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Ausgabe:

1943 Nr. 1

Spalte:

283-284

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Percy, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Leib Christi 1943

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Seite 1

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283 Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 11/12 284

schon einmal angerührte und nun liier endlich durchgeführte —
Theodizee des Gesetzes. Und zum Beweis für die Güte des
Gesetzes wird festgestellt, daß ein Etwas im natürlichen Menschen
dem Gesetz zustimmt, aber zu schwach ist, um sich
gegen die Macht der Sünde im Fleisch durchzusetzen — dies
Etwas ist der innere Mensch, der hier auch vcivg genannt wird.
M. beruft sich auf II. Kor. 4,16 und folgert daraus, daß es
sich um den vom geoffenbarten Gesetz Gottes getroffenen Menschen
handle — dann würde der zu führende Beweis aber hinfällig
sein, weil dann gar nicht ein fremder Zeuge für den
eigentlich guten Willen des Gesetzes aufgerufen würde. Und
die Analogie von H. Kor. 4,16 besagt darum nichts, weil
Paulus überhaupt keinen Terminus für die geistige Seite des
natürlichen Menschen hat; 6 ema ävOqohk>c, ist weder hier noch
dort terminologisch streng gebraucht.

Noch Größeres und Grundsätzlicheres rührt der Verf.
an, wenn er die Frage nach dem eigentlichen Sinn des Alten
Testaments stellt. Er faßt das Ergebnis seiner Erörterung
in die sehr richtige Erkenntnis zusammen, ,,daß sowohl Paulus
wie auch die Rabbinen und die Judaisten mit einem gewissen
geschichtlichen Recht das A. T. für sich in Anspruch nehmen".
..Das Spätjudentum und seine Ausläufer bis ins Christentum
hinein können vielleicht einen ebenso großen Strom alttesta-
mentlicher Gedanken zu sich herleiten wie Paulus". Infolgedessen
ist die Frage nach der Bedeutung des A. T. für den Christen
keine historische, sondern eine Glaubensfrage. Diese richtige
Erkenntnis verpflichtet uns aber nicht, alle zeitbedingten
Exegesen, die Paulus, seiner Schule folgend, bei einzelnen Gelegenheiten
vorträgt, zu übernehmen. Die Alternative: entweder
verstand Paulus das A. T. recht, dann dürfen auch wir
uns ihm anvertrauen; oder Paulus verstand es nicht recht,
dann dürfen wir es auch nicht in der Kirche als Gottes Offenbarung
behalten — ist einseitig, denn es könnte doch sein,
daß Paulus zwar im Grundsatz das A. T. richtig deutet, in der
Anwendung aber irrt. Vielleicht ist es dabei für M.s Auffassung
von verhängnisvoller Bedeutung, daß er den bekannten Ausdruck
des Galaterbriefe-; wtiöaywYÖ? fic Kßurt&v nicht, wie
es der Zusammenhang fordert, von einem Zuchtmeister b i s
zu Christus hin versteht, sondern in der alten Art: Zuchtmeister
auf Christus.

Einen weit verbreiteten Irrtum in Bezug auf Rom. 7 hat
der Verf. nicht mitgemacht: er hat die biographische Deutung
abgewiesen; das Vorleben des Paulus ist nach ihm vielmehr
aus Phil. 3,5 ff. zu begreifen. Auch einen weiteren Irrtum
weiß er zu widerlegen: die Überschätzung von Rom. 2,14.15
im Sinn einer Theologia naturalis. Beim Vergleich mit der
Bergpredigt wird der Sinn der Gesetzesauslegung in Mt 5
gut formuliert: ,,Die Gebote werden in solch scharfer Form
aufgestellt, daß es unmöglich wird, auch nur ein einziges
unter ihnen wirklich zu erfüllen." Daß diese Radikalisierung
der Gebote den wahren kompromißlosen Gotfeswillen erhellen
will und daß man diese Zurückführung der mosaischen Gebote
auf ihr eigentliches Prinzip durch Jesus auch als eine ,,Erfüllung
" bezeichnen kann und Mt. '5,17 offenbar bezeichnet
hat („nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen"), das hat M.
nicht gesehen. So scheidet man mit wechselnden Eindrücken,
und man kann der Sache, aber auch dem Buch nichts Besseres
wünschen, als daß es eifrig diskutiert werden möge.

Heideliberg Martin D i b e 1 i u s

Percy, Ernst: Der Leib Christi (2wua Xpuruov) in den Paulinischen
Homologumena und Antüegotnena. Lund: C. W. C.
Glcerup; Leipzig: Harrassowitz 1942. (58 S.) gr. 8° = Lunds Univer-
sitets Arsskrift. N. F. Avd. 1, Bd. 38, Nr. 1. RM 1.95.

Die im Neuen Testament ausschließlich bei Paulus begegnende
Vorstellung von der Gemeinde als dem Leibe Christi
stellt noch immer eines der schwierigsten Probleme der neu-
test. Forschung dar. „In der gesamten Literatur der Mystik
gibt es kein Rätsel, das dem des mystischen Leibes Christi
vergleichbar wäre", urteilte A. Schweitzer (Die Mystik des
Ap. Paulus, 1930, 117). Das Problem ist viel behandelt worden,
monographisch zuletzt von Tr. Schmidt (Der Leib Christi,
1919), E. Käsemann (Leib und Leib Christi, 1933) und A.
Wikenhauser (Die Kirche als der mystische Leib Christi, 1940).
Die überaus scharfsinnige Arbeit von Percy führt die Diskussion
vor allem dadurch weiter, daß sie mit einer Reihe z. T.
als communis opinio eingebürgerter Irrtümer aufräumt; darüber
hinaus bringt sie eine neue Lösung in Vorschlag. Wir
versuchen, den Ertrag der Arbeit in vier Punkten zusammenzufassen
.

1. Bekanntlich besteht einer der Hauptunterschiede zwischen

den paulinischen Hauptbriefen und den kleinasiatischen Gefangenschaftsbriefen
darin, daß die Vorstellung vom affifia
XpiGToi) hier und dort verschieden gewendet wird. In den
Hauptbriefen, in denen sie nur im 1. Kor.- und Rm.-Brief be-
i gegnet (wichtigste Stellen: 1. Kor. 12,12-27 und Rm. 12,
I 4 f.), dient sie in erster Linie dazu, der Gemeinde zu Bewußt-
i sein zu bringen, daß ihre verschiedenen und verschiedenartigen
, Glieder untereinander zusammengehören als die Glieder
eines Leibes. Im Kol.- und Eph.-Brief dagegen (wichtigste
Stellen: Kol. 2,19; Eph. 4,15f.) wird das Bild vom Leibe
j Christi verwendet, um das Verhältnis der Kirche zu Christus
darzustellen: er ist das Haupt, die Gemeinde sein Leib.
Es erhebt sich die Frage — und sie bildet das eigentliche
Thema der Untersuchung P.s —, wie in den Hauptbriefen das
j Verhältnis zwischen Christus und seinem Sorna vorgestellt
ist. Die übliche Auffassung (H. J. Holtzmann, Tr. Schmidt,
A. Wikenhauser) antwortet: in den Hauptbriefen ist die Vor-
! Stellung die, daß Christus durch das Pneuma seinen Leib,
| die Gemeinde, beseelt. Aber das sagt Paulus an keiner der
j vom oo>utt Xqwtoü handelnden Stellen, auch nicht 1. Kor.
I 12,13. Zudem wird ihm bei dieser Auffassung zu Unrecht
eine griechische dualistische Anthropologie zugeschrieben. Das
, heißt: die bei Paulus nur vereinzelt vorkommende Vorstel-
j lung von der Einwohnung Christi im Gläubigen liefert nicht
j den Schlüssel zum a&fia Xowrxoö-Problem.

2. Paulus selbst umschreibt das Verhältnis der den Leib
j Christi bildenden Gläubigen zu Christus mit der Wendung Hv
i Xointö) (z. B. Rm. 12,5 ol «oXXol Sv oonut ioftev iv
i Xpiaro)). Hier muß aber ein zweites eingebürgertes Fehlurteil

j ausgemerzt werden. Deißmann hatte das paulinische h Xqiot$
i von dem angeblich parallelen <v »cve^ion aus erklärt. Aber
'< beide Wendungen haben ganz verschiedenen Ursprung und
1 Sinn (ev Xoiat$ bezeichnet den durch die Taufe geschenkten
; objektiven Heilsstand, während iy ftveuuori vom sittlichen
Leben des Gläubigen bzw. von den speziellen Wirkungen des
! Geistes gebraucht wird). Der Gedanke des ,Seins der Gläu-
; bigen in Christus' kann also keinesfalls aus dem Geistgedan-
| ken abgeleistet werden.

3. Das paulinische iv Xoiot(7> bezeichnet vielmehr nach
I Rm. 6, 1-11; 7,4; Kol. 1,22; Eph. 2, 15 f. die in der Taufe
! erfolgende Eingliederung in den am Kreuze gestorbenen und
j nach drei Tagen auferstandenen Leib Christi. Dieser Gedanke

des Eingeschlossenseins der Gläubigen in Christus darf nun
j aber nach Percy nicht mit der gnostischen Vorstellung vom

Urmenschen als Kollektivseele in Verbindung gebracht wer-
| den (so Schlier und Käsemann). Denn der manichäische
j Urmensch erscheint nirgendwo als Vertreter, der in sich die

Seelen einschließt; das Gleiche gilt von den mandäischen Er-
i lösergottheiten, während der „Mensch" der Naassenertexte mit
i den Seelen identisch zu sein scheint. Einzig die Erlösergestalt
, der Valentinianer bietet eine Analogie, insofern als bei ihr
I die Pneumatiker den Leib des Erlösers bilden — aber die
j ganze Vorstellung ist nichts als eine gnostische Interpreta-
! tion des paulinischen Gedankens vom a&ta Xoiaxov.

4. Nicht vom antiken Synkretismus, sondern von der
| Denkweise des AT. und der palästinischen Umwelt des NT.
j aus ist nach P. die paulinische a&ua XoioTov-Vorstellung
i zu erklären. Stammvater und Stamm fließen hier oft ineinander
j über; Paulus selbst sieht in Adam alle Menschen einge-
; schlössen (Rm. 5,12; 19; 1. Kor. 15,22). Diese Denkweise

überträgt er auf Christus. Weil Christus als der Stellvertreter
der Gläubigen starb, kann gesagt werden, daß diese
in seinem Leibe versöhnt worden sind (Kol. 1,22; Eph. 2,16);
das ev Xrucrre) liegt somit schon in dem vjieq rj|«">v eingeschlossen
(vgl. 2. Kor. 5,14). Er selbst, sein gestorbener und
auferweckter Leib, ist daher gemeint, wenn von der Gemeinde
als GMxn Xoinroii gesprochen wird. In den Haupt-

I briefen ist mit diesem Grundgedanken der Organismusgedanke
verbunden (die Vielen bilden als Glieder eine organische Einheit
), in den Gefangenschaftsbriefen der Herrschaftsgedanke
(Christus das Haupt der Gemeinde).

Die wertvolle und klärende Untersuchung bedeutet einen

' ganz wesentlichen Schritt vorwärts im a&ut Xpiotoü-Problem,
schon durch die fruchtbare Kritik an den bisherigen Lösungs-
versuchen. Was P.s eigene Lösung anlangt, so ist die Er-

i kenntnis methodisch richtig, daß von der ev Xpiorm-Fonnel

i auszugehen ist. Aber es gelingt P. nicht restlos, von ihr
aus die Brücke zu der Vorstellung zu schlagen, daß die Gläu-

1 bigen den Leib Christi bilden. Es fehlt noch ein Zwischenglied,

; das doch wohl in der Gedankenwelt des antiken Synkretismus
zu suchen ist. Schade, daß die Arbeit infolge der schwer-

; flüssigen Diktion nicht leicht zu lesen ist.

Güttingen Joachim Jeremias