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Ausgabe:

1947 Nr. 4

Spalte:

211-216

Autor/Hrsg.:

Rad, Gerhard

Titel/Untertitel:

Das judäische Königsritual 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 4

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Größen bezeichnen, sondern die ganze Menschheitshälfte, der
sie angehören, die auf Inseln und Gestaden sitzende einerseits
, die im Binnenland, besonders in der Wüste wohnende
anderseits, daß jene Namen also fast appellativisch für Meeres-
anwohner und Wüstenbewohner gebraucht werden, fällt nun
auch auf die „Kreter und Araber" von Acta 2, 11 neues
Licht. Zum mindesten muß ernsthaft erwogen werden, ob
nicht auch hier solch appellativische Verwendung von Völkernamen
vorliegt, K^ijtes also „Meeresanwohner" und „Seefahrer
", "ÄQaßes aber „Binnenlands-", genauer „Wüsten-Bewohner
" bedeutet. Bei beiden Namen läge ihre Verwendung
in appellativischem Sinne ganz außerordentlich nahe. Das
hebräische "Q-iy, griechisch als "Apay mit dem Plural "Apaßeg

wiedergegeben, ist wahrscheinlich von Haus aus ein Appella-
tivum mit der Bedeutung „Wüstenbewohner" und erst sekundär
zum Namen einer bestimmten Gruppe von Wüstenbewohnern
geworden, eben des Volkes der Araber. Ist das
Wort in der überwiegenden Mehrheit von Stellen, an denen
es im Alten Testament vorkommt, auch als zusammenfassender
Name-der in der syrisch-arabischen Steppe sitzenden
Stämme zu verstehen, so wird es doch hin und wieder auch
in einem mehr appellativischen Sinne gebraucht, etwa
Jes. 13, 20, wo von der verödeten Stätte des völliger Zerstörung
anheimgefallenen Babylon gesagt wird, daß dort kein
Araber zelte und Hirten dort nicht lagerten, „Araber" also
in Parallele mit „Hirt" steht und so viel wie „Nomade" bedeuten
muß. Was aber „Kreter" angeht, so zeigen die bis in
den Ausgang des Altertums gebräuchlichen Sprichwörter:
6 K^r;g äyvoei ritv O-dlaooav „Der Kreter will das Meer nicht
kennen" oder — unter Fortlassung des Verbums und Ersatz
von ti,v O-dkaaaav durch rdr növrov, aber in derselben Bedeutung
wie der vollständige Satz — 6 K^s r/;v t)-dlaaa<iv
und 6 S^ijs Iii; röv növrov mit dem Sinn: Ein mit der Sache
gründlich Vertrauter tut so, als ob er nichts davon verstände1
, daß jedenfalls noch zur Zeit der Entstehung unserer
„Völkertafel" die Kreter als mit Meer und Schiffahrt besonders
eng verwachsen galten, daß also die Verwendung ihres

Namens zur Bezeichnung von Mecresanwohnern, Seefahrern,
Seehandelsleuten und dergleichen ohne weiteres verständlich
wäre.

Will aber, wie es nach dem Voranstellenden wahrscheinlich
geworden ist, Ki>fjres xa« "A^aßis als „Meeresanwohner
und Wüstenbewohner" oder auch „Westliche und Ostliche"
verstanden sein, so fügt dieses Wortpaar den vor ihm in
unserer „Völkertafel" genannten Gruppen keine neue hinzu,
sondern faßt sie alle noch einmal unter dem Gesichtspunkt
zusammen, ob sie zur Inselwelt oder zum Wüstenbereich, zum
Westen oder zum Osten gehören. Genau so aufgebaut ist die
in Agrippas Brief an Caligula, wie ihn Philo in seiner „Legatio
ad Caium" Cap. 36—41 = §276—329 mitteilt, stehende Liste
der Länder, die Agrippas Vaterstadt, die heilige Stadt Jerusalem
, durch Entsendung tüchtiger Auswanderer in ihrer Entwicklung
kräftig gefördert haben (Cap.36 -- §281—283)'. Nachdem
die Liste zunächst Ägypten, Syrien und Phönizien,
Landschaften Kleinasiens und Griechenlands genannt und
dabei festgestellt hat, daß nicht nur die Festländer voll seien
von jüdischen Kolonisatoren, sondern auch die wichtigsten
Inseln: Euböa, Cypern, Kreta, stellt sie, neu anhebend, von
dem transeuphratensischen Gebiet denselben Tatbestand fest
lind schließt, alle vorher genannten Größen zusammenfassend
, so ab: „Wenn sich meine Vaterstadt deines Wohlwollens
erfreuen darf, so kommt das also nicht nur einer
Stadt, sondern auch zehntausend anderen in allen Teilen der
Welt gegründeten zugute: in Europa, in Asien, in Libyen, in
Festländern, auf Inseln, am Meeresrand und im Binnenland."
Diese Liste ist vielfach der Völkertafel aus Acta 2, 5—11 an
die Seite gestellt worden, aber den mit ihrem Schluß gegebenen
Fingerzeig für das richtige Verständnis des Abschlusses
unserer Tafel, daß nämlich das hier stehende Kfljrtt
xal "Apaßtg die vorher genannten Völker und Länder noch
einmal unter dem Gesichtspunkt zusammenfaßt, ob sie zum
westlichen Meer- oder zum östlichen Land- und Wüsten-
bereich gehören, hat man sich merkwürdigerweise entgehen
lassen.

Das judäisdie Königsritual

Von Gerhard von Rad, Göttingen

Das Alte Testament enthält nur zwei anschauliche Berichte
von Königskrönungen, nämlich den von Salomo und
den von der Thronbesteigung des Joas. Nach 1. Kön. 1, 33 ff.

reitet Salomo auf dem Königsmaultier (Tjb^n T^^S), geleitet
von dem Priester Zadok, von Nathan und den Kreti und
Plethi, hinunter zur Gichon-Quelle, um dort die Salbung zu
empfangen. Dann kehrt er unter dem Jauchzen des Volkes
in den Palast zurück und besteigt den Thron seines Vaters.
In 2. Kön. 11 sind zwei Berichte ineinander geschoben, die
aber beide als gleich verlässig erscheinen8. Nachdem der
Priester Jojada durch die Trabanten geschickt den Tempelvorhof
allen Überraschungen gegenüber gesichert hat, führt
er den Prinzen Joas heraus, salbt ihn zum König, und das
Volk akklamiert: „Es lebe der König!" Dann wird der König
aus dem Tempel durchs Trabantentor in den Palast geführt,
wo er den königlichen Thron besteigt. Der Parallelbericht v. 13
—18 bringt Einzelheiten über die Vorgänge im Tempel. Von
den Angaben soll uns die, daß der junge König an einem bestimmten
Platz stand, nachher noch beschäftigen.

Beide Berichte schildern außergewöhnliche Krönungen.
Aber gerade dieser Tatsache verdanken wir sie; denn Normalfälle
von Königssalbungen aufzuzeichnen war kein Anlaß. Auch
die Salbung Salomos geschah überstürzt, und vor allem war
sie noch von keinem herkömmlichen Zeremoniell bestimmt.
Es ist vielsagend, daß David erst ad hoc dazu die Anordnungen
treffen muß und daß Benaja, der Anführer der Leibwache, mit
der Regie der ganzen Feier betraut ist (1. Kön. 1, 36). Die Art,
wie von dem „Königsmaultier" geredet wird, spricht für ein
gewisses Herkommen; vgl. 2. Sam. 13, 29; 18, 9. In vorköniglicher
Zeit war der Esel das Reittier der Vornehmen und der
fürstlichen Anführer gewesen (Jud. 5, 10; 10,4; 12, 14)3. Ob
sich dieser Brauch in der Königszeit nach der Einbürgerung
des Pferdes in Israel noch länger erhalten hat, muß man be-

') Die Belegstellen bei Maximilian Ooebel, Ethnica (Diss. phil.
Breslau 1915), 1915, S. 80f.

■) B. Stade, ZAW. 1885, 280 ff.

•) Jud. 10,4; 12,14 Ist der TJ Eselshengst genannt; s. darüber
L. Kühler, Kleine Lichter 1Ö45, 52ff

zweifeln. Es wäre dann bezeichnend und entspräche mancher
Analogie, daß die messiauische Weissagung Zach. 9, 9 geflissentlich
auf ein ausgesprochen altes Herkommen zurückgreift
.

Das ist nun aber offensichtlich, daß sich nach beiden Darstellungen
die Feier der Krönung in zwei Akte zerlegte, nämlich
in die Salbung im Heiligtum und die Thronbesteigung im
königlichen Palast. Daß der Erzähler von 1. Kön. 1 mit dem
Gichon die Quelle meint, ist zwar nicht gesagt, aber doch
selbstverständlich, und ebenso, daß dieser Ort offenbar sakral
qualifiziert war*. Nun waren aber nach allem, was wir wissen,
zur Ausbildung und zur Befolgung eines feststehenden Königs-
zeremoniells im Reiche Juda die Voraussetzungen viel mehr
gegeben als im Reiche Israel. Das Königtum des Nordreiches
hat ja nie ganz aufgehört, eine Verlängerung des altisraeli-
tischen charismatischen Führertums zu sein. Die Designation
zum König und die Krönung erfolgte dort, wo immer es die
zuweilen sehr labilen innenpolitischen Verhältnisse forderten3.
Wer konnte wissen, wann und wo Jahwe einen neuen König
designieren würde ? Die so viel stabileren Verhältnisse in Juda
boten für ein festes Zeremoniell ganz andere Möglichkeiten.
Hier blieb die Krone durch Jahrhunderte in den Händen einer
Dynastie, und außerdem kommt hinzu, daß hier von deiji alten
vordavidischen Stadtkönigtum ein kräftiger Zustrom uralter
sakraler Königstraditionen erfolgte, der sich — in neuer Belebung
durch den Jahwe-Glauben — mindestens in formaler
Hinsicht als ein wichtiger gestaltender Faktor erwies. Samarien
war eine Neugründung durch Omri (1. Kön. 16, 24). Der große
Unterschied liegt auch in dieser Beziehung auf der Hand.

Um nun mit dem Äußeren zu beginnen, so hatte der
judäische König bei der Krönung und auch bei anderen feierlichen
Anlässen einen besonderen Platz. 2. Kön. 11,14 lescn wir,
Atalja habe gesehen, wie der König USWa? TraPn-b? 11p-

') Cohn-Wendland, VI, S.206f.

■) Salomo muß dann durch das „Wassertor" (Neil. 3, 2G; 12,37) In die
Stadt geleitet worden sein.

•) Grundlegendes dazu A. Alt, Die Staatenbildung der Israeliten in
Palästina 1930, 16ff.