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Ausgabe:

1944

Spalte:

268-269

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Zai, Walter

Titel/Untertitel:

Zur deutschen Übersetzung der Paulusbriefe des XIV. Jahrhunderts 1944

Rezensent:

Herrmann, Johannes

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unvermittelt wieder zum Thema zurückkehrt. So sind seine
Predigten ohne feste Gedankenentwicklung und von ermüdender
Weitschweifigkeit. Trotzdem stehen sie turmhoch über dem
sonstigen Strandgut bei Chrysostomus. Denn seinen Sinn
für die geschichtlichen Bedingungen des Bibeltextes zeigt auch
der Homilet Severian, ebenso wie er die Allegorie verwirft und
Sich gerne ausdrücklich zur „Theoria" bekennt. Diese Kennzeichen
der Antiochener teilt er mit Chrysostomus, mit dem i
er ferner die Gewohnheit, an frühere Reden anzuknüpfen, ge- :
mein hat. Solche Verklamnierungen können ein wichtiges Echt- j
heitsbeweisstück abgeben. Aus dieser Schilderung der inneren j
Kriterien geht ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich hervor. |
Keins ihrer Elemente für sich allein, mit Ausnahme des zu-
letzt angeführten, wird überzeugend wirken können. Nur j
wenn sich in einer Predigt möglichst viele von ihnen auf- j
zeigen lassen, wird man für Severian stimmen unter Vorbehalt
•dessen, was die äußere Bezeugung etwa dazu zu sagen hat.
Es sind 12 griechische Homilien, die Marx unter solcnen
Gesichtspunkten aus dem Nachdruck der Chrysostomusausgabe
Montfaucons bei Migne unter den Spuria auswählt.

Besondere Handschriftenforschungen hat er dazu nicht getrieben
. Denn wenn zu Nr. 1 S. 283 auf einen „cod. Colbert." hingewiesen
wird, so ist das keine Hs. über die von Montfaucon herangezogenen
und bei Migne mit den heutigen Bezeichnungen versehenen
hinaus, sondern ein Schreibfehler für Ottobonianus, in dem nach
Montfaucon die betreffende Variante zum Titel stellt. Ich verzeichne
nun die neuen Zuteilungen an Severian bei Marx und gebe außer den
Titeln auch die Initien, was sich zur leichteren Identifikation immer
empfiehlt: (1) In ascensionem domini uostri I. Chr. et in prineipium
Actorum IIAoOto; n.uiv xcd (HtOttUOOC, (hg 52, 773 = 6, 758 Montfaucon
). (2) De saneto spiritu Xtltc, f|(üv, io <£>iAöy_nioTOt (52, 813 =
3, 796). (3) De celo et pietate et de caeco nato nn,Y>'l (pwröc, 6 xoü
fleoü >.öyo; (59, 543 = 8 Appendix 61). (4) In caecum a Christo sana-
tum et in Zacchaeum, deqtie iudicio atque eleemosyna HoUUll xoü
fiioufOQOi xd)v nywiv yo«fpo>v td fiiöaoxaXiai (59, 599 = 8 App. 120).
(5) In illud: Joh. 7, 15 et in dictum illud Servatoris: Mt. 24,36 <t>tpe
nd?.iv tü>v euaYYEÄixüjv liuiv cuiao|ü)|tEt)a vaudxtDV (59, 643 =
8 App. 167). (6) In Chananaeam et in Pharaonem et quod non volrntis
neque cuirentis, sed miserentis Sit dei (Mt. 15; Rm. 9, 16) Ei xal eöö-
Xowsv fytäi f| x(iT(i ri)v poiteoav xayaxn (59, 653 = 8 App. 177).
(7) In dictum apostoli: Rm. 7, 19 et quomodo lacob typus Christi fuerit;
in exordio autem concionis contra theatrorum spectatorcs Ettcuvä ;iev
vueöv tov itööov (59,663 = 8 App. 138). (8) In proditionem Serva-
toris et in lotioneni peditm 'EßouX6|(r)v elc; TeXoc, Siavi'om (59, 713 =
8 App. 242). (9) De poenitentia et in Herodem et in Iohannem Bap-
tistam <I>tnE 8t] xal tcöv {MietencoY xpötcov (59, 757 = 8 App. 287).
(10) Cantate domino canticum novum etc., et de eleemosyna K<t).öv
fjuilv töc, dXT)frA( (55,619 = 5,628). (11) De sacrifieiis Caini, de
donis Abelis et de gigantibus, de diluvio, de stellis et de fato MT|rn.Q
evxaiuq äxoAouiKa Fragment (62, 719 = 11,792). (12) In Iordanem
fluvium Aul ti imou Jiavra«; toi'c fju yrq rtoTfiuoi'c, Fragment (61,
725 = 10, 777).

Es würde weit über den Rahmen dieser Zeitschrift hinausführen
, wollte ich in eine Diskussion über jede einzelne
dieser Zuweisungen bei Marx eintreten. Ich habe darum
oben das Verfahren, ausschließlich mit Hilfe der inneren
Kritik zum Ziel zu gelangen, unter Hervorhebung seiner notwendigen
Schranken charakterisiert und begnüge mich hier
mit der allgemeinen Bemerkung, daß Marx sich seiner umsich- !
tig bedient und daß mir seine Ergebnisse im ganzen durchaus |
eingeleuchtet haben.

Zu wünschen wäre allerdings gewesen, daß er mehr, als er getan
hat (nur einmal S. 304), durch synoptische Vcrgleichung mit den
echten HomiWen die inhaltliche und stilistische Verwandtschaft der
neuen Stücke sofort erkennbar gemacht hätte. Bloße Hinweise
auf Parallelen (z. B. S. 298, 299 oben, 329, 333) genügen hier
nicht. Angesichts der unvermeidlichen Subjektivität eines großen
Teils der Argumente muß man größte Genauigkeit bei ihrer An- |
wendung verlangen. Auch das Zitat S. 292 „Sozomenos 1541"
wirkt ausgesprochen unsauber. Wenn schon nicht nach Hussey, son- |
dem nach Migne zitiert wird, so sollte wenigstens die Buch- und
Kapiteleinteilung und die Kolumnenunterteilung' bei Migne geboten j
werden. Die Übersetzung S. 329 unten afjueQOV ö Xoiotoc, x«tu
xwjrr] tr|v Jitujrrnv toü oaßßoVtou (59,715 a) — ,,heute am I
fünften Tage des Sabbat" ist unschön und unverständlich: warum
nicht einfach „heute Donnerstag"? — Sehr erwünscht wäre es
schließlich auch gewesen, wenn Marx die zahlreichen Einzelnachweise
von Severiana seit Zellinger 1926 sorgfältig aufge'ührt hätte: für eine !
die Grenzen der Monographie streifende Studie eigentlich eine selbst- |
versländliche Forderung und für Marx' eigene Arbeit sicherlich sehr
nützlich I

Das wertvollste Stück unter Marx' neuen Severiana ist
die Nummer 1 seiner Liste. Sie zeigt eine bemerkenswerte
exegetische Unbefangenheit in ihrem Versuch, die Verfasserfrage
der Apostelgeschichte zu klären. Außerdem bietet sie
ein im Zusammenhang mit einer Nachricht bei dem Kirchen-
historiker Sokrates liturgiegeschichtlich wichtiges Detail, durch
das Licht auf das Stationswesen in Konstantinopel am Ausgang
des 4. Jh. fällt. Montfaucon wollte Teile dieser Nummer
mit den Predigten des Chrysostomus In prineipium Actorum
(51,65 ff.) in Zusammenhang bringen und sie in die deutliche
Lücke zwischen der ersten und zweiten dieser Predigten als
echte Rede des Chrysostomus einglieciern. Es läßt sich zeigen,
daß diese Zuordnung falsch ist, und Marx hat bewiesen, daß
diese ganze Rede einheitlich ist und in Konstantinopel gehalten
wurde. Die Zuweisung an Severian scheint mir gesichert zu
sein. Jedenfalls zeigt die Möglichkeit, daß ein Kenner wie
Montfaucon sie Chrysostomus zusprechen wollte, einmal mehr,
daß Severian stilistisch nicht so plump und grobschlächtig war,
wie er gewöhnlich hingestellt wird. Der unverkennbare Abstand
zu den Kommentaren beruht wohl darauf, daß die Predigten
zum großen Teil extemporiert waren (Marx S. 232,1).
Jedoch lohnt auch die Beschäftigung mit ihnen durchaus.
Berlin W. Eltester

KIRCH ENGESCHICHTE: MITTELALTER

Zai, Walter: Zur deutschen Obersetzung der Paulusbriefe des

14. Jh. Unters, über d. Text in Cod. Chart. A 21 d. Herzogl. Bibl.

Gotha u. in 23 B 19 d. Stiftsbibl. auf d. Nonnberg in Salzburg.

Luzern: Räber 1942. XIII, 133 S. 8". RM 4.90.

Man kann wohl sagen, daß die von dem verstorbenen
verdienstvollen Leiter des Deutschen Bibelarchivs in Hamburg
, Prof. D. H. Vollmer, herausgegebene Bändercihe „Bibel
und detitsche Kultur" bisher nur einen verhältnismäßig geringen
Interessentenkreis gefunden hat. Um so mehr ist jede Untersuchung
zu begrüßen, die, wie die vorliegende, etwas von dem
dort gesammelten wertvollen, erstmalig erschlossenen Material
zum Gegenstand nimmt.

Die deutsche Übersetzung der Pauiusbriefe aus dem 14. Jahrhundert
, um diie es sich hier handelt, hat Prof. R. Newald in Freiburg
(Schweiz) im 4. Baad der genannten Serie 1934 herausgegeben;
von ihm hat sein Schüler Zai die Anregung zu seiner Arbeit bekommen
. Zai untersucht zunächst die Sprache der beiden Handschriften
; von dem Befund aus ergibt sich als Heimat der Qothter
Handschrift der Raum Prag-Brüx-Eger, während die Salzburger aus
dem Sprachraum von Salzburg stammt und wahrscheinlich in Salzburg
selbst geschrieben ist. Darnach sucht der Verfasser die lateinische
Vorlage zu bestimmen. Es ergibt sich, daß die Übersetzung
auf einer lateinischen Vorlage beruht, die dem Text der ersten gedruckten
Bibel und damit der Editio Stephanica und Sixtina sehr
nahe stand, das bedeutet: auf einer Redaktion des Exemplar Pa-
risiense; der Hersteller des Textes der Salzburger Handschrift
hat aber neben der Vorlage, die für die Oothaer Handschrift anzusetzen
ist, noch einen lateinischen Text liegen gehabt, der zuweilen
von jener abwich. Weitere Untersuchungen gelten dem Zustand
des deutschen Textes der beiden Handschriften, der zahlreiche
und mannigfache Verderbnisse aufweist, den Stillmerkmalen der beiden
Fassungen, die für die Bestimmung der seelischen Haltung und der
Persönlichkeit der Bearbeiter von Wichtigkeit sind, dem Stammbaum
der Handschriften und endlich der Persönlichkeit des Übersetzers,
seinem Ziel und seiner Leistung. Der Übersetzer hat nicht für einen
kleinen abgeschlossenen Kreis, sondern für alle, vornehmlich für Laien
sein Werk bestimmt; vielleicht ist er durch die in Böhmen wirkenden
Übersetzer Heinrich von Mügeln und Johann von Neumark angeregt
worden. Er ist in Kreisen zu suclien, die der Kirche frei gegenüberstanden
, vielleicht ist er sogar einer Sekle anzuzahlen; seine Ül>er-
setzung mag noch vor dem Edikt Karls IV. entstanden sein, das den
Besitz von Erbauungsscbriften in der Volkssprache in den Händen
von Laien generell verbot. Wenn er seine Prosaübertraguiig im Gegensatz
zu den beliebten gereimten Ülwrlragungen von Bibeltexten
ausdrücklich damit begründet, daß die Pauiusbriefe durch ihre bloße
Wahrheit wirken müßten, so kündet sich darin schon leise der neue
Geist an, der in den Ruf ,,ad fontes" ausklingt. Sprachlich nimmt
seine Übersetzung unter den vorhitherischen Bibelverdeutschungen
einen hervorragenden Platz ein; der Verfasser gehört damit zu denen,
die zur Ausbildung der deutschen Prosa erheblich beigetragen haben.
Wenn die Ubersetzung, wie Zai annimmt, vor 1369 in Böhmen
entstanden ist, dann hat sie im religiös-politischen Leben dieses
Landes eine nicht unbedeutende RoHe gespielt und wie die Bibelvcr-
dcut^i hungen Heinrichs von Mügeln zur Entstehung des Edikts von
1369 beigetragen. Ihre Wirkung ging aber über Böhmen hinaus;
hat sie doch die im bayrischen Sprachraum entstandene Salzburger
Handschrift veranlaßt, mit der die Texte einer Wiener Perikopenhand-
schrift (Cod. 2825 der Wiener Nationalbibliothek) fast wörtlich übereinstimmen
. — Am Schluß gibt der Verfasser ein lateinisch-deutsche»
Wörterverzeichnis in Auswahl; das vollständige Material, das hier aus