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Ausgabe:

1943

Spalte:

255-256

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Aland, Kurt

Titel/Untertitel:

Spener-Studien 1943

Rezensent:

Leube, H.

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Seite 1

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'255

Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 9/10

'256

dene Wörter vor, sondern ein richtiger Mißgriff des Setzers: bschaidt
(die gewöhnliche Form bei A.) wäre natürlich dasselbe wie b(e)scheidi,
das in etlichen Drucken auch vorkommt, ebenso in den Hss; aber
hier handelt sieh's um einen Druckfehler für ,,bschaidt vndt bescheiden
", die beide bei Abr. öfter zusammenstehen — wie z. B. auch
im vorhergehenden Beleg 162! Kopplung von Wörtern, die dasselbe
bedeuten, kommt doch bei Abr. niemals vor, wie Verf. 64, 4 f.
anscheinend meint, da sie dort behauptet, A. gebrauche bescheid
(= unserm gescheit) und bescheiden „vollkommen gleichartig und
gleichwertig." (Übrigens ist die Form „gescheidt" in echten Schriften
und Hss mir wenigstens, wenn ich mich recht erinnere, noch nicht
vorgekommen. (Es dürfte sich in den angeführten Fällen wohl auch
um Druckfehler handeln.) Jedenfalls ist's recht gewagt, auf Grund
so geringer, dazu noch so zweifelhafter Anzeichen, zu behaupten,
A. sei „wahllos und unkritisch in der Wahl seines Sprachstoffs"
(S. 64 unten). S. 71,7 v. u. spricht Verf. von den beiden Mund-
artwörtern „dalket und stramen"; das letzte ist aber lateinisch und
bedeutet: Stroh. (Nach A.s Gewohnheit wird's — wie alle Fremdwörter
— in den Frühdrucken auch nicht in deutschen Lettern gesetzt
, da's in der Hs eben mit lateinischen Buchstaben gestanden,)
S. 145 steht die unter Nr. 159 beigebrachte Stelle meiner ,,9 neuen
Predigten A.s" (1930) nicht auf S. 48, sondern 98: „scits fein
bscheidt (nicht: bescheit) vndt ..." — So flott die Arbeit auch geschrieben
ist, so muß doch bedauert werden, daß es darin wimmelt
von undeutschen Ausdrücken, d. h. lächerlichen Fremdwörtern,
und zwar nicht allein von sog. für deutsche Gelehrte „unvermcidilir
eben" Fachausdrücken, sondern von so lächerlichen Allerwelts- und
Modewörtern wie: Basis, Faktor, Funktion, Komplex, Moment (natürlich
nicht der M., womit der Bartschaber seine wartenden Kunden
abspeist und vertröstet, sondern das gelahrte „das M."), Sphäre-
Struktur (daneben allerdings auch die schönen deutschen Worte dafür:
Bau und Lagerung des Wortschatzes; einmal sogar und dies auf
S. 7: „Lagerung und Struktur des Verstandesbereichs"!), Perspektive,
Tendenz, typisch, Termini, Accidentien (jedoch nicht etwa im Sinn
von Nebeneinnahmen, sondern in der philos. Bedeutung). Daß alte
Ladenhüter wie speziell und spezifisch zu einer deutschen Schrift
eines deutschen Mädels über einen so kerndeutschen Mann ebenfalls
hervorgeholt werden, versteht sich!

Freiburg, Br. Karl Bertsche

Aland, Kurt: Spener-Studien. Arbeiten zur Geschichte des Pietismus
I. Berlin: W. de Gruyter 1943. (VIII, 213 S.) 8° = Arbeiten zur
Kirchengeschichte. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Lietzmannf, Bd. 28. RM 14-.
Die Spenerforschung hat durch P. Grünbergs bekanntes
Werk einen gewissen Abschluß erreicht (3 Bände 1893—1906).
Hier ist das Schrifttum Speners und alles andere gedruckt
vorliegende Material in jahrelanger Arbeit gesammelt und verwertet
worden. Leben und Wirken Speners sind bis in alle
Einzelheiten erfaßt. So steht das Lebensbild fest. Nur wenig
Abänderungen und Ergänzungen werden noch vorgenommen
werden können, auch wenn das angedruckte Material aus den
Archiven herangezogen wird. Tatsächlich haben spätere Veröffentlichungen
von Spenerbriefen wenig Neues gebracht. Auch
meine eigene Arbeit im Sächsischen Staatsarchiv zu Dresden
hat zu keinen überraschenden Entdeckungen geführt. Man
muß eben auch berücksichtigen, daß in der damaligen Zeit,
die eine Hochflut des polemischen Schrifttums brachte, alle
Vorgänge sofort an die Öffentlichkeit gezogen worden sind.
Daher wird man auch von neuen Veröffentlichungen aus den
Archiven nicht allzuviel erwarten dürfen. Die vorliegenden
Studien Alands beschäftigen sich in ihrem 2. Teil mit Spener-
akten der Berliner Archive. Das Material wird durchgesprochen,
und wichtige Stücke zur Berufung Speners nach Berlin, zum
Beichtstuhlstreit Schades, zur Wahl Blanckenburgs, zum Adjunkten
Speners u. a. sind im Anhang abgedruckt.

Größere Aufmerksamkeit dagegen kann der 1. Teil von
Alands Arbeit über Speners Pia Desideria beanspruchen. Wieviel
ist schon über diese berühmte Schrift Speners geschrieben
worden. Aber niemand hat bisher in streng philologisch-
historischer Art die Entstehungsverhältnisse dieser Schrift so
gründlich und umsichtig geklärt, wie dies Aland tut. Die einzelnen
Ausgaben sind 'miteinander verglichen, und vor allem
wird die Frage der literarischen Abhängigkeit Speners aufgeworfen
. Nun kann gar kein Zweifel bestehen, daß die Pia
Desideria nur ein Glied des reichen kirchlichen Reformschrifttums
des 17. Jahrhunderts ist. Wir kennen diese vielen Schriften
aus den Werken von Heppe, Tholuck, Goeters, Leube und
neuerdings auch von Schleift. Auch Aland erkennt dies an,
aber er begnügt sich nicht mit dieser ideenmäßigen Abhängigkeit
und fragt, ob sich Spener diese oder jene Schrift
unmittelbar zur Vorlage genommen hat. Eine solche Abhängigkeit
wird mit Recht verneint, auch was Labadies berühmte
Reformschrift anlangt. Man wird dem Verfasser für die Untersuchungen
, für die methodisch zweifellos die historisch-kri-

J tische Behandlung des altkirchlichen Schrifttums vorbildlich
gewesen ist, besonderen Dank wissen.

Breslau H. Leube

ETHIK

Ritsehl, Otto: Ethologie des sozialen und des persönlichen
Menschenlebens. Erster Band: Das Ethos des praktischen Idealismus
und der pflichtgebundenen Sittlichkeit. (XIII, 356 S.). — Zweiter
Band: Die das lebendige Ethos bewirkenden dynamischen und die es
gestaltenden geistigen Kräfte des Menschen. (IX, 257 S.) gr. S°.
Halle a.S.: Akademischer Verlag 1939 u. 1940 = Theol. Arb. z.
Bibel-, Kirchen- u. Geistesgeschichte, hrsg. von E. Barnikol. XI.

Geh. RM 11.20 u. RM 8.40.

Das vorliegende Werk ist, äußerlich angesehen, der
Ertrag der Muße eines entpflichteten Professors, ruht
aber in Wirklichkeit auf der vor allem ideengeschicht-
lich orientierten gesamten Lebensarbeit seines Verfassers
.

Der ungewöhnliche Titel Ethologie soll besagen, daß
ohne Rücksicht auf die Frage der praktischen Anwendung
einfach die Erscheinungen des sittlichen Denkens,
Wollens und Handelns sollen zur Kenntnis genommen
werden. Das Buch ist „eine Art von Naturgeschichte
des sittlichen Werdens und Lebens", die insofern von
vornherein ein ganz modernes Gewand anlegt, als auf
die Zusammenhänge der persönlichen Sittlichkeit mit
dem Leben der Gemeinschaft besonderes Gewicht gelegt
werden soll. Also lediglich die deskriptiv-kognitive
Aufgabe der Wissenschaft, nicht die praktische oder zugleich
praktische einer normativen Ethik steht zur Diskussion
. Unter Exemplifizicrung auf den Gegensatz Kant
—Schleiermacher wird beiden Arten der Behandlung des
Ethos ein Recht zugestanden, die eigene Absicht aber
ausschließlich auf die weitergreifende theoretische Fragestellung
ausgerichtet (Einleitung).

Eine Besprechung geht vielleicht am besten vom
2. Bd. aus. Werden hier doch die Grundlagen untersucht
, deren Auswirkungen dann der 1. Bd. als inhaltliche
Beschaffenheit des menschlichen Ethos darstellt
. Bd. 2 umfaßt, abgesehen von dem resümierenden
Schluß, 3 Bücher (5—7). Gegenstand des ersten (5) ist
„Der lebendige Wille als das Organ des menschlichem
Ethos und jedes anders gearteten praktischen Verhaltens
. Das nächste Buch (6) behandelt „Die Beziehungen
der Abhängigkeit und der relativen Freiheit des menschlichen
Wollens und Handelns", das letzte (7) „Gewissen
und Verantwortung".

Mit starker Bezugnahme auf Gustav Störring, dem
dieser Band auch gewidmet ist, wird in diesen Büchern
eine psychologische Grundlegung des ethischen Handelns
geboten. Verf. setzt sich dabei klar ab sowohl
gegen die Oberflächlichkeit der Psychanalyse wie gegen
den Intellektualismus einer auf Sokrates oder Kant sich
berufenden Pädagogik. Statuiert er ihnen gegenüber
einen ganz starken Voluntarismus, so bemüht er sich
doch andererseits, gegenüber der Willkür alles Indeterminismus
zu zeigen, wie die menschliche Psyche ein
ganz kompliziertes, auch nach der Richtung des Handelns
gesetzmäßig funktionierendes Gebilde darstellt.
Das verlangt ein Eingehen auf eine Menge der schwierigsten
Fragen wie etwa Entstehung und Funktionieren
des Bewußtseins, den Unterschied von Triebwillen, Ent-
schlußwiillen und sittlichem Überwillen, die Beteiligung
des Denkens am Werden jedes Wollens, die genetische
Abhängigkeit des Wollens vom Gefühl, das Verhältnis
von Endzweck und Mittelzweck u. s. w. Die Entstehung
des Charakters, der Konflikt der Motive und seine
Entscheidung, Freiheit und Abhängigkeit, Individualität,
Gemeinschaft, Gewissen, Verantwortung, Pflichtenkollision
und noch unzähliges andere kommen dabei in das
Blickfeld einer oft mit sehr modernen Mitteln wie Vererbungswissenschaft
und dergl. operierenden Untersuchung
, die immer bemüht ist, das einzelne als notwendiges
Glied eines ganzen zu sehen. Manches wie
z. B. die Auseinandersetzung über reatus und culpa greift