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Ausgabe:

1944

Spalte:

157-158

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Machek, Vaclav

Titel/Untertitel:

Slav. rarogu "Würgfalke" und sein mythologischer Zusammenhang 1944

Rezensent:

Deeters, Gerhard

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Seite 1

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158

dem Interesse dieser Zeitschrift, wenn ich die grundsätzliche j
Stellung zu diesem Problem einmal beleuchte.

Für J. sind die Götterpersönlichkeiten wie Lebewecen, die
ein eigenes Leben haben und aus sich selbst heraus eine Entwicklung
nehmen. Eine volkstümliche Vorstellung von einem j
Gott lehnt er ab, weil „sie nicht zu dem paßt, was die theo- ]
logische Lehre von ihm berichtet" (S. 36). Zu zwei Vorstellungen
vom Himmel verlangt er, „daß eine Lehre, die beide
Vorstellungen aufnahm, sich mit der Frage des gegenseitigen
Verhältnisses auseinandersetzen mußte" (S. 39). J.s Standpunkt
zur Analyse der Gottheiten hat in den Untersuchungen
des Mythus von dem Sonnenatige 1911—1917 schon eine
Rolle gespielt. Damals wies ich darauf hin, daß j. im Gegensatz
zu anderen „den Hauptwert auf die Rekonstruktion des |
Bildes legt, das uns der Mythos in seiner späten, inhaltlich i
von der Theologie abgerundeten Form bietet" (Literar. Zentralblatt
1915, Nr. 33, Sp. 823). J. ist damals wie jetzt der Auffassung
der spätägyptischen Priester gefolgt, und deshalb muß j
sein Bild notgedrungen demjenigen ähnlich werden, das wir j
aus der erdrückenden Fülle der hieroglyphischen Inschriften i
in den Tempeln der griechisch-römischen Zeit gewinnen. Diese
Tendenz ist bei J. durchaus verständlich, der diesen Inschriften
einen erheblichen Teil seiner Lebensaufgaben gewidmet
hat und beruflich mit der theologischen Spekulation
verwachsen ist.

Seit lahrzehnten habe ich dem gegenüber immer wieder |
Iii erster Linie die kritische Feststellung des Befundes gefordert
und betrieben, in zahlreichen Monographien ägyptischer
Gottheiten die Lokalkulte als Ausgangspunkt genommen und I
die einzelnen Züge der komplizierten und vielseitigen Götteii-
persönlichkeüen isolierend herausgelöst. Nur auf diesem Wege j
scheint es mir möglich, scharf umrissene Charaktere im ägyptischen
Pantheon zu erkennen und gegen einander abzugrenzen
. An die meist späte und oft sekundäre Oberlieferung müssen
wir m. E. zunächst mit „Quellenscheidung" herangehen
und dann erst prüfen, inwieweit die späten Fassungen noch |
einen alten Kern enthalten. J. bedient sich dieser entwick- |
lungsgeschichtlichen und textkritischen Methode nur gelegentlich
und nebenbei, nicht mit grundsätzlicher Tendenz. So
stellt das von ihm gezeichnete Bild das Erzeugnis eines |
spekulativen Priestertums dar, nicht eine aus dem Volksglauben
organisch herausgewachsene Vorstellung. Als Historiker
muß ich diese Methode ablehnen und bei meiner alten
Forderung bleiben. Im übrigen habe ich volkstümliche Vorstellungen
immer für wichtiger gehalten als theologische Spekulationen
. Wie aber auch die subjektive Beurteilung sein mag,
jedenfalls darf man heute nicht mehr religiöse Vorstellungen
aus späten Texten als gleichwertig neben einander stellen, j
weil sie sämtlich nieroglyphisch überliefert sind. In der kri- j
tischen Textgliederung scheint mir die ägyptologische Aufgabe
der nächsten Zukunft zu liegen. Dann wird der Aufbau eines
gesicherten Gebäudes aus Schichten von einheitlichem Charakter
erfolgen können, ohne daß wir uns in die Gefahr begeben,
ein Material zu benützen, das uns durch die Textanalyse nachträglich
aus dem Gefüge herausgezogen wird.

Berlin O- R o e d e r

Machek, Vaclav: Slav. rarog'i .Würgfalke' und sein mythologischer
Zusammenhang. Bratislava 1Q4I. S. 84—88. gr. 8° = I
SA. aus Acta Eruditac Societatis Slovacae I. Linguistica Slovaca.

In den westslavischen Sprachen gibt es eine Bezeichnung des
Würgfalken, die auf urslav. 'rarogu zurückgeführt werden muß; zugleich ,
hat das Wort mythologischen Sinn: pol", rarög und ebenso die
tschechischen Ableitungen rarach und rarnsek bedeuten „Teufel,
böser Oeist", slowak. r&röh ist der ,,Fürst der bösen Geister".
Man hat dieses Wort bisher allgemein, nach dem Geschrei des
Vogels, wenn er auf seine Beute stößt, von altbulg. rarti „Schall" .
(von der Schallwurzel 'ra) abgeleitet. Es ist hier nicht der Ort, j
ausführlicher auf die sprachgeschichtlichen Erörterungen des Verf.
einzugehen; es muß ihm zugegeben werden, daß diese Ableitung
wegen der Seltenheit des Suffixes -or- gewisse Schwierigkeiten bietet.
Daher sieht er darin ein Lehnwort aus iranisch vilnagna-, das (in
Weiterbildungen) im Soghdischen in der Bedeutung „Falke" zutage ;
gekommen ist und im Awcsta einen Vogel bezeichnet, der eine der
zehn Inkarnationen des Verethraghna gilt und auch Trager des
Chvarnah, des göttlichen Machtglanzes, sein kann. Aus der Rolle,
die dieser Vogel im Awesta spielt, folgt allerdings noch nicht, daß er
mit seinen mythischen oder dämonischen Attributen auch dem Volksglauben
der skythischeii Iranicr Südrußlands bekannt war, was doch
die Voraussetzung für seine Entlehnung ins Slavische wäre; aber
auch wenn wir das dem Verf. zugestehen, so bleibt doch eine lautliche
Schwierigkeit, über die er zu leicht hinweggeht: das slavische
Wort lautet nicht 'varogü, sondern 'rangt), und wenn der Verf. sich
hier einfach mit Assimilation helfen will, so ist dazu zu sagen,

daß eine Dissimilation zweier sü'nenanlautender r zwar sehr häufig
vorkommt, eine Fcrna.jsimi-ati >n v — r) r— r aber sowohl im Slavische
» wie auch in den meisten Sprachen höchst ungewöhnlich wäre.
Daher tuen wir besser, den rarogii nach wie vor als echtskivisch
anzusehen.

Bonn G. Deeters

ALTES TESTAMENT

Hessen, D. Dr. Johannes: Piatonismus und Prophetismus. Die

antike und die biblische Geisteswelt in strukturvergleichender Betrachtung.

München: E. Reinhardt 1939. (240 S.) gr.8°. RM 4.80; geb. RM 6.50.
Das verspätete Erscheinen dieser Anzeige ist darin begründet
, daß ich das Buch kurz vor meiner Einberufung zur Wehrmacht
in die Hände bekam. So ist Hessens Werk mit mir
vom Westwall nach Frankreich und Flandern, nach Norwegen
und in den Osten gewandert, und meine Besprechung, die
ich nun endlich nach längerem Lazarettaufenthalt abermals im
Westen abschloß, wird die Spuren dieses mühseligen Werdeganges
und des nur „homöopathischen" Genusses seines Inhalts
tragen.

Piatonismus (mit Einschluß des aristotelischen Denkens)
und Profetismus werden in der Einleitung als „die geistigen
Höchstwerte der Menschheit" vorgestellt und ihr „Bund",
mit Leese sofort erweitert zur „Symbiose von Griechentum und
Christentum", als „das geistige Schicksal des Abendlandes".
Eine formelle Eigentümlichkeit tritt in dieser Einleitung bereits
auf: eine Neigung zur wörtlichen Anführung fremder Formulierung
auch dort aV/, wo die Form, nicht immer zugleich der
Gedanke Eigentum des zitierten Autors ist.

Der erste Teil (S. 15—129) sucht Piatonismus und
Profetismus in ihrer Eigenart zu erfassen, und zwar zunächst
die Geisteshaltungen, sodann die Geisteswelten. Die Betrachtung
der Geisteshaltungen geht aus von dem „Doppelaspekt
des Seins", der durch die Schlagworte essentia und
existentia bezeichnet wird. Ihm parallel läuft anthropologisch
die doppelte Möglichkeit des Geistes, sich kontemplativ oder
aktiv zu den Dingen zu verhalten. Ohne nähere Begründung
werden nun Piatonismus und Profetismus nach folgendem
Schem:i aufgeteilt und damit die Ausgangsstellung für alles Folgende
festgelegt:

Platonismus Profetismus

ontologische Sicht:
Sosein Dasein
ergibt:

Idealismus, Rationalismus Realismus, Irrationalismus

Logismus, Ontologismus Nominalismus, Aktualismus

anthropologische Sicht:
Erkennen Wollen
ergibt:

Intellektualismus, Ästhetizismus Aktivismus, Voluntarismus
Objektivismus, Impersonalismus Subjektivismus, Personalismus

In der Behandlung der beiden Oeisteswelten steht
mit Recht die Oottesidee an der Spitze (S. 22—77).

Für Plaio selbst, dessen Denken gegen Aristoteles abgegrenzt
wird, ergibt sich bei einer im Anschluß an Windelband vertretenen
„axiologisch-ontologischen" Deutung der Ideenlehre (an der Hand
von Symp. 210 E ff. Staat VI, 508 f. unter Ausscheidung von
Tim. 29 f. als einer „mythischen Einkleidung tiefer Hegender Wahrheiten
") die Auffassung der Oottesidee als einer „streng transzendenten
und impersonalen Wertwirklichikeit", als des ,.ewigen und unwandelbaren
transzendenten Wertzentrums." Aristoteles hingegen, dessen
(naturbetrachtendes) Denken vor allem vom Phänomen der Bewegung
(als der „Verwirklichung eines Möglichen") und ihrer Ursache
bestimmt ist und als einzigen Qottcsbeweis den Bewegungsbeweis
kennt, faßt Gott als das jiqoitov xivoüv dxivr|T6v, als ein
„Prinzip, dessen Substanz Aktualität ist", und zwar so, daß „Aktualität
reine Denktätigkeit" bedeutet. Inhalt des göttlichen Denkens
aber ist nichts anderes als sein eigenes Wesen. Mit dieser Auffassung
„reinen Theorie" als der einzigen Tätigkeit der Gottheit ist jede göttliche
Willenstätigkeit und erst recht jedes Schöpfertum ausgeschlossen
, wie H. im Oefolge Luthers (und damit des Duns Scotus) gegen
Brentano und Rolfes stark betont. Eine lebendige Beziehung Qottes
zur Walt fehlt bei A. nach der Grundstruktur seines Denkens. Im
kräftigen' Gegensatz dazu führt der Weg zur Qotteserkenntnis der
Proleten nicht über das Denken. Sie wurzelt vielmehr in unmittelbaren
Erlebnissen des Überwältiigtwerdens von einer „welttranszcndenh
ten" Wirklichkeit, in denen Gott als Person „vom Willen ergriffen"
und darin stets zugleich seine Forderung erfahren wird, die den
Menschen zu seinem Werkzeug macht. Diese Erlebnisse sind echte