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Ausgabe:

1944

Spalte:

201-203

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Günther, Hans F. K.

Titel/Untertitel:

Bauernglaube 1944

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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201

Theologische Literaturzeitung 1944 Nr. 9/10

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das am grünen Holz, was konnte man am dürren erwarten?
Nullt nur in der deutschen Kaplanspresse, sondern auch namentlich
in sämtlichen kirchengeschichtlichen und allgemeingeschichtlichen
Darstellungen de-, katholischen Auslands wirken,
von Döllinger legitimiert und von Janssen, Denifle
und Grisar in ihren großen Werken breit ausgeführt, bis
ins zwanzigste Jahrhundert hinein die Cochlaeischen Haßgesänge
nach. Daher ist es auch schwer, vom „französischen
Lutherbild" eine einheitliche Darstellung zu wagen, wie sie Hans
Leube in verschiedenen wertvollen Studien und in seinem zusammenfassenden
Buche „Deutschlandbild und Lutherauffassung
in Frankreich" (Stuttgart-Berlin 1041) gegeben hat.
Herte bemerkt, daß „von der ausgesprochen katholischen Literatur
hier nur verhältnismäßig weniges berücksichtigt" sei
und daß „das katholische Lutherbild Frankreichs, namentlich
im 18. und 19. Jahrhundert, weit dunkler ist, als dies nach
Leubes Untersuchungen den Anschein hat".

„Die Wende zum Besseren" kam in der Papstgeschichte

mit dem monumentalen Werke von Pastor, „dessen Lutherschilderung
keine Beziehungen mehr zu den Kommentaren des
: Cochlaeus aufweist". N. Paulus zeigt in seinen gediegenen
, Arbeilen zur Reformationsgeschichte immerhin „noch einen
Nachklang Cochlaeischer Oedanken". Wie dann von Mcrkle
über Kiefe bis zu Lortz eine völlige Wendung eintrat,
| ist auf protestantischer Seite von W. Koehler u. a. ge-
; würdigt worden. Einen Schlußstein setzt das Werk H e r -
| tes, der gegenüber den infernalischen Fehlurteilen seiner
j Glaubensgenossen namentlich im 19. und 20. Jahrhundert
' sich jeweils von Neuem, wie man wohl sagen kann, in einen
j Entrüstungssturm hineintreiben läßt, der auf katholischer Seite
i nicht überall Verständnis finden wird. Desto mehr muß
seiner Forderung beigepflichtet werden, daß auch von evangelischer
Seite eine vorurteilsfreie Geschichte der Polemik
und Kontroverstheologie von Flacius und Spangenberg an
i bis zur Gegenwart zur Bereinigung der konfessionellen Atmosphäre
geschrieben werden müsse.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Günther, Hans F. K.: Bauernglaube. Zeugnisse über Glauben und
Frömmigkeit der deutschen Bauern. Leipzig: B. Q. Teubner 1942.
VII. 244 S. gr. 8°. geb. RM 6.20.

Günther, der bekannte Vertreter der Rassenkunde an der !
Universität Freiburg i. B., hat für seine Arbeit neben eigenen |
Beobachtungen ein reiches Schrifttum ausgewertet, darunter
viele Zeugnisse von Dorfpfarrern, besonders von evangelischen.
Er ist sich der eigentümlichen Schwierigkeit seiner Aufgabe
durchaus bewußt: der Bauer redet nicht gern von seinem
Innenleben. Mit aller Behutsamkeit stellt G. folgendes fest: j
„Ungläubige Menschen sind auf dem Lande sehr selten".
„Ein Glaube, und zwar möglichst ein herkömmlicher Glaube, ;
gehört für den Bauern zur Weltordnung". „In allem Bauern*
glauben und aller Bauernfrömmigkeit wirkt sich die Bewahrung
des Herkommens aus". Aber „aus dem Herkommen allein kann j
man bäuerliche Frömmigkeit nicht erklären". Vielmehr „aus der
Artung des Bauerntums erwächst im Gemüte vieler Bauern ■
immer wieder neue bäuerliche Gemeinschaftsfrömmigkeit, die
sich auch immer wieder in kennzeichnender Weise von den '
Kirchenlehren unterscheidet". O. spricht von dem bäuerlichen '
Sinn für Feierlichkeit, von der Verehrung einer göttlichen All- :
macht, dem Gedanken einer sinnvollen Weltordnung; „aus !
der Weltordnung schließt das bäuerliche üemüt auf einen j
Weltenordner" usw. Genauer: es gibt „christliche Lehren,
denen das bäuerliche Gemüt entgegenkommt" (vom Jenseits
und dem ewigen Gerichte, von der Erlösung als einer „Enthebung
aus mühseliger Arbeit", von der Notwendigkeit bestimmter
Feiern). Aber doneben stehen christliche Lehren, I
„denen sich das bäuerliche Gemüt widersetzt". Gott bedeutet j
dem Bauern „weniger Liebe als Gerechtigkeit, Weisheit und ;
Allmacht". Im Zusammenhange damit steht „die bäuerliche j
Selbstgerechtigkeit und Gewissensruhe"; der christliche Er- !
lösungsgedanke wird nicht aufgenommen; Jesus ist nicht Mit- j
telpunkt der Frömmigkeit usw. Auch die bäuerliche Sittlich- I
keit wird durch das christliche Bekenntnis des Bauern „nur I
wenig oder gar nicht bestimmt". Aus alldem ergibt sich, j
„daß die tatsächliche Frömmigkeit und Sittlichkeit der katho- ;
iischen Bauern einerseits, der protestantischen andererseits
weit weniger von einander verschieden sind als die katho- |
lische Glaubenslehre von der protestantischen". Das gilt na- j
türlich nur von dem Durchschnitt, nicht von „bäuerlichen i
Gruppen und Einzelmenschen mit bewußt christlichem Glaubensleben
". Nur kurz spricht G. vom bäuerlichen Aberglauben
im Verhältnisse zum Kirchenglauben; etwas ausführlicher
von der Stellung des Bauern zu Kirche und Geistlichkeit.
Zum Schlüsse bringt G. die Frage nach der Christlichkeit des
deutschen Bauerntums. Er stellt fest, „daß Bauernglaube und
Bauernfrömmigkeit im Grunde nicht etwa eine lässige Auffassung
des Christentums sind, nicht etwa ein Halb- oder Viertelschristentum
, sondern eigentlich ein Glaube und eine Frömmigkeit
aus nicht-christlicher Wurzel, die In die Hullen einer |
christlichen Kirchlichkell eingekleidet worden sind". Dieser ;
Satz kann sich aiif viele ähnliche Urteile evangelischer Landpfarrer
berufen. , _ ,

Es Ist ein eindrucksvolles Bild, das uns G. vor Augen
führt! mit gründlichem Fleiß werden so viele anschauliche Be-
lege beigebracht, daß der Leser den mitgeteilten Iatbestand ,
anerkennen muß. Weitere Forschung wird sich wohl im
Wesentlichen darauf beschränken, die landschaftlichen Unter- I
schiede herauszuarbeiten; aber auch in dieser Richtung hegen j
bei O. Anfänge vor.

Zweifeln kann man, ob die Time überall richtig verteilt sind.
Nach meinen eigenen Beobachtungen spielt das Manische im Bauernleben
eine größere Rolle, als O. wahrhaben will. Freilich trifft man
auch in der Stadt nicht selten auf magische Vorstellungen. Aber
das ist nicht der einzige Zug der Bauernfrömmigkeit, der uns auch
in der Stadt entgegentritt. O. folgt Otto Schulte, wenn et urteilt,
„daß nach der Vorstellung der Bauern des Vogelsbergs Oott das
Schlechte bestrafe und das Oute belohne. Diese Vorstellung von dein
urteikprechenden Gott sei so stark, dafl die Bauern in den Handlungen
eines Menschen, dem es schlecht geht, nach den verborgen
geblichenen Verschuldungen suchten, für die er nun von Oott bestraft
werde" usw. Dieselben Anschauungen begegnen uns auch in
der Stadt. Übrigens finden sie ihre schärfste Zuspitzung In den
Kreisen der alten Rabbinen; im Traktate Taanith des babylonischen
Talmuds lesen wir ergötzliche Geschichten, die in diesen Zusammenhang
gehören. Weiter wären, um nur noch ein bekanntes Beispiel zu
bringen, die kleina'iatischen Sühneinschriften zu nennen, (Franz Slemieit-
ner, Die Beicht im Zusammenhange mit der sakra'en Rechtspflege in der
Antike 1913). Hier handelt es sich also, wenn der Ausdruck gestattet
Lst, um etwas allgemein Menschliches. Als bäuerlich könnte man
derartiges nur dann bezeichnen, wenn etwa eine besondere Nuance des
Oedankcns als dörflich im strengen Sinne erwiesen werden könnte.
Es bedarf an verschiedenen Stellen noch sorgfältiger Vergleichung,
wenn man das eigentlich Bäuerliche herausstellen will. (G. wird
allerdings dadurch entlastet, daß auch seine theologischen Vorgänger
die nötige Vergleichung versäumten). Ich darf in dem Zusammenhange
noch eine weitere Bemerkung anschließen. G. rechnet
mit dem Durchschnitts-Bauern, mit dem Vertreter der bäuerlichen
Mehrheit. Ein berechtigter Standpunkt, aber nicht der einzig möglich«.
Vergeistigte Religionen werden wohl niemals won der Mehrheit" ihrer
Bekenner wirklich begriffen, weder auf dem Dorfe, noch in der Stadt:
hier dürfte ein Tatbestand vorliegen, der sich nicht nur in der Re-
ligi'insgeschichte, sondern überhaupt in der Oeschichte des Geistes
vielfach beobachten läßt. Schon in den Kreisen der Dionysos-Verchrer
wird das Wort geprägt: „Viele tragen den Thyrsos-Stab; aber nur
wenige sind Bakchen", d. h. sind eine Wohnung des Oottes (Piaton
Phaidon 69c usw.). Jesus urteilt: „Viele sind berufen, aber wenige
auserwählt" (Matth. 22, 14). Unter diesen Umständen ist es noch
keine bäuerliche Besonderheit, daß die Bewohner des Dorfes sich
Christen nennen, ohne in ihrer Mehrheit vom Christenlumc innerlich
erfaßt zu sein. Für den Forscher ergibt sich dann aber die Verpflichtung
, auch der Minderheit stärkere Aufmerksamkeit zu widmen;
der eine Abschnitt, den O. hier hat, bietet dazu eine gute Grundlage,
fordert aber weitere Untersuclvungen.

Bedenken habe ich auch gegen die Ausführungen, die G. über
die Entstellung des Bauernglaubens bringt. Es ist natürlich richtig,
daß dieser Glaube nur scheinhar alttestamentlich ist (trotz der Vorliebe
vieler Bauern für das Alte Testament, etwa für die Weisheit
des Jesus ben Sirach, wofür G. überraschende Belege bringt). Das
Alte Testament mag den einmal vorhandenen Bauernglauben gestärkt
haben; aber es hat ihn nicht erzeugt. Jedoch wäre zu fragen, ob man
den Bauernglauben mit Ö. vorzugsweise aus dem Wesen des Bauerntums
selbst ableiten kann, sodaß Nachwirkungen vorchristlicher Haltung
ausschieden oder unbedeutend blichen. Ich will nicht bestreiten,
daß sich aus der bleibenden Art des Bauerntums mancherlei erklären
läßt. Aber es spricht gegen eine Ueherbctonung dieses Gesichtspunkte
:;, daß manche Eigenschaften des Bauernglaubcns 4ch auch in
der Stadt finden.

Wertvolle Richtlinien ergeben sich, wenn wir das bäuerliche
Brauchtum (also sozusagen die Archäologie des Bauerntums) stärker
heranziehen, als es O. getan hat. Ich gebe ihm ohne weiteres zu:
ui diesem Bereiche findet sich mancherlei, was für den Olaubcn des
Bauern kaum unmittelbare Bedeutung hat: der Bauer liebt das Her-