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Ausgabe:

1944

Spalte:

87-89

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Neuberg, Arthur

Titel/Untertitel:

Das neue Weltbild der Physik 1944

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 3/4

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von ihr noch gesagt, sie sei „universelle". Was ist das anderes als '
katholisch, das heißt „alles umfassend"? — Die Weisheit der Eidechse
aber zeigt sich darin, daß sie sich auf ihre ,,Hände" .stützt. . . Doch
Claudel erklärt uns nicht nur die nicht immer leicht verständliche
Tiersymbolik der Bibel, er selbst zeigt uns, in Bildern aus dem
Tierreich, wie wir unsere Aufgabe zu erfüllen haben. (Maurer, S.
92 f .).

In der eigenen Symbolik Claudels findet sich manches
Schöne, z. B. in der Darstellung des Aufeinander-
angewiesenseins der ganzen Schöpfung, wenn es natür-
lieh auch keine „objektive Symbolik" ist. Er will auf
die Sprache lauschen, die Gott in die Dinge gelegt habe.
Aber jedes Ding weist ihm nicht nur allgemein auf
Gott hin, sondern jedes Geschaffene ist ihm Bild und
Symbol eines anderen. Auch hier gibt Klara Maurer
so viel Beispiele, Belege und Erläuterungen, daß die
„Symbolik" Claudels völlig klar wird.

Breslau Wilhelm K n e v e 1 s

Neuberg, D. Arthur: Das neue Weltbild der Physik. In seinen
Grundzügen und Hauptergebnissen betrachtet. 3., durchges. Aufl.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1941. (158 S.) gr. 8° = Das
naturwissenschaftl. Weltbild d. Gegenwart, 1. Teil. RM. 4.80.

Ders.: Das Weltbild der Biologie. In seinen Grundzügen u. Haupt
ergebnissen betrachtet. 2. Aufl. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
1941. (167 S.) gr. 8° = Das uaturwiss. Weltbild d. Gegenwart. 2. Teil.

kart. RM 4.80.

Mit einer erstaunlichen Beherrschung der schwierigen Arbeitsmethoden
und -ergebnisse der modernen Physik und Biologie
entwickelt Neuberg das „naturwissenschaftliche Weltbild
der Gegenwart". Seit vielen Jahrzehnten ist er diesen naturwissenschaftlichen
Fragen nachgegangen (2,147). Ähnlich wie
es Titius in seinem großen Werk „Natur und Gott" getan hat,
legt auch Neuberg in diesen beiden Bänden nicht nur Rechenschaft
ab von seinem jahrelangen Forschen und Mitdenken, sondern
er überprüft auch die Zusammenhänge dieser neuen Erkenntnisse
mit der christlichen Religion. Der erste Band hat
die ausdrückliche Anerkennung von Max Planck erfahren. Neu-
berg versteht unter dem neuen Wellbild nicht das durch
Kopernikus geschaffene, sondern das der letzten 40 Jahre.
Er grenzt dieses als das Ergebnis rein wissenschaftlicher Forschung
streng gegen jede Weltanschauung ab, die er dem Bereich
der Philosophie und der Religion zuweist.

Zunächst behandelt er im ersten Bande in klarer Übersicht
und gut verständlicher Darstellung die Atomphysik, die Atherphysik,
die Astrophysik und die Geophysik. Sodann geht er auf die drei
Grundzüge des modernen Weltbildes näher ein, auf die dynamische,
ganzheitliche und quantitierende Betrachtungsweise. Besonders bei
dem dritten Grundzug, der scheinbar im Gegensatz steht zu den
beiden zuerst genannten (87), muß Neuberg feststellen, daß durch
die konsequente Anwendung des Rationalen die Physik selber an die
Grenze des Rationalen gekommen ist und vor dem Metaphysischen
steht. Er bezeichnet diese Feststellung als den überraschendsten
Zug der neuen Physik. „Rational war ihre Methode, jene quantitierende
Methode, — und ihr Ziel ist die Erkenntnis und das offene
Eingeständnis, daß gerade das Rationale, die unbegreifliche Rationalität
der Natur, auf das führt, was die Ratio allein nicht erklären
kann, daß es transphysikalisch, metaphysisch ist." (91).

Trotz der großen Wende in der Physik spricht Neulierg aber
nicht von einem Umsturz, sondern von einer Umwandlung in ihr.
Die Naturgesetze und besonders das Kausalgesetz haben nichts von
ihrer unbedingten Gültigkeit eingebüßt, auch wenn im physikalischen
Oebiet, besonders in der atomaren Welt, die strenge Determiniertheit
durch die Wahrscheinlichkeit eingeschränkt worden ist. Gewandelt
hat sich lediglich die Auffassung von der Kausalität. „Es
kann wohl sein, daß sich einmal zwei Kausalreihen überkrcuzeni,
sich so überlagern, daß die eine die andere aufhebt, aber unkausal
kann es für die Wissenschaft niemals zugehen." (99) Neuberg legt
auf diese Feststellung besonders als Theologe großen Wert, weil
er den Gottesgedanken nicht gegen die Gesetze, sondern in ihnen
verstanden wissen will. „Wer kausal denkt, denkt in der Richtung
Gottes" (99; dieselben Gedanken kommen im 2. Bande wieder,
2, 130).

In dem letzten Abschnitt behandelt Verf. die Fragen der Weltsicht
. Es geht hier um die Fragen nach dem Sinn des Ganzen,
die der denkende Mensch gegenüber aller Erkenntnis erhebt. Zunächst
weist Neuberg darauf hin, daß die wissenschaftliche Weltbetrachtung
nicht zu einer sog. naturwissenschaftlichen Weltanschauung
mißbraucht werden darf, die sich als philosophische Deutung wissenschaftlicher
Erkenntnisse ausgibt und in deren Namen gegen die
Religion Stellung nimmt. Ein solcher Versuch überschreitet den
streng wissenschaftlichen Bereich und macht aus der Natur als I

einem Objekt der Forschung ein Objekt de-. Glaubens, Die echte Natur»
Wissenschaft ist weder berufen, Gott zu beweisen, noch berechtigt, ihn
zu leugnen. Daher erkennt Neuberg die großen wissenschaftlichen Verdienste
von Haeckei bedingungslos an. Seine spottende Bemerkungen
über Gott als ein gasförmiges Wirbeltier bezeichnet er aber als
Hilflosigkeit. Darin spiegelt sich nur die Unfähigkeit, religiöse
Oedankcn zu denken. (102, vgl. auch 2,54). Bei aller Freiheit,
die Neuberg für die Wissenschaft fordert, verlangt er aber gegen
Haeckei (10'J) eine Verantwortung vor dem Volk. (109 f.; 2,129).
Sie darf nichts zerstören, wenn sie besseres nicht an die Stelle
setzen kann. Auch wird mit Recht in diesem Zusammenhange
auf Krieck hingewiesen, der sich bewußt einer Haeckelreuaissance
innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschauung entgegengestellt
hat. (103).

Im Ganzen stehen heute die Erkenntnisse der Naturwissenschaft
in einem positiveren Verhältnis zur christlichen
Glaubensüberzeugung, als dies- im vorigen Jahrhundert der
Fall war. Die Ordnung in der gesamten Natur bestätigt geradezu
die Annahme eines Urwillens, einer Entelechie oder
eines Gesetzgebers, sodaß ein Gegensalz zwischen Naturwissenschaft
und Schöpfungsglauben nicht zu entstehen braucht.
Auch ist es keineswegs notwendig, aus der Determiniertheit
des gesamten Geschehens einen Determinismus als Weltanschauung
im Sinne des Fatalismus zu folgern. (118) In der
atomaren Welt sind durch den „Unbestimmtheitsrand'' du- Erscheinungen
der Wirklichkeit dem Determinismus, der für die
makrokosmische Welt gilt, Schranken gesetzt. Bei der ..wesentlichen
Unbestimmtheit" (119 f.) kann hier der Determinismus
nicht als die letzte Lösung in Betracht kommen. Auf keinem
Gebiet spricht daher heute die Physik von einem „Unmöglich
"; höchstens gelangt sie bis zu einem „Unwahrscheinlich
". Zwar könnten sich aus dieser Selbstbescheiduug bedeutsame
Folgerungen für die Denkmöglichkeit der Wunder und
der Gebetserhörungen ziehen lassen. Aber Neuberg sieht mit
Recht in diesen positiven Hindeutungen der Naturwissenschaft
auf die Religion keine wissenschaftliche Beweisgrundlagen für
den Glauben. Sie sind auch für die Apologetik nicht geeignet;
denn grundsätzlich herrscht in der Naturwissenschaft Neutralität
, während die Religion Entscheidung verlangt. (122) Der
Übergang erfolgt daher nicht direkt, sondern durch einen
metaphysischen Sprung. Zwei Forscher können daher von der
Naturwissenschaft aus zu entgegengesetzten religiösen Urteilen
gelangen. (123) Der religiöse Glaube sieht zwar keine andere
Welt als der Naturwissenschaftler. Aber er sieht die gemeinsame
Welt von innen her. Seine Weltbetrachtung gründet
sich nicht allein auf die Ratio, sondern schließt das Gemüthafte
mit ein und bezieht sich auf den ganzen Menschen,
auch in seinem Leid und in seiner Freude.

Abschließend spricht Neuberg von zwei Aufgaben, die
sich an den naturwissenschaftlichen und an den religiösen Menschen
wenden: 1. Die Wissenschaft muß frei sein, ohne Tendenz
für oder gegen die Religion. 2. Die Theologie muß die
Wissenschaft ohne Eingrenzung forschen lassen. (125) Es
gibt grundsätzlich für die Erkenntnis keine Grenzen. Neuberg
erkennt auch die drei Welträtsel nicht an, die Dubois-
Reymond für grundsätzlich unlösbar erklärt hatte: Das Wesen
von Materie und Kraft, den Ursprung der Bewegung und die
Willensfreiheit (125); im 2. Bande läßt er allerdings zwei
letzte Welträtsel für den Naturwissenschaftler gelten: I Icht
und Leben (2,126).

Die vorsichtig abwägende Art bei der Behandlung der
beiden Gebiete ist sehr begrüßenswert, vor allem, daß er den
unberechtigten Grenzüberschreitungen mit Entschiedenheit entgegentritt
, sowohl im Namen der Wissenschaft als auch im
Namen der Religion. Im 2. Bande entscheidet er sich in dieser
Frage der Beziehung ausdrücklich für die Distanz. (2,132)
Trotzdem scheint mir der innere Zusammenhang stärker betont
werden zu müssen. Auch die Religion hat bereichernde
Bedeutung für die Wissenschaft. Max Planck spricht z. B.
davon, daß Religion und Naturwissenschaft einander „ergänzen
und bedingen" (Planck, Religion und Naturwissenschaft,
Leipzig 7. Auflage S. 31), Planck denkt vor allem an die
Einflüsse, die die Religion durch das Ethos für den wissenschaftlichen
Menschen ausübt. Dies gibt Neuberg auch zu.
(2.130 f.) Es ist aber auch daran zu erinnern, daß der
Glaube durch seine Sinnbejahung des geglaubten Ganzen grundsätzlich
überhaupt die Zuversicht und den Impuls zur Erforschung
des Universums mitbegründet. In diesem Sinne hat
z. B. Kant trotz der Antinomien, die sich im Blick auf den
Schöpfungsglauben ergeben, an diesem festgehalten (Kritik der
reinen Vernunft, Reclamausgabe 354 ff., 484, 532). Dieser
bot ihm nicht eine Erklärung für das Anfangsproblem dar,
sondern eine Sinngebung des ins Unendliche zurückgehenden
Forschungsdranges. Wenn in der Forschung die Spuren des