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Ausgabe:

1947

Spalte:

193-198

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Martin

Titel/Untertitel:

Das Apostelkonzil 1947

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Unter Mitwirkung von Professor D. Ernst Sommerlath, Leipzig
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR LIC. KURT ALAN D, HALLE-BERLIN

NUMMER 4 72. JAHRGANG OKTOBER 1947

Spalte

Das Apostelkonzil. Von Martin D1 b e 11 u s f 193

Glossen im Römerbrief. Von Rudolf

Kult in ;i ii n.......................... 197

DasWeib des Pilatus. Von E. Fascher .. 201
Formen der exegetischen Arbeiten des

Origenes. Von E. Klostermann ____ 203

Kreter und Araber, von Otto Eißfeidt 207
Das judäische Königsritual. Von Oerhard

von Rad........................... 211

Spalte

Die Bibel Im ältesten Mönchtum. Von

Hermann Dörries................... 215

Ecclesia pressa — eccleslamilitans. zum

Problem der Rechtssicherheit der Kirche
und der Verfolgung der Christenheit. Von
E. Wolf ............................ 223

Über den theologischen Sinn profaner
Geschichtsbetrachtung, von Wolfgang

Trillhaas.......................... 231

Spalte

Von Personen:

Zum 70. Geburtstag Walter Bauers..... 235

Von den deutschen wissenschaftlichen
Bibliotheken......................... 237

Bibliographie:

Deutsche theologische Bücher aus den
Jahren 1945/46 ....................... 241

Zum vorliegenden Heft................ 255

FES THE FT

Wnlttt Bauer jum 70, (Bebtirtsrtaö gefctiimet

Das Apostelkonzil

Von Martin Dibelius f, Heidelberg

Die Beurteilung des sogenannten Apostelkonzils wird
immer noch erschwert durch die Konkurrenz verschiedener
Quellen. Neben die beiden bekannten Berichte Gal. 2, 1—10
und Act. 15, 1—29 stellen sich für manche Exegeten noch
die Verse Act. 11, 29—30. Hier müsse das gleiche Ereignis erzählt
sein wie Gal. 2, denn Paulus wisse Gal. 1, 20—24 von
keinem Besuch in Jerusalem vor der Apostel-Unterredung. Mir
scheint freilich, um dies hier nur kurz anzudeuten, daß Act. 11,
29—30 eine kurze harmlose Notiz ist, die die Agabusnachricht
zu einem Abschluß bringen will und vielleicht vom Verfasser
an der falschen Stelle angebracht ist. Sie hat es jedenfalls nur
mit der Kollekte zu tun und soll in keiner Weise von einer
grundsätzlichen Besprechung der Apostel berichten.

Eine weitere Komplikation der Quellenfrage ergibt sich
aus dem /?-Text von Act. 15, 1—5 (um den sog. abendländischen
Text möglichst neutral zu benennen). Er enthält eine
wesentlich schärfere Darstellung des Konflikts. Es sind christliche
Pharisäer aus Judäa, die nach diesem Bericht durch die
Forderung der Beschneidung und des gesetzlichen Lebens den
Streit in Antiochia erregen und dem Paulus, der bei seiner
Meinung beharrt, gebieten, mit einigen Gefährten nach Jerusalem
zu ziehen, um sich dort „richten zu lassen". Aber die
Fortsetzung; des /9-Tcxtes widerlegt die Meinung, hier komme
eine besondere, dem Paulus abträgliche Gesinnung zur Geltung
. Denn was der /3-Text zu der Verhandlung beiträgt1, ist
mehr verharmlosend als verschärfend. Wir werden also auch
die Korrekturen des /(-Textes in i5, 1—5 als Ergänzungen und
Präzisierungen des etwas allgemeinen Vulgärtextes beurteilen
dürfen, erweiternde Feststellungen, wie ß sie oft bringt, nicht
Ausflüsse einer besonderen Tendenz.

Es bleiben also die Berichte Gal. 2 und Act. 15 übrig.
Aber es ist merkwürdig, daß die Besonderheiten dieser Darstellungen
selten gewürdigt werden, daß zumal das Verständnis
von Act. 15 darunter zu leiden hat, daß der Vergleich mit
Gal. 2 zu früh eingeschaltet wird. Man muß gerade diesen Bericht
zunächst in seiner Eigenart würdigen. Diese ist in der Tat
beträchtlich; und es ist mir schwer verständlich, daß nicht
öfter und nicht drängender auf diesen höchst seltsamen Charakter
aufmerksam gemacht worden ist. Nur wenige Exegeten,

') Der /9-Text erwähnt In Vers 6 rechtzeitig, daß die Menge anwesend
ist (Vorbereitung auf Vers 12); er läßt den Petrus im Oeist reden (Vorbereitung
auf Vers 28?) und die Altesten der Petrusrede zustimmen. Dies und
d'e bekannte eth Ische Umdcutung des Aposteldekrets Ist eine Verharmlosung,
aber keine Verschärfung des Streites.

darunter vor allem Loisy, haben das Auffallende überhaupt
gesehen.

Der Gang der Erzählung ist folgender. In Antiochia
bricht ein ernsthafter Konflikt aus, weil aus Judäa kommende
Christen die „Brüder" belehren, daß Beschneidung für die
Heidenchristen heilsnotwendig sei. Man entschließt sich, Paulus
und Barnabas zu den „Aposteln und Ältesten" in Jerusalem
zu entsenden, und ihnen den Streitpunkt vorzutragen.
Die Abgesandten werden von der Gemeinde und ihren Führern
freundlich aufgenommen und erzählen — wie schon auf der
Hinreise — von den Erfolgen der Heidenmission. Aber christliche
Pharisäer verlangen auch hier Besclmeidung und gesetzliche
Verpflichtung der Heidenchristen. „Da kamen die Apostel
und die Presbyter zusammen, um diese Sache zu untersuchen
" (15, 6). Aus Vers 12 wird sich ergeben, daß die Gemeinde
dabei ist; sie wird von der Handschrift 614 und syhn'g
auch hier hineingebracht. Es kommt wie in Antiochia zum
Konflikt, bis Petrus aufstellt und eine Rede hält. Und diese
Rede, die die Beschneidungsfrage für die Heidenchristen entscheiden
soll, beruft sich — auf das Erlebnis des Petrus mit
Cornelius1! „Ihr wisst, daß seit alten Zeiten Gott unter euch
die Entscheidung getroffen hat, daß die Heiden durch meinen
Mund das Wort des Evangeliums hören und glauben sollten".
Darum, nämlich weil Gott dem Cornelius und den Seinen den
Heiligen Geist gegeben hat, ohne daß sie erst Juden wurden,
darf man den Heidenchristen auch das Joch des Gesetzes nicht
auferlegen.

An dieser Rede ist vieles merkwürdig. Vor allem: diese an
sich ganz unbestimmte Anspielung auf Act. 10, 1 ff. kann von
den Hörern des Petrus nicht verstanden werden, wohl aber
von den Lesern des Buches. Für dieses hat die Cornelius-
ge.schichte normative Bedeutung; so erklärt sich der Ausdruck
ä<p' fjfieQöiv d^xaiaiv, der der Geschichte die Würde des Klassischen
verleiht. Und dies ist ein Werk des Schriftstellers
Lukas denn es läßt sich zeigen, daß er mit der Vision des

') Das Erstaunliche daran bringt wenigstens Wellhausen, Kritische
Analyse der Apostelgeschichte S.27 zum Ausdruck: „unter Berufung auf
die vorlängst geschehene, aber vollkommen vergessene und wirkungslos
gebliebene Bekehrung des Cornelius".

■) Ich bleibe bei der vor 20 Jahren in meiner „Geschichte der urchristlichen
Literatur" geäußerten Meinung, daß ein Buch, das einen bestimmten
Widmungsnamen trug, nicht ohne Verfassernamen in die Welt getreten sein
kann, daß also die Tradition über Lukas als Verfasser ernst zu nehmen Ist.

lt).'!

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