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Ausgabe:

1943

Spalte:

99-100

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gummerus, Jaakko

Titel/Untertitel:

Michael Agricola 1943

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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Seite 1

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der Königin Anna und des Grafen Hartmann, der Gemahlin
und des Sohnes Rudolfs von Habsburg. „Bis
etwa um die Mitte des XV. Jahrhunderts war infolge
der vielen Stiftungen die Zahl der täglich zu lesenden
gestifteten Messen derart gewachsen, daß ihre Zelebra-
tion, die ohne Innehaltung einer Reihenfolge willkürlich
erfolgte, eine Störung war und der Gottesdienst darunter
litt. Das Domkapitel sah sich daher am 5. Dezember
1477 veranlaßt, durch ein Statut einen Ordo miissaruim
festzusetzen. Zunächst wurde die Zahl der im Laufe des
Tages zu lesenden Messen auf 13 beschränkt, dann
wurde vorgeschrieben, an welchen von 13 ausgewählten
Altären jeweils Messe zu lesen war, und festgesetzt, daß
mit der neuen Messe erst dann begonnen werden dürfe,
wenn die nach dem ordo missarum vorhergehende zu
Ende ging. So wurde während rund 6 Stunden im Tag
fortwährend irgendwo im Münster Messe gelesen. Unberührt
davon hatte der Chordienst daneben seinen eigenen
Verlauf." Als zweiter umfangreicher Anhang bietet
ein „Glossar" eingehende „Namen- und Sacherläuterungen
zum ,Ceremoniale' ". Endlich beschließt ein Namenregister
das wertvolle Werk.

1938 hat die philosophisch-historische Fakultät der
Universität Basel den Verfasser mit der Ehrendokto-
rierung ausgezeichnet. In der Tat hat er ein Werk geschaffen
, das für die Erkenntnis des kultischen Lebens
im ausgehenden Mittelalters von großem Werte ist.
Ba-el Ernst S t a c h c 1 i n

KIRCHENGESCHICHTE. REFORMA TIONSZEIT

Gummerus, Jaakko: Michael Agricola. Der Reformator Finnlands
. Sein Lehen u. sein Werk. Helsinki: Akatceminen Kir-
jakauppa in Komm. 1941. (13f> S. m. Abb., 1 Titelb.) gr. 8"
Schriften d. Luther-Agricola-Oes. in Finnland 2. RM i—.

Ober den finnischen Reformator waren wir bisher
in Deutschland nur durch einige Zeilen in der RE 1 und
RGG - und durch einige Seiten von A. Hjelt über
Agricolas Bibelübersetzung (in den Theol. Studien Theodor
von Zahn dargebracht 1008) unterrichtet. So ist
es hochverdienstlich, daß die kürzlich unter Mitwirkung
von Bischof D. Heckel begründete Luther-Agricola-Ge-
sellschaft in Finnland die finnische Biographie Agricolas
von Jaakko Gummerus nun in deutscher Sprache herausgebracht
hat. Gummerus, früher Professor der Kirchengeschichte
in Helsinki, dann bis zu seinem Tode
(1933) Bischof von Tampere, war während seines Studiums
in Deutschland Schüler von Brieger und Loofs
und hat sich auch in der allgemeinen Kirchengeschichte
einen guten Namen gemacht, namentlich durch eine
gründliche Untersuchung über die homöusianische Partei
(1900). Er wandte sich später der Gestalt Agricolas
zu, schrieb das vorliegende Lebensbild (1908) und begann
umfassende Quellenstudien zu Agricolas Gebetbuch,
ohne sie aber noch vollenden zu können; von anderer
Hand ergänzt harren sie nun des Druckes. In das Verdienst
um die deutsche Ausgabe der Biographie teilen
sich vor allem die Übersetzerin, Frau Helene Puukko
geb. Füchsel, die Gattin des auch in Deutschland wohlbekannten
finnischen Alttestamentiers, und der Heraus-

§eber, der jetzige Kirchenhistoriker von Helsinki Ilmari
alomies, der eine Reihe ergänzender und berichtigender
Anmerkungen beigesteuert hat. Die sehr gut lesbare
Übersetzung und die hübsche Ausstattung mit alten Holzschnitten
und neuen Photographien der Wirkungsstätten
Agricolas helfen ausgezeichnet dazu, dem deutscheu
Leser das Bild des großen Mannes vertraut zu machen.

Michael Agricola ist wirklich in mehr als einer Hinsicht
der Luther Finnlands. Zwar nicht der erste Bote
des Evangeliums, aber sein bedeutendster und wirkungsvollster
Zeuge, hat er nach seinem Studium in Wittenberg
(1536—1539) als Rektor der Schule zu Turku
(1539 - 1548), Mitglied des Domkapitels und Visitator,

schließlich in seiner durch einen frühen Tod jäh beendeten
Tätigkeit als Bischof zu Turku (1554- 1557) den
festen Grund zu der kraftvollen und stetigen Entwicklung
des finnischen Luthertums gelegt. Während er als
Theologe neben Luther nicht genannt werden kann,
sondern sein dankbarer Schüler ist, war er ihm als praktischer
und zielbewußter Organisator wohl eher überlegen
. Beide verbindet ein starker Zug zum Volkhaften,
ein umfassendes Wissen um Brauch und Aberglauben
und vor allem der Drang, ihrem Volke das Evangelium
in der eigenen Sprache zu schenken. Bevor Agricola
das Neue Testament (1548), dann Teile des Alten
und andere Übersetzungen herausgeben konnte, mußte
er sein Volk mit seinem ABC-Buch (1542 oder 151'S) in
einer einheitlichen Sprache lesen und schreiben lehren.
Indem er den Dialekt der führenden südwestfinnischen
Landschaft um Turku in bewußter Arbeit mit Ausdrücken
der übrigen Landschaften bereicherte, wurde er
der Begründer der finnischen Schriftsprache. Mit diesem
Elemeutarzustaiide des damaligen Finnischen hängt
es freilich zusammen, daß Agricolas Übersetzung 1938
durch eine völlig neue Kirchenbibel ersetzt werden mußte,
die dem heutigen Stande der Sprache entspricht (S. 05 ').
Unter den übrigen Schriften Agricolas erweckt sein 1544
erschienenes Gebetbuch unser besonderes Interesse, da
es nach dem Ergebnis der noch unveröffentlichten Untersuchung
von Gummerus schon wesentlich früher, als
es nach den Forschungen von P. Althaus d. Ä. in
Deutschland der Fall ist, aufs stärkste aus den Gebeten
des Erasmus genährt ist (S. 51 '). Das setzt eine unbedenkliche
Benutzung nichtevangelischer Glaubensgedanken
voraus, die auch sonst bei Agricola zu beobachten
und aus dem günstigeren Bilde, das G. von der reformatorischen
Kirche Finnlands zeichnet, und aus dem
Fehlen des scharfen religiösen und politischen Kampfes
erklärlich ist. Auch die übrigen Schriften Agricolas
sind praktischer Art, sodaß eine eigentliche Theologie
von ihm nicht entworfen werden kann. Er bleibt im wesentlichen
der Vermittler außerfinnischen Geistesgutes;
seine liturgischen Schriften ruhen vor allem auf denen
von Olaus Petri. Nur seine Kirchenlieder stammen aus
dem Meßbuch der finnischen Kirche. Obwohl sie an
Zahl nicht gering sind, er auch sonst offenbar den
Reim liebte und sich manche hübsche Bilder aus der heimatlichen
Anschauungswelt finden die falsche, separatistische
Lehre prasselt und brennt lichterloh wie das
Feuer im Wacholder; (S. 74) man soll Gottes Wort
üben, wie der Bär seine Jungen leckt (S. 78) , so
spricht ihm Gummerus doch eine wirkliche dichterische
Gabe ab (S. 103). So werden sich wohl auch die von
Israel (RGG2 2, 602) mitgeteilten neueren Vermutungen
, daß Agricola am finnischen Volksepos Kalevala
beteiligt sei, nicht bestätigt haben; jedenfalls sagt Gum-
merus nichts darüber. Die hübschen schlichten Holzschnitte
, die den Schmuck des Buches bilden, legen
den Wunsch nahe, daß sie einmal auf ihre Beziehungen
zu deutschen Buchillustrationen untersucht werden.

Bei der Lektüre des Buches bedauert man, wie
spärlichen Quellen es abgewonnen werden mußte und
wie oft das Verlangen nach einer tieferen Kenntnis der
Persönlichkeit und des Lebens des finnischen Reformators
unerfüllt bleiben muß. Der Herausgeber Salomies
schreibt da/u: „Als Erklärung dieser Dürftigkeit hat man
sich der schweren Steuer zu erinnern, die Finnland als
westlicher Vorposten gegen den Osten seit Jahrhunderten
auch darin hat entrichten müssen, daß die durch die östlichen
Scharen mitgebrachte Zerstörung ein über das
andere Mal vernichtend über die Denkmäler unserer
Kultur hinweggegangen ist" (S. 7). Daß die finnische
theologische Wissenschaft in Zukunft der Geschichte
ihres Landes ungehemmt durch solche Schicksale dienen
könne, ist der Wunsch sowohl des Deutschen wie des
lutherischen Christen, mit dem man von dem schönen
Buche Abschied nimmt.

Leipzig Heinrich B <> r n k a m in