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Ausgabe:

1943 Nr. 3

Spalte:

105-107

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Spranger, Eduard

Titel/Untertitel:

Schillers Geistesart 1943

Rezensent:

Wehrung, Georg

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106 Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 3 4 106

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE Betrachtung des Schönen muß sofort die des Erhabenen
* »ii^oiyi iiiu luuLf »^'^-_- in der spateren kleinen Schrift als Ergänzung hinzuge-

Spranger, Eduard- Schillers Oeistesart, Bespiegelt in seine,, nommen werden. Al^r schon die Briefe verstehen unter
W«£hische7 Triften und Gedichten. Berlin: Verl. d. Akad. d. dem Ästhetischen eme dritte Welt, in der wie das
Wiss i Komm b w d Gruyter & Co. 1941. (79 s.) 4° - Abh. d. Harmontsch-Schone, so das Erhaben-Tragische Raum hat,
Preuii Ak d Wiss )g 1941 Phfl.-hist. Kl. Nr. 13 RM 5—. nur die tatsächliche Ausführung fehlt. Indem diese

Während man um die Jahrhundertwende mit Schiller ! dritte Welt das Reich der unendlichen Bilderfülle, wo
als dem Dichter der lugend schnell fertig zu sein meinte, auch die sittlichen Phänomene eine eigene Behandlung
hat in den letzten Jahrzehnten wieder ein reiches Be- fahren, anders als bei Karrt an die Spitze der drei
mühen um ihn eingesetzt, das sich von der Kraft seine. Welten gesetzt wird, tendiert Schiller wieder zu einer
Denkens und Schaffens ganz anders beeindruckt zeigt. ! Stufenordnung im neuplatonischen Sinne und grenzt sich
Einfall und Willkür fehlen zwar nicht; von Nietzsche : damit ebenso ab vom monistischen wie vom dualistischen
oder Klao-es oder überhaupt einer neuesten Weltan- Idealismus, also auch von Kants Moralismus, dem in
sclvumng "aus sollte er etwa verstanden, sein Weg mußte denselben Briefen zuvor das Wort geredet ist. Wo ein
dabei natürlich als Fehlweg beurteilt werden. Doch über- : sonst tüchtiger Denker handgreiflich inkonsequent wird,
Wiegt die sachliche Würdigung seines Werkes und We- : sagt Spranger mit Recht, da packt man seines Lebens
sens sei es in zusammenfassenden Darstellungen, sei es Mitte. Den tiefsten Einblick in Schillers Wesen selbst
in Einzelstudien. Unter den letzteren ragt jedenfalls die gewa'irt dann seine reifste philosophische Leistung, die
meisterhafte Akademieabhandlung von Ed. Spranger her- Schrift über naive und sentiinentalische Dichtung, die nun
vor die sowohl wegen ihrer methodischen Umsicht als über die ästhetischen Briefe hinaus in einer die wei-
weöcn ihrer sorgfältigen Analyse vorbildlich genannt 1 Entwicklung des Idealismus nachhaltig bestimmen-
werden darf Es ist ein fruchtbarer Gedanke, die ; den Weise die Unterschiede des Griechentums (Haf-
Geistesart Schillers mit ihren Spannungen und ihrem i monie der unbewußten Einheit mit der Natur) und der
Rinken o-erade von gewissen Geistesschöpfungen, den Moderne (Zerrissenheit des Wesens) herausarbeitet und
philosophischen Gedichten und Schriften, her aufzuhellen : g* Aufgabe der Wiedergewinnung der Einheit auf neuer
und damit o-ewissermaßen wiederum diese selbst von I Stute stellt, da die einfache Ruckkehr nach Arkadien
jenem Rinken her in ihren mannigfaltigen Widersprii- l uns nioit mehr vergönnt ist. In der Tat kommt es Schlichen
verstandlich zu machen, — die Fruchtbarkeit dieser I «X darauf an, Recht und Starke semer vorwiegend sen-
Betnichtuno-sweise würde vielleicht durch einen Vergleich 1 timentalischen Art zu vertreten und sich zum Dritten,
mit parallel laufenden Untersuchungen, die jenen wech- zur Synthese von beidem, zu bekennen. „Hier endlich
selseitigen Blick nicht üben, schärfer ins Licht gerückt : haben wir den ganzen Schiller: nicht als einem
weiden, doch ist das hier nicht angängig. Die Be- i Typus menschlicher Geistesart zugehörig, sondern in
schränkung auf das sogenannte Intervall zwischen den seiner machtigen Bewegung zwischen Natursuchen und
beiden dichterischen Perioden ist bei dem philosopht- 1 dealsuchen, fortgetrueben von der Stummheit und Wilschen
Verfasser ohne weiteres begreiflich. Das war enlosigkeit der Natur zur sittlichen Idee, zurückgetrie-
ebeu in besonderem Maß die Zeit der grundsätzlichen i pen von der Ferne der Idee zum mütterlichen Lebens-
Besinnung Schillers, in der er über sich selbst, seinen j »öden der gesunden Natur und ihrer sinnlichen Andichterischen
Beruf, die Stellung des Ästhetischen über- j schauungsiülle". Also kein ruhender, kein geradlinig
haupt Klarheit suchte und in der Vertiefung in die Welt j fortschreitender Geistestypus, vielmehr eine widersprüch-
der Geschichte und in die Kunst der Griechen über ' J"*« Scelenverfassung und der ernste Kampf um die
seine Schranken hinauswuchs. Spranger geht nun so | Oberwindung dieses Zwiespaltes! Darum war Schiller

vor, daß er die von Ditthey gerade aus jener großen
Epoche abgelesenen geisteswissenschaftlichen Kategorien
objektiver Idealismus — Idealismus der Freiheit probeweise
und vorsichtig an Schiller heranträgt, bereit diese

der berufene Dichter des Erhabenen, des tragischen Zusammenstoßes
mit dem Weltlauf, der heroischen Verklärung
dieses Zusammenstoßes im Glauben au eine höhere
Teleologie, an einen verborgenen gütigen Willen

Gliederung nach Bedarf zu verfeinern und zu erweitern. hjer bricht zugleich der von ihm wohl erkannte Ab-

Tatsächlich erweist sie sich als zu grobmaschig. Schiller
gehört weder mit dem monistischen noch dem dualistischen
Geistestypus, weder mit Kant noch mit Goethe
eindeutig zusammen. Vor seiner Begegnung mit Kant
ist er, Leibnizsche Luft atmend, eher der neuplatonisch-
panentheistischen Zwischenform zuzuzählen. Aber die

stand seiner Tragödie von der griechischen Tragödie auf.
Spranger nennt diese widersprüchliche-harmoniesuchende
Weise die eigentümlich deutsche Geistesart; eine solche
ist sie gewiß, wohl auch die tiefste; für andere daneben
wollen wir uns schon offen halten.

Es ist lehrreich zu sehen, wie bei Schiller auf die

Pole und Risse seines Lebens treten bereits sichtbar I dritte Welt des ästhetischen Scheines ein religiöser
hervor und treiben ihn weiter. Er muß um Ausgleich, i Schimmer fällt; sie schwebt, sagt Spranger, in beglücken-
um innere Integration ringen, wobei ihm merkwürdig der Höhe über der moralischen Welt, sie entlastet von
genug eine wichtige Hilfe gerade die philosophische Re- ] dem Druck der abgeängstigten Pflicht, ja sie erlöst und
flexion wird. Wirklichkeit und Idealität bleiben nicht j macht für die realen Kämpfe stark. Im Aufschwung
fremd neben einander, sie greifen ineinander, wenn- zu dieser Welt erfährt das ästhetische Gemüt die Vergleich
sie nicht zusammenfallen. Die Berührung mit der j söhnung, die über den Kampf im Innern hinaushebt. Das
Natur wird kräftiger, ohne daß sie Goethesche Formen I darf man in der Tat Schillers stille Religion nennen, —
annimmt; sie wird erarbeitet, wird nicht mühelos ge- | es ist das Höchste, wozu vom Ästhetischen her die Klas-
wonnen. ' Immer deutlicher wird in der Darstellung sik gelangen konnte. Einige Jahre später, in den Reden
Sprangers daß der objektiv-idealistische (Goethesche) ' Schleiermachers tritt die Religion als ein selbständiges,
Typus und der subjektiv-idealistische (Kantische) Typus ! aus eigenen Wurzeln stammendes Grunderlebnis auf,
in Schiller selbst ineinander verlagert sind. Das macht nicht mehr bloß als Anhang zur Moral oder als Verseinen
Durchbruch zur Einheit und Selbstgewißheit so brämung der ästhetischen Funktion, sondern als ein
schwer und bewahrt nicht vor überraschenden Wendun- Neues und anderes gegenüber dem Guten, Wahren,
gen. Während z B. „Anmut und Würde" gegen Kant Schönen, als ihrer aller Überwölbung, als Trägerin der
die Zusammenhänge des Vernünftig-Sittlichen mit dem echten Universalität der Menschheit. (Zu dieser Paral-
Sinnlich-Natürlichen, also die Ganzheit des Menschen, lele und Antithese von Schiller und Schleiermacher ver-
als Forderung aufstellt, spricht in dem Gedicht „das gleiche man mein Buch Schleiermacher in der Zeit seiideal
und das Leben" alsbald wieder ein schroffer n>es Werdens, S. 157 ff.) Wir stehen an der Wende
Kantischer Rigorismus. Darum sind im Grunde die von der Klassik zur Romantik, die von einem stärkeren
Briefe über die ästhetische Erziehung nur Fragment, Einstrom rein religiöser Kräfte, von einem urspriing-
sie drücken nicht die ganze Meinung Schillers aus; zur licheren Unendlichkcitsdraiig gespeist ist.