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Ausgabe:

1944 Nr. 1

Spalte:

280

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gundlach, Anton

Titel/Untertitel:

Lebendiges Wort 1944

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Seite 1

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279

Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 11/12

'280

Einseitigkeit in der Kenntnis oder doch im Zitieren von Gewährsleuten
dem Buche nicht gerade förderlich gewesen.

Der zweite Hauptteil entfaltet das protestantische Prinzip
systematisch unter dem Titel „Die Kirche". Die Grundlage
dabei bildet ein Abschnitt über 'den „Urbezug von Selbst zu
Selbst". Ein zweiter zeigt „die Gemeinschaft des Heils in den
allgemeinen Lebensordnungen1' (Welthafte Heilsgemeinschaft,
Familie und Erziehung, Evangelische Gemeinde und Volksgemeinschaft
). Der dritte und letzte, bei weitem umfangreichste,
behandelt „die Erziehungsaufgabe der Kirche". Nach einem
geschichtlichen Rückblick wird hier die „ethische Führung
der Kirche" unier den Untertiteln Gesetz, Theonomie und Autonomie
, Gesetz und Heilsverki'mdigung entwickelt. Alsdann
werden „der protestantische Mensch" und die „absolute Geineinschaft
" als das protestantische Erziehungsziel aufgezeigt.

Däß die Systematik des protestantischen Prinzips unter
dem Oeneraltitel „Die Kirche" entfaltet werden soll, ist ohne
Zweifel neu. Man ist deshalb gespannt, was dabei unter
Kirche verstanden wird. Der Verfasser definiert: „Kirche im
protestantischen Sinn ist existentielle Zugehörigkeit zum Herrn
mitten in der Welt" (S. 192). Im Vorwort wird eine „Revolution
des Kirchenbegriffs" verheißen. Soll sie in dieser
Definition bestehen? Wenn es hieße: „Zugehörigkeit zur Kirche
oder Kirchlichkeit ist existentielle Zugehörigkeit usw.", so könnte
man sich etwas darunter vorstellen. Aber Kirche ist Zugehörigkeit
? Diese Definition stellt sich nicht nur außerhalb
des neutestamentlichen und des Lutherschen, sondern jedes
Sprachgebrauchs. Kirche ist unter allen Umständen, man mag
sonst darunter verstehen, was man will, ein Verbandsbegriff
. Davon kann auch keine Begriffsrevolution dispensieren.

t atsächlich wird auch alsbald (S. 193 ff.) der Versuch
unternommen, die Kirche als Verbana, nämlich als „Gemeinschaft
der Versöhnung", als „Heilsgemeinschaft" zu entwickeln
. Dabei wird die Gemeinschaft grundlegend aus dem
„Urbezug von Selbst zu Selbst", das heißt im Sinne des Verfassers
aus dem Nächstenverhältnis abgeleitet. Es soll freilich
nicht bei Einzelbeziehungen bleiben, sondern zur „Wechselge-
meinscliaft" kommen. Es finden sich hier auch erwärmende
Ausführungen z. B. über die Solidarität der Schuld oder das
Mittragen der Not. Aber daß auf diese Weise Kirche entstehen
soll, ist eine Fehlkonstruktion. Auch der Verfasser
kann zuletzt (S. 449) definieren: „Die evangelische Gemeinschaft
ist über alle Ich-Du-Beziehungen hinaus eine Einheit (,Ein
Leib'), die Einheit eines ,Wir' . . Die Wir-üemeinschal'i ist
keine Summe von Ich-Du-Beziehungen". Vollkommen richtig!
Nur hätte gesagt werden müssen, daß in der Kirche das Wir
in jeder Hinsicht die Priorität vor dem Ich und Du hat, begrifflich
und erfahrungsmäßig. Bei dem Verfasser erscheint die
Wir-Gemeinschaft erst unter dem Titel „Das protestantische
Erziehungsziel". Man muß aber doch zugeben, daß sich die
Kirche zu nichts erziehen kann, was sie nicht ihrem Wesen
nach ist. Ist sie ihrem Wesen nach mehr als die Summe der
Ich-Du-Beziehungen, so kann man ihr Wesen auch nicht aus
den Ich-Du-Beziehungen des Nächstenverhältnisses entwickeln.

Der Dienst am Nächsten wird generell damit begründet,
daß Gott im Dunkel der Not des Nächsten komme (S. 105).
Das wird zunächst als Luthers Auffassung behauptet, dann
aber auch im zweiten Teil bei der systematischen Entwicklung
des Nächstenverhältnisses zum Ausgang genommen (S. 194).
Dem Satz, daß in der „christlichen Haltung . . . Tod und
Dunkel, Leiden und Abgründigkeit den Primat haben" (S.
196) ist zwar zuzustimmen. Der Verfasser zeigt auch eindrucksvoll
, „wie gerade aus diesem Primat des Dunkels das
Ja zur Welt heraufgeholt wird". Aber daß uns der Nächste
nur oder auch nur vorzugsweise im Dunkel der Not zum
Nächsten werde, ist weder Luthers Meinung noch entspricht
es der Lebenserfahrung. Auch in andern Zusammenhängen
wird man den .Eindruck nicht los, daß bei dem Bemühen um
„Welthaftigkeit" die Lust am Konstruieren mit Verlust an
schlichter Lebensnähe bezahlt wurde.

Doch genug der Einwendungen. Vielleicht wird, was
in diesem Buche über die Kirche gesagt ist, einleuchtender
durch die im Vorwort angekündigte tortsetzung über das
Wesen und Leben der „kultischen Gemeinde". Das vorliegende
Buch soll als Prolegomena der Dogmatik aufgefaßt werden
. Uns scheint, es hätte am ersten den rechtschalfetien Titel
einer Ethik verdient. Denn die Grundfragen der Ethik, alte
und neue, sind es, deren scharfsinnige Erörterung den Wert
des Buches ausmacht. Vor allem ist zu loben, daß das Verhältnis
von Heilsgemeinschaft und Volksgemeinschaft herzhaft angefaßt
wird. Aber auch was über Agape, Gesetz, über die
Affinität von Schöpfung und Reich Gottes, über das Verhältnis
des deutschen Idealismus zum Protestantismus ausgeführt
wird, verdient Beachtung.

Erlangen W. Eiert

Schaller, Heinrich: Metaphysik. I/II. Urgrund u. Schöpfung.
III. Die Idee des Menschen. IV. Die ersten u. die letzten Dinge.
München: E. Reinhardt 19-11. 155 S. gr. 8°. RM 6.80.

Ein Buch, das auf 150 Seiten eine vollständige Metaphysik
zu geben verspricht — eingeteilt in: Urgrund und
, Schöpfung, die Idee des Menschen, die ersten und die letzten
Dinge — wird einem gewissen Mißtrauen begegnen, zumal
; wenn bei näherem Zusehen ganze Seiten mit lyrischen Ergüssen
i (z. B. 50 f., 55) und anderen Weitschweifigkeiten gefüllt sind.
: Dies Mißtrauen bleibt gerechtfertigt, soweit man exakte Problem-
: behandlung sucht. Man beginnt den Verf. zu verstehen, wenn
| man seinen existentialphilosophischen Ansatz gefunden ha!. Sein
'■ Ansatz ist das metaphysische Grauen — das platonische fron».
! luSteiV) aus der intellektuellen Haltung in die existentielle über-
; tragen. Von da aus erschließt sich die Wirklichkeit als Wir-
! ken persönlicher Mächte (S. 93) und die dichterische Schau
| als Erfassung letzter Wirklichkeiten. „Die symbolische Kraft
i einer Eiche, die zarten Linien der Birke . . . sind nicht nur
1 Bilder, sondern lebendige Wirklichkeit". Die Tiere enthüllen
j sich als Verkörperung metaphysischer Urlriebe; „wahrscheinlich
aber liegen ganz andere, dämonische Gründe und Abgründe
dahinter, d. n. die leidenschaftlichen Urtriebe des Lebensgruri*
des selbst, der sich die sichtbaren Ungeheuer schafft, um das
metaphysische Ungeheure auszusprechen" (85). An die Stelle
Gottes tritt in dieser Schau ein „Urgrund", der — wieder
Gott Jakob Böhmes und Sendlings — Licht und Dunkel in
sich enthält. Dieser „Urgrund" oder „Lebensgrund" schlif
sich 'den Menschen als das Organ, um sich selbst zu schauen
und in dieser Selbstschau „das Tier aus sich herauszustellen,
auszuscheiden und in sich loszuwerden (II 22). Der Mensch
ist darum Mikrokosmos; sein Daseinszweck ist das Erkennen
— visis beatifica, anbetendes Anschauen der göttlichen Werke
(II 3 f.), wie Verf. sehr schön ausführt.

Es ist leicht, das Gedankengewebe des — sehr belesenen —
Verfassers in seine Quellen — christliche, idealistische, platonische
zu zerlegen'und noch leichter, ihm handgreifliche Widersprüche
(z. B. soll andererseits die Individuation „der Grund
für alles Unzulängliche und Böse" sein S. 19) und Untiefen
nachzuweisen. Aber der besondere Wert des Buches lieg; eben
in der Kraft, die grundverschiedenen Gedanken doch aneinander
zu binden durch die Kraft wahren Erschreckens und wahrer
Schau. Die Unzulänglichkeit des Gottesbegrilfs ist die notwendige
crux jeder philosophischen Metaphysik; sie zeigt nur,
daß das Denken hier an seine imüberschreitbare Grenze stößt.
Es ist richtig und anerkennenswert, daß Verf. die hier auftretenden
A:por:en nicht zu überbrücken sucht (II 25). Der
wichtigste Gedanke des Buches ist wohl die klare Herausstellung
des menschlichen Daseinszwecks: zu erkennen — und in
allem Erkennen Gott anzubeten.

|Stolp~) iH. E c h t e r ti a.c Ii

Lebendiges Wort. Zeugnisse für Christus gesammelt von A. G u n d -
lach. München: Verlag J. Pfeiffer. 184 S.

Auf den Blättern dieses kleinen Buches erhebt ein mächtiger
Chor von Seelen seine Stimme für Christus. Männer des lauten
und Frauen des stillen Lebens, beschauliche Naturen und Menschen
der Tat, HetHge und Weltkinder, Gelehrte und Ungelehrte, Denker
und Forscher, Dichter und Künstler, Entdecker und Erfinder, Staatsmänner
und Feldherren legen Zeugnis aib für den „Meister aller Mei-
I ster". Mit dem vielfältigen Schrifizeugnis beginnend, läßt der Ver-
j fasser altchristliche Märtyrer, Kirchenväter, Dichter und Mystiker
des Mittelalters sowie eine schier endlose Schar von Jesusfreunden
j aus allen Jahrhunderten der Neuzeit und aus der unmittelbaren Oe-
j genwart sprechen. Bekenntnisworte von unvergänglichem Wert, von
j wahrhaft wegweisender Bedeutung und herzstärkender Kraft begegnen
j uns auf Sclwiit und Tritt. Ich nenne ein paar: „AJle andern be-
i dürfen des Heilandes. Er ist der Heiland" (Rieh. Wagner). „Wenn er
: sagt: .Friede sei mit euch', so haben wir unser ganzes Lehen zu tun
; und werden es wohl im Himmel erst verstehen lernen, was das ein/ige
Wort Friede in seinem Munde heiße" (Matth. Claudius). „Ich
möchte keinen Tag mehr ohne Christus leben" (C. F. Meyer). „Da»
Christentum praktisch ins tägliche Leben zu übersetzen, wie es
1 künstlerisch Remibrandt getan, wjrd immer eine der Hauptaufgaben
des Deutschen bleiben" (A. J. Langbchn). „Mir liegt allein an
Christus. Alles können wir preisgeben, nur ihn nicht" (H. St. Cham-
berlain). „Jesus, die große Sonne, kommt keinem abhanden, den sein
Strahl einmal durchleuchtet hat. Man kann ihn vergessen, man kann ihn
abschwören; das ändert nichts. Er ist vergraben im umwölktesten Her/en,
und es kann stündlich geschehen, daß er aufersteht" (Hans Carossa).

Für eine Neuauflage seines wertvollen Büchleins sei dein Verfasser
nahegelegt, den Titel „Lebendiges Wort" durch einen deutlicheren
zu ersetzen und bei jedem Zeugnis die Quelle genau anzugeben,
1 _Köln_____ Johannes Hessen

Verantwortlich: Lic. habil. Kurt Aland, Berlin NW 7, liauhofstr. 3.4. —
Manuskripte sind an den HtraiSjebei , Rezensionsexemplare dagegen
an den Verlag zu senden. - Druckerei Hauer in Marburg-Lahn.