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Ausgabe:

1943

Spalte:

155

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Berengarius Turonensis, Berengarii Turonensis De sacra coena adversus Lanfrancum 1943

Rezensent:

Köhler, Walther

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merkung bzw. durch Verweis auf den Anhang, in welchem
Bornkamm die heutige Sicht der Dinge darstellt.
Das ist etwa bei einem Dutzend Stellen der Fall gewesen
, die im einzelnen hier nicht aufgeführt zu werden
brauchen. Hier werden wichtige Dinge zur Entwicklung
des jungen Luther gesagt, teils in Richtigstellung,
teils in Ergänzung Boehmers, der vom erst 1929 vollständig
veröffentlichten Hebräerbrief z. B. nur Bruchstücke
kannte (zu S. 363, wo Bornkamm das Turmerlebnis
„vielleicht zwischen Herbst 1513 und 1514" datiert,
vgl. jetzt als Ergänzung seinen Aufsatz ARO 37, 1940,
S. 117 ff.: Luthers Bericht über seine Entdeckung der
iustitia dei, wo er als Termin das Frühjahr 1515 erschließt
). Die lange Anmerkung Boehmers im letzten
Kapitel seines Buches über die Lutherstätten und -reli-
quien, welche an diesen mit spitzer Feder Kritik übte
und entsprechende Proteste hervorgerufen hat, ist jetzt
gestrichen und durch einen besonderen Abschnitt S.
353—355: „Lutherstätten und -Erinnerungsstücke" ersetzt
worden, in welchem Bornkamm auf Grund der
neuen Untersuchungen sachlich diese Fragen erörtert.
— Ein ausführliches Personenregister erleichtert den Zugang
zu dem Buch.

Alle diese Ergänzungen sind von besonderem Wert
für jeden, der mit den Fortschritten der Lutherforschung
im einzelnen nicht vertraut ist. Und da der größte Teil
der Leser des Buches zu diesen Kreisen gehören wird,
kommt diesem Teil der Neuausgabe besondere Bedeutung
zu. Der Leser weiß jetzt, daß er sich bei dem Studium
des Buches auf einem Boden bewegt, der so sicher
ist, wie das nach den gegebenen Vorbedingungen sein
kann, und vermag sich ohne Bedenken dem Zauber des
Werkes hinzugeben, das seine Bedeutung behalten wird,
selbst wenn dem immer wieder hervorgehobenen und nie
genug beklagten Fehlen einer modernen, vollständigen
und wissenschaftlich einwandfreien Biographic Luthers
einmal abgeholfen sein wird. Es scheint nicht so, als ob
das in absehbarer Zeit der Fall sein wird, aber vielleicht
bringt uns das nahe Luthergedenkjahr hier einen Fortschritt
.

Berlin " K. Aland

Beekenkamp, Dr. W. H.: Berengarii Turonensis de sacra
coena adversus Lanfrancum. Ad fidem codicis Guelferbytani
edidit et notis instruxit. 's-Gravenhage: M. Nijhoff 1941. (VI, 166 S.)
gr. 8" = Kerkhistorische Studien Deel II.
Nach seiner Studie über die Abendmahlsichre Berengars
von Tours (vgl. diese Zeitschr. 1942, 350f.) legt
Beekenkamp nunmehr eine kritische Textausgabe vor,
d. h. die Wolfenbütteler Handschrift. Besonderer Fleiß
ist auf die Eruierung der zahlreichen Zitate gelegt.
Für Seminarübungen und zum Privatstudium ist die neue
Ausgabe sehr willkommen. Das zur Sache Gehörige
steht in der erwähnten Studie.

Heideliberg W. Köhler

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Kiunke, Martin: Johann Gottfried Scheibel und sein Ringen
um die Kirche der lutherischen Reformation. Kassel 1941.
(478 S.) 8° = Theol. Diss. Erlangen 1941.
Aus dem Buche Kiunkes geht dem Unvoreingenommenen
eindeutig hervor, daß Scheibel, der Vater der
altlutherischen — d. h. evangelisch-lutherischen — Kirche
in Preußen, einen entsprechenden Platz in der Geschichte
der deutschen evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts
verdient, den ihm Horst Stephan in seinem Buche
(1938) z. B. noch vorenthält. Wenn auch die literarisch-
wissenschaftliche Tätigkeit des Breslauer Professors der
Theologie (1811 —1832) nicht von epochemachender Bedeutung
— auch kaum für seine Zeit — gewesen ist,
so dürfte man doch die theologische Gesamtpersönlichkeit
Scheibeis und seine späteren Schritten über die

Agende, über Kirche und Kirchenverfassung, über Abendmahl
und Union heute nicht mehr mit der Charakterisierung
als Zeit- und Streitschriften abtun. In diesen

, Schriften steckt eine Unsumme erstmalig erarbeiteter
Erkenntnisse über das Wesen der Kirche und ihrer Er-

i scheinungsformen, ohne die wir die uns verordneten
Kämpfe dieser Tage nicht führen könnten. Darum widmet
Kiunke das tiefgründigste und systematische achte

I Kapitel seines umfangreichen Buches der Darstellung
von Scheibeis Lehre, der Überwindung des Rationaltsmus
, der Lehre von der Schrift, vom Abendmahl und
von der Kirche und seiner Auseinandersetzung mit der
reformierten Kirche.

Seit E. Foerster (Entstehung der Preußischen Landeskirche
Bd. 2. 1907) hat man sich weithin damit abgefunden
, in Scheibel und der von ihm angefachten Separation
der schlesischen Lutheraner eine mystisch-schwär-

, merische Bewegung von Erweckten aus sozial tief stehenden
Kreisen zu sehen, die sich obendrein auch in einer

j politischen Opposition gegen den Obrigkeitsstaat gefiel.

: Auch wenn die theologisch-liberale Kirchengesdiichts-
schreibung dem preußischen Könige Friedrich Wilhelm
III., seinen Absichten und namentlich seinen Methoden
in grundsätzlicher Ablehnung gegenüberstellt, so hat sie

; doch Scheibeis und seiner Freunde Opposition gegen
das landesherrliche Kirchenregiment als engstirnige

| Haarspalterei, als Zeichen von Streitsucht und konfes-

j sioneller Eigenbrötelei gekennzeichnet, abgeurteilt und

I bagatellisiert.

Bei aller Anerkennung dessen, was die preußische

! Landeskirche als Kirche durch ihre Diener und ihre Lei-

j tnng in mehr als hundert Jahren geleistet hat, müssen
wir doch Walter Geppert dankbar sein, daß er uns

; über das ,Wesen der preußischen Union' (1939) ein
klärendes und weisendes Wort gesprochen hat, so daß

I nun überall in der Kirche wirkliche Stellungnahme und

: Scheidung der Geister möglich ist. Nun kommt auch die

: Zeit, da man über die engen Grenzen seiner Kirche
hinaus Scheibel in seiner Bedeutung gerecht wird. Der

: erste sichtbare Schritt auf diesem Wege ist das vorlie-

i gendc Buch.

Der Verfasser weist unter anderem gegenüber der

i bisherigen Annahme nach, daß Schlesiens evangelische
Kirche bekenntnismäßig noch durchweg lutherisch war,
als im übrigen Gebiet der preußischen Monarchie bereits
Rationalismus und Aufklärung die Bekenntnissubstanz

■: erweicht hatten. Weiter: Scheibel war weder Mystiker

I noch Schwärmer; seine Beziehungen zur Erweckungsbe-
wegung und zu Gemeinschaftskreisen (Brüdergemeine)

; waren gesund und heilsam und für den theologischen
Lehrer wie für den Gemeindepfarrer förderlich. Schei-

; bei. war nicht etwa von allem Anfang an von Haß
gegen die reformierte Kirche beseelt: ohne den Zwang
zur Union hätte er wahrscheinlich nie das Bedürfnis
gehabt, sich mit der reformierten Kirche überhaupt auseinander
zu setzen. Die Spannung trat erst durch den
Zwang der Union auf, der schließlich harte Kampf wurde
ihm von der Landeskirche aufgenötigt.

Der Weg Scheibeis aus der Heimat fort in die
Fremde, aus Brot und Amt in eine ganz unsichere
Existenz hinaus war steil und dornig; es blieb ihm
auf diesem Wege an Entbehrungen, Enttäuschungen und
Sorgen, an Entwürdigendem, Peinlichem und Herbem
so gut wie nichts erspart. Wenn er da schließlich als
Mensch verbittert und rechthaberisch wurde - wenigstens
doch hin und wider so erscheint, dann ist das zu
begreifen. Unzweifelhaft aber ist dieser Weg, ist diese
Haltung, ist dieser unverrückbare Blick auf das Ziel
vorbildlich und verpflichtend für jede „Kirche unter
dem Kreuz" und zumal für den, der eine Kirche durch
das Säkulum führen will. Die Persönlichkeit Scheibeis,
wie sie uns von Kiunke gezeichnet wird, ist vorbildlich
für jeden, der das Bild der Kirche Jesu Christi im Herzen
trägt.

Berlin Otto Lerche