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Ausgabe:

1943

Spalte:

12-13

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Baetke, Walter

Titel/Untertitel:

Das Heilige im Germanischen. II. Teil: Die germanischen Ausdrücke für das Heilige u. ihre Bedeutung 1943

Rezensent:

Naumann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 1/2

iL'

liehe Erscheinungen hindurch, an ihnen oder auch ganz
ohne sie ein Numinoses wittert.

S. 20 versucht B. unter Zu-Grunde-Leguug der Kritik
von Feigel zu zeigen, daß Ottos Lehre vom „nicht
natürlichen Gefühl" ein Widerspruch in sich und ein
„psychologisches Unding" sei. Einen Widerspruch kann
man indessen nur herauskonstruieren, wenn man den Begriff
„natürlich" mißversteht. Selbstverständlich ist, was
im Menschen und in seinem Gefühlsleben sich ereignet
„natürlich", auch das Erlebnis des Nichtnatürlichen, des
Numinosen. Gemeint ist vielmehr dies: es korrespondieren
mit einander objektiv ein nicht Natürliches, Heiliges
und subjektiv ein auf dieses Heilige reagierendes
Gefühl. Insofern nun in diesem vom Heiligen erweckten
Gefühl Inhalte gegeben sind, die als Objekte im normalen
natürlichen Gefühlsleben nicht vorkommen, nennt
Otto dieses Gefühl selbst (nicht nach seiner Funktionsfähigkeit
oder -weise, sondern nach seinen Inhalten) ein
„nicht natürliches Gefühl". Es soll damit die absolute
Eigenart des religiösen Gefühls (als Inhalt) zum Ausdruck
gebracht werden und „Furcht" ist nach Ursache
und Inhalt etwas durchaus Anderes im Bereich des natürlichen
Gefühls, aus dem es als nächster Analogiebegriff
genommen ist, und in der Welt des „nicht natürlichen
Gefühls". B. schlägt S. 44 statt „Furcht" „Ehrfurcht
" vor, womit indessen nur bestimmte Seiten hochreligiösen
Erlebens gekennzeichnet werden, nicht aber
die hier in Rede stehenden elementaren und frühzeitlichen
Urformen des numinosen Schauders.

B. bestreitet auch die von R. Otto behauptete unmittelbare
Objektbezogenheit des numinosen Gefühls
ohne Vermittlung des Denkens (S. 29). Hier zeigt sich
der für die ganze B'sche Theorie entscheidende rationalistische
Faktor in B's Gedanken. Gehen denn
ästhetische Erlebnisse nicht ebenfalls unmittelbar auf
ein Objekt ohne Vermittlung des Denkens? Erst hernach
erfolgt die rationale Entfaltung der unmittelbar gegebenen
Erlebnisinhalte. Die Religionsgeschichte zeigt
allenthalben diesen Vorgang: zunächst unmittelbare religiöse
Erlebnisse und danach rationale Selbstklärung
in Dogina und deutendem Begriff. B. bestreitet, daß
der Mensch durch Wittern des Heiligen zum „Wissen"
vom Heiligen (worauf es bezeichnenderweise B. besonders
ankommt!) gelangen könne. Vielmehr behauptet er
— und hier sehe ich den Kardinalfehler der ganzen Konstruktion
—, dem Gefühl der Numinosen gehe in allen
Fällen ein Wissen um das Heilige voraus (S. 29), eine
Behauptung, die dann in den Abschnitten 4 und 5 weiter
ausgeführt wird, indem hier nun gezeigt werden soll,
daß Religion immer in der Gemeinschaft entspringe,
die dem Einzelnen das traditionell zu Glaubende vermittle
. Es ist deutlich, daß hier nur an bestimmte Spätstadien
der Religion gedacht ist. Die Religionsstifter
aber zeigen, daß Religion ganz anders und sogar oft
im Gegensatz zu einer religiösen Gemeinschaft und
ihren Glaubensformen und Glaubensinhalten entspringen
kann, und wenn sie es einmal kann, dann kann sie es
überhaupt. Erst für die sekundär Frommen einer o r -
ganisierten Religion gilt B's Theorie von der religiösen
Vermittlung durch die Gemeinde.

Daß Erlebnis Wissen um das zu Erlebende innerhalb der Religion
voraussetze, bedeutet einerseits eine grundlegende Verschiebung des
Wesens der Religion ins Rationale und dogmatisch Lehrbare, die
jede Unmittelbarkeit spontaner Erfahrung ausschließt und ist andererseits
ein circulus vitiosus. Wenn z. B. B. S. 2U Otto gegenüber
behauptet, „daß einen Spuk samt der dazu gehörigen .Gänsehaut
' nur erlebt, wer von Gespenstern weiß, und daß es an diesem
oder ähnlichen Orten ,nicht richtig' sei", so ist dazu zu sagen,
daß auf diese Weise das Problem nur zurückgeschoben wird; denn
man weiß von diesen Gespenstern an den bestimmten Orten, weil
andere sie dort erlebt haben. Und womit soll nun bewiesen werden
, daß es hier und in der höheren Ebene echter Religion keine
originalen Ersterfahrungen gebe? Woher kam dies erste
Wissen z. B. des Religionsstifters?

B's völlig einseitige These, daß nur am Feuer der religiösen
Gemeinschaft sich eigenes religiöses Erleben entzünde (S. 33), weil
durch sie die „Kenntnis" (S. 34) des Göttlichen mitgeteilt werde,

ist typisch rationalistisch und orthodox zugleich; denn es Folgt S. 34
der Aufschlußreiche Satz „Wer .heilig' sagt, sagt in irgendeinem Sinne
auch ,Kirche' ". Damit haben wir also den Standpunkt „extra eccle-
siam null Et Salus" und es will mir scheinen, als läge hier der Kern,
der ganzen B'schen Konstruktion, die sich m. E. mit der Reli-
gionsgeschiditc nicht in Einklang bringen läßt. Auch der „Glaube",
der neben der .,Überlieferung" als tragender Pfeiler jeder Religion
m. E. mit Unrecht von B. Angesehen wird, erscheint S. 3U in
typisch rationalistisch-orthodoxer Form des Fürwalirlialtcns, nämlich
! ails „Glaube des ein/einen an die Gültigkeit ihres (der Überlieferung
.) Inhaltes".

Endlich ist noch ein Wort über das von B. postulierte
Verhältnis von Religion und Ethik zu sagen. B.
bestreitet, daß es Religion ohne Ethos geben könne.
In Griechenland ist das entschieden der Fall. Wilamo-
witz sagt einmal, in Griechenland hätten die Götter das
Gute erst von den Menschen lernen müssen, d. h. die
Ethik, nach der auch die homerischen Helden tatsächlich
handeln, ist keine religiöse, sondern eine profane
ohne Einfluß der Religion entstandene Volksethik, wie
übrigens bei den Germanen auch.

Es ist nun kein Zweifel, daß in den meisten- Kulturreligionen

■ außer dem Gebiet des Kultischen auch das profane Leben der Volks-
j Gemeinschaft numinos geleitet und bestimmt wird, aber das an und
; für sich Gute, der sittliche Wert, der um seiner selbst willen ver-
I pflichtet, ist kein notwendiges Element der Religion. Auch
! Willy Hellpach und Heinrich Frick gegenüber, die sich kürzlich

(Geistige Arbeit, Theologische Blätter) diesem auch von mir
in meiner Schrift „Gut und Böse im Glauben der Völker" (1<)41)
geteilten Standpunkt gegenüber kritisch ähnlich wie B. äußerten, würde
ich sagen: die Richtigkeit der These, daß Ethik nicht notwendig

j zum Wesen der Religion gehört, erhellt auch daraus, daß manche
Hochreligionen wie der Hinayana-Buddhisnius und fast alle Formen
der Mystik das sittliche Werk nur als vorläufige Vorbereitung empfinden
, über das der Erlöste hinausschreitet. Ethik ist hier deutlich eine

i Sache profan körperhafter und personaler Zonen, jenseits deren das

: eigentliche Leben der erfüllten Religion liegt.

Bonn Gustav Mens c h i n g

iL l eih Die germanischen Ausdrücke für
das Heilige u. ihre Bedeutung.
Hauptanliegen der Baeikeschen Arbeit ist es, die zwei
scheinbaren Synonyma, die das Germanische für das Heilige
besitzt, nämlich die Wurzel wih — und die Ableitung
hailag —, nebst den beiderseitig abgeleiteten Ver-
; ben wthan und hailagön, von einander zu unterscheiden
; und ihren verschiedenen spezifischen Sinngehalt zu er-
j mittein. Das ist auf jeden Fall eine dankenswerte Un-
j tersuchung, die entschieden eine Lücke ausfüllt. Daß
' sie zuletzt im Endergebnis sich mit den Rud. Ottoschen
| Kategorien des Numinosen, dem tremendum (wih-) und
dem fasclnosam (hailag-) decken, erscheint vielleicht auf
I den ersten Blick wie ein Zugeständnis an die religions-
! wissenschaftliche Epoche, in der wir leben, ist auf jeden
i Fall eine sehr gute brauchbare Arbeitshypothese, viel-
j leicht sogar mehr. „Weihen" heißt letztlich „numinos
machen", „heilig" heißt eigentlich „heilvoll, heilbringend,
j heilsam", so lautet etwa kurz das Ergebnis, mit dem sich
; der Germanist wohl weitgehend einverstanden erklären
i kann. Für die germanische Religionsgeschichte wird
I eigentlich hier zum ersten Mal umfassender und systema-

■ tischer Gebrauch gemacht von wohl sämtlichen Belegen
! für unser Begriffspaar, die in verschwenderischer Breite

vorgeführt werden. Daß dies Begriffspaar auch für die
Geschichte der deutschen christlichen Kirchensprache, die
ja merkwürdigerweise noch immer nicht geschrieben ist,

! zentrale Bedeutung besitzt, daß zum Beispiel die gotisch-
arianische und die römisch-angelsächsische Mission sich

! ganz verschieden zu dem Begriffspaar verhielten und
ein einheitlicher deutscher Gebrauch noch sehr lange
nicht zustande kam, ist wohl bekannt. So kommt denn
Baetkes Buch sowohl für die heidnischgermanische wie
für die christlichdeutsche Religionsgeschichte durchaus in
Betracht.

Sehr hübsche Einzelergcbuisse sind etwa die Ableitung des adj.
! hailag vom neutralen Substandiv hail, nicht von Adj. hail, die Be-
, Ziehung des Heils zum Götterglauben und die Loslösung von der
Magie, wobei ich wohl auf meine gleichen eigenen Ergebnisse hin-