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Ausgabe:

1943

Spalte:

15-16

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brandenburg, Erich

Titel/Untertitel:

Der Begriff der Entwicklung und seine Anwendung auf die Geschichte 1943

Rezensent:

Frick, Robert

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 1/2



Frage, ob und wie die vor- und frühgeschichtlichen Kulturen
Ägyptens und des Zweistromlandes zusammenhängen
und welcher die Priorität zukomme, lange vor die
von der alttestamentliehen Wissenschaft umspannte Zeit
fällt, so verdient sie doch um ihrer Methode wie um der
Ergebnisse willen alle Beachtung. Mit Recht sagt der
Verfasser, der, durch wertvolle Arbeiten auf dem Gebiet
der ägyptischen Vorgeschichte bestens bekannt, sich hier
auch auf den entsprechenden vorderasiatischen Gebieten
wohl zuhause erweist, daß die ganze Frage überhaupt
erst spruchreif zu werden beginnt, seit auch in Vorder-
asieu die Ausgrabungen in so frühe Perioden hinabreichen
, wie es in Ägypten schon viel länger der Fall ist.
Sein Ergebnis ist, daß in den ältesten Perioden sich die
ägyptische Kultur als völlig bodenständig afrikanisch
zeigt und ohne jeden Zusammenhang mit Vorderasien.
Erst in der sog. II. Negadekultur macht sich ein solcher
bemerkbar und zunächst auch nur auf der Linie Ägyp- !
ten-Palästina; Mesopotamien tritt erst in der letzten
Phase derselben in Erscheinung, mit der sog. Djemdet- j
Nasr-Zeit. Hier begegnen Übereinstimmungen, die auf
den beigegebenen Abbildungen sehr deutlich zum Aus- i
druck kommen: Tüllengefäße und Kruguntersätze, ge-
wisse Motive im Reliefschmuck der Steinkeulen und
Steinpaletten, Rollsiegel und bestimmte Motive dersel- I
ben, wie die antithetische Gruppe, die unendliche Rei- i
hung usw. Als Heimat ergibt sich sogut wie immer das j
Zweistromland, speziell Südbabylonien; höchstens die j
Technik des Aushöhlens der Steingefäße könnte von j
Ägypten ausgegangen sein (S. 21). Eine tiefgehende
Beeinflussung der ägyptischen Frühzeitkunst folgt daraus
aber nicht, da es sich um Luxusgegenstände und ganz
spezielle künstlerische Formen handelt, die in Ägypten
nie Gemeingut wurden. Wohl aber setzt das auf babylonischer
Seite ein ungeheures Können voraus, das auch
neuere Funde von Meisterwerken belegen. — Die hier
nur gestreifte chronologische Seite der ausschließlich
archäologisch behandelten Frage erörtert der Verf. im
161. Bd. der Historischen Zeitschrift. Von Einzelheiten
sei erwähnt, daß er Ed. Meyers „ältestes Datum der
Weltgeschichte" mit Neugebauer u. A. entschieden ablehnt
(S. 15 u. 36) und die Hieroglyphenschrift erst kurz j
vor der 1. Dynastie erfunden sein läßt (S. 27 u. 50119),
was er nun in einer neuerlichen Publikation in den
Sitzungsberichten der Bayrischen Akademie näher begründet
. Den Text des ursprünglichen Vortrages begleiten
15 Seiten Anmerkungen und eine instruktive
Tabelle (S. 38).

Basel W. Baumgartner

KIRCHENGESCHICHTE.
PROLEGOMENA UND ALLGEMEINES

Brandenburg, Erich: Der Begriff der Entwicklung und seine
Anwendung auf die Geschichte. Leipzig: Hirzcl 1941. (28 S.)
gr. 8° = Berichte über d. Verhandlgn d. Sächs. Akad- d. Wiss.
zu Leipzig. PhiJol.-hi.yt. Kl. Bd. 93. 1941, H. 4. RM 1—.

Der Historiker Erich Brandenburg bietet eine begriffsgeschichtliche
Untersuchung, die in ihrer Präzission
klärend und fördernd wirken kann. Er will zunächst
zwischen Entwicklung und Fortschritt scharf geschieden
wissen. Den Begriff der Entwicklung klärt er vom allgemeinen
Sprachgebrauch aus und beschränkt ihn auf
den biologischen Entwicklungsbegriff, für den charakteristisch
sei 1. ein Urkeim, der als lebendiger Träger aller
Veränderungen in einem Organismus diesen die bestimmte
Richtung gebe. 2. die Kontinuität, in der diese
Veränderungen sich in unterbrochenen Folgen vollziehen. [
3. die Differenzierung im Laufe der Entwicklung. 4. die I
Fortpflanzung des zur Reife entwickelten Organismus.
5. das Absterben als der notwendige Komplementärbe- '
griff zur Entwicklung. Dieser Begriff, der aus der Pflanzen
- und Tierwelt gewonnen ist, läßt sich auf den Men- j
sehen nur in bestimmten Grenzen anwenden. Der Mensch '

ist auch einer solchen Entwicklung unterworfen, aber er
ist als geistiges Wesen nicht einfach durch die Gesetze
der Entwicklung bestimmt, vielmehr hat er die Fähigkeit
zum „Handeln", d. h. zu einem zielhaften und
wertvollen Tun, das nicht aus der Beschaffenheit des
Urkeims zu erklären ist, vielmehr in die Freiheit des
menschlichen Geistes gegeben ist. „Die Ziele und Ergebnisse
des menschlichen Handelns können deswegen
dem Entwicklungsbegriff nicht unterstellt werden, weil
sie nicht durch die ursprüngliche Organisation des Organismus
bestimmt sind" (Seite 16).

Geht man von der Beobachtung des einzelnen Menschen
zu der der menschlichen Gemeinschaft, von der
Ontogenese zur Phylogenese über, so zeigt sich wiederum
, daß hier der Entwicklungsbegriff nur begrenzte
Anwendung finden kann. Ein Volk z. B. wird nicht
durch Entwicklung aus einem Urkeim in Kontinuität
und Differenzierung, sondern es „wird und erschafft
sich sein Wesen durch Handlungen, die nicht aus einem
in ihm wirkenden Zwang erfolgen, sondern durch die
gewollte Einstellung auf ein Ziel in die gleiche Richtung
gelenkt werden" (Seiite 22).

Ebenso mißverständlich ist es, den Entwicklungsbegriff
auf Begriffe und Ideen anzuwenden, z. B. von der
Entwicklung der Sprache, der Kunst, der Religion usw.
zu reden. Immer liegt hier die Gefahr der Umdeutung
eines Geschehens, das auf freien Menschenhandhingen
beruht, in ein Wachsen, das mit Notwendigkeit aus einer
Wurzel entspringt, nahe. So ergibt sich, daß der Entwicklungsbegriff
im Gebiet des menschlichen Lebens
in seinem strengen Sinne keinen Platz hat, sondern nur
als eine bildliche Redeweise oder Hilfskonstruktion benutzt
werden darf, wobei man der Gefahr gegenüber
wachsam bleiben muß, die Geschichte nicht nach biologischen
Gesetzen deuten zu wollen, denn die Geschichte
ist „nicht das Abrollen eines durch die Prägung des
ersten Menscherikeimes prädestinierten Verlaufes von
Vorgängen, sondern das Werk handelnder, in die Zukunft
bückender, auf praktische Ziele und Verwirklichung
von Idealen hinstrebender Menschen, die immer Neues
und vorher nicht Berechenbares hervorbringen" (Seite
28).

Ist diese Definition für „Geschichte" auch keineswegs
erschöpfend und voll befriedigend, so ist sie doch
richtig in der Abgrenzung gegen ein biologisches Denken
in der Geschichtswissenschaft, dessen Wurzeln Brandenburg
in der Romantik sieht.

Bethel/Bielefeld Robert Fr ick

Brackmann, Albert: Gesammelte Aufsätze. Zu s. 70. Geburtstag
am 24. Juni 1941 v. Freunden, Fachgenossen u. Schülern als Festgabe
dargebracht. Weimar: Bühlau 1941. (XII, 542 S., 9 Taf.)
4°. RM 20.50; geb. RM 22.50

Es war ein ansprechender Gedanke, als Festschrift
zum 70. Geburtstag Albert Brackmanns eine Sammlung
seiner eigenen Aufsätze zu veranstalten, — nachahmenswert
auch unabhängig von den Kriegsbedingungen
, die ihn nahelegen mochten.

Bei der Anzeige eines solchen Buches kann es sich
nicht um die Diskussion der einzelnen in diesen Aufsätzen
aufgestellten Thesen handeln, sondern nur versucht
werden, von der Fülle des Inhalts einen Eindruck
zu vermitteln. Die Sammlung gliedert sich im wesentlichen
in drei Teile, die die Aufsätze über „Reichspolitik
und Ostpolitik", über „Reich und Kirche" und „Zur
Überlieferung" umfassen.

Der erste Teil setzt ein mit einer Albert Hauck
gewidmeten Untersuchung über den Sinn der Kaiserkrönung
Karls d. Gr. und erklärt sie aus der Gedankenwelt
der Donatio Constantini heraus, zu der die Karolingische
Renaissance der Antike in einer den Unwillen
des Gekrönten auslösenden Spannung gestanden habe.
Eine korrigierende Ergänzung bringt ein zweiter Aufsatz
, der sich der gleichen Frage von einer anderen
Seite aus nähert. Er erschließt mit beachtlichen Argu-