Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1944

Spalte:

149-155

Autor/Hrsg.:

Wendland, Walter

Titel/Untertitel:

Zur Kirchengeschichte Ostdeutschlands 1944

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

149

Theologische Litera<turzeitung 1944 Nr. 7/8

160

Da wo konkret das Gegenständliche zu fassen versucht wird,
verliert sicli der Vf. zumeist in das unbestimmte Allgemeinste.
Nur eine Probe (S. XXXVIII): „Ism Grunde war es das
geschichtlich Verdichtete und daher das Gefühl Ansprechende
seiner Vorstellungswelt, um dessentwillen das Christentum unter
allen Religionen von Rom ausgewählt wurde". Oder er gibt
Unzureichendes: es ist nicht richtig, wenn er vom Triumphbogen
in S. Maria Maggiore in Rom sagt: „Thema ist die
Oottesmntterschaft Mariä, wie sie im Ephesinischen Konzil
festgelegt worden war" (S. XXX). Das ist mit eingeschlossen,
ist aber nicht der volle und eigentliche Inhalt. Und bestimmtere
Aussagen über den Charakter des frühesten Christentums
zeigen das Gegenteil der Wirklichkeit: ,,die ersten Gemeinden
mußten „geheim und verborgen bleiben" (S. XXVIII f.);
„man hat manchmal den Eindruck, daß die scheue Abgeschlossenheit
des Christentums in den gemein-römischen Kunstbetrieb
etwas Fremdartiges und Trübes hineinbringt, etwas,
was (s o) die Kunst als solche nahezu in Frage stellt. Es
ist ein Trieb zur Selbstverneinung, ein cupio dissolvi" (S.
XXIX). Das ist aber eine sprachlich (dissolvi = AvoAfrxu,
Phil. 1,23, vgl. 2. Tim. 4,6) und sachlich völlig unmögliche
Deutung. Nicht der Trieb zur Selbstverneinung, nein: die nAm
RO0Qt|OU>j bei allem Wunsche jenseitiger Vollendung die Welt
für den Sieg des Glaubens zu gewinnen, der dann mit dem
Triumphe der Kirche zusammenfließt — trotz allen tödlichen
Hemmungen bmk&tmc (Act. 28,31), das ist die Überzeugungsmacht
, welche die Welt erobert, die auch die allgemeinste
Macht des Altertums, die Kunst, von ihrer Formkraft selber
erfaßt, durchdrungen und eine christliche Kunst geschaffen
hat — gewiß eine der größten weltgeschichtlichen Tatsachen.

Was aber am Anfange dieser neuen Kunst sichtbar wird,
ausgebreitet an den Wänden und Decken der Grabkammern
und was in der gesamten Folgezeit über alle Bereiche des
künstlerischen Schaffens ausstrahlt, ist nicht nur was für eine
„Grabeskunst" als der entsprechende Ausdruck erscheint, sondern
ist das Heilsgut, das bei dem Eingehen in die hellenistisch
-römische Welt die allgemein und entscheidend überwältigende
Durchschlagskraft gegeben hat und das, sich ergänzend
und in seinen Ausdrucksformen und -mittein wohl auch in
andere Farben getaucht, für immer bestimmend bleibt: die
erlösende Befreiung vom Tode durch die Gewißheit eines
ewigen Lebens, wie sie auf das sicherste verbürgt ist durch
das menschliche und — in Weissagungen, Wundern una anderen
Machtbezeugungen offenbare göttliche geschichtlichwirkliche
Geschehen in dem Wirken des über Alles, auch den
Tod mächtigen lebendigen Gottes in der heiligen Geschichte,
um in stetiger Entfaltung, dank dem Universalismus und dem
Individualismus des Christentums, mit exklusiver Gewalt, aber
nicht anders mit der unmeßbaren Elastizität der religiösen Gedanken
wie der homogenen Kraft der Form die neue Kunst
selbst zur wirksamsten Selbstdarstellung des Glaubens und
zur augenfälligen Sicherung seines ewigen Inhalts werden zu
lassen.

Gewiß liegt auch die Lösung des hier wieder stark
herausgehobenen Problems der Origini dell'arte cristiana: Osten
—Rom in dem im Orient entstandenen, durch die Koine im
Weltreiche verbreiteten und durch dieses mit dem Römisch-
Lateinischen verbundenen Christentum selber: seiner religiösen
Inhaltsmacht, der griechischen Gestaltungskraft und der römischen
Schaffensenergie.

Zur Kirchengeschichte Ostdeutschlands

(Schlußbericht, 4. Teil)
Von Walter Wendland, Berlin

Durch meine Berichte zur Ostdeutschen Kirchengeschichte, ! Aber nicht um kleine Richtigstellungen handelt es sich mir,
denen von anderen Verfassern Berichte über andere deutsche I sondern ich wage die Behauptung, daß die großen Linien
Territorien folgen werden, ist zum erstenmal in einer wissen- der Entwicklung von dem Verfasser nicht gesehen worden
schaftlichen Zeitschrift die Arbeit zur territorialen K. G. ge- : sind. Zum Beweis hebe ich Folgendes heraus:
würdigt und im Zusammenhang dargestellt worden. Mit diesem 1. Die Christianisierung des Landes vollzog sich im An-

4. Bericht schließe ich meine Darstellung vorläufig ab, um sie | Schluß an die Germanisierung des Landes. Das wendische
in einigen Jahren wieder aufzunehmen. Die Erfahrung lehrt, | Volkstum wurde unterdrückt und beiseite geschoben, die Kraft
daß ein Krieg der heimatlichen Geschichtsforschung einen Auf- i dieses Volkstums war gebrochen, eine deutsche Kirche ent-
schveung bringt und so ist zu erwarten, daß die territoriale ' stand, die die überlieferte deutsche Art an sich trug und die
K- O.i die bisher oft mehr in der Stille gepflegt worden ist, [ Bauformen der Kirchen des Westens übernahm. Da die Oerin
Zukunft stärkere Beachtung und Bedeutung erringen wird.

Preußische Kirchengeschichte
Das weitverbreitete und viel empfohlene Calwer Kirchenlexikon
1 enttäuscht in einigen Artikeln, die in mein Besprechungsgebiet
der östlichen Territorialkin hen hineingehören, so
vor allem In dem Artikel über Preußen, in dem auch die
ältere brandenburgische Geschichte hineingearbeitet ist. Es
fällt durch kleine Unrichtigkeiten sofort auf, daß der Bear

manisierung sich auf Grund der Machterweiterung vor allem
der Askanier vollzog, so wurde diese Kirche von Anfang
an stärker abhängig vom Staat. Das zeigt sich schon zu Beginn
in dem Merseburger Vertrag von 1137, der die Zehnten
der neuen Lande den Fürsten anwies.

2. Durch den großen Kurfürsten wurde der brnndenbur-
gische Staat ein seinem innersten Wesen nach protestantischer
Staat, der den Ruhm hatte, die Interessen der Evangelischen
mit Mut und Energie zu vertreten. Das tritt vor allem unter
beiter nicht die volle Sachkenntnis besitzt. I Friedrich Wilhelm I. hervor. Wo irgendwo in der Welt Evan-

So i. B. 946/48 Gründung der Bistümer Brandenburg und Havel- gelische verfolgt wurden, da hat sich Preußen der Glaubens-
berg statt der genauen Jahreszahl 048. Vollkommen unrichtig ist genossen angenommen und nicht danach gefragt, ob sie
der Satz: „Die neuen Klöster der von Wichmann geführten Zister- , lutherisch oder reformiert sind; während andere Territorialstaa-
zienser (Zinna 1170, Lehnin 1180, Chorin 1230)". Wichmann war ! terLmlr an ihr« Sonderinteressen dachten, ist Preußen von
Prämonstratenser und rief die Zisterzienser nach Zinna, die Askanier I größeren Gesichtspunkten getragen gewesen und dadurch beriefen
sie nach Lehnin und der Herzog von Meissen rief sie nach j karn Preußen eine Vormachtstellung, die auch kirchlich sich
DobrDugk. Die Jahreszahl 1230 für Chorin ist falsch. Es heißt j auswirkte. Der Sieg des großen Friedrich wurde beim Papst
ferner, daß 1447 der Kurfürst das Recht erhielt, die drei Bischöfe a'.s Niederlage der Katholiken angesehen. So empfanden auch
von Havelherg Brandenburg und Lebus zu ernennen. Oanz stimmt die Fürsten der protestantischen Kleinstaaten, die nicht allzu
das so nicht Weiler wird behauptet, daß die Leitung der Kirche Scrn "** Aufkommen der Macht des großen Friedrich miter-
von Brandenburg 1543 dem kurfürstlichen Konsistorium und dem ihm lebten, sich aber dennoch freuten, daß der Protestantismus
unterstellten Oeneralsuperintendenten übergeben wurde. An diesem durch 'nn gerettet war.

Satz ersieht man, daß der Verfasser kein klares Bild von dem ... Militärmacht Preußen hat die neuen kirchlichen

allmählichen Werden der lutherischen Kirche in der Mark hat. Strömungen Pietismus und Aufklärung gefördert und begiin-
Alles war bei uns damals In Fluß. Da die Bischöfe von Havelberg ' s»gL und darum wurde sie, vor allem auf Grund der Toleranz,
und Lelms noch an den alten Überlieferungen festhielten, und da der dlc 1 r?"Rrn verkündigte und übte, ein geistig-führender Staat,
Kurfürst nicht mit Gewalt eine neue Gestaltung des kirchlichen Lehens V™ ™Me <™s der Stagnation und der Engstirnigkeit der
anbahnte so ist unklar wie weit seine Macht in das Oebiet Kleinstaaten heraus. Diese großen Verdienste Preußens sind
dieser Bischöfe hineinrage. Die Oebiete waren nicht dem Kern- ! "i dem Artikel nicht hervorgehoben. Daneben stehen die
■ictorlutn unterstellt. Das Konsistorium war noch keine festgeschlos- Schattenseiten. Das 10 Jahrhundert sehnte sich nach einer
sene selbständige Behörde. Die Oeneralsuperintendenten waren ihm Neugestalbing des kirchlichen Lebens. Statt dessen hielt der
jedenfalls nicht unterstellt. lro™mc Ko^ Frl«'nch Wilhelm HL, der das kirchliche Leben

1__ fordern wollte, an den bürokratischen Formen, die im Allge-

1) Calwer Kirchenlexikon. Kirchl.-theolog. Handwörterbuch. Hrsg. meinen I.andrerht niedergelegt waren, fest. Er wollte mit
v. Fricdr. Kepplcr. 2 Bde. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchh. 1939 u. Agende und Union der Kirche seines Landes aufhelfen, und
1941, geb. RM 24— u. 27— Mi er auf Widerstand stieß, fühlte er nicht, daß in diesem