
der Gottesherrschaft gegeben sind. Das vom Verf. geforderte
Verständnis wäre aber eine derartige Korrektur des
Jesus mit seinen Hörern gemeinsamen Begriffes, daß sie nur
angenommen werden könnte, wenn sie in Jesu Worten ausdrücklich
(polemisch) vollzogen würde, wie etwa die Korrektur
des Begriffes des „Tages Jahwehs" Am 5, 18—20. Davon kann
aber Mt 12, 28 nicht die Rede sein; hier wird vielmehr der
Jesus und seinen Hörern gemeinsame Sinn des Begriffes der
Gottesherrschaft vorausgesetzt, und das Wort besagt: „das
Ereignis, auf das ihr hofft, über das ihr spekuliert, bricht jetzt
herein! Jetzt wird es Ernst!"

Weiter soll Mt 11, 2—6 (vom Verf. als alte zuverlässige
Tradition verstanden) die These von der Gegenwart der Gottesherrschaft
beweisen; Jesu Antwort auf die Täuferfrage besage
freilich, daß die Erfüllung der Verheißung sich „in verborgener
Weise" vollziehe; „man kann darum an der Niedrigkeit des
Heilbringers Anstoß nehmen, man kann auf Grund dieser Ge-
ringheit seinen Taten auch nicht entnehmen, daß hier messia-
nische Wirklichkeit sich bereits vollzieht" (S. 08). Eine merkwürdige
Auskunft! Denn werden Mt 11, 5 geringe Taten aufgezählt
, so daß das Wort mit dem Anstoß der Geringheit des
Heilbringers rechnete? — Auch Mt 13, i6par.; Lk 10, 18
sollen beweisen, daß die Gegenwart schon „eschatologische
Erfüllungszeit" sei (S. 69), daß „die eschatologische Vollendung
, die Gottesherrschaft, in Jesu Wirksamkeit gegenwärtige
Wirklichkeit geworden ist" (S. 70). Eine Bestätigung dafür
findet der Verf. in Mt 11, 12 f. par. Folgen wir den Gedanken
des Verf., so erhebt sich nun die Frage, wie das Verhältnis
der präsentischen Aussagen über die Gottesherrschaft zu den
futurischen zu bestimmen ist. Mit Recht weist der Verf., vor
allem durch treffende Interpretation der sog. Gottesreichs-
gleichnisse, die Theorie ab, daß Jesus die Vorstellung von
einem allmählichen Wachsen, einer Entwicklung, der Gottesherrschaft
, die im Kreise seiner Jünger, in der durch ihn begründeten
Kirche, ihren Anfang genommen habe, gehabt habe.
,, Jesus hat die Gegenwart der Gottesherrschaft nur in seiner
Person und seinem Wirken gesehen, und er redet auch nur von
einer Gemeinschaft der sich um ihn als den kommenden
Messias Scharenden, nicht aber von einer neuen Gemeinde"
(S. 85). Im Negativen dürfte der Verf. hier recht haben; seine
Ausführungen ergänzen in willkommener Weise das, was er
in seiner Schrift „Kirchenbegriff und Geschichtsbewußtsein in
der Urgemeinde und bei Jesus" (Symb. Bibl. Upsal. I, 1943)
dargelegt hatte.

Der 4. Teil endlich entwickelt den „Sinn der eschato-
logischen Verkündigung Jesu". Es gilt dem Verf. als sicher,
daß die eschatologische Verkündigung Jesu nicht einfach als

eine besondere Form jüdischer apokalyptischer Weissagung betrachtet
werden kann, aber ebensowenig als bloße Gegenwartsdeutung
sich von der Zukunftsweissagung der jüdischen
Eschatologie völlig loslöst" (S. 86), und daß „Jesus die Gegenwart
wesensmäßig als eschatologisch erfüllte Gegenwart mit
der erwarteten Zukunft verbindet" (S. 87). Das Nebeneinander
der präsentischen und futurischen Aussagen dürfe nicht
dadurch erklärt werden, daß mau die Zeitvorstellung aus der
eschatologischen Predigt Jesu mehr oder weniger eliminiert,
oder daß man die Zukunftserwartung zugunsten einer reinen
Gegenwartsverkündigung wegerklärt. Ich will nicht darauf
eingehen, daß der Verf. mich in diesem Zusammenhang mit
solchen Forschern zusammenstellt, die in der Tat eine Interpretation
vornehmen, die auch ich nur als eine Um Interpretation
bezeichnen kann, während ich bewußt kritisch
interpretiere. Auch nicht darauf, daß es ein Mißverständnis
ist, zu meinen, daß meine entmythologisierende Interpretation
den Gedanken der Heilsgeschichte preisgebe und der Gestalt
Jesu als einem geschichtlichen Faktums ihre zentrale Bedeutung
raube, sondern ich frage nur: worauf laufen die Gedanken
des Verf. hinaus ?

Unumwunden gibt er zu, daß Jesus, wenn er nicht nur
das zukünftige Kommen, sondern auch die Nähe der
Gottesherrschaft verkündigt habe, an diesem Punkte in seiner
zeitbedingten Vorstellungsform gefangen blieb. Vom Kommender
Gottesherrschaft habe Jesus freilich geredet, aber nicht
„um damit ein apokalyptisches Drama vorauszusagen, sondern
weil damit dem Menschen deutlich gemacht werden sollte,
daß er sich jetzt in der letzten Zeit befinde, daß jetzt die
Heilsvollendung nicht mehr lange ausbleiben könne. Die
Verkündigung von dem nahen Kommen der Gottesherrschaft
will also den Menschen hineinstellen in das auf Gottes
Ziel hinauslaufende Ende der Geschichte, und die Erwartung
des zukünftigen eschatologischen Handelns Gottes ist darum
von der eschatologischen Verkündigung Jesu uuablösbar, weil
nur in dieser Form der Gewißheit Ausdruck verliehen werden
konnte und kann, daß Gottes Heilswillen einer vollen Verwirklichung
zustrebt, daß Gottes Herrschaft in ganzer Wirklichkeit
an den Tag treten wird" (S. 93). Jesus „redet in den
Vorstellungsformen seiner Zeit von der Nähe der Gottesherrschaft
, um damit die Gewißheit des auf die Vollendung wartenden
Heilshaudelns Gottes aktuell zu gestalten. Ist darum
die Naherwartung als zeitgebundene Vorstellungsform durchaus
von der eschatologischen Verkündigung Jesu ablösbar, so
ist die Zukunftserwartung wesentlich und unentbehrlich,
weil allein durch sie das Wesen des Handelns Gottes als ein
geschichtliches festgehalten werden kann" (S. 93t.). Dadurch
, daß Jesus durch seine Person die Gegenwart in ganz
besonderer Weise an die Zukunft band, macht er seine Gegenwart
„zur einmaligen und endgültigen Entscheidungszeit"
(S. 94), und „nur an der Gesamtheit der Gottesverkündigung
Jesu und an der Sinndeutung, die Jesus seiner eigenen Person
gab, kann man darum voll erkennen, welchen inneren Sinn
Jesu eschatologische Verkündigung hatte" (S.95). Sie ist „der
vorstellungsmäßige Rahmen für das Wissen um Gottes geschichtliches
Heilshandeln in Gegenwart und Zukunft. Verheißung
und Erfüllung sind darum bei Jesus untrennbar verbunden
und bedingen sich gegenseitig, weil die Verheißung
ihre Gewißheit erhält durch die in Jesus schon geschehene
Erfüllung, und weil die Erfüllung als vorläufige und verborgene
ihren Charakter als axdvSaXov nur verliert im Wissen
um die noch ausstehende Verheißung" (S. 95f).

Ich darf mich für diesen Schluß des Buches auf das
Referat beschränken; denn für eine ausführliche Diskussion,
die allein den Gedanken des Verf. gerecht werden könnte, ist
hier nicht der Raum. Ich wünsche dem Verf. kritische Leser;
gerade sie werden ihm dankbar sein.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Ratschow, Carl Heinz: Magie und Religion. Oütersloh: Bertelsmann
1946. 164 S. gr. 8». Geb. RM 7.—.

Dieses Buch, das durch die Ausführungen seines ersten
Teiles m. E. von grundlegender Bedeutung für das Verständnis
magisch-religiöser Kulturen ist, will als Ganzes dem
„Nachweis der unvereinbaren Unterschiedenheit der Struktur
der religiösen Erscheinungen in den vor- und außergeschicht-
hchen Kulturen (Magie) und in den geschichtlichen Kulturen
(Religion)" (S. 10) dienen. Die Konsequenz, die daraus gezogen
werden soll, ist die, daß, wie Religion und Magie grundsätzlich
verschieden voneinander sind, auch das Christentum
nicht so Religion ist wie die anderen Religionen. Das Christentum
wird in der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt.
Sein Verhältnis zu den Religionen soll in einer weiteren Arbeit
erörtert werden. Die Andeutungen des Vorwortes scheinen
darauf hinzuweisen, daß der Verfasser beabsichtigt, eine neue
Fundierung des Absolutheitsanspruches des Christentums zu
liefern, und zwar unter intensivem und überaus verständnisvollem
Eingehen auf die Religionsgeschichte, die er auf eine
neue Grundlage zu stellen hofft durch den Nachweis, daß es
keine in sich identische Religion in den Religionen gebe
(S. n). Orthodoxe Dogmatiker pflegten die Absolutheit des
Christentums a priori zu postulieren und ersparten sich damit
jede Bemühung um ein Verständnis der religionsgeschicht-
lichen Phänomene. Ganz im allgemeinen muß nun von diesem
Buche C. H. Ratschows gesagt werden, daß es — auch in