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Ausgabe:

1947 Nr. 4

Spalte:

207-212

Autor/Hrsg.:

Eissfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Kreter und Araber 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 4

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zu berichten, führt zu der Bemerkung: „also müssen auch wir
die leiblichen Dinge vergessen, sie hinter uns lassen und uns
beeilen, anderen von dem Nutzen abzugeben, dessen wir
teilhaftig wurden" (Or. IV, 253, 19). Wenn Herodes Antipas
den Täufer hinrichten läßt um seines unbedachten Schwures
willen, so wird der Leser belehrt: „das Wort kannst du gelegentlich
passend solchen gegenüber gebrauchen, die voreilig
Schwören, und erklären: ov ndoa trjQrjaie öqxcov iarl xa&7jxovaa",
mit der Schlußfolgerung, daß einen voreiligen Eid brechen das
kleinere Übel sei (Or. X, 31, 1). Wenn nach Joh. 11, 54 Jesus
nicht mehr öffentlich unter den Juden wandelte, so ergibt sich
daraus für uns die Mahnung, uns nicht zum Martyrium zu
drängen (Or. IV, 417, 27). Oder endlich, wenn Jesus in Cäsarea
Philippi seine Jünger nach der Volksmeinung über seine Person
befragt, so sollen wir uns nach seinem Beispiel um das uns betreffende
Urteil der umgebenden Welt kümmern (Or.X, 80,13).

Abschließend darf man wohl sagen: mag die spätere
Ächtung des Origenes durch die Kirche dazu beigetragen

haben, daß auch von seinen exegetischen Werken manches
zugrunde gegangen ist, so blieb doch immer noch ein recht
beträchtlicher Teil, der bis auf uns gekommen ist. Reinem
Zufall kann das nicht verdankt werden, es muß in der Sache
selbst begründet sein. Wenn vom vierten bis sechsten Jahrhundert
ganze Serien exegetischer Homilien sowie der Matthäus
-Kommentar ins Lateinische übertragen wurden, wenn
die Verfasser griechischer Katenen vom sechsten Jahrhundert
abwärts die Erklärungen des Origenes eifrig exzerpierten, und
wenn sogar noch zwischen dem elften und vierzehnten Jahrhundert
Abschriften der Kommentare zum Matthäus und
Johannes sowie der Jeremia-Homilien hergestellt werden
konnten, so beweist dies, wie hoch seine Auslegungen geschätzt
wurden — wegen der peinlich genauen Worterklärung, wegen
des Reichtums an Beiträgen zum Sachverständnis und nicht
zuletzt wegen seiner allegorischen Auslegung, mit deren Hilfe
die Zufälligkeiten der Geschichte so kunstvoll in zeitlos gültige
Wahrheiten umgedeutet wurden1.

Kreier und Araber

Von Otto Eißfeldt, Halle/Saale

Die in der Pfingsterzählung mitgeteilte „Völkertafel"
(Acta 2, 5—11) bietet drei, tatsächliche oder angebliche, textkritische
Schwierigkeiten, von denen die beiden ersten — das
im Sinaiticus fehlende und daher von manchen als sekundärer
Zusatz betrachtete 'lovSaiot „Juden" in V. 5 und das, weil
geographisch an unpassender Stelle stehend, von Tertullian
und Augustin in Armeniam „Armenien", von Bentley in
AvSiav „Lydien", von Burkitt in Vo^Svaiav „Gordyäa" geänderte
und von anderen wie Harnack als Glosse gestrichene
„Judäa" in V. 9 — nur im Vorübergehen genannt
seien, die dritte, das K^tes xai "Apaßes „Kreter und Araber"
von V. 11 angehend, aber etwas ausführlicher behandelt
werden soll.

An diesem K^fjtas xai "Apaßes nehmen so gut wie alle
neueren Erklärer der Apostelgeschichte Anstoß, sei es, daß sie
das Namenpaar zwar dem Verfasser des Buches zuschreiben,
aber annehmen, dieser habe erst nach Abschluß der Völkerliste
an jene beiden Völker gedacht und sie als eine Art Nachtrag
hinzugefügt, oder sie seien durch irgendein Mißgeschick
aus der ihnen von dem Verfasser gegebenen passenden Stelle
an ihren jetzigen unpassenden Platz verschoben worden, sei
es, daß sie die Namengruppe für eine spätere Hinzufügung
erklären und somit gestrichen wissen wollen. Die erste Auskunft
findet sich etwa bei Alfred Loisy, der in seinem Kommentar
zur Apostelgeschichte von 1920 auf S. 190 bemerkt,
KQijres xai "Apaßes käme zu spät, wie wenn der Verfasser
erst nachträglich, nach Abschluß der Liste, daran gedacht
hätte. Ähnlich, nur unter Berücksichtigung und Bevorzugung
des dritten Weges, der Erklärung der Worte als eines sekundären
Zusatzes, Hans Hinrich Wen dt in seinem Kommentar
zur Apostelgeschichte von 1913, wo er sich auf S. 83 so geäußert
hat: „KQfjres xai "Agaßes ist Nachtrag, entweder von
dem Verfasser der Apostelgeschichte selbst oder wahrscheinlich
von einem frühen Abschreiber, der die Vertreter der
jüdischen Diaspora aus diesen beiden Gebieten vermißte."

Die zweite Erklärung — Verrückung der Worte von der
ihnen durch den Verfasser der Apostelgeschichte gegebenen ursprünglichen
Stelle — trägt Hermann Wolfgang Beyer in
seinem Kommentar von 1933 vor, doch so, daß er die dritte
Erklärungsmöglichkeit, nach der es sich hier um eine nachträgliche
Bemerkung von anderer Hand handelt, ebenfalls mit
in Rechnung stellt. „Die .Kreter und Araber' — so sagt er auf
S. 14 — sind entweder durch eine Verschiebung oder von einer
nachträglichen Bemerkung am Rande aus an die Stelle gekommen
, an dersiejetztdenZusamruenhangstörendgenannt werden.
Die meisten Kommentatoren aber sprechen sich eindeutig für
die dritte Möglichkeit aus, so Adolf Harnack, der im dritten,
der Apostelgeschichte geltenden Band seiner „Beiträge zur
Einleitung in das Neue Testament" von 1908 auf S. 66 sagt:
„Auffallend ferner KQfjree xai *A(>aßes; auch hier muß man
an eine alte Glosse denken, zumal sowohl die besondere
Nennung als auch die Zusammenstellung befremdet", und
Erwin Preuschen, in dessen Kommentar zur Apostelgeschichte
es auf S. 12 heißt: „Kreter und Araber . . . nachträglich
eingeschoben ... zu streichen." Dasselbe meint gewiß
Julius Wellhausen, wenn er in seiner Kritischen Analyse
der Apostelgeschichte von 1914 auf S. 4 feststellt: „Kreter
und Araber (11) hangen über." Dabei wird überall, einerlei ob
„Kreter und Araber" dem Verfasser der Apostelgeschichte

oder einer späteren Hand zugeschrieben wird, die Berücksichtigung
der beiden Völker damit erklärt, daß, wie in den
übrigen hier genannten Ländern, es so auch auf Kreta und
in Arabien Juden gegeben habe, die nicht übergangen werden
sollten, wie denn Strack-Billerbeck in ihrem Kommentar
zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, II, 1924,
S. 612—614 Belege für das Vorhandensein von Juden auf
Kreta und in Arabien beibringen. Aber die Beanstandung
von „Kreter und Araber" an unserer Stelle bedarf, wie ein
Blick auf die gleich vorzuführenden Stellen des Alten Testamentes
zeigt, der Nachprüfung,2 und das bedeutet dann, wie
sich ebenfalls alsbald ergeben wird, die Erschütterung der
Annahme, „Kreter und Araber" bezöge sich nur auf die aus
Kreta und. Arabien nach Jerusalem gekommenen und hier für
längere oder kürzere Zeit seßhaft gewordenen Juden.

Wenn das Alte Testament zur Feststellung der dortigen
kultischen Verhältnisse oder zur Verkündung der endzeitlichen
Offenbarung von Jahwes Herrlichkeit Boten in alle
Welt aussendet oder auch Vertreter aller Völker nach Jerusalem
zu Jahwe strömen und ihm die unter ihnen verstreut
wohnenden Juden sowie Weihegaben mannigfacher Art überbringen
läßt, so werden — offenbar in der auch sonst im Altertum
geläufigen Annahme, daß die Ost-West-Ausdehnung der
Welt größer oder jedenfalls wichtiger sei als die uord-südliche3
— des öfteren eine oder auch mehrere Völkerschaften aus Ost
und West als Vertreter der östlichen und westlichen Menschheit
überhaupt genannt, und da kommen dann, wie es bei
der Lage Palästinas zwischen dem Mittelmeer im Westen und
der Wüste im Osten ohne weiteres verständlich ist, für den
Westen Bewohner von Inseln oder von Küstenlandschaften
in Betracht, für den Osten aber beduinische Völker oder
Stämme. So läßt Jeremia 2, 10—11 Jahwe seinem abgöttischen
Volke zurufen:

') Vgl. dazu Helnrici, Petrus von Laodicea (1908) XXXII: „Origenes
hat nicht allein die Allegorese auf eine höhere Stufe gehoben; größer noch ist
sein Verdienst für sachgemäße Auslegung. Darin den Antiochenern ebenbürtig
hat er auch die grammatische und historische Auslegung und die Textkritik
dem Vorbilde der alexandrinischen Philologie entsprechend ausgeübt."

■) Vor vorzeitiger Beanstandung von K^rjres xai 'Abaßen warnt auch
O. Bauernfeind, Die Apostelgeschichte, 1939, S. 41, aber eine bestimmte
Erklärung der Stellung und der Bedeutung des Wortpaares gibt er nicht:
„An den Schluß der Reihe wollte Lk. dieses besondere, nicht sprachbestimmte
Paar JovSaloi te xai nqoorjlvToi nicht bringen, darum gab er ihm die vorletzte
Stelle, bzw. er fügte noch ein anderes Paar bei. Warum das gerade Kreter und
Araber sein mußten? Ja, warum mußten es überhaupt gerade diese Namen
sein? Eine wirklich befriedigende Antwort ist bis Jetzt nicht gefunden. Es
kam darauf an, daß zur Veranschaulichung der bunten Menge eine Anzahl
von sachlich passenden Namen genannt wurden, Lk. wird eine Reihe genannt
haben, die ihm aus anderen Anlässen (Schule? Verzeichnis von Ländern
blühenden synagogalen Lebens? oder christlicher Gemeinden?) geläufig war.
Er brachte in diese Reihe die leise Korrektur einer früheren Mitteilung, er
glättete diese Korrektur ein wenig durch das Schlußpaar — es kam ja nur
auf die Fülle und Buntheit der Namen an, daß später gerade hier manche
Frage einsetzen könnte, kam ihm gewiß nicht In den Sinn. Eine Möglichkeit
für den, der diese Erklärungsversuche ablehnt, wäre ja schließlich noch der
Gedanke an eine nachträgliche Bearbeitung des Textes, aber eben doch nur
ein letzter Ausweg."

•) Vgl. Strabo p. 64.