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Ausgabe:

1944

Spalte:

76-77

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Panzram, Bernhard

Titel/Untertitel:

Geschichtliche Grundlagen der ältesten schlesischen Pfarrorganisationen 1944

Rezensent:

Eberlein, Hellmut

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Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 3/4

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Heinrichs !. von England, am Tage der Kreuzerfindung eine belagerte
Burg zu stürmen: die kultische Waffenruhe entspricht germanischer
Tradition (S. 138).

Das 4. Buch, das „das Schisma, Lothar und Roger II." /.um
Gegenstand hat, beginnt mit dem auch sonst die Darstellung beherrschenden
Satz, daß die Genealogie der Schlüssel zum Verständnis
der deutschen Geschichte sei. Das Urteil des Vcrf.s über die Erhebung
Lothars verrät sich in der Vermutung, ei könne Reue über
die selbstsüchtige welfischc Familienpolitik gewesen sein, was den
Schwiegervater Kaiser Lothars, Herzog Heinrich den Schwarzen,
ins Kloster getrieben habe (S. 169). Auf die weltgeschichtliche Bedeutung
der Feindschaft der Normannen gegen die Übrigen Germanen
weist S. 179 hin. Die Schilderung des Schismas führt die Gestalten
Bernhards von Clairvaux, Norberts von Xanten und anderer kirch-
licher Führcrpersönlichkeitcn ein: hier zuerst scheinen sie in die größere
Geschichte einzugreifen. E'ienso tritt die Bedeutung der französischen
Theologie hier von neuem ans Licht der Weltgeschichte.

Das 5. Buch berichtet über ,,die Schwäche des deutschen Reiches
unter Lothar und Konrad III- 1131—1110". Mit Fug rechnet
es der Verf., der sonst die Regierung Lothan großer Schwäche
zeiht, dem Kaiser zu hohem Ruhme an, daß er als erster seit Otto
d. Gr. die Slawenmiiissiou ernstlich wieder in Angriff genommen hat.
Unter ihm hat Vizelin seine segensvolle Arbeit begonnen. Dagegen
mag es ja bei Diplomaten anders sein, aber ob man bei einem Erz-
bischof, wie der Verf. es Adalbero von Trier nachsagt (S. 206),
,,abgefeimte VerSteUungskunst" unter seine „reichen Oiben" einzureihen
hat, dessen bin ich nicht so sicher.

Das 6. Buch schildert unter dem Ohcrtitcl „Das Abendland
vor dem zweiten Krcu/zug" die italischen, französischen und englischen
staatlichen Verhältnisse. Als mittelalterlicher Vorläufer des
modernen Gaskriegsverbots sei erwähnt, daß das Lalcrankon/il von
1139 die Verwendung von Armibmsten und Bogen gegen Christen
untersagte (S. 257).

Dan 7. Buch faßt zusammen, was ,,das Morgenland und Ostrom
zwischen dem 1. und 2. Krcuzzu:" erlebt hat. In dieser Zeil und
durch Bohemund sei zum erstenmal der religiöse Kreuzzugsgedanke
in den Dienst der MachtpotHIk gestellt worden (S. 305). Unter
den Beweggründen zur Kreuzzugsteiljiahme erscheint mehrfach die
Reue über begangene Sünden: die Kreu/nahmc ist die Bußübuug des
Ritters. Nicht recht klar ist, warum die Exkommunikation König Philipps
als „ein für die französische Kirche beschämender Vorgang"
„gerade für die Barone einen starken Anreiz" /ur Kreuzfahrt bilden
mußte (S. 297), zumal ja nach dem Verf. ein gleiclies Geschehnis
seinerzeit die deutschen Ritter vielmehr zu Hause hielt. Dagegen
entspricht es mittelalterlichem Denken, wenn der Bruder und Nachfolger
Philipps, Ludwig VII., nicht nur zur Buße für eigenen Frevel,
sondern um dein verstorbenen Bruder den himmlischen Lohn zuzuwenden
, den von diesem gelobten Zug ausführte (S. 340). Welche
Folgen die Auffassung der Kreuzzugsbeteiligung alt einer SOhndeistung
gehabt hat, darauf weist der Aufruf Bernhards von Clairvaux hin:
„Ist es röcht eine ausgesuchte Gelegenheit zur Rettung, daß Gott
Mörder, Räuber, Ehebrecher, Meineidige und andere Verbrecher zu
seinem Dienst aufzurufen die Gnade hat?" (S. 311). Solchen zuchtlosen
Scharen gehört nach S. 345 mit die Hauptschuld am Scheitern
des großen Unternehmens.

Damit aber stehen wir schon bei diesem selbst, das zusammen
mit seiner Vorgeschichte und dein sächsischen Siitenstück des Wendenkreuzzugs
im 8. Buch behandelt wird. Auch der Slawenkreuzzug
steht ja unter dem Einfluß Bernhards, wenn auch bei den Urhebern
die machtpolitischen Interessen überwogen. Ober die Führer des so
schmählich geendeten Hauptzuges, auch Konrad III., urteilt der
Verf.: „Ihre Taten verdienten, in Heldenliedern, nicht aber in der
politischen Geschichte verherrlicht zu werden" (S. 3fin).

Das letzte Buch folgt dem Gang der spanischen Recompiista,
zu der auch der 2. Kreuzzug mit der Eroberung Lissabons durch
Niederdeutsche und Engländer einen beachtlichen Beitrag geliefert
hatte, während der Jahre 1094—1148, dem Zeitalter des Cid.
Es .ist die Zeit, in der sich auf der Pyrenäenhalbinsel im ständigen
Kampf gegen die muslimischen Staaten ein christliches Rittertum
ausbildete, das später zum Hauptträger des spanischen Geistes der
Gegenreformation werden sollte.

Ein „Rückblick" vergegenwärtigt schließlich die Haupt-
geschehnisse des geschilderten halben Jahrhunderts, unter ihnen
als die zwei ,,im höchsten Sinn weltgeschichtlichen Ereignfese"
den 1. tind 2. Kreuzzug. Zu deren Einwirktingen rechnet der
Verf. besonders die Ausbildung des Rittertums. Führend in
diesem Zeitraum war kein Staat, sondern die Kirche, die sich
im Investittirstreit allen weltlichen Gewalten überlegen gezeigt
hatte. In der deutschen Geschichte dieser Zeit , erscheinen
der Norden und Osten nirhl vernachlässigt, die nicht minder
wichtige West- und Südpolitik aber nicht ebenso erfolgreich.
Die Bedeutung des Zeitalters gilt als wesentlich vorbereitend:
die kolonialen Erobeningen der neueren Zeit nehmen in den

Kreuzzügen und der deutschen Ostsiedlung ihren Anfang.
Auch diese aber sind nur zu verstehen im Zusammenhang der
gleichzeitigen Ereignisse im Al>endland und Morgenland.

Man wird solchen zusammenfassenden Urteilen, sowohl
| was den Rang der Ereignisse angeht, wie in der Warnung vor
ihrer Isolierung weithin folgen können. Eine Frage bleibt doch
gegenüber der anschließenden Sentenz: „Die Weltgeschichte
ihrer Zeit unter dem Gesichtspunkt der Macht eröffnet uns
tiefere Einsichten und schützt uns vor einseitigen Urteilen"
(S. 34(>). Denn wenn etwa unter den „tieferen Gründen"
(des hundertjährigen englisch-französischen Krieges) die Schönheit
der Königin Eleonore genannt, dagegen das eigentliche
Lebenswerk Bernhards von Clairvaux übergangen wird, obwohl
dieser als die einzige durchaus überragende Persönlichkeit des
Zeitalters anerkannt bleibt, so muß das Recht der Beschränkung
auf die äußere Politik fraglich werden: es geht auf Kosten
eines wirklich tieferen Verständnisses. Die Geschichte wird zum
bloßen Schauplatz und Rahmen des wahrhaft bedeutenden
Geschehens entleert. Abgesehen von diesem freilich grundsätzlichen
Bedenken gebührt dem Verf. Dank für die Umsicht,
die Weite des Blicks mit Sorgsamkeit der Einzelforschung verbindet
.

Göttingen Hermann Dörries

P a n z r a m, Dr. theol. habil. Dr. jur. Bernhard: Geschichtliche Grundlagen
der ältesten schlesischen Pfarrorganisation. Breslau:
Müller n. Seiffeit 1940. (IV, 156 S., 3 Ktn.) 8°. RM 15—,

Um die Jahrhundertwende (1902) erschien das bekannte
Werk von H. Neuling, Schlesische Kirchorte u. kirchl.
Stiftungen bis /um Ausgang des Mittelalters in 2. Auflage.
Durch die Forschungen der letzten vier Jahrzehnte ist dieses
i Buch überholt. Panzram arbeitet an einer völligen Neubearbeitung
. Eine Vorstudie dazu ist sein vorliegendes Werk
über die „Geschichtlichen Grundlagen der ältesten schlesischen
Pfarrorganisationen." Es ist in der Hauptsache ein Register
buch: Nach nur einigen vierzig Seiten historischer
Ausführungen bringen S. 43—90 die Liste der vier Archidia-
konate Schlesiens (Breslau, Qlogau, Liegnitz u. Oppeln) mit
ihren ca. 40 Axchipresbyteriaten; S. 91—126 die Kirchorte
J Schlesiens bis zum Ende des Mittelalters (1500) und zwar in
der Reihenfolge ihrer urkundlichen Erwähnung. Es handelt
sich im ganzen um 1400 Pfarrorte; nur muß bei diesem Register
stets im Auge behalten werden, daß die erste urkundliche
Erwähnung und das tatsächliche geschichtliche Grün-
dungsdatum keineswegs identisch sind. Sehr oft wird, worauf
auch der Verfasser hinweist, Kirche und Pfarrei älter sein als
j die erste urkundliche Erwähnung, die wir zufällig heute von
I ihnen haben. Auch wird diese Liste noch mancherlei Be-
i richtigungen und Ergänzungen erfahren; solche hat A. Moe-
j perl in seiner Besprechung des Werkes (Archiv für schlesische
; Kirchengeschichte, Bd. V, 1940, Seite 256/8) schon angemeldet.
! Den Schluß des Buches bildet ein alphabetisches Verzeichnis
der Kirchorte, S. 127-150.

So kurz auch die geschichtliche Einleitung zu den
: genannten Registern ist, so wichtig und bedeutsam sind doch diese
| 46 Seiten, einmal deswegen, weil sie ein Bild von dem augenblicklichen
Stand der wissenschaftlichen Forschung in gedrängter Kürze
geben, sodann aber auch, weil sie die einschlägigen brennenden
Fragen und Probleme gut herausstellen. § 1 (S. 5—9) befaßt sich mit
der Besiedlung und den Kirchorten des Bisiinns Breslau in slawischer
Zeit und kommt /u dem Urteil: „Für die -law ische
Zeit fehlen in Schlesien sämtliche volklichen und wirtschaftlichen
, Voraussetzungen für die Gründung zahlreicher Kirchen auf dein
Lande." (S. (>); die Besiedlung war so dünn, daß nicht einmal die
alte Siedliuigsfläehe der Steinzeit erreicht wurde. Nur 21 Kirch-
orte lassen sich in den Zeiträumen bis 1200 nachweisen. In § 2
geht P. zu den Anfängen der deutschen Besiedlung über (S. 9-29),
die er mit gutem Grunde schon in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts
setzt. „Die Besiedlung Schlesiens war zunächst ein w i r t-
icbaftliehet Unternehmen" (S. 24); völkische Gesichtspunkte
und Spannungen traten erst später auf, erstmalig bei der
Erörterung des „Fastenstreites" auf der Provin/ialsynode von 1218.
Bis dahin kann mau sagen: „Die Herzöge und Bi-chöfe wünschten unter
allen Umständen die Besiedlung und Urbarmachung des Landes. Ob dies
von Deutschen oder Polen, von Menschen cujuscumque kliomatis durchgeführt
wurde, stand für sie nicht im Vordergrund." Im § 3 wird das
O b e r g e w i c Ii t der deutschen Siedler über die Polen (S. 29—35)
und zwar etwa von der Mitte des 13. Jahrhunderts an, nachgewiesen.
Dies Obergewicht verdanken die Deutschen sowohl der weit größeren
Mcitsclicnzahl wie der überlegenen Wirtschaftstechnik. Alle
Versuche polnisch-klerikaler Macht, den Einfluß der Deutschen zurückzuschrauben
, kamen zu spät! (Nebenbei bemerkt, hier muß es auf
S. 30, Anm. 77 Thomas I (1232—1208) nicht Thomas d. II. hei-