Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1943

Spalte:

139-140

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Werner, Joachim

Titel/Untertitel:

Die beiden Zierscheiben des Thorsberger Moorfundes 1943

Rezensent:

Baetke, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

139

Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 5/6

140

Werner, Joachim: Die beiden Zierscheiben des Thorsberger

Moorfundes. Ein Beitr. z. frühgernianischen Kunst- u. Religionsgeschichte
. Berlin: de Gruyter 1941. (V, 77 S., 16 Textabb., 30 Taf.)
■1° = Römisch-german. Forschgn. 16. RM 20—. !

Im Rahmen der von der Römisch-Germanischen Kommission
herausgegebenen „Römisch-Germanischen Forschungen
" legt Dr. Joachim Werner eine bedeutsame
Monographie über die beiden berühmten Zierscheiben
des Thorsberger Moorfundes vor. Sie eröffnet für die
frühgermanische Kunst- und Kulturgeschichte z. T. neue
Perspektiven und unterzieht auch die an jene Denkmäler
sich knüpfenden religionsgeschichtlichen Fragen j
einer eingehenden Untersuchung.

Das kunstgeschichtliiche Ergebnis der einen weiten Horizont
umspannenden Arbeit läßt sich dahin zusammenfassen, daß beide
Scheiben (wahrscheinlich militärische Dekorationen germanischer Krie- i
ger im römischen Dienst) im frühen 3. Jahrhundert in der römischen
Provinz Niedergermanien (Werkstättenkreis um Saciro) angefertigt
wurden, also provincialrömisches Kunstgewerbe sind — mit j
Ausnahme jedoch des eine spätere Zutat darstellenden Tierfriases j
der 2. Scheibe und der der 1. Scheibe ebenfalls erst nachträglich auf- !
gesetzten Tierbleche, die W. auf Qrund ihrer stilistischen Zusammen- j
gehörigkeit mit einer Gruppe von Tierfriesen auf seeländischen
Siliberkelchen (aus Skelettgräbern des 3. Jahrhunderts) als skandinavische
Kunstschöpfungen erweist. Für die Tierdarstellungen dieses
nordischen Kunstgewerbes nimmt W. Abhängigkeit von antiken Motiven
an, die sich bis auf griechische Tierfriese des 6. und 5.
Jahrh. v. Chr. zurückführen lassen; nachdem sie in der frühen Kaisen-
zeit zurückgedrängt worden waren, treten sie seit der Mitte des
2. Jahrh. aus besonderen Gründen wieder hervor und werden nun
durch Einfuhrgegenstände der römischen Provin/.ialkunst auch dem
Norden vermittelt — eine These von weittragender Bedeutung, da |
durch sie der von H. Shctelig Ii. a. vertretenen Theorie, die die germanische
Tierornamentik der Völkerwanderungszeit ans Elementen
der altskythischen Kunst herleiten wollte, der Boden entzogen wird.
Im übrigen betont W., daß die Zusammenhänge zwischen dem römischen
Vorbild und den germanischen Arbeiten nur im Formalen, nicht
im Stilistischen liegen.

Für die Religionsgeschichte kommt besondere Bedeutung
dem in den 4 Feldern der Randzone der Scheibe !
wiederkehrenden Bildmotiv des sitzenden Kriegers mit
der Gans zu. Es findet sich zahlreich auf Erzeugnissen
der Werkstätten des Saciro-Kreises in Niedergermanien,
aber auch auf Funden aus den Donauländern, Britannien
(Lancashire) und der Schweiz. Glaubt W. schon hieraus j
auf eine weitverbreitete religiöse Vorstellung schließen
zu können, so findet er diese Annahme vor allem bestätigt
durch das bekannte Weihrelief von Housesteads am
Hadrianswall in England, das die gleiche Darstellung
aufweist. Die beiden mitgefundenen Altäre mit den '
Weihinschriften Deo Marti Thingso et duabus Alai- |
siagis bezw. Deo Marti etc. lassen, wenn auch das Relief j
nicht eindeutig zugewiesen ist, doch die Vermutung einigermaßen
berechtigt erscheinen, daß der auf ihm dar- i
gestellte Gott mit der Gans Mars bezw. Mars Thingsus
ist, wie man das ja auch seit langem angenommen hat.
(Volle Sicherheit kommt auch dieser Annahme nicht zu).
W. schließt sich der allgemeinen Ansicht an, daß mit I
Mars Thingsus der germanische Gott Tiwaz bezw. Thingsus
gemeint sei, ohne sie jedoch durch neue Argumente
stützen zu können. Das von ihm bereitgestellte
Material scheint sie mir in keiner Weise zu rechtfertigen
.

Das Motiv des Kriegers mit der Gans findet sich eben doch
nicht nur in Niedergermanien, also dem Gebiet, dem man die Verehrung
des Mars Thingsus zuschreibt, sondern auch in weit davon
entfernten südlichen Gegenden (Siebenbürgen, Niederdonau, Schweiz),
und dieser Befund gestattet sehr wohl eine andere Auslegung
als W. ihm zuteil werden läßt. Es ist eine gallische Kohorte, die das
Relief von Risingham den numinibus Augustorum weihte. Und wenn I
auf der Schöpfkelle von Wettingen (einem Erzeugnis einer gallischen
Werkstatt!) die Wochengötter mit ihren Attributen dargestellt sind,
unter denen sich nichts findet, was auf eine germanische Gottheit
hinweist, so wird die Beziehung des Gottes mit der Gans auf den
germanischen Tiwaz oder Thingsus doch recht zweifelhaft. Nimmt
män noch das Epigramm Martials hinzu, das eine Verbindung
von Mars und der Gans, wie man sie auch beurteilen möge, schon
für das erste Jahrhundert bezeugt, so scheint mir alles dafür zu spre- |
chen, daß der Gott eben der römische Mars war, und daß auch auf

den (von römischen Händen gefertigten) Kunsterzeugnissen des Saciro-
Kreises dieser, nicht ein germanischer Gott dargestellt ist. Ein wirklich
germanisches Zeugnis für eine Verbindung des Oottes Tiwaz
(den mau nicht immer wieder, wie auch W. es tut, als „alten Himmelsgott
" anführen sollte) mit der Gans haben wir nicht, obwohl
wir die Attribute anderer großer germanischer Götter kennen — und
was sollte eine solche Verbindung für einen Sinn gehabt haben?
Sie ist durchaus unwahrscheinlich.

Es sprechen aber auch allgemeine religionsgeschichtliche
Erwägungen dagegen, daß unter dem Mars der
Weiheinschriften der Germania Romana ein deutscher
Gott verehrt wurde. Daß die germanischen Stämme in
Germania inferior noch im 3. Jahrh. („trotz aller Ro-
manisierung") an ihrer völkischen Eigenart durchaus
festgehalten hätten, ist weder bezeugt noch anzunehmen
— am wenigsten für das religiöse Gebiet. Sie
haben die Kulte ihrer römischen Oberherren bezw. die
römisch-keltische Mischreligion dieser Gebiete übernommen
(dazu gehört auch die Matronen-Verehrung, deren
germanischer Charakter keineswegs „gesichert" ist), und
mögen sie dieser auch einige germanische Elemente hinzugefügt
haben, so war die Grundlage doch römisch; dafür
ist schon die Interpretatio Romana ein ausreichendes
Zeugnis, denn warum sollten die Germanen, wenn sie an
ihren Göttern und Kulten so treu festhielten, diese mit
römischen Namen (auf römischen Weihaltären) benannt
haben? Nein, nomen ist hier omen. Auch die Bedenken
Drexels u. a. gegen die „germanische" Trias Mars Herkules
Mercur bleiben zu Recht bestehen. Wir wissen, daß
in zahlreichen Fällen germanische Weiher zweifellos
römischen Gottheiten Steine geweiht haben, andererseits
— darauf hat schon Helm (Altg. Religionsgei-
schichte I, S. 449) hingewiesen — gab es nach dem
Bataveraufstand kaum noch national geschlossene Kontingente
, so daß selbst der germanische Name einer
Truppe nichts mehr dafür beweist, daß sie nur aus Germanen
zusammengesetzt war.

Ich vermag mich nach allem nicht zu überzeugen, daß
das Motiv Mars mit der Gans auf den von W. behandelten
Funden etwas für die germanische Religionsgeschichte
abwirft. Unabhängig davon ist die Frage, ob
die beiden Zierscheiben als Weihegaben im Thorsberger
Moor von germanischen Kriegern — nach Ablauf ihrer
Dienstzeit im römischen Heer, wie W. meint — niedergelegt
worden sind. Bei dem Moor war nach H.
Jankuhns Nachweis eine alte Kultstätte, vielleicht der
kultische Mittelpunkt der Landschaft Angeln, und es
ist eine ansprechende Vermutung Werners, daß die Scheiben
als Votivgaben dort ihren letzten Platz gefunden
haben; dazu war es jedoch nicht nötig, daß die Scheibe
das Bild des Gottes Tiu oder Thingsus enthielt bezw.
daß das Bild von den Weihenden an der Kultstätte von
Thorsberg als Bild dieses Gottes aufgefaßt wurde.
Nimmt man mit W. an, daß die zahlreichen in demselben
Moor gefundenen römischen Waffen und Ausrüstungs-

§egenstände von germanischen Kriegern den in Thorserg
verehrten Göttern geweiht wurden, so kann dies
mit gleichem Recht auch für die Scheibe mit dem Bild
eines römischen Gottes vorausgesetzt werden; ein notwendiger
Zusammenhang zwischen der Annahme einer
Votivgabe seitens eines germanischen Kriegers und der
germanischen Deutung des Bildmotivs besteht nicht, so
daß diese durch jene nicht gestützt wird.

Leipzig Walter B a e t k c

ALTES TESTAMENT UND ALTER ORIENT

Frey, Mag. Hellmuth: Das Buch der Kirche in der Weltwende.

Die kleinen nachexilischen Propheten. Für Freunde u. Verächter der
Bibel ausgelegt. Stuttgart: Calwer Vcreinsbuchh. 1941. (352 S.) 8° =
Die Botschaft d. Alten Testaments Bd. 24. RM 7—.

In dem großangelegten, sehr zeitgemäßen und dankbar
zu begrüßenden Werke „Das Buch der Kirche in
der Weltwende" behandelt Frey die 6 kleinen nachexilischen
Propheten Haggai, Sacharja (1—8), Maleachi,