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Ausgabe:

1943

Spalte:

135-138

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Frühhistorische Literaturformen 1943

Rezensent:

Mohr, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 5/6

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Meridier); die dogmatischen Ausführungen über die Trinität (V int 20,
S. 1)8) sind orthodox und entsprechen u. a. Katechese 1,1, S. 8 und
3, 1, S. 18 Meridier aufs genaueste (cf. auch zahlreiche Belege
dafür in contra Eunomium), aber zugleich warnt Symeon wie Gregor
vor jeder unnötigen Erkenntnis und weist auf den fragmentarischen
Charakter alles Wissens hin, wobei beide sich des gleichen Bildes
bedienen (man trinkt das Wasser, ohne lange darnach zu fragen,
woher es komme: H 12, 10 b—14, S. 114, Oregor betont besonders
im Kampfe gegen den Rationalismus des Eunoniius unermüdlich, daß
das atws nicht zu erforschen sei; cf. auch Katechese 3, 1, S. 18 (in-
bezug auf die Trinität); 11,2, S. 70 Meridier (inbezug auf die
Menschwerdung; in baptismum Christi, MSQ 46, 584 D (inbezug
auf die Schöpfung)). Beide stimmen in ihren Ansichten über die
Naiturenlehre Christi überein und ziehen daraus die gleichen Folgerungen
für die Soteriologie (B 20, S. 206 und Katechese 37,3 f.,
S. 174 Meridier — in Verbindung mit der Eucharistie). Fast wie
ein Nachhall aus Katechese 22, 1, S. 1 Oft Meridier mutet uns B 37,
S. 220 an, wo Symeon darlegt, daß Gott an sich dem Teufel
durch ein bloßes Machtwort seine Beute hätte entreißen können,
daß seine Gerechtigkeit ihn aber daran gehindert habe. Gottes Allmacht
zeige sich gerade darin, daß er bei voller Wahrung der Gerechtigkeit
den Menschen gleichwohl rette. Dies erfolge dadurch,
daß der Teufel durch Christi leidensfähiges Fleisch geködert werde
(B 50, S. 256 und Katechese 23,3, S. 110 Meridier — im einzelnen
etwas anders ausgeführt). Mit beredten Worten hat Gregor
des öfteren den rastlosen Drang des Frommen nach immer größerer
Vollendung beschrieben (z. B. Katechese 21,3, S. 102 Meridier:
x(vr}o*i£ . . . jtqoc; to äyu9öv üei yiYvolisvov. iv $ i| iroooftog
otriotv (riix e'xsi), Symeon redet die gleiche Sprache: „Denn das
Gute entzündet nur zu größerer Begierde (B 34 X, S. 220, cf. V
br 20, S. 117).

Ja, an einer Stelle sind die Berührungen zwischen
beiden Theologen so eng, daß man mit einer förmlichen
Anleihe rechnen muß, die der eine beim anderen aufgenommen
habe. Der zweite Teil von Gregors Traktat
de instituto christiano weist nämlich starke Ähnlichkeiten
mit gewissen Partien des sog. großen Briefes auf. Dör-
riies akzeptiert Villecourts These, wonach Gregor Sy-
meons Schriftstück exzerpiert habe (S. 147, A. 1), während
Stiglmayr diesen von jenem abhängig sein läßt.
Meine eigenen Studien haben mir die Einsicht vermittelt
, daß Gregors Traktat eine Einheit ist, daß auch in
seinem zweiten Teile alle Ausführungen in die charakteristischen
Grundansichten dieses Kirchenvaters eingebettet
sind, daß alles den Stempel des Originalen und
Echten, nicht aber des Entlehnten und Exzerpierten an
sich trägt, was freilich hier nicht im einzelnen bewiesen
werden kann.

Nun wird Verf. dies alles vielleicht nicht bestreiten
wollen; gibt er ja doch zu, daß Symeon „aus der Schule
der kappadokischen Theologie" stamme (S. 327). Aber
darauf wird er gewiß den Nachdruck legen, daß diese,
an sich kirchlichen Gedanken in fremde, d. h. mes-
salianische Sinnzusanimenhänge gestellt sind und damit
einen neuen Klang erhalten haben. Es würde uns zu
weit führen, wollten wir hierauf erschöpfend antworten.
Wir wiesen bereits auf die Gestaltung der Tauflehre
hin, die man nicht in häretischem Sinne deuten muß,
ein Gleiches wäre über die Gebetstheorie zu sagen.
Symeon wendet sich nicht allein gelegentlich gegen die
messalianische Gebetspraxis (Ablehnung des Schreiens,
B 29, S. 211, cf. S. 213 und H 51, S. 325), er kämpft

auch nachdrücklich gegen jede Isolierung des Gebetes,
indem er es mit der Reinigung des Herzons verbindet
(B 7r, S. 71) und dem tätigen Liebesdienst alier Beschaulichkeit
gegenüber sein Recht erstreitet (B 4 z', S.
47). Mit dem allen werden aber offensichtlich die häretischen
Bahnen verlassen, denn daß das Gebet eine Zentralstellung
im inneren Leben des wahren Christen zu
beanspruchen habe, hat schon Origenes gelehrt und praktisch
betätigt. Daß Gebet und Sünde aufeinander bezogen
werden (B 38 a, S. 98), ist kein Kennzeichen
des Messalianismus, denn auch Gregor kann schreiben:
ötü jtpoo-euxrjc, . . . Fy.xaünnüi-i'c (non esse dolendum
ob eorum obitum, qui in fide obdormierunt, MSG 46,
524 B). Und die Forderung des unablässigen Gebets,
die der Apostel erhoben hat, ist ein Merkmal christlicher
Vollkommenheit überhaupt. Daher schildert Gregor das
Leben, das seine Schwester Macrina mit der Mutter
führte, mit den Worten: w xic jtpoo-Euyrj; dSidtaunov xoti f)
uitavoT05tiuv(pota(Vita S. Macrinae, MSG 46, 969 D). —

Es wäre ja gut denkbar, daß in die uns jetzt zugänglich
gemachten Sammelwerke neben kirchlichen auch gelegentlich
häretische Abschnitte aufgenommen sind. Die
Aufgabe der Forschung hätte dann darin zu bestehen,
in geduldiger Arbeit und ohne jede Voreingenommenheit
Seite um Seite zu interpretieren und dabei immer
auch darauf zu achten, ob den jeweiligen Ausführungen
nicht ein ganz korrekter Sinn zu Grunde liege. Dabei
werden die häufigen Beziehungen zu den alexandrinischen
Theologen, zu Gregor v. Nyssa, zum damaligen Mönch-
tum es an sich schon nahe legen, im Autor nicht einen
Anhänger einer wenig bekannten Sekte zu sehen, sondern
einen kirchlichen Mönch, der vielseitig gebildet es
mit seinem Berufe ernst genommen und einen beträchtlichen
Einfluß ausgeübt hat.

Ich bin mir freilich darüber nicht im Unklaren, daß
dieser Standpunkt heute völlig isoliert ist und außer
von Stiglmayr (cf. aucli seine gelegentliche Bemerkung
in „Zeitschrift für Aszese und'Mystik" VIII, 1933, S.
362) nur noch von Arseniew vertreten wird, der sich
instinktiv und recht temperamentvoll gegen den messa-
lianischen Charakter dieser Homiüen ausgesprochen hat
(im Sammelwerke „Der christliche Osten", hrsg. v. J.
Tyciak u.a., 1939, S. 173 ff. und 208, A. 48 ff.). Es
läge aber doch wohl nicht außerhalb des Bereiches des
Möglichen, wenn gerade die Bemühungen, die die heute
herrschende These am umfassendsten begründen solien,
den Anstoß für eine rückläufige Bewegung des Urteils
bildeten. Doch sei dem, wie ihm wolle, das große Verdienst
von Dörries besteht zweifellos darin, uns eine
Fülle neuer und wichtiger Texte erschlossen zu haben.
Wie viel entsagungsvolle Arbeit der gelehrte Autor
hierbei geleistet hat, bezeugt jede Seite seines umfangreichen
Werkes. Könnte es für ihn eine größere Freude
geben, als wenn die Bemühungen um die sog. Makarius-
Homilien aufs neue einsetzten und zu immer größerer
Klarheit vorzudringen versuchten? Zu wünschen wäre es,
denn wir haben es hier mit Schriften zu tun, die für das
geistliche Leben der alten Kirche von kaum zu überschätzender
Bedeutung sind.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Vries, Jan de: Altnordische Literaturgeschichte Bd. l: Früh-
histor. Literatuirformen. Die heidnische Periode. Die Zeit d. Bekehrung
bis zum Jahr 1100. Berlin: De Gruyter 1941. (VIII,
295 S.) gr. 8° = Grundriß d. germ. Philologie 15. RM 10.50;

geb. RM 12—..

Die neue Geschichte der altnordischen Literatur soll
die ältere Darstellung von E. M o g k im Grundriß der
germanischen Philologie ersetzen. Diese gab für ihre
Zeit eine knappe und zuverlässige Übersicht über das
Vorhandene; von den Fragen, die uns heute beschäftigen
— Fragen nach dem Verhältnis der nordischen Überlieferung
zur älteren Germanischen der Völkerwanderungszeit
und nach der geistesgeschichtlichen Stellung der
nordischen Denkmäler — war sie ziemlich unberührt.
J. de Vries schiebt die Aufgabe, die für Mogk und auch
für F in nur Jönsson in seiner (dänisch geschriebenen
) altnordischen Literaturgeschichte im Vordergrund
stand, den Tatsachenstoff möglichst vollständig aufzureihen
, beiseite; was es gibt, was darinsteht, wie es
überliefert ist, setzt er als bekannt voraus. Ein elementares
Lernbuch ist seine Literaturgeschichte nicht geworden
; für etwas Derartiges scheint heutzutage überhaupt
kein gutes Wachswetter zu sein, wenn es auch Lernbegierige
genug gibt, die gerade danach verlangen.

J. de Vries will aus den überlieferten Dichtungen die nordische
Geistesgeschichte der Wikingzeit ablesen, die undatierten eddi-