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Ausgabe:

1944

Spalte:

215-217

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Gesandtschaftsberichte aus München 1814 - 1848 1944

Rezensent:

Lerche, Otto

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215

Theologische Ltteraturzeitung 1944 Nr. 9/10

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KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Gesandtschaftsberichte aus München 1814-1848. Abt. 1 und 2
bearb. von Anton Chroust. München: I.C.Beck in Komm. 1935
bis 1943. 10 Bde. 8°. 1. Die Berichte der französischen Gesandten,
Bd. 1—6. 1935 — 1937. 6 Bde. 2. Die Berichte der österreichischen j
Gesandten, Bd. 1 -4. 1939-1943. 4 Bde. = Schriftenreihe zur Bayerischen
Landesgeschichte hrsg. von der Kommission für bayerische J
Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, I
Bd. 18, 19, 21-24, 33, 36 38.

Die vorliegende, sorgfältig gedruckte und mit gelehrter
Akribie betreute Quellenpublikation, zugleich ein glänzender
Beweis für den unzerstörbaren deutschen Kulturwillen auch
In schwerster Zeit für Volk und Reich, vermittelt einen außer- j
ordentlich ergiebigen Einblick in die Zeit Metternichs. Wenn
das in ganz hervorragendem, ja geradezu authentischem Maße
von den Berichten der österreichischen Gesandten, der beson- i
deren Beauftragten Metternichs gilt, so trifft das nicht minder )
für die Berichte der viel häufiger wechselnden französischen j
Gesandten zu, die die ständig kommenden und wieder gehen- l
den Regierungen und Minister des Auswärtigen in Paris über
die Ereignisse in der bayerischen Hauptstadt auf dem Laufenden
halten mußten. Wenn auch die an viel Leben und
Tumult gewöhnten französischen Diplomaten in München oft
die Langeweile beschlich und hin und wieder berichtet wird:
es ist nichts los, es passiert nichts, das Leben ist eintönig,
die Tage sind leer — so haben die Gesandten im Ganzen
doch reichlich Stoff für ihre Relationen über deutsche und
europäische Politik, über bayerische Angelegenheiten, über die
königliche Familie und die fürstlichen Verwandtschaftsbeziehun*- |
gen, die den gekrönten wie den ungekrönten Maßgeblichen in
Paris besonders interessant gewesen sein mögen.

Diese Gesandtschaftsberichte sind nicht restlos bis auf das
letzte Blatt wiedergegeben; es ist eine reichliche Auswahl getroffen
, für deren Richtigkeit und Zuverlässigkeit wir dem Bearbeiter
die Verantwortung gern überlassen dürfen. Die eigentlichen
Berichte sind nur selten im vollen Wortlaut, meist referierend
, dann auch deutsch statt französisch wiedergegeben.
Bei politisch besonders wichtigen Gegenständen haben wir allerdings
stets den vollen Wortlaut. Vielfach werden die im Text
gegebenen Quellenabdrucke in den Anmerkungen durch weitere
Originalmitteilungen aus den Akten ergänzt. Man hat hier
und da den Wunsch, daß der in den Anmerkungen angeschürfte
Stoff in noch größerem Umfange aus den Archiven geschöpft
werden möchte. Jede Abteilung wird durch einen umfangreichen
, reichgegliederten und zuverlässig gearbeiteten Registerband
erschlossen.

Bei der Auswahl der abzudruckenden Stücke hat sich
der Bearbeiter von dem Gesichtspunkte leiten lassen, daß
neben der bayerischen Geschichte vor allen Dingen die deutschen
Angelegenheiten, die deutsche Politik im Rahmen des
europäischen Konzerts, zu Worte kommen sollten. Die Gestalt
König Ludwigs L erfährt bei seiner betonten „teutschen"
romantisch-unklaren Gesinnung mancherlei grelle, unvorteilhafte
• Beleuchtung; der Lola Montez-SkandaT, an dem der
König scheitern mußte, wird in ausgiebiger Breite sowohl nach
Wien wie nach Paris berichtet. Sehr unvorteilhaft ist das Bild
des Kronprinzen, des späteren Königs Max IL, das der Österreicher
wie der Franzose entwickeln. — Als dritte Abteilung
dieses Werkes dürfen wir die Gesandtschaftsberichte nach
Berlin erwarten. Freilich hat Heinrich v. Treitschke bereits
die Berichte der preußischen Diplomaten aus München hin und
wieder herangezogen. Wir haben aber von dem reichen Quellenmaterial
, das uns hier einmal erschlossen werden wird, bisher
nur einen Vorgeschmack.

Der Kirchenhistoriker darf gegenüber dieser überaus wichtigen
Quellenpublikation fragen: wie groß ist der Ertrag für die Kirchengeschichte
des 19. Jhdts.? Nun, uns ist in neuerer Zeit keine
allgemeine Quellenpublikation in die Hände gekommen, die auch
nur annähernd eine so reiche Ausbeute für diesen Gegenstand
zugelassen hätte. Zunächst und vor allen Dingen haben wir in
diesen Gesandtschaftsberichten nach Wien einen vollständigen, |
an der Fülle des Vielerlei in Einzelheiten fast erstickenden j
Querschnitt durch die Kirchenpolitik Metternichs, der durch
die nicht so voreingenommenen, kirchenpolitisch nicht so abge- j
zweckten französischen Berichte wertvoll ergänzt und kontrol- I
liert wird. Der Wiener Gesandte sah die Welt mit den Augen
seines Meisters; er beurteilte die Verhältnisse darnach, ob sie !
der römisch-katholischen Kirche — wie er sie sah — förderlich I
waren oder nicht. Fernab von Aufklärung, Josephinismus I
und Nationalkirche betrieb das System Metternich katholische |
Restauration: Pressefreiheit, Vereine und Protestantismus wurden
bekämpft; Professoren, Liberale, Studenten waren ver- |

dächtig und galten, sofern sie protestantisch waren, als überführt
. Ganz eingehend und mit Wohlwollen werden die Bemühungen
des Königs um die katholische Restauration des Landes
, auch die Fehler und Übertreibungen mit wohlwollender
Nachsicht berichtet. Die sehr subjektiven raisonnierenden Referate
über die einschlägigen Landtagsverhandlungen eröffnen
eine Fülle wertvoller Einblicke in das bayerische Staatsleben.
Weiterhin aber werden die Berichte des Wiener Gesandten
Grafen Senfft immer einseitigere konfessionelle Betrachtungen,
ob es sich um den Bierpreis, die Verwaltungspragmatik, die
Quieszierung der Staatsbeamten, die Studentenvereine, die Kommunisten
, die Allgemeine Zeitung und den Baron Cotta, die
Eisenbahn, des Postwesen, die Gesundheit des Kronprinzen,
die Lehrerbildung, die Schwierigkeiten des griechischen Experiments
, die Verheiratung der Prinzessinnen, die Turnerei
usw. usw. handelt: alles wird mit konfessioneller Brille gesehen
und entsprechend gewertet. Geht die Sache gut, dann
wird der fromme katholische König gelobt; wird die Sache
bedenklich, dann sind Liberale, Professoren, Protestanten, Freimaurer
usw. daran schuldig. Über alle diese Dinge berichtet
auch der französische Gesandte, aber weithin sachlicher und
absolut unvoreingenommen. Ein Beispiel: Der Wiener weiß
von dem Abgeordneten Prof. D. Adolf Harleß lediglich, daß er
ein fanatischer Jesuitenfeind ist; der Franzose berichtet von
Harleß als dem Vertreter des symboltreuen Protestantismus,
der in Erlangen eine angesehene Stätte habe. —

An korrfc sioneMen bezw. am interkonfessionellen Dingen werden
Übertritte und Konvertiten — dabei erfahren wir, daß der Sohn des
Potsdamer Hofpredigers Bischof D. Eylert zum Katholizismus übergetreten
ist —, Sekten (Pöschclianer), IHllllllntlll. Mystiker — Frau
v. Krüdener —, eingehend auch die Auswüchse des Antisemitismus
besonders in München und Würzburg behandelt. Die von dem Prediger
Bonaventura Eberhard an der Michaelshofkirche durch seine
taktlosen Ausführungen über die gemischten Ehen hervorgerufenen
Skandale werden von dem französischen Gesandten sachlicher berichtet
als von dem Österreicher. Grotesk ist es, daß der Ministerpräsident
v. Abel den protestantischen Kammermitgliedern ein disziplinares
Einschreiten gegen das prot. Oberkonsistorium in Aussicht
stellt, wenn die gegen Eberhard veranlaßte Untersuchung ergebnislos
verlaufen sollte. Auch in anderen Fällen — Lindl, Goßner, DeuLsch-
katholiken — zeigt sich der Franzose recht gut unterrichtet. Daß der
Sekretär des Kronprinzen, Wendlaind, der Sohn eines lutherischen
Pfarrers aus Mecklenburg ist, wird von dein Franzosen weit harmloser
aufgefaßt als von dem Wiener. Einig ist man sich wohl über
den allgemeinen Verfall der Sitten und über die kirchlichen Bemühungen
zu ihrer Hebung, aiuch über die oft nicht angemessene
Behandlung dieser Dinge in Landtag und Presse. In den Berichten
über die Bemühungen des Königs um den konfessionellen Ausgleich
— z. B. Läuten der Glocken bei Beerdigungen der anderen Konfession
— zeigt sich der Österreicher wieder recht voreingenommen. —

Sehr zahlreich sind die rein katholischen Angelegenheiten,
die immer wieder in aller Breite l>ehandclt werden, zumal es meist
um wichtige Dinge staatskirchlkhcn Charakters gebt: Konkordat
mit Rom, Gründung des Erzbistum München — Freising, Dotation
der Bistümer, der Dignitäre, der Pfarrer, Besetzung der Pfarr-
stellen, Religionscdikt, Eid der Geistlichen als Staatsdiiencr, Ekl der
Geistlichen als Mitglieder des Landtags, das Verhältnis zur Kurie
im Allgemeinen; weiter die im Gefolge der Restauration durchgeführte
Rekatholisierung des öffentlichen Unterrichts, Schule und Konkordat,
Wiedereinführung kirchlicher Orden, ob Redemptoristen oder Jesuiten
, Rückkehr der Benediktiner, Ausbildung der Geistlichen usw.
Besonders interessant sind die Berichte über den Prinzen Alexander
Hohenlohe und seine Wunderheilungen; auch König Ludwig fühlte
sich in seiner Schwerhörigkeit vorübergehend durch ihn geheilt.
Weiter: Ehe der Prinzessin Elisabeth mit dem Kronprinzen Friedrich
Wilhelm von Preußen ohne Übertritt und ohne Dispens, Kölner Wirren,
[Reußen und der Katholizismus, Abels katholische Politik u. a. m.
Die führenden Männer des aufsteigenden politischen Ultramontani«mus,
die Riichsräte Fürsten Oettingen-Wallerstein und Waldburg-Zeil werden
von dem Österreicher mit betontem Wohlwollen immer wieder erwähnt.
Das schmachvoll unwürdige Duell zwischen Abel und Oettingen-Wallerstein
wird von dem Franzosen keineswegs beschönigt. —

Nicht weniger zahlreich und bemerkenswert sind die Mitteilungen
aus der evangelischen Kirche. Das Interesse geht ülver Bayern hinaus,
die preußische Oeneralsynodc 1846, die freie evangelische Kirchen-
konferenz vom Januar 1846, die kirchlichen Verhältnisse in Baden
und in Hannover werden erörtert. Im Vordergrunde aber stehen die
Angelegenheiten der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns.
Die Protestanten verlangen durch ihre Abgeordneten im Landtage
volle Parität bei der Besetzung der Staatsstellen und bei der Verwendung
der Fonds; sie wehren sich dagegen, wenn sie mit Sektierern
und polizeiwidrigen Subjekten immer noch auf eine Stufe gestellt
werden. Der Österreicher stellt Liberale, Revolutionäre und
Protestanten stets in eine Linie; Protestant ist soviel wie Freimaurer,