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Ausgabe:

1944

Spalte:

126

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Ledig, Gerhard

Titel/Untertitel:

Dantes Göttliche Komödie 1944

Rezensent:

Schneider, Friedrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 5/6

126

ihm würde zunächst eine stärkere Historisieruns; der Gestalt Eckharts
selbst gehören. Ebeling behandelt sein gesamtes Schrifttum als
Einheit, ohne nach geschichtlichen Stufen seines Denkens zu fragen.
So sehr ich zustimme, daß die Oedanken der frühen Pariser Quästion
von der seinslosen Intcllektualität Gottes in anderen Schriften weiterwirken
und wiederklingen, so scheint es mir doch fraglich, ob in
derselben negativen Schärfe. Weiterhin ist eine größere Vorsicht
in der Verwendung deutscher Texte geboten, auch unter der z. Zt.
zwar im allgemeinen zurückgestellten, aber doch noch nicht erledigten
Echtheitsfrage.

Ich habe vor allem die Nachweise zu dem kleinen Kapitel über
die spirituelle Sakranientsauffassung Eckharts (S. 173 ff.) durchgeprüft
, da bei dem umstrittenen Problem besonders viel auf
die einzelne Stelle ankommt und Ebeling selbst den Abschnitt als
ein experimentum crucis für seine Ergebnisse ansieht. Mit diesen
Belegen ist eine ausdrückliche Äußerung Eckharts, die das Sakrament
für unwesentlich erklärt, nicht gesichert. Die stärksten stammen
aus der von Ebeling auch sonst oft verwendeten Glosse zum
Johannesevangelium (Pfeiffer S. 578 ff.), deren Echtheit mir nach
wie vor zweifelhaft ist. Andere Texte besagen nichts über eine trans-
sakramentalc Auffassung. Pf. S. 239 f. weist nur über den äußeren
Empfang auf den inneren Sinn hin. Pf. S. 568,5 (Reden der Unterscheidung
. Kl. Texte 117. S. 33,8) ist konzessiv gemeint; Eckhart
fordert gerade hier zum ordnungsgemäßen Sakramentsempfang auf.
Pf. S. 327 f. scheint mir nicht mehr auszusagen, als sich aus der Anwendung
der genau entwickelten Lehre des Thomas (S. th. I q. 15)
auf Onadc und Tugenden ergibt. Eckharts Oedankengang ist hier
ebenso platonisch wie thomistisch. Daß die mystischen Gnadener-
fahrungen bei Eckhart weit über die Gelegenheit des Sakramentsempfangs
hinausgehen, daran ist kein Zweifel. Aber eine Spirituali-
sierung des Sakramentsgedankens selbst müßte sich anders belegen
lassen, wenn sie in seinem Denken eine nennenswerte Bedeutung
gehabt hätte. Es sei aber betont, daß der Zweifel an diesem Schlußstein
der gesamten Beweisführung des ersten Teils, diese selbst
nicht berührt.

Zu den Widersprüchen, die noch weiter geklärt werden müssen,
gehört m. E. auch der zwischen der Senv-ilehre der Pariser Quästion und
der in den übrigen Schriften. Es gibt manche späteren Stellen —
soweit die Texte bisher vorlietren, namentlich im Saprentiakommentar
—, die zeigen, daß die beiden zunächst so scharf divergierenden
Aussagereihen eine gewisse gegenseitige Interpretation erfahren- Eck-
hart bemüht sich offensichtlich, das Sein Gottes vom Substanzbegriff
zu unterscheiden und in Richtung auf die intellcctualitas hin zu verstehen
. (Thfry, Archives III, 327). Als Mitteibegriff zwischen beiden j
benutzzt er hier den johanneischen Oedanken des ,,Lebens" (III,
345, 351 f.) und mildert überhaupt den Gegensatz durch das Zwi-
schenschieben der platonischen Ideenlehrc. Andererseits will er auch
in der schroffen Pariser Quästion einen höchst sublimierten Seinsbe-
Rriff (puritas essendi) nicht ganz von Gott fernhalten: Deo ergo
non competit esse, nissi talem puritatem voces esse (Lat. Werke V,
45). Von daher erhebt sich die Frage, ob nicht doch in der Ober-
we^enfKchkeit Gottes die vermißte Transzendenz als notwendiger Bestandteil
in Eckharts System in Erscheinung tritt, ob also die
Parallele zu Spinoza zurecht besteht, zumal sie auch sonst im Blick
auf den substantiellen spinozistischen Oottesgcdanken Bedenken erweckt
.

Ebelings Buch macht nicht nur einer Periode der Eckhart-
forsrhung ein Ende, sondern es regt auch neue Probleme
an, ja es stellt die Frage nach der geistigen Gestalt Eckharts
erst mit ganzer Schärfe. Freilich ohne sie bisher ausreichend
zu beantworten. Was er in den Schlußbemerknngen dazu sagt, I
ist wohl das Unbefriedigendste an seinem Ruche. Der preziöse j
Schlußsatz: „Der Spiritualismus Eckharts ist eine flackernde
Oeistesflamme, die nur leuchten will, nicht mehr", ist auch
seiner eigenen Darstellung inadäquat. Die Formel von dem
..deutschen Spiritualismus" Eckharts ist zti unscharf, um seine
Gestalt klar zu umreißen. Abgesehen von der notwendigen,
aber nicht einfach zu beantwortenden Frage, was an diesem
Spiritualismus das eigentümlich Deutsche ist, würde ich dnn-
Kend raten, zwischen'Spiritualismus und Mvstik zu unterschei- i
fien. Wenn eine Lehre den Inbegriff der Mvstik erfüllt, dann
die Eckharts, den man darum nicht mit so tinmvstischen,
aber snjritualistischen Gestalten wie Sebastian Franck oder
•'»ich Gottfried Arnold in eine Linie rücken darf. Von dem
original mystischen Anliegen Erkharts aus gilt es, die notwendige
Auswahl seiner Denkmittel aus den überlieferten
r'edankenformen und die diirrhherrschende und verwandelnde
Einheit seines Denkens begreiflich zu machen. Wenn der Verf.
seine Gaben und Kenntnisse künftig noch stärker auf dieses
7-iel richtet, wird er, wie ich glaube, über die kritische Analvsis,
^e er so vorzüglich durchgeführt hat, hinauswachsen und zu

der geschlossenen Eigenart der Gestalt Eckharts noch Wert-
I volles beizutrugen haben.

Leipzig Heinrich Bornkamm

Gil litzer, Berta: Die Tegernseer Hymnen des Cgm. 858.

Beiträge z. Kunde des Bairischen u. z. Hymnendichtung d. 15. Jh.
München: C. H. Beck 1942. (XII, 143 S.) gr. 8" = Forschungen z.
bair. Mundartkde. H. 2. RM5.50.
Die Münchner Staatsbibliothek verwahrt einen kleinen Cgm.
1 858, der ursprünglich mit der Mystikerhandschrift Cgm. !33
i einen Band bildete. Er enthält neben einer Reihe von Prosa-
l gebeten und einer Warnung an die weltlichen Großen, nachge-
1 borene Kinder nicht ohne inneren Beruf ins Kloster zu stek-
! ken, 34 aus dem Lateinischen übersetzte Hymnen und Gebete,
t Die Verfasserin unterzieht sie einer genauen sprach geschieht-
1 liehen Würdigung und kommt zu dem Schlüsse, daß die Über-
1 setzung aus der Zeit des Übergangs vom Mittel- zum Neuhoch-
deutschen und zwar aus der Gegend des Tegernsees selbst, — der
Codex rührt ja aus dem dortigen Kloster Tier — stammt. Diese
I Untersuchung fällt aus dem Rahmen unserer Zeitschrift heraus;
wenigstens fühlt sich Rezensent nicht befugt, darüber ein Urteil
abzugeben, wenn er auch die Umsicht und Einsicht, die
dabei waltete, gern anerkennt. Trotzdem darf hier auf diese
Publikation hingewiesen werden. Sie hat Bedeutung für die
Kirchengeschichte und zwar für die Kenntnis von der Volks-
frömmigkeit am Ausgang des Mittelalters. Ein Blick auf den
Inhalt der hier zusammengestellten Hymnen und Gebete ist
lehrreich. Es handelt sich um Hymnen und Gebete zu Ehren
der Jungfrau Maria, Jesu Christi, auch des Altarsakraments; die
Heiligen treten ganz zurück. Und es sind Gebete, die in ihrer
Schlichtheit und Innigkeit durch die Länge der Zeiten sich forterhalten
haben.

Dadurch wird die Frage nach der Entstehung des Codex bedeutsam
. Von den 34 Stücken hat die Herausgeberin fast überall die
Quelle feststellen können; nur bei zwei Stücken: 13 und 17 gelang
dies nicht. Ebenso sind vor allem bei den Gebeten Zusätze zu finden,
die sich sonst nicht nachweisen lassen. Stück 7 ,,dic Geschichte der
Gründung des Klosters Tegernsee" fällt aus der ganzen Reihe ohnedies
heraus. Nun läßt sich aus dem Ductus der Handschrift feststellen
, daß hier 4 Schreiber tätig waren; auf Schreiber ,,b" geht
nur eine Hymne, auf Schreiber ,,c" 4, auf Schreiber ,,d", den einzigen,
der genannt wird, den Laienbruder Paulus, 2 zurück; die meisten 27
sind Mon ,,a" geschrieben. Aber nicht in allen Fällen sind die
Schreiber auch Übersetzer. Hier fällt ,,b" überhaupt aus. „C" hat
einen Hymnus, ,,d" 2 Gebete übersetzt; die meisten 15 gehören
dem Schreiber ,,a" an. Es wäre nun wohl möglich, vor allem die
Eigenart des Schreibers und Übersetzers „a" nicht nur aus der Auswahl
der auf ihn zurückgehenden Hymnen, sondern auch aus den
mancherlei Änderungen, die er vornahm, festzustellen. Hat er doch
im Hymnus 10 13 Strophen neu eingesetzt und im Hymnus 9 6 Kürzungen
vorgenommen, auch im Hymnus 26 11 Strophen angefügt.
Eine andere Frage ist, ob es je gelingen wird, die Entstehung des
Codex zu klären, die Verfasserin konnte selbst zu keiner Entscheidung
kommen. Wenn diese Frage auch ungelöst bleibt, die Bedeutung
der Arbeit für die Volksfrömmigkeit bleibt.

Nürnberg K. Schornbaum

Ledig, Gerhard: Dantes Göttliche Komödie in den einzelnen Gesängen
aus mittelalterlichem Denken erläutert. Jena: Gustav Fischer
1943. (XII, 460 S.) gr. 8° = Beitr. z. mittelalterl., neueren u. allg.
Oeschichte. Hrsg. v. Friedr. Schneider. Bd. 23. RM 18—.

Gerhard Ledig ist den Lesern des Deutschen Dame-Jahrbuches
durch seine Beiträge bekannt geworden, die vor allein die Idee
des Rechtes und der Strafe untersuchen. In dem vorliegenden Bande
erweist er sich als ein großer Kenner des mittelalterlichen Denkens,
das in dem großen Aquinaten gipfelt. Die göttliche Komödie mit
ihrem unerschöpflichen Reichtum bietet einen besonders eindrucksvollen
Anblick dar, wenn man sie auf Grund der geistigen Beziehungen und
Abhängigkeiten zwischen Thomas von Aquino und Dante betrachtet.
Die Wirkungen, die in diesem Zusammenhange von Ledigs Darlegungen
ausgehen, hat Martin Grabmann in einem großen
Aufsatz des Deutschen Dante-Jahrbuches 1943 untersucht. Ledig
ist Jurist und Kriminalist und setzt damit die deutsche Überlieferung
fort, die von jeher die juristische Mitarbeit an der Erklärung deir
göttlichen Komödie besonders hoch wertete. Sie ist eine der Voraussetzungen
, die zu dem universalen Denken des Mittelalters führt.
Gleichzeitig ist Ledigs Band ein stolzes Zeichen dafür, daß die
deutsche Wissenschaft auch während des Krieges um Probleme
des deutschen und europäischen Geisteslebens mit großem Erfolge
ringt.

Jena, z. Zt. bei der Wehrmacht Friedrich Schneider