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Ausgabe:

1943

Spalte:

107-108

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heuer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Begierdewollen und Erkenntniswollen 1943

Rezensent:

Schmidt, H.

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Seite 1

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107

Eduard Sprangers überaus hingebungsvolle
Studie leuchtet nicht nur tief hinein
•in Schillers ringendes Menschentum, sie
enthüllt an Schillers Geistesart auch wesentliche
Züge der Klassik.

Tübingen Georg W e Ii r u n g

Heuer, Wilhelm : Begierdewollen und Erkenntniswollen. Heidelberg
: Carl Winter ;1941. (IV, 211 S.) gr. 8°. RM6-.
Das eigentliche Thema des Buches, das ein Beitrag
zur Psychologie und Erziehung des Willens sein will,
wird in den Kap. 3—5 (das Begierdewollen und das
Erkenntniswollen und ihr Verhältnis zueinander) behandelt
. Die beiden ersten Kap. („Vom Ärger" und „Die
andere Sprache") leiten vorbereitend auf die dort behandelten
Probleme hin. Die Gefühle werden hier als
die „Art und Weisen" beschrieben, „wie die Hemmung
bzw. Förderung von Willenstendcnzen sich in unserem
Bewußtsein geltend macht". Auch die Musik als Wek-
kerin von Gefühlen soll diesen Zusammenhang von Gefühl
und Willenstrieb bestätigen, denn sie sei nichts
anderes als eine Erscheinung der „zweiten Sprache",
welche nicht wie die erste, eigentliche Sprache durch
sinnvolle Lautfolgen „Vorstellungen" übermittelt, solide
:;! durch „Sprechmuskclbcwegungen" Willenstendenzen
überträgt. Es liege deshalb „das Wesentliche einer
musikalischen Einwirkung nicht in den Tönen, die wir
hören, sondern in den Muskelbewegungen, bzw. Bewegungsimpulsen
, die durch die Tonfolgen in uns ausgelöst
werden" (46; Marsch- und Tanzmusik!). Die seltsamen
Irrwege, welche die Gedanken des Vfr. hier
gehen, offenbart auch folgende These: „Entkleide ein
Dichterwort seiner dichterischen Form und der Gedanke,
der übrigbleibt, verliert für uns an Interesse". Der Vfr.
ist sich selbst über die Anfechtbarkeit solcher Theorien
im Klaren.

Was heißt nun Beg ie rdewollen und was Li r -
kenntniswollen? Das Begierdewollen wird durch
einen Erregungszustand (Lust, Unlust, Ärger,
Argwohn, Neid) zur Auslösung gebracht, der die Form
eines „Zwanges" hat; es stellt eine Art von „Besessenheit
" dar und ist von „subjektiven Faktoren"
und „anderen Zufälligkeiten" abhängig; es ist das Wollen
des Ichmenschen (133). Das Erkenntniswollen
dagegen geht aus unserer Erkenntnis hervor (genauer
: aus der Erkenntnis unseres Bedürfens und ^einer
sachgemäßen, richtigen Verwirklichung) und wird
durch eine „Nötigung" ausgelöst, die im Gegensatz
zum „Zwang" der Freiheit Raum läßt; es ist nicht
ein „subjektiv", sondern ein „sachlich" gerichtetes
Wollen, das Wollen des „Auf gaben menschen".
Die Basis beider Willensweisen ist die gleiche: „das
Bedürfen"; aber beim Begierdewollen ist die üefülils-
leidenschaft und nicht die Erkenntnis bestimmend; die
Erkenntnis ist hier nur das mehr oder weniger mißbrauchte
Werkzeug in der Hand der Erregung. Begierdewollen
und Erkenntniswollen stehen so in einem
vorwiegend gegensätzlichen Verhältnis, zugleich
aber auch in einem entwicklungsmäßigen Stufen Verhältnis
: das Begierdewollen ist die „überlebte bzw.
überholte Form der Willensbildung" und muß durch das
„moderne", höherwertige Erkenntniswollen allmählich ersetzt
werden (134, 165, 168)1. Ist also die Erkenntnis
das gute Prinzip und der leidenschaftslose Mensch
der gute Mensch? Auf diese Frage geht Kap. 0 („Tugend
ist Wissen") näher ein und es wird hier gezeigt:
Sobald das Wissen, genauer: das richtige, „mit der
Wirklichkeit übereinstimmende Wissen" (141), die
einzige Macht ist, die unseren Willen bestimmt, sobald
es also nicht mehr vom Begierdewollen durchkreuzt
wird und die Erregungszustände ausgeschaltet sind, existiert
der Mensch im Bereich des Guten. Die Problematik
des Begriffs „Wirklichkeit" wird in diesem
Zusammenhang freilich nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Darstellung der Grundgedanken des Buches zeigt

schon in aller Deutlichkeit seine Schwächen. Die Kompliziertheit
des seelischen Vorgangs wird vom Vfr. meist
zu sehr vereinfacht und schematisiert und oft nur einseitig
beleuchtet; so wird beim Begierdewollen nur die
negative, asoziale Seite des Gefühlslebens (Lust und
Unlust, Ärger, Eifersucht, Mißliebigkeit) berücksichtigt;
es werden nur seine krankhaften und überspannten Abarten
dargestellt; Trieb und Gefühl bekommen von vornherein
die ethisch bestimmte Qualifikation der „Begierde
" und „Erregung". Die Erkenntnisse der moder-

j neu Ganzheitspsychologie sind nur wenig berücksichtigt
Zwar wird vom Vfr. gesehen, daß auch das sog. Erkenntniswollen
biologisch fundiert und in den Triebme-
chanismus des vitalen Menschenwesens eingeschlungen
ist, aber es werden diese Zusammenhänge nicht ernsthaft
im Sinn ganzheitspsychologischer Gesichtspunkte
durchleuchtet; vielmehr wird sofort dogmatisch ein qualitativer
und wesentlicher Gegensatz zweier Willen*-
formen konstruiert. Die vermeintlichen bloßen „Überschneidungen
" und „Zwitterbildungen" des Willens interessieren
den Vfr. nicht (105). Seine psychologischen
Analysen gehen so weithin künstlich abstrakte Wege und

| springen unversehens in das Gebiet des Ethischen hinüber
. Der Vfr. ignoriert in auffälliger Weise die Ergebnisse
und Begriffsbilduugen der modernen wissenschaftlichen
Psychologie. Nur noch ein Beispiel für die
Unscharfe seiner Begriffsbildung: er sucht den Willen
im Grenzgebiet zwischen Geistesleben und Leibesleben.
Das „Geistesleben" umfaßt bei ihm Bewußtsein und
Bewußtseinsinhalte (in diesem Sinne haben also auch
die Tiere ein „Geistesleben"). Die Demut, welche nach
Meinung des Vfr.s gleichsam die Umschalttmg des Be-

i gierdewollens auf das Erkenntniswollen bewirkt (Kap.

I 8), soll ihren Sitz (ebenso wie der Hochmut) im Muskelsystem
haben, eine besondere Einstellung des Muskel-

| Systems sein. Derartige „Muskelhaltungen" werden, wo
sie Für den Willen mitbestimmend werden, zu „Ge-

: sinnungeu" und „Geisteshaltungen".

Hinter diesen verwegenen Formulierungen stecken
sicherlich richtige Beobachtungen, die aber nur einseitig
und schief zur Geltung kommen. Die Mängel des Buches
überdecken an vielen Stellen seine Vorzüge, die
wohl in erster Linie auf seelenpädagogischem und ethischem
Gebiet liegen, hier und dort aber auch auf dem

; Gebiet psychologischer Beobachtung, vor allein im Ka-

j pitel vom Ärger.

Wien H. W. Seh in i d t

i Larenz, Prof. Dr. Karl: Hegelianismus und preußische Staatsidee
. Die Staattphilosophie Job. Ed. Erdtnaoni u. d. Hegelhild d. ig.
Jahrb. Hamburg: Hanseat. Verlagsanstalt. (69 S.) 8°. RM 2.50.

Noch immer wird vielfach Hegeis politisches Denken
als eine zeitgebundene, durch die Wirklichkeit des damaligen
preußischen Staates bestimmte Philosophie ver-
| standen. Demgemäß wird Hegel als „preußischer Staatsphilosoph
" oder gar als „Philosoph der Restauration"
abgewertet, der uns heute nichts mehr zu sagen habe.
Dieser Ansicht tritt der Kieler Rechtsphilosoph Karl
Larenz mit der vorliegenden Schrift entgegen, um
den Weg zu einer zutreffenderen Würdigung Hegels
•in seiner Bedeutung für unsere Zeit freizumachen.

Zunächst weist L. mit Recht darauf hin, daß schon
aus zeitlichen Gründen Hegels Staatsverständiiis nicht,
wie man behauptet hat, durch seine Obersiedlung nach
Preußen ausgelöst worden ist. Denn die Grundgedanken
der Rechtsphilosophie, des abschließenden staatsphilosophischen
Werkes Hegels, sind bereits in der in Heidelberg
verfaßten Eucyklopädie von 1817 in konzentrierter
Form niedergelegt. Sie lassen sich sogar ohne
Bruch bis auf den Naturrechtsaufsatz und das System
der Sittlichkeit von 1801 zurückverfolgen. Freilich kann
und will L. nicht die innere Verwandtschaft der He-
gelschen Philosophie mit dem zeitlosen Geiste des Preu-
ßentums in dem Gedanken der unbedingten Hingabe an
das Ganze bestreiten. Hier liegt wohl auch der Grund,