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Ausgabe:

1944 Nr. 1

Spalte:

263-265

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pfaff, Eduard

Titel/Untertitel:

Die Bekehrung des H. Paulus in der Exegese des 20. Jahrhunderts 1944

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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263

Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 11/12

264

Hier hätte vielleicht doch die Kritik von W. OTTO (Sitzungsber.
der Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Abt., 1941, II, Heft 3) berücksichtigt
werden sollen, wenn auch diese Kritik in Form und Inhalt
ein wenig zu weit gegangen sein mag. Über die Durchschlagskraft
der Ausführungen Hrozny's zur Entzifferung der kretischen
Schrift und der „pseudo-hieroglyphischen" Schrift von Byblos können
nur Spezialforscher urteilen.

Leider hat der Verf. in seinem für weite Kreise gedachten
Buch reichlich viele noch keineswegs feststehende und rein spezialistische
Theorien untergebracht. Dieser Einwand, der schon
gegen die 1. Aufl. erhoben worden ist, besteht auch gegen
die 2. Aufl. zu Recht; denn leider ist Hrozny hier gerade
auf diesem Wege noch ein gutes Stück weiter gegangen, sodaß
sein Buch mit seinem Nebeneinander großzügiger Zeichnung
von Entwicklungsreihen und Kulturperioden auf der einen
Seite und rein fachlicher Spezialuntersuchungen auf der anderen
Seite eine starke innere Unausgeglichenheit zeigt. Dabei
ist das Werk Hrozny's für jeden, der auf dem Gebiet der Geschichte
des Alten Orients arbeitet, ganz unentbehrlich; man
möchte wünschen, daß die hoffentlich bald erscheinende 3.
Aufl. jene innere Diskrepanz beseitigt, was leicht geschehen
könnte, wenn der Verf. sich entschließen würde, die Spezialuntersuchungen
in einem besonderen Anhang unterzubringen
und das eigentliche Buchkorpus der Darstellung der großen
Kulturperioden vorzubehalten.

Göttingen Kurt Mölilenbrink

Z i e g 1 e r, Joseph : Duodccim prophetae. Göttingen : Vandenhoeck
& Ruprecht 1943. 339 S. gr. 8° == Septuaginta Vetus Test. Oraecum
XIII. UM 30-.

Nachdem Joseph Ziegler 1939 als XIV. Band der großen
Göttinger Septuaginta seine Bearbeitung des Isaias vorgelegt
hatte, erscheint bereits vier Jahre später als XIII. Band seine
Bearbeitung des Zwölfprophetenbuches, mit der er nach damaliger
Ankündigung des Verlags „bereits begonnen hatte".
Wenn es ihm möglich war, in diesen wenigen Jahren, von
denen ja auch noch die lange Zeit der Drucklegung abgerechnet
werden muß, das Werk herzustellen, so ist das eine ganz
außergewöhnliche wissenschaftliche Arbeitsleistung, die nur
denkbar ist, wenn der Verfasser schon länger vorgearbeitet
hatte und wenn er zu solcher Arbeit ein besonderes Charisma
besitzt.

Der Ausgabe des Textes ist eine sehr eingehende Einleitung
vorausgeschickt, bei deren Durchsicht auch der Nicht-
fachmann einen Eindruck davon erhalten kann, wie kompliziert
und weitschichtig die Aufgabe war. Ziegler führt hier
zunächst die Textzeugen vor, auf denen die vorliegende Aufgabe
beruht: die griechischen Zeugen (Unzialhandschriften,
Minuskelhandschriften und kleinere Papyrusfragnientc, griechische
Väterkommentare), die alten Übersetzungen (altlateinische
, koptische, syrische, äthiopische, arabische, armenische)
und die indirekte Überlieferung (Philo, N. T., griechische und
lateinische Schriftsteller). Darnach folgt die ^Gruppierung der
Textzeugen"; in fünf Gruppen werden behandelt: die Unzialen
cod. Vat., Sin und Ven. und der Pap. der Freer Collec-
tion, der alexandrinische Text, die hexaplarische Recension,
die lukianische Recension, die Catenengruppe. Die Bedeutung
dieses Abschnittes reicht weit über den Bereich der vorliegenden
Textausgabe hinaus. Es folgen Mitteilungen über die
jüngeren griechischen Übersetzungen und eine übersichtliche
Zusammenstellung der Orthographica, die an Thackeray
anschließt, aber viele neue Beispiele hinzufügt. Sehr wertvolle
Beobachtungen enthält auch der letzte Abschnitt der Einleitung,
in dem Ziegler über die allgemeinen Grundsätze und die besonderen
Gesichtspunkte handelt, die sich ihm für die Herstellung
des Textes ergeben haben; auch hier steht vieles, was
über die vorliegende Ausgabe hinaus von Wichtigkeit ist.
— Die ungemein zahlreichen Varianten unter dem Text sind,
wie erstmalig in Band XIII, wieder in zwei getrennten Apparaten
verzeichnet (siehe dort S. 7 und 111 ff.)

Daß dieser stattliche Band auf relativ recht gutem Papier
in Deutschland im vierten Kriegsjahr erscheinen konnte und
erschienen ist in Weiterführung der Göttinger Septuaginta
als eines wissenschaftlichen Unternehmens von durchaus übernationaler
Bedeutung, darf und soll als in mehrfachem Betracht
bedeutsam hervorgehoben werden.

Münster (Westf.) Johannes Herrmann

M-J ES TESTAMENT

Pfaff, P. Eduard, O.F.M.Conv.: Die Bekehrung des H.Paulus
in der Exegese des 20. Jahrhunderts. Rom: Officium Libri
Catholici 1942. XXIV, 174 S. nr. 8°.

Der erste Teil des vorliegenden Buches behandelt die

Frage nach der psychologischen Vorbereitung der Bekehrung

I des Paulus und gibt im 1. Kap. einen Überblick über die im
' 20. Jahrh. vorgetragenen Erklärungsversuche, wobei sich zeigt
| daß die moralistische wie die intellektualistische (Holsten)
; Erklärungsweise des 19. Jahrh.'s noch nachwirken. Es folgen
j Überblicke über die Versuche, die Bekehrung aus religions-
| geschichtlichen Bedingungen oder aus dem Einfluß des histori-
: sehen Jesus abzuleiten; andere Versuche reihen sich an, zumal
| auch Mischformen, und besonders werden schließlich Lohmeyer
j und Kietzig besprochen. Alle diese Versuche werden von
durchweg berechtigter Kritik begleitet; daß der Verf. dann
j nicht beim Ignoramus stehen bleibt (für welches er auch einige
| Vertreter anführt), sondern den Forschern zustimmt, die die
! Bekehrung als ein Wunder ansehen, ist begreiflich'. Über
; diese — katholische wie nichtkatholische — gibt er endlich eine
| Übersicht, bei der interessant ist, daß viele das Wunder an-
I erkennende Forscher daneben doch auch mit einer psychologischen
Vorbereitung rechnen.

Das 2. Kap. bringt eine systematische Kritik der einzelnen
! Erklürungsfaktoren, nachdem festgestellt ist, daß die Quellen
[ eindeutig von der Bekehrung als von einem Wunder reden
und von einer psychologischen Erklärung nichts wissen. Kritisch
werden gemustert die Hypothese von der moralischen Not
I des Paulus unter dem Gesetz, ihre Begründung durch Rom. 7
j und durch analoge Bekehrungserlebnisse; und weiter die Hypo-
! these vom theoretischen Gesetzeszweifel, aus welchen Motiven
auch immer dieser erwachsen sein soll. Auch die Wirksamkeit
| „positiver Faktoren" (Hellenismus, Judaismus, Christentum)
kann keine psychologische Vorbereitung der Bekehrung geschaffen
haben. Gegen die eigenen Aussagen des Paulus, der
seine Bekehrung dem Eingreifen Christi zuschreibt, versagt
der Hinweis auf das Unterbewußtsein; weder kann der Verfolgungseifer
eine Vorbereitung im Unterbewußtsein beweisen,
noch wird eine solche durch Act. 26, 14 bezeugt. Einziger
Grund der Bekehrung war die Offenbarung des Sohnes Gottes,
i Von der Frage nach der Causa muß man freilich die nach der
! Dispositio unterscheiden und kann bei Paulus günstige Dis-
I Positionen sachlicher Art (z. B. des Paulus Glaube an die Mög-
j lichkeit von Wundern, seine Messiasvorstellung) und persön-
| lieber Art (die bona fides des Verfolgers) anerkennen. Ein
Hinweis auf das bei den alten Exegeten, vorab bei Joh.
Chrysostomos, sich findende richtige Verständnis schließt den
! ersten Teil.

Der 2. Teil behandelt den Bekehrungsvorgang selbst
! und zwar im 1. Kap. seine übernatürliche Verursachung
i durch die Christophanie vor Damaskus. Zunächst (A) weiden
die verschiedenen Visionshypothesen vorgeführt, sodann (B)
i wird ein Überblick über die Einwände gegen den Geschichts-
■ wert der Quellen .(Act. und Paulusbriefe) gegeben und eine
, Kritik derselben. Dabei werden die Differenzen der verschiedenen
Berichte ausführlich behandelt und auch eine Apologie
des Geschichtswertes der Reden der Act. gegeben, an die sich
ein Absatz über Verfasser und Abfassungszeit der Act anschließt
(Act sei von Lukas, dem Schüler und Begleiter des Paulus vor
70 verfaßt worden). Es wird ferner ausgeführt, daß Paulus
sehr wohl zwischen äußerer Erscheinung und innerer Vision
zu unterscheiden wußte, sodaß seine Aussagen über die ihn
berufende Erscheinung Christi nicht gestatten, diese als eine
subjektive Vision zu interpretieren. Auch (C) die Erörterung
von Stellen wie Gal. 1,15f.; !. Kor. 15,5—8; 2. Kor. 4,6 u. a-
zeigt, daß Paulus nicht von einer subjektiven Vision redet.
Die Erwägung der äußeren Umstände beim Damaskusereignis
kann den Visionscharakter der Erscheinung nicht begründen,
und Hinweise auf die visionäre Veranlagung und auf die Krankheit
des Paulus sind haltlos; desgleichen die Argumentation
mit religionsgeschichtlichen Analogien.

Thema des 2. Kap. ist das Erlebnis Patdi. Was die Gestalt
des Erlebnisses betrifft, so sei dieses weder eine ekstatische
j (gnostische) Gottesschau noch ein pneumatisches Erlebnis im
j engeren Sinne gewesen, habe auch nicht in der nur negativen
I Erfahrung der Erschütterung und des Gerichtes bestanden,
j Sein primärer Inhalt sei die Erkenntnis der Gottheit Jesu; es
: gründe in ihm aber auch die von der Christusmystik wohl zu
unterscheidende Christusgemeinschaft und der Apostolat des
Paulus. In der Auseinandersetzung mit Forschern, die teils
die ganze Theologie des Paulus aus dem Bekehrungserlebnis
ableiten wollen, teils seine Bedeutung für die Theologie gering
einschätzen, führt der Verf. aus, daß mit der Bekehrungsoffenbarung
das paulinische Evangelium in den Grundzügen gegenen
| war. Der tiefste Sinn aber des Erlebnisses sei die Berufung
zum Apostel, sodaß es eigentlich angemessener sei, von der
Berufung, statt von der Bekehrung des Paulus zu reden.

Der Wert des Buches liegt darin, daß es die modernen
Versuche, die Bekehrung des Paulus zu verstehen, mit großer
Vollständigkeit, Sorgfalt und Sachlichkeit bespricht. Das Verzeichnis
der Autoren des 20. Jahrh.'s füllt allein fast 10 Seiten.