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Ausgabe:

1947 Nr. 4

Spalte:

203-208

Autor/Hrsg.:

Klostermann, Erich

Titel/Untertitel:

Formen der exegetischen Arbeiten des Origenes 1947

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Theologische Literaturzeitung 1947 Nr. 4

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von Propheten seine Lage ständig verschlechterte. Calvin ist
gegenteiliger Ansicht. Satan ist nicht an der Verhinderung des
Todes Jesu interessiert, cum eiusdem impulsu tantopere arde-
rent sacerdotes et scribae ad Christum perdendum. Maldonatus
(f 1583) urteilt ähnlich wie Calvin, desgleichen Cornelius a
Lapide (f 1637), der von allen Exegeten übrigens der apokryphen
Claudia-Procula-Tradition breitesten Raum widmet. Er wird
höchstens von I. C. Thilo mit seinen Angaben zu GestaPilati II
übertroffen (CodexApokryphusNovi Testamenti 11832, 520ff..)

4. Kennzeichnend für die neuere Exegese ist eine Deutung,
die Rationalismus und Psychologie verbindet und alle „metaphysische
" Begründung preisgibt. Von H. E. G. Paulus über
B. Weiß und Th. Zahn führt eine Linie, die den Traum der
Procula natürlich aus dem Wissen um Jesu Auftreten und
häuslichen Gesprächen der Statthalterin mit ihrem Gatten
ableitet. Auch H.Olshausen lehnt die „wunderlichen Träumereien
", daß hier ein Zauberstück Christi oder gar des Teufels
vorliege, ab. Er ergeht sich statt dessen in Spekulationen über
Freiheit (des Pilatus) und Notwendigkeit (des Sterbens Jesu),
welche an Stelle der antiken Deutung ein zeitbedingtes Philo-
sophem setzen. Daß Männer wie H. A. W. Meyer in der Linie
Paulus—Weiß—Zahn stehen, ist nicht verwunderlich. Das
ganze 19. Jahrhundert — mit Ausnahme von Hofmanns vielleicht
— ist hier gründlich „entmythologisiert". Das lehren

auch die Deutungen Bultmanns, Klostermanns, von M. Dibe-
lius und J. Schniewind, auf welche verwiesen sei.

Auch die Dichter — in der Nachfolge des Heliand — sehen
keine Hintergründe, sie erweitern den knappen Stoff und
schmücken ihn aus. So auch Klopstock (im 7. Gesang des
Messias), Selma Lagerlöf. Der Inhalt des Traumes drängt sich
so vor, daß sein Ursprung nicht mehr interessiert. Weiß-
Bousset (Schriften des NT I, 382), Dibelius und Bultniann
bemerkten mit Recht, daß die kurze Notiz Mt. 27, 19 geradezu
zur Ausgestaltung drängte. Ihr Hinweis auf Gesta Pilati und
Klopstock hat eine Ergänzung durch den Heliand erfahren,
dessen eigenartige Ausgestaltung uns Anlaß wurde, auf eine
Deutung aufmerksam zu machen, die in doppelter Weise
metaphysisch sich entwickelte (Gott oder Satan als Urheber),
aber in der Neuzeit zugunsten naturalistisch-psychologischer
oder formgeschichtlicher Deutung ganz in den Hintergrund
getreten ist. Vielleicht ist es doch an der Zeit, die Meinungen
der Alten, denen sich Luther nicht verschloß, erneut aufzugreifen
und durchzudenken, um zu erkennen, daß dieser
unscheinbare Vers nicht bloß legendenbildende Tendenz in
sich trug, sondern als Baustein einer Gesamtdeutung benutzt
wurde, die in ihrer dualistischen Grundhaltung zur Verwendung
auf der göttlichen wie auf der satanischen Seite mit
gleichem Aufwand von Scharfsinn Anlaß geboten hat.

Formen der exegetischen Arbeilen des Origenes

Von E. Klostermann, Halle/S.

Daß der „für die Bibelauslegung der ganzen griechischen
Kirche" vorbildliche Origenes1 die Schrift in dreifacher Form
erklärt hat, steht fest. Das oft angeführte Vorwort des Hieronymus
zu seiner Ubersetzung der Ezechiel-Honiilien jenes
alter post apostolum ecclesiarum magister spricht deutlich genug
: primum eius opus excerpta sunt, quae graece a%6kia
nuneupantur, in quibus ea, quae sibi videbantur obscura aut
habere aliquid difficultatis, summatim breviterque perstrinxit.
secundum homiliarum opus, de quo et praesens interpre-
tatio est. tertium, quod ipse inscripsit rifiovs, nos volumina
possumus nuneupare, in quo opere tota ingenii sui vela spiran-
tibus ventis dedit etc. (Or. VIII, 318, i3ff.). Allerdings hat
Origenes alle drei Arten der Exegese nicht jedem der biblischen
Bücher zuteil werden lassen, wie etwa dem Jesaia, den Psalmen
und vielleicht auch dem Matthäus. Um so häufiger fand sich
in seiner Hinterlassenschaft in der Bibliothek zu Cäsarea eine
zweifache Behandlung derselben Bücher durch die beiden
Gattungen des Kommentars und der exegetischen Homilie,
die Origenes besonders gepflegt hat. Den Unterschied der
beiden Formen wird man nicht einfach dahin bestimmen
dürfen, daß die Kommentare eine wissenschaftliche, die Homi-
lien die erbaulich-paränetische Erklärung geben. Der alte
Redepenning würde dem entgegenhalten, die theologischen
Disziplinen seien in dieser Frühzeit noch gar nicht gesondert
gewesen*. Und .jedenfalls zeigt der Befund an den erhaltenen
Stücken, daß es den exegetischen Homilien des Origenes ebensowenig
an rein lehrhaften Ausführungen fehlt3, wie seinen
■töfioi an erbaulichem Einschlag. Man darf vielleicht sagen: der
große Apologet des Anti-Celsus, der Bücher ntio d^/mr und
der Hexapla4, will Apologet auch in jeder Forin seiner Bibel-
Erklärung sein. Ist die Schrift inspiriert, ist ihr Sirjyrjfianxdp
nqöawnov der heilige Geist, so muß jede Exegese zuerst einmal
zeigen, daß der Text in allem „gotteswürdig" ist. Und wird
oft genug die umfassendere Frage: quid hoc ad nos ? beantwortet
(vgl. unten Sp. 206), so müssen erst recht Anstöße im einzelnen
durch eine eingehende Erklärung beseitigt werden5.

') Lietzmann, Geschichte der alten Kirche 2 (1936), 325.

') Origenes I (1841), 383. Vgl. ebenda II, 212ff. die Ausführungen über
„Die Homilie", dazu vor allem Nordens Skizze der Formgeschichte der Predigt
(Die antike Kunstprosa, 1898, 591 ff.): ist es übrigens sicher, daß die Homilien
des Origenes alle nicht für die Masse, sondern für eine kleine Gemeinde bestimmt
(S. 549) gewesen sind?

') Vgl. etwa Winter in Die Predigt der Kirche Bd. 22 Origenes (1893),
XXXII: sie „haben eine große Ähnlichkeit mit seinen Kommentaren, so ganz
tragen sie nach Inhalt und Form das lehrhafte Gepräge". Schian RE1 15,
630, 76: sie gleichen „mehr einem praktischen Kommentar als einem rednerischen
Kunstwerk".

4) Auch diese Riesenarbeit verdankt ja ihre Entstehung dem Wunsche,
bei Streitigkeiten über den Sinn einer alttestamentlichen Stelle den Wortlaut
des Urtextes völlig einwandfrei vorführen zu können.

*) Vgl. im allgemeinen de princ. IV, 1 (Or. V, 292ff.), zu dem Sir^yrjfia-
nubv nq6aomov: Horn. I, 1 in Regn. 25 (Or. III, 286, 2ff.).

Wird also z.B. im Gottesdienst die Schrift verlesen vor einer Hörerschaft,
unter der sich wohl nicht nur alte, wohlunterrichtete Christen befinden werden,
so ist keine Gewähr, daß alle nun alles sofort richtig verstellen '. Es muß also
unter allen Umständen die Schriftlektion in der folgenden Predigt erst einmal
gebührend erklärt werden. Ein sermo explanationis ad populum ist nötig
(Horn. IX, 9 in Jos. Or. VII, 354,22). Freilich unterscheidet sich von einem
eigentlichen Kommentar immer noch ein Vortrag, den in communi audi-
torio vulgus excipiat (Horn. 111,5 in Lev.Or. VI,309,2). Denn im Gottesdienst
muß die bloße Erklärung der Schrift sich einschränken und bestimmen
lassen durch die Notwendigkeit, in einem kurzen Zeltabschnitt die buntgemischte
Gemeinde auch zu erbauen: brevitatem namque auditores ecclesiae
diligunt (Horn. VI, 1 in Jud. Or. VI 1,498,21), während doch der Text so umfangreich
sein kann, daß auch ein Teilstück daraus die Zeit ov fiiäe avräl-ecos,
u).lä Hai nXiiövu>v in Anspruch nehmen würde (Horn, in I Regn. 28 Or. III,
283,21). Der Prediger muß also zwar Satz für Satz, aber er kann nicht Wort für
Wort erklären, wozu der Kommentator Zeit hätte: quia nos non tarn scripturas
commentantes nunc loquimur, quam populum de his, quae recitata sunt,
consolantes, sparsim quae occurrunt, de linguUl quibusque tractamus (Horn.
VIII, 3 in Jud. Or. VII, 510, 25), oder: ut omittamus plurima — neque enlm
commentandi nunc tempus est, sed aediflcandi ecclesiam dei etc. (Horn.
X, 1 in Gen. Or. VI, 99, 6), oder schließlich aus vielen ähnlichen Stellen nocli
diese: et quoniam est teinporalis tractatus, qul in ecelesia aediflcandi gratia
habetur, non habuit tantum spatii, ut possemus singula scrlpturae verba pro-
ponere Ita, ut nihil omnino indiscussum remancret. .. quoniam quldcni
huiusmodl stilus commentariorum magis est (Horn. XIV, 1 In Num. Or.
VII, 120,4ff.). Eines Predigers Feuer soll nicht bloß leuchten, es soll vor allein
auch zünden (Horn. XIII, 4 in Ex. Or. VI, 276, 14). Man muß daher dasjenige
im Text in den Vordergrund rücken, woran sich Ermahnung und Trost .1111
besten anknüpfen lassen. Auf Geist und Willen der Hörer einzuwirken, ist
das letzte Ziel: nos omnia quae scripta sunt, non pro narrationibus anti-
quitatum, sed pro diseiplina et utilitate didieimus scripta (Horn. II, 1 In
Ex. Or. VI, 155, 10). Und der Redner wird erst dann zufrieden sein dürfen,
wenn seine Worte die Seelen bis zu Wehklagen und Tränen erschüttert haben;
denn durch den xlavO'fioi führt er sein üxnoarrjoiov zum ytXmt (Horn. XX,6
in Jer. Or. 111,6,8). In solchen Augenblicken bricht auch „mitten in gelehrten
Homilien in ergreifender Weise" hervor, wie das Bild der Person Christi ihn
beherrscht hat*.

Infolge dieses doppelten Zweckes der Homilien kommt es
zu einer eigentümlichen Mischung von exegetischer Methode
mit predigtmäßiger Kunst. Nur darf man die letztere nicht
etwa vom Standpunkt der späteren Kunstpredigt aus einschätzen
wollen. Wer das tut, wie Winter a. O., wird ihr neben
dem nicht überall, aber doch überwiegend schlichten lehrhaften
, oft sogar trockenen Ton vor allem vorwerfen, daß eine

') Nachdem jetzt die erhaltenen Kommentare und Homilien zumeist in
den griechischen christlichen Schriftstellern in neuen Ausgaben vorliegen,
lohnt es sich, wichtigste Stellen gesammelt vorzuführen, vgl. nach Rede-
penning und anderen besonders noch Harnack TU 42, 3, 7ff. Es wird dabei
erlaubt sein, hier davon abzusehen, ob die Homilien griechisch oder lateinisch
vorliegen, und ob sie vom Redner selbst aufgezeichnet wurden, oder zu den
nachstenographierten Stegreifpredigten seines Alters gehören.

■) Vgl. Harnack, Die Mission usw.* (1924) I, 128 A. 1.