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Ausgabe:

1947 Nr. 4

Spalte:

215-222

Autor/Hrsg.:

Dörries, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Bibel im ältesten Mönchtum 1947

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Theologische Literaturzeitung I947 Nr. 4

216

kündet in v. 7 a eine Mitteilung über einen pn Jahwes an,
und in v. 7b wird dann der Inhalt des David-Bundes rechtlich
umschrieben. So sind also in den genannten Stellen pn> rffllJ?
und ITHS mehr oder minder Synonyma für eine und dieselbe
Sache, und es ist deutlich geworden, wie im judäischen
Königszeremoniell genau an den Ort, an dem die massiven
ägyptischen Mythologumena von der physischen Gottessohnschaft
des Königs hafteten, die gut israelitische Vorstellung
von Jahwes Bund mit dem Davididen getreten ist.

Nun hat sich aber offenbar der Ablauf des Zeremoniells
bei der Thronbesteigung nach den von uns herangezogenen
Dokumenten in zwei Vorgänge zerlegt. In dem einen wurde
dem König "IT.3 und rm5J vom Priester überreicht; und wir
meinen, daß Diadem und Königsprotokoll sakral-rechtlich
die beiden Attribute waren, mit deren Verleihung die eigentliche
Krönung vollzogen war. In diesem Königsprotokoll
spricht Jahwe in direkter Rede den König an, nennt ihn Sohn,
belehnt ihn mit der Herrschaft, nennt seine Thronnamen
usw. Dann aber — und das ist eine neue Szene — ergreift der
König selbst das Wort; er beruft sich auf eine göttliche Offenbarung
und verkündet mit mehr oder minder drohendem
Unterton urbi et orbi diesen ihm verliehenen Herrschaftsauftrag
, wobei er sich natürlich phraseologisch an die Stilform
der Königsprotokolle anlehnt1. Dieser letztere Vorgang war
wohl im Unterschied von dem ersteren von Fall zu Fall bei
großen Feierlichkeiten wiederholbar. Es wäre denkbar, daß
dieser zweite Akt des Zeremoniells dann nicht mehr im
Tempel, sondern im königlichen Palast stattfand (s. oben).

Nun noch ein Wort von der Königstitulatur. Sie bildete
ja den Hauptinhalt der ägyptischen Königsprotokolle, um den
sich alles andere (Gottessohnschaft, Herrschaftsbeauftragung
usw.) herumrankte. Im AT findet sich bekanntlich nur ein
Beispiel einer wirklich ausgeführten Königstitulatur, nämlich
in der messianischen Weissagung Jes. 9, 5 b. Daß die Namen-
gebung durch die Gottheit zum Zeremoniell der judäischen
Thronbesteigungsfeierlichkeiten gehörte, ist schon durch diesen
Text erwiesen; denn in dem Passus bringt Jesaja nicht etwas
völlig Neues, sondern er ist mindestens in formaler Hinsicht
von einer Tradition abhängig2. Aber es scheint mir sowohl in
2. Sani. 7, 9 wie in 1. Kön. 1, 47 eine deutliche Anspielung auf
diese feierliche Namengebung vorzuliegen; denn der Satz, daß
Jahwe dem König „einen großen (guten) Namen gegeben habe
(geben möge)", ist an beiden Stellen derart eingebettet in

höfische Phraseologie, daß man ihn nicht einfach in dem allgemeinen
Sinn von „berühmt machen" verstehen darf.

Jes. 9 ist in gattungsgeschichtlicher Hinsicht schwer zu
fassen. Ein Gottesspruch liegt nicht vor; es fehlt jeder Hinweis
darauf, und es scheint demgemäß die direkte Jahwerede
ebenfalls ganz zu fehlen. So kann man nicht sagen, daß
der Abschnitt eine von Jahwe aufgetragene Verkündigung
enthielte, die der Prophet einer Öffentlichkeit weiterzugeben
hätte. Vermerken wir noch, daß in v. 3 Jahwe im Du-Stil angeredet
wird („Du hast viel gemacht ,des Jauchzens', Du hast
groß gemacht die Freude"), so stehen wir fast vor einem
Unikum; denn im Unterschied etwa zu der Prophetie Jeremias
tritt bei jesaja die Anrede des Menschen an Gott völlig zurück '.

Wir haben es hier nur mit den Versen 5—6 zu tun, die
die Ansage der Geburt eines Sohnes enthalten und die Verkündigung
seiner Thronnamen. Wenn irgendwo, so dürfen wir
hier erwarten, auf die Stilform der Königsprotokolle zu stoßen.
Das hätte zunächst zur Folge, daß das Wort „Kind" nicht
im genauen Sinn zu verstehen ist, sondern vielmehr In Analogie
zu dem „heute habe ich dich gezeugt" von Ps. 2, 7. Es
ist von der Thronbesteigung eines Davididen die Rede, der
nun in das dem König von Jahwe angebotene Kindschaftsverhältnis
eintritt. Aber wer sind die „Wir", denen der Thronerbe
geschenkt ist ? Die Frage ist in den Kommentaren nicht
gestellt worden. Allenthalben hält man aber v. 5 für eine Rede
des Volkes, das bisher „im Finstern wandelte". Das kann nicht
richtig sein. In den ägyptischen Königsprotokollen redet durchgängig
die Gottheit. Der ursprüngliche Ich-Stil ist nur dann
verlassen, wenn die Könige vor Dritten von den Prädikationen
sprechen, die ihnen der Gott beigelegt hat. Und diese Auffassung
des v. 5 entspräche ja dann auch ganz der Stilform
der Gottesrede in Ps. 2. Und außerdem: wäre es nicht eine
zu unnatürliche Rede des Volkes, daß „ihm" ein Kind geboren
sei ? Auf jeden Fall besteht zwischen v. 4 und v. 5 ein
Stimmenwechsel, deshalb muß das "*3 am Anfang von v. 5
absolut, also im Sinne von „wahrlich", „fürwahr" übersetzt
werden. Der Gesalbte ist "TU?, d.h. Statthalter im Reiche
Jahwes. Er ist nicht Tj'b'ft, sondern nach oben hin verantwortlich
, wie Caspari In einer wenig beachteten Schrift dargelegt
hat1. Ist unser Verständnis der Stelle richtig, so ist
Jes. 9, 5 der einzige Beleg, in dem der Messias ausgesprochener-
maßen als Jahwes Sohn bezeichnet wird. Doch ist das wohl
auch bei den anderen messianischen Texten stillschweigende
Voraussetzung.

Die Bibel im ältesten Mönch tu in

Von Hermann Dörries, Göttingen

Nicht als Verkündiger der biblischen Offenbarung ist der
Mönch ausgezogen, aber um ihrer Weisung zu gehorchen; und
er, der alles aufgab, nahm doch die Bibel mit in die Wüste.
Was bedeutete sie ihm ?

„Bei allem, was du tust, habe ein Zeugnis der III. Schrift"
(Antonius 3) — das gehört zu den Grundweisungen des frühen
Mönchtums, das sich selbst als die Verwirklichung der durch
die Bibel ergehenden Gebote versteht und dem Alten und
Neuen Testament die Vorbilder entnimmt, denen es nacheifert
.

Bibellektüre gehört darum zu den Pflichten des Mönchs
(Serapion r, Arsen 11). Die Psalmen sind seine Lieder (Apollo2,
Euagrius 3). Das Sinnen über Bibelstellen nimmt Raum, das
Reden über sie seine Stelle im Gespräch ein. Fragen nach dem
Sinn eines Bibelworts werden dem Kundigen vorgelegt.

Denn so sehr die biblischen Weisungen jeden Mönch angehen
, so sind sie doch nicht jedem zugänglich. Die Bibel
selber verlangt ja, die Erfahrungen zu Rate zu ziehen und
von den Vätern sich unterweisen zu lassen: „Frage deinen
Vater, und er wird es dir ansagen" (Deut. 32, 7) (Anton 37).
Hier ist die Stelle, wo auch im festen Rahmen des strengen
Biblizismus Raum sich öffnet für das, worin das Wüstcn-
mönchtum seinen kennzeichnendsten Ausdruck gewonnen hat,
das pneumatische Logion. Hier entsteht nun auch die Spannung
, die es zwischen Väterspruch und Schriftwort, zwischen
Geist und Bibel, zwischen Bibelautorität und persönlicher Vollmacht
gibt. Hier trifft man auf eines der wichtigsten Probleme
der Mönchsgeschichte, von dem aus Licht für das Verständnis
der ganzen Bewegung zu erwarten ist.

') Ein Beispiel dieser mitteilenden Form Urk. IV, 80.
*) H. Gressmann, Der Messlas, 244.

Vielleicht ist es schon aufschlußreich, daß dem Logion durch
eine Schriftweisung zwar Platz geschaffen ist, daß es dann
aber einer weiteren Schriftbegründung nicht zu bedürfen
scheint. Es steht in voller Geltung und Übung, und nur gegen
Ende der klassischen Zeit des Eremitentums wird es umfragt;
und nicht um sein Recht, sondern seine Dauer und Lebenskraft
macht man sich Gedanken. Anfangs aber wird weder der
Anspruch, mit dem es ergeht, angefochten, noch das Verhältnis
, in dem es zum schriftlichen Gotteswort steht, erörtert. Es
greift mit Freimut und Zuversicht auch in den Bereich der
Schriftaussagen hinein und schaltet darin mit dem Vollgefühl
sicheren Rechts.

Gleichwohl hält es sich in großer Nähe zum Schriftwort.
Es legt es aus, es benutzt es, es weist selbst auf es hin, es
wendet es an, es legt es aus.

Ob dieStellung, die dasBibelbuch in denApophthegxnen
einnimmt, einen Hinweis gibt auf die Geltung seines Inhalts ?
Es ist der kostbarste Besitz, den der Mönch hat, und doch
schärft nur ein einziges Wort die Notwendigkeit seines Erwerbs
ein, und dies Wort stammt nicht von einem Eremiten,
sondern von dein Bischof Epiphanias („Für die, die die Mittel
dafür haben, ist der Besitz der christlichen Bücher notwendig.
Schon der Anblick der Bücher macht langsamer zur Sünde und
tn-ibt zur Gerechtigkeit an". Epiphanius 8). In der Wüste
selbst wird mehr der einschränkenden Bedingungen gedacht,
unter denen auch dies Besitzrecht steht. Daß der Wandet-

') Jes. 9,3 ist bei Protojesaja eigentlich der einzige Beleg; denn Jes. 0,
8. 11 ist natürlich anders zu beurteilen, und den „Psalm" Jes. 12, 1 wird man
schwerlich für jesajaniscli halten.

') W. Caspari, Echtheit und Hauptbegriff der messianischen Weissagung
Jes. 9 (1908).