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Ausgabe:

1944

Spalte:

32-33

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Preuß, Hans

Titel/Untertitel:

Martin Luther 1944

Rezensent:

Echternach, E.

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Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 1/2

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ein wenig Welt sein lassen müsse", machte Bucer den Versuch |
einer Gemeinschaft ernster Christen innerhalb der Kirche, die i
in relativer Unabhängigkeit vom Rat die Dinge gestalten und
■lieh Kirchenzucht und Bann ausüben sollte. Aber der Rat j
erklärte ein kirchliches Zuchtinstitut als Anmaßung des Schwer- !
tes durch die Prediger und verbot schließlich die Gemeinschaft
überhaupt. Es blieb bei einer obrigkeitlichen Sittenzucht, die I
aber dauernd lässiger verfuhr, als es die Prediger für recht
hielten.

Selbst von der berühmten Kirchenzucht in Genf zeigt Köhler
, daß sie, trotz aller Bemühungen Calvins um Kirchenzucht
als Sache der Kirche, keineswegs reine Kirchenzucht, sondern
daß die Obrigkeit dabei stark beteiligt war. Köhler betont
sehr entschieden, daß das Genfer Konsistorium rechtlich
eine nur bescheidene Stellung und daß auf die Wahl seiner |
Mitglieder der Rat einen starken Einfluß hatte. Er empfindet
es als fast wunderbar und nur durch die Macht von Calvins
Persönlichkeit erklärlich, daß er trotzdem so etwas wie „der
Papst von Genf" wurde. Auch die von Calvin nach schweren
Kämpfen durchgesetzte endgültige Zuerkennung des Bannrechts
an das Konsistorium, dieser größte Triumph von Kirchenzucht
in der Hand der Kirche, war nach Köhler kein voller Triumph,
sondern zugleich ein Bankerott der Kirchenzucht, weil der
Bann schließlich nur durch obrigkeitliche Zwangsmaßregeln
wirksam wurde. Mag dies Urteil etwas zu weit gehen, so hat
Köhler doch deutlich gezeigt, daß es sich auch hier letztlich
um eine Zusammenarbeit von Kirche und Obrigkeit handelte.

Köhler sieht mit Recht Ehegericht und Sittenzucht als eine
große Leistung des reformierten Protestantismus an. Es sei
darauf hingewiesen, daß bezeichnender Weise ein Mann wie
Pestalozzi diese der sittlichen Erz'ehung des Volkes dienende
Seite der Züricher Reforma'ion besonders geschätzt hat. Doch
schränkt die Härte des Zwanges und der Strafen, wie sie namentlich
in Genf herrschten, diese Wertschätzung erheblich ein.
Köhler weist darauf hin, daß diese Sittenzucht wegen der
steigenden Emanzipation des Staates von christlicher Bevormundung
schließlich scheitern mußte und daß sich diese
Emanzipation schon in den zahllosen Spannungen zwischen
Obrigkeit und kirchlichen Tendenzen in der Reformationszeit
, von denen sein Buch zu berichten hat, ankündigte.

Wie in Genf der Zwang besonders hart war, so ist auch
das ein Unterschied besonders von Genf, aber auch schon von
anderen Orten, zu Zürich, daß in Zürich alles an das Ehegericht
angeknüpft wurde, später aber Sitten- und Ehegericht
auseinander treten. Zumal in Genf wurde ein Ehegericht erst
spät ausgebaut. Schließlich bleibt auch die starke Tendenz Calvins
auf eine möglichst selbständige Kirchenzucht ein Unterschied
, so klar Köhler erwiesen hat, daß sie sich nur sehr bedingt
durchsetzte und daß auch in Genf auf dem Gebiete
der Sittenzucht Kirche und Obrigkeit zusammen gearbeitet
haben. Ich würde diesen Unterschied, der für die ganze Geschichte
des Calvinismus bedeutsam geworden ist, den Köhler
nicht verkennt, noch etwas stärker hervorheben. Aber damit
bleibt Köhlers durch seine umfassende Arbeit erwiesene Hauptthese
unbestritten, daß die ganze in Genf gipfelnde Entwicklung
ihren Ursprung in Zürich und ein besonders wichtiges
Mittelglied in Straßburg gehabt hat.

Bern Heinrich Hoffmann

Tacchi Venturl, Pietro: Storia della Compagnia dl Gesü In
Italia; Vol. primo, seconda ed : parte prima: La vita religiosa in
Italia durante la prima eta della cornpagnia di Oesü, XLIV, 484 pag.
gr. 8°; parte seconda : Docnmenti XVI, 396 pag., 1931 ; Vol. secondo,
prima ed.: Dalla nascita del fondatore alla solenne approvazione dell'
ordine (1491 —1540), XLIV, 423 pag., 1922. Rom: Civiltä Cattolica. )
1896 beauftragte der dama'ige Jesuitengeneral Luis Martin j
den 1861 geborenen Jesuitenpater Pietro Tacchi Venturi, die
Geschichte der Gesellschaft Jesu in Italien von ihren Anfängen
bis zur Aufhebung des Ordens unter Klemens XIV.
darzustellen.

1010 erschien der erste Band des Werkes, enthaltend
eine Darstellung des religiösen Lebens In Italien während
der ersten Periode der Gesellschaft Jesu samt einer je;cheii
Beigabe von Dokumenten. 1931 wurde dieser erste Band
neu herausgegeben, und zwar sowohl in der Darstellung als
in der Sammlung der Dokumente so erweitert, daß er in
zwei Halbbände zerlegt werden mußte. In zwanzig Kapiteln
werden folgende Themen behandelt: die römische Kurie bis
zur Erwähhinfr Pauls III., die Lage des italienischen Episkopates
, die Bildung und die Sitten des Säkular- und Ordensklerus
, die Pflege der scholastischen und polemischen
Literatur, die biblischen, kirchenhistorischen, liturgischen und
kirchenrechtlichen Studien, das kultische Leben, die Feier der

Eucharistie und die Vermehrung der Kommunion, Predigt,
Volksunterricht und Katechismus, die Liebestätigkeit und endlich
„la riforma protestante in Italia". Unter den Dokumenten
seien diejenigen „sopra la Propaganda Luterana in Italia"
besonders hervorgehoben. Man darf dem Verfasser das Zeugnis
ausstellen, daß er nicht nur einen gewaltigen Stoff verarbeitet
hat und übersichtlich darbietet, sondern daß er auch die
dunkeln Seiten im Leben der Kirche des Cinquecento ohne
alle Voreingenommenheit zeichnet. Dagegen ist er kaum In der
Lage, den Vertretern der protestantischen Bewegung aucn
nur subjektive Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit zuzubilligen.
Im Literaturverzeichnis haben wir das 1920 erschienene zweibändige
Werk von Emmanuel Rodocanachi: La re7orme en
Italic vermißt. Die Werke von Frederic C. Church (The
Italian Reformers 1534-1564, 1932), G. K- Brown (Italy
and the Reformation to 1550, 1933) und Delio Cantimori
(Eretici Italiani del Cinquecento, 1939) konnte Tacchi Venturi
natürlich noch nicht benutzen.

Bald nachdem der erste Band in erster Auflage erschienen
war, wurde der Verfasser mit dem Amt eines Generalsekretärs
des Ordens betraut, und so blieb die Fortsetzung des Werkes
liegen. Erst nachdem ihn General Wladimir Ledochowski 1921
seinen Studien zurückgegeben hatte, konnte im Jahre 1922
der zweite Band erscheinen. Er behande't die Geschichte des
Ordens von der Geburt des Ordensstifters bis zur Approbation
im Jahre 1540. Das Hauptgewicht liegt, entsprechend
der Abzweckung des Werkes, auf der Schilderung der Wirksamkeit
, die Ignatius und seine Genossen zur Neubelcbung
des katholischen Glaubens und Lebens in den Jahren 1537
bis 1540 in Italien entfaltet haben. Auch von den Verdächtigungen
, die sich aus dem Kreise des Augustino Mainardi
gegen die Väter erhoben, ist ausführlich die Rede.

In den letzten Jahren lag Tacchi Venturi die Bearbeitung
der ,,materie ecclesiastiche" in der „Fnciclopedii Itaüana"
und die Leitung des „Collegio di San Francesco Saverio" in
Rom ob, und so wissen wir nicht, ob es ihm möglich war,
weitere Bände seines Werkes über die Jesuiten in Italien
vorzubereiten.

Basel Emst S t ■ e h e 11 n

Preuss, Hans: Martin Luther. Der Christenmensch. Gütersloh:
Der Rufer Ev Vlg. 1942. (XVI, 364 S.) gr. 8°. RM 11 —, geb. RM 13-.
Mit diesem Buch bringt Preuß sein vierbändiges Lutherwerk
zum Abschluß. Er bietet reiches Material aus Schriften,
Tischreden und Briefen und bietet es mit anschaulicher Lebendigkeit
.

Was er geben will, ist „gerade keine Theologie Luthers',
sondern ein Aufriß seiner Frömmigkeit" (S. III). Er
empfindet das nicht als systematische, sondern als historische
Aufgabe (S. 134). Hier liegt zweifellos ein Problem. Bei
keiner Gestalt der Kirchen- und Geistesgeschichte sind Mensch
und Lehre so eins wie bei Luther. Trotz seiner Absicht gibt
Verfasser faktisch weithin eine Theologie Luthers, und zwar
eine gute. Der wesentlichste Unterschied gegen eine solche
liegt darin, daß er nicht die heute übliche „Überbetonung"
der ersten Vorlesungen und von „De servo arbitrio" mitmachen
will, „denn bei jenen werden noch, auch bei diesen
werden wieder die hellen Fenster Luthers mit den Eisblumen
der Philosophie überkristallisiert" (S. V). Ich möchte hier ein
Fragezeichen setzen. Sein Vorwurf bewegt, aus der Bildersprache
übersetzt, meinem Verständnis nach, daß die philosophischen
Termini und ihre Tradition stärker wären als der
Denker und seine originale Kraft und ihn und sein Eigenes
erdrückten. Kann dies vor Luther bestehen? Werden ihm
nicht die philosophischen Begriffe wie dh theologischen zum
Ausdruck dessen, was ihm aufgetragen ist? Oerade die frühen
Schriften und De servo gewähren m. E. die tiefsten Blicke
in das Inferno der Höllennot, aus der der evangelische Glaube
geboren wurde. — Die hier drohende Gefahr, die Abgründe
Luthers zu verdecken, wird allerdings weithin ausgeglichen
durch die Reichhaltigkeit des Materials.

Das Ergebnis ist schließlich ein Querschnitt durch Luthers .
Theologie, der die Verwurzelung der Theologie in der Persönlichkeit,
ihre «elehte Wirklichkeit eindrucksvoll sichtbar macht. So das y,
konsolatoriische Motiv seines starken Inkarnationsgiatibens mit der .

besonderen Betonung der Menschheit Christi (S. 34). So die--T

ja mit: keiner theologischen Formel faßbare — Oewißhcit Luther» 11
| (S. 64) und der OTaube überhaupt als Wagnis und Kampf (S.
| 64 ff.). Besonders eindrucksvoll ist dies beim Problem der Ubiqui-
tät, wo sich das fordernde Verlangen nach dem wirklichen gegen-
j wärtigen Christus mischt mit dem „germanisch-goitischen Raum-
I empfinden, das sich vom Raum „umflutet" fühlt (S. 137 f.). Pia-