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Ausgabe:

1944

Spalte:

109-110

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bloesch, Hansjörg

Titel/Untertitel:

Agalma 1944

Rezensent:

Herter, Hans

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Seite 1

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daß cer Gott „eingeht in die Kühe der schlafenden Tiefe, empfangend«
Weibkraft wird" (148). Der Ymir-Mytlms (Entstehung der We.lt
aus einem getöteten Urwesen) meint, daß die Welt aus göttlichem
Wesen gebaut, ja, daß sie „das göttliche Wesen salbst ist in seiner
gestalthaften Verteilung durch das Weltall" (204). Der Olaulie
an Odins Sehergeist und Weisheit „stammt aus der Erfahrung
einer heiligen GeistgewaM, die durch die Jahrtausende germanischer
Oeschichte wirkt und in der Wikingerzeit die Geburt einer neuen
germanischen Kultur vorbereitete" (218). Die Untersuchung des
Mimir-Mythus, der nach H. zu einer ganz frühen Schicht des germanischen
Glaubens gehört, führt zu folgendem Ergebnis: „Die Ger-
manen waren schon in ihrer Urzeit von dem Glauben erfüllt,
daß der Mensch imstande war, kraft seiner inneren Schau die Geheimnisse
der Welt und des Lebens zu erkennen. Diese Erkenntnis führten
sie auf die Erleuchtung durch die ewige Weisheitsmacht zurück,
die Götter wie Menschen ergriff und begeisterte" (236). „Hier
(im Odin-Mimir-Mythus) liegen die Wurzeln der germanischen Mystik,
strömen die Quellen der Schaukraft und Begeisterung, welche die
Deutschen zum Volk der Dichter und Denker gemacht haben"
(218). Sehr tiefsinnig ist auch die Deutung des Weltbaum-Mythiis,
dessen Wurzeln nach H. bis in die nacheiszeitiliche Kultureipoche
zurückgehen (!) (365 ff.). Er ist Ausdruck für das kosmische Welt-
pefühl der Indogermancn und nur verständlich „aus einer angeborenen
metaphysischen Schaukraft, die ins Innere zu dringen vermag";
sie faßt das Weltall als ein lebendiges Wesen, in dem ein schaffender
Keim wirkt — das innerste Lebensgeheimnis der Welt. „Man war
durch die Betrachtung des Keimes auf einen unsichtbaren Oestalt-
willen gestoßen, auf den man auch bei der Schau in die Tiefe
der eigenen Seele stieß" (343). Endilich sei aus dem Abschnitt
„Runen und Runenweisheit" noch folgende Stelle angeführt: „Dieser
Glaube, daß alles Erscheinende und Werdende von ewigen Oucll-
kräften genährt sei, daß in allem göttliche Form und Wirkkraft
schaffe, ist die tiefe Wurzel der deutschen Philosophie, aus ihr ist
der deutsche Idealismus erwachsen, der im Grunde nichts anderes
ist als eine klar bewußte Darlegung des in den Runenstrophen
Sigrdrifumal 15—17 Oeahnten (!). Und der Glaube, daß diese
.Runen' abgeschabt und in den Begeisterungs- und Erleuchtungstrank
gemischt auch vom Menschen einverleibt werden können, ist der
Mutterboden, aus dem die Überzeugung des deutschen Menschen
erwachsen ist, daß er mit seiner Erkenntnis auch in die inneren Gründe
des Daseins einzudringen, sich mit ihnen zu einen vermöge in heiliger
Ergriffenheit. Es ist die Metaphysik und Mystik des arischen
Menschen, die hier aufkeimt und die in den Upanischadcn und bei
Plato wie bei den deutschen Mystikern und Phi'osophen in herrlichster
Weise zur Reife gekommen ist" (S. 283).

Dies möge genügen. Erstaunlich ist an dieser Betrachtungsweise
— von allem andern abgesehen — der gänzliche
Mangel an historischem Raumsinn. Daß die Edda, die Upani-
schaden, Plato, Eckehart, Ooethe verschiedenen Epochen und
Kulturwelten angehören, deren jede ihre eigene, an ihren
geschichtlichen Ort gebundene Geistigkeit besitzt, bleibt völlig
außer Betracht. Es fehlt das Oefühl für die ungeheuere geistes-
Reschichtliche Distanz, die uns von den Germanen der vorchristlichen
Zeit trennt. Die Spenglersche „Gleichzeitigkeit"
hatte als geschichtsphilosophischer Hilfsbegriff immerhin eine
gewisse Berechtigung. Hier wird mit einer Methode, die alle
Geschichtlichkeit neeiert, den Schöpfern der indogermanischen
und germanischen Mvthenwelt eine Weltanschauung beigelegt,
die sich von dem pantheistischen Monismus eines Gottgläubigen
des 20. Jahrhunderts in nichts unterscheidet. Hauer ist zwar
der Meinung, daß „man den Oermanen viel mehr zutrauen
müsse als bisher" (251). Der Oesamteindruck seines Buches
dürfte hei den meisten Lesern doch der sein, daß es des
mystischen Tiefsinns reichlich viel ist, was den alten Germanen
hier zugemutet wird.

Leipzig Walter B a e t k e

Bioesch, Hansjörc: Agalma. Kleinod, Woihgeschenk, Götterbild.
Pin Beitrag zur frOhgricchischen Kultur- und Religionsgeschichte. Bern :
Rcnteli 1943. 40 S., 4 Taf. 8". Fr. 3.80.

Das Büchlein verfolgt die ■ Bedeutungsentwicklung des Wortes
«V*fcua. Die älteste Bedeutung „Kleinod" ist in der frühen Dichtung
faßbar, wird aber noch von Pindar und den Tragikern, ja noch
Späteren festgehalten (besonders im übertragenen Sinne); die verwerte
Bedeutung „Weihgeschenk" zd&t sich in Ansätzen ebenfalls
■*On bei Homer und herrscht in archaischer Zeit, doch kommt be-
re'<s im 6. Jhdt. (Hcraklit fr. 5. Inschr.) die Bedeutung „Oötterbild"
*uf, innerhalb deren der Unterschied von Kult- und Weihbild vom
Verfasser beachtet und diskutiert wird. Etwas gesucht wirkt manchmal
die hintergründliche Beleuchtung der Triebkräfte dieser Bedeutungsentwicklung
. Es leuchtet ein, daß fiyaXua als Ausdruck für
•.Kultbild" erst nach der Scheidung der Oottheit von ihrem Bilde
"ötiß wurde, da man vordem von der im Bilde gegenwärtigen

Gottheit als solcher mit ihrem bloßen Namen sprach; wenn der
Verfasser dann aber weiter meint, daß S/faXfM erst von dieser Bedeutung
„Kultbild" in die allgemeinere Bedeutung „Standbild" über-
gegangen sei und daß diese Entwicklung auch wieder durch die
Entwertung des Bildes zugunsten einer reineren und sublimeren
Gottesvorstellung Vorschub erhalten habe, so steht dem entgegen,
daß die Bedeutung „Standbild" kaum später als die Bedeutung
„Kulltbild" bezeugt ist. Viel näher liegt die Annahme, daß uyedua
von der allgemeineren Bedeutung „Weihgeschenk" zu der spezielleren
„Weihbild" kam (vgl. E. Reisch, Real-Enzykl. d. klass. Alt. s. v.
Agalma) und dann das Oötterbild schlechthin bezeichnete, ohne daft
direkt ausgedrückt wurde, ob es sich um ein Kult- oder ein Weihbild
handelte; auch Heraklit fr. 5 ist in dieser Beziehung keineswegs»
eindeutig, da ja auch Weihbilder verehrt werden konnten. Bioeschs
Büchlein beruht auf einer philologisch-archäologischen Untersuchung,
die aber in der an einen weiteren Leserkreis sich wendenden Darstellung
nur unvollkommen in Erscheinung tritt; vier schöne Illustrationen
werden beigegeben, ohne daß im Text darauf Bezug genommen
würde. Die Zitierweise in Anm. 67 ist sehr revisionsbedürftig.
Zum späteren Gebrauch von fivaXua s. Ad. Wilhelm, Wien. Stud
LIX 1941, 104.

Bonn Hans Herter

ALTES TESTAMENT

Hölscher, Gustav: Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung
. Heidelberg: Carl Winter 1942. (115S.)gr. 8° = Sitz.-Ber.
d. Heidelb. Ak. d. Wiss. Phil.-tust. Kl. Jg. 1941/42. Abh. 3. RM 5.80
Nach einer kurzen Einleitung (S. 5), die als Aufgabe der
Untersuchung die nennt, aufzuzeigen, daß die mit einiger Sicherheit
ausscheidbaren jahwistischen Bestandteile von Genesis bis
1. Regum „das umfassende planmäßige Werk eines Historikers"
darstellen, wird im ersten, „Der Jahvist'" überschriebenen
Abschnitt neben anderem zweierlei herausgehoben, einmal, daß
die In dem nicht-priesterschriftlichen Bestand von Gen. 1—11
deutlich und anerkanntermaßen vorliegenden Doppelheiten nicht,
wie üblich, auf zwei jahwistische Erzählungsstränge zu verteilen,
,,ondern mit S. Mowinckel dem einen Jahwisten und
dem Elohisten zuzuweisen seien, sodann, daß J und E nicht
mit dem Schluß des Hexateuchs aufhörten, sondern, wie von-
C. H. C o r n i 11 und K. Budde gezeigt worden sei, bis in
das Königsbuch hinein weiter liefen, und zwar J bis 1. Reg.
12,19, wobei überall nur mit einem jahwistischen Fader zu
rechnen sei (S. 6-13). Der folgende Abschnitt, „Analvse"
(S. 13—31) führt die aus Gen. 2— l.Reg. 12,19 an J ' zu
weisenden Erzählungen, Gedichte, Notizen und Listen vor und
begründet in ausführlichen, die untere Hälfte der Seiten und
mehr füllenden Anmerkungen diese Zuweisung im einzelnen.
Die sich an die Analyse anschließenden vier Abschnitte, „Komposition
" (S. 32-45), „Stoff und Gestaltung" (S. 45—81),
„Entstehungszeit und Leitgedanke" (S. 82—98), „Geschichte
und Idee" (S. 98—115) bringen sodann die Lösung der
eigentlichen aufgäbe, nämlich die Würdigung des von der
Analyse für I in Anspruch genommenen Gutes als Werk eines
auf Grund ihm vorliegender Überlieferungen und eigener Beobachtungen
mit bestimmter Tendenz planmäßig arbeitenden
j'udäischen Verfassers aus der Zeit um die Wende vom 9.
zum 8. Jahrhundert v. Chr.

Einzelsagen oder kleinere Sagenkränze sowie vereinzelte Nöthen
und Namen samt genealogischen Listen mannigfacher Art
haben - so tührt „Komposition" aus — dem J für die erste,
größere Hälfte seiner Darstellung der an die Anfänge von Welt
und Menschheit angeknüpften Geschichte Israels, nämlich bis
zu den von der Entstehung des Königtums handelnden Erzählungen
hin den Stoff geliefert, und seine Aufgabe bestand hier
in der geschickten Verknüpfung dieser Elemente, etwa zu der
von Abraham und Lot, von Jakob und Esau sowie von Jakob
und Laban handelnden Komplexen, sodann in der freien Erdichtung
neuer Erzählungen wie der von der Werbung um
Rebekka in Gen. 24 als Bindeglieder. Mit Saul oder jedenfalls
mit David hört diese Arbeitsweise auf, und die lockere Aneinanderreihung
von Einzelelementen wird nun abgelöst durch
eine zusammenhängende planvoll gestaltete Darstellung. — „Stoff
l und Gestalt" charakterisiert die Einzelelemente, von denen die
Rede war, genauer. Die von der „Sagenzeit" handelnden Erzählungen
, d. It, vor allem die der Genesis, sind überwiegend
mythischer Art, und zwar nicht nur die der Urgeschichte in
Gen. 1 — 11, sondern auch die der Vätergeschiente in Gen.
1 12—50. Die Patriarchen sind nämlich durchweg nicht etwa
Personifikationen von Völkern und Stämmen oder g?.r histori-
'< sehe Persönlichkeiten, sondern vermenschlichte kanaanäische
( Lokalgöttor, Isaak wie Abraham, Joseph wie Jakob und darüber
| hinaus auch Josua. Auch für die Folgezeit, die Zeit von Is-