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Ausgabe:

1943

Spalte:

279-281

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jünger, Friedrich Georg

Titel/Untertitel:

Griechische Götter 1943

Rezensent:

Herter, Hans

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habe für alle ihre Sünden, und dies eben dahin zu verstehen ist,
daß nur die eine Hälfte Strafe für eigene Schuld war, die andere
aber stellvertretend für die anderen ertragenes Leid. Aber
auch ganz abgesehen von dieser Verklammerung des Stückes
mit seiner weiteren Umgebung und bei Beschränkung des
Blicks auf das Stück allein bleibt es das Nächstliegende,
daß es die in 52, 14 f. genannten Völker und Könige, also die
Helden sind, die in 53, 1, ohne besonders eingeführt zu werden,
mit dem „Wir" das Wort ergreifen.

Schließlich enthält auch die Sacherklärurig, die im übrigen
als ganze eine ungemein eindrucksvolle Synthese darstellt,
eine Reihe von Aufstellungen, die schwerlich in dem Feuer
kritischer Nachprüfung bestehen werden. Wenn die Bedeutung
, die der Glaube an jährlich sterbende und wiederauferstehende
jugendliche Vegetationsgötter für die Kanaanäer und,
durch sie vermittelt, für Israel gehabt hat, S. 67. 72 f. auch
durch den Hinweis auf den Dan'el-Text von Ras Schamra
und den in ihm vorkommenden Aqhat, Dan'els Sohn, veranschaulicht
werden soll, so ist dem gegenüber geltend zu
machen, daß die — freilich auch von anderen vertretene —
Auffassung dieses Aqhat als derartiger Vegetationsgott keineswegs
gesichert, ja unwahrscheinlich ist. Ebenso werden für die
Behauptung, in Israel hätte die an die Feier des Neujahrsfestes
geknüpfte vorderasiatische Königsideologie eine große Rolle gespielt
, Argumente ins Feld geführt, die keineswegs so sicher
sind, wie Nyberg annimmt. Leider sind auch die sonst so überzeugend
geschriebenen Ausführungen über die Stammvaterideologie
mit einigen Hypothesen belastet, die sie eher zu diskreditieren
als zu stützen vermögen. Dahin gehört die S. 69 gegebene
Deutung der Im Debora-Lied, Richter 5, 14, vorkommenden
Wendung spBXIJPB TTÜ? („hinter dir Benjamin

in deinen Völkern") als „An die Spitze deiner Stammverwandten
, Benjamin!" oder wörtlicher „(Nimm dich an) deiner
hinter dir stehenden Stammverwandten, Benjamin!", die Benjamin
nicht auf den historischen Stamm dieses Namens, sondern
den in ihm gegenwärtigen Stammvater bezieht. Auch
wenn man die gekünstelt erscheinende syntaktische Erklärung
der Wortgruppe in Kauf zu nehmen bereit wäre, so ist es doch
undenkbar, daß in einem Zusammenhang, der sonst ganz eindeutig
von den realen Stämmen der israelitischen Kampfeskoalition
redet, Benjamin den Stammvater eines von diesen bezeichnen
sollte. Fast noch schlimmer ist es, wenn S. 73 Isaak
als sterbender und wiederaufstehender jugendlicher Vegetationsgott
verstanden und das Verhältnis Abrahams zu Isaak mit dem
von Dan'el zu Aqhat verglichen und von Joseph und dem Verhältnis
Jakobs zu ihm Ähnliches gesagt wird. Das bedeutet
trotz der in der Anmerkung zu S. 73 gemachten Einschränkungen
eben doch einen Rückfall in die Irrtümer der alten
mythologischen Schule, vor denen Nyberg selbst warnt.

So gibt Nybergs Abhandlung schon Anlaß zu Fragen und
Anstößen mannigfacher Art. Aber angesichts der wirklich großen
Leistung, die sie als ganze darstellt, wäre es ungerecht,
länger bei ihren schwachen Stellen zu verweilen und darüber
wohl gar den Dank zu vergessen, den alle um das Verständnis
von Jes. 52,13—53,12 Ringenden ihrem Verfasser schuldig
sind. Obwohl es an dem ist, daß alle von Nyberg geltend

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Jünger, Friedrich Georg: Griechische Götter. Apollon, Pan, Dionysos
. Frankfurt a. M.: Klostennann 1943. (86S.) 8°. RM3—; geb.4.50.
Auch dies Buch steht in der Nachfolge W. F. Ottos,
dessen Namen freilich nirgends genannt wird. Es gilt Apollon,
Pan und Dionysos, die der Verf. in ihren gesonderten und
doch sich gegenseitig berührenden und bedingenden, gleich
notwendigen Bezirken aufsucht. In Apollon schildert er den
Gott der in Maßen formenden und ordnenden Klarheit und
geistigen Einsicht, das Wesen des Pan wie seines weiblichen
Pendants, der Nymphen, bestimmt er als „das Geschlecht" und
„den Ursprung" und sieht in ihm den Gott der maßlosen,
ungepflegten und ungebändigten Fruchtbarkeitskräfte der vor-
demetrischen Wildnis, Dionysos schließlich ist ihm In seinem
ewigen Wandel der „Umkehrer", der aus den durch Maß und
Ordnung gesetzten Grenzen ausbricht. Ein besonderes Anliegen
Jüngers ist es, unserm Zeitbewußtsein mit seiner Ver-
gangenheitserinnerung und seinen Zukunftszielen, mit seinen
Berechnungen und Befürchtungen, mit seiner Kargheit, Not
und Todesangst das zeitlose Dasein der griechischen Götter
gegenüberzustellen: die weder mit einer dunklen Vorzeit noch
mit einer dunklen Zukunft verbundene Allgegenwart Apollons,

gemachten Gesichtspunkte — der Hinweis auf die drei Vorstellungskreise
des Glaubens an sterbende und wiederauferstchende
Vegetationsgötter, der Idee des für sein Volk stellvertretend
büßenden Königs und der mit dem Weiterleben des Stammvaters
in seiner Gemeinschaft rechnenden Ideologie ebenso wie
die Einschränkung der kollektiven Deutung durch die Forderung
eines zum Modell genommenen historischen Individuum
aus den Kreisen der Propheten — bereits vor ihm wiederholt
beachtet worden sind, trifft es doch zu, daß hier
eine so kraftvolle Synthese geschaffen worden ist, wie sie wohl
noch kein anderer vorzulegen vermocht hat. Sympathisch berührt
dabei nicht zum wenigsten auch dies, daß die Darstellung
getragen ist von ehrfüchtiger Bewunderung der in der
Perikope vom Schmerzensmann zum Ausdruck kommenden
ewigen Wahrheit und von warmer Anteilnahme an der in ihrem
i Mittelpunkt stehenden und den Betrachter zu demütiger Beu-
; gung verpflichtenden Gestalt. „Gibt es" — so heißt es zu Anfang
von dem Text des Stückes — „wenig in ihm, was klar ist, so
haben wir hier doch einen von den großen Höhepunkten
j in der Religion des A. T. und nicht nur in dieser. Seine
: Größe zeigt sich vor allem darin, daß er ewig aktuell ist.
Generation nach Generntion wird zu ihm hingezwungen, wird
genötigt, zu ihm Stellung zu nehmen. Wie alle anderen himmelshohen
Alpengipfel wird dieser sich sein tiefstes Geheim-
j nis wohl niemals entreißen lassen. Aber solange der Mensch
: ringt mit dem Rätsel dieses Daseins, wird sein Schritt wieder
! und wieder zu diesen Höhen hingelenkt werden, die so nahe zu
; liegen scheinen und sich doch verlieren in einem unzugäng-
liehen Licht", und der Schluß der Abhandlung lautet so:
; „Die geistige Entwicklung bei den Griechen beschreibt eine
Kurve, die sich mit der Formel ,Vom Mvthos zum Logos'
ausdrücken läßt: die Welt des Mythos wird abgelöst von der
Welt des Rationalen, die Anschauungsformen des Mythos
werden abgelöst von den Formen der Abstraktion und der
mythische Zusammenhang von der Systematik der Wissenschaft.
Die semitische Entwicklung bietet eine durchaus verschiedene
Kurve, für die wir füglich die Formel gebrauchen können
,Das Wort ward Fleisch': was einmal in Worte oder Anschauungsformen
des Mythos gefaßt worden ist, wird von
einem lebenden Menschen aufgenommen, nimmt in ihm menschliche
Natur an und wird in ihm und durch ihn Wirklichkeit.
Das ist es, was unserem Text sein Leben und seine Farbe
gibt: uralte mythische Vorstellungen sind in einem Menschen
zusammengestrahlt und Fleisch und Blut in ihm geworden,
und sein Blut, sein Werk hat sie in lebendige, wirksame Kraft
verwandelt. Es durchzieht unseren ganzen Text ein Untertou
von bewegter Dankbarkeit für eines Mannes erlösende Selbst-
hingabe und für wunderbare, unverdiente Rettung aus Todesgefahr
— das ist ein Ton, den nie und nimmer ein Mythograph
aus dem Nichts hervorzaubern kann, sondern der eigener
Lebensangst und der Befreiung von ihr unmittelbar entspringt.
Uns ist dieser Ton nicht unbekannt; es ist der des Karfreitags.
Mit vollem Recht hat die christliche Kirche das Lied von des
'Ebed Jahwe stellvertretendem Leiden unter die Karfreitagstexte
aufgenommen, denn in dem Herrn der Kirche hat dieses
Wort für alle Zeiten menschliche Natur angenommen und
■ ist Fleisch geworden".

die keiner Zeitenberechnung und Zeiteneinteilung unterworfene
Muße Pans und die Festlichkeit des Dionysos, die den Men-
' sehen dem geregelten Tages- und Jahresgang seines Lebens
enthebt. So erscheint ihm das mythische Denken der Grie-
: chen überhaupt als reine Imagination, die von der Histori-
i sierung des Bewußtseins nichts weiß; alles Ethnographische,
! Geographische und Chronologische hält er den Mythen fern,
um „Bilder des Seienden" darin zu finden, in denen unser
1 Denken mit dem griechischen koinzidiert. Es scheint ihm daher
j verfehlt, „die mythischen Angaben auf bloße historische Daten
; zurückzuführen und solche hinter ihnen zu vermuten": „Immer
wieder wird Dionysos kommen, Widerstand finden und
seinen Triumph feiern. Immer wieder wird er leiden, zerrissen
werden und sterben. Immer wieder wird das Kommen und
1 Gehen des Gottes, dessen Gestalt in der Wandlung begriffen
, ist, Erschütterungen hervorrufen" (S. 77).

Hierzu muß freilich bemerkt werden, daß der Orieche selber
in seinen Mythen durchaus bestimmte Ereignisse der Vergangenheit
sah. Erst auf dem Wege der Deutung erhalten sie einen allgemeineren
Hintergrund, wenn man sie etwa auf immer wiederkehrende
, Naturvorgänge zurückführt oder auch die allegorische Methode auf
I sie anwendet, von der sich Jünger (S. 8, vgl. 32) freilicli energisch
; distanziert, obwohl er ihr faktisch manchmal merkwürdig nahekommt;
' so fühlt er sich S. 57 bei den Töchtern des Minyas an die Moircn