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Ausgabe:

1943

Spalte:

246-247

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bihlmeyer, Karl

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte. T.1: Das christliche Altertum. T.2: Das Mittelalter 1943

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 9/10

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„zu den gleich würdigen und gleich verbindlichen Trägern
von Gottes Wort an die Stelle des Kultus erhoben" (82) habe,
kann keine Rede sein.

Eben diese matthäische Formel führt uns nun hinüber
zu einer dritten Frage, zur Frage der erzählenden Gemeinde
und ihrem Gesicht. Lohmeyer spricht von der Urgemeinde
unO sagt im Zusammenhang mit dem Abendmahlsbericht:
„Für die Gemeinde also ist der Gegensatz zum jüdischen Kultus
so scharf und überbrückbar, daß sie sich von dem größten
und heiligsten Feste scheidet, das die Großtat Gottes feiert,
welche einst das Volk schuf und es in ferner oder naher
Zukunft vollenden wird" (59); er spricht davon, „mit welch
tiefem Abscheu auch die erzählende Urgemeinde die Erzfeinde
und Mörder ihres Meisters betrachtete" (58). Hier erhebt
sich die Frage: welche Urgemeinde meint Lohmeyer? Von der
jerusalemitischen Urgemeinde, die an Tempel und Gesetz und
Opfer und Festen testhielt, kann wohl nicht die Rede sein.
Er weiß ja selbst, daß ein Überlieferungsstrang Jesus „als den
wohl überlegenen, aber auch in Wort und Tat bejahenden Sohn
der ererbten Heiligtümer" schildert (69). Und er schränkt
seine ursprüngliche Behauptung ein, indem er aus den Berichten
schließt, „daß die älteste Gemeinde — oder bestimmte
Kreise In ihr (!) — die jüdische Kultusordnung gleich ihrem
Meister verworfen hat; sie hat es getan und so überliefert
trotz oder auch bei aller Gebundenheit an die Tora, die auch
für Jesus der Weg zum Leben war (?)" (125). Es erhebt
sich also erneut die Frage: welche Urgemeinde bezw. welche
Kreise in ihr? Wir wissen eigentlich nur von einer Gruppe,
die eine ablehnende Stellung zum Kultus bezogen hat: der
Stephauuskreis. In diesem griechisch sprechenden Kreis werden
wir entscheidende Traditionen der Evangelien zu suchen haben.
Die palästinische Urgemeinde stand anders: sie versuchte, die
antithetische Stellung Jesu anzumildcrn; ihr gehören lukanische
Traditionen — wahrscheinlich mit stark märchenhaft-romantischer
Tendenz — und die Gesamtsicht des Matthäus zu (vgl.
Grundmann, Die Arbeit des ersten Evangelisten am Bilde
Jesu, in „Christentum und Judentum" I 1940). So ergibt sich
aus der Überlieferungsgesclüchte die Beobachtung: am Anfang
steht der eine neue Position setzende, in seiner Antithetik
unerbittliche Jesus; ihm folgt die zum Alten hin nivellierende
und die Antithetik ausgleichende Gemeinde, die das allerdings
nicht ohne Widerspruch (Stephanuskreis) tut. Der vorwiegend
griechische Sprachcharakter auch der Evangelieiu|iiellen
bestätigt dieses Ergebnis.

Aus der Position Jesu erhebt sich eine letzte Frage: die
Frage nach seinem Selbstverständnis. I.ohmeyer betont mit
Recht: Hinter dem Handeln und Verkünden Jesu steht ein
Selbstbewußtsein, das nicht dem Messiaskönig und nicht dem
Messiaspropheten und nicht dem Messiaspriester entspricht (vgl.
auch Grundmann, Das Messiasproblem, in „Germanentum,
Christentum und Judentum" II 1941). Es ist für Lohmeyer
das. Bewußtsein des Menschensohns, „eine Gestalt, die mit Gottes
Macht und Heiligkeit die eschatologische Vollendung selbst
vollbringt" (119). Lohmeyer fährt an dieser Stelle fort: „Und
es gibt nur eine einzige Gestalt im jüdischen Glauben, die zu
solchem Werk 'durch ihr Wesen und nicht nur kraft eines besonderen
Auftrags fähig wäre ... Es ist die Gestalt des
Menschensohnes". Das ist reine Hypothese. Dan. 7,13 ist
für das Judentum eine Messiasaussage. Ober die Menschen-
sohnaussagen urteilen dementsprechend Strack-Billerbeck auf
Grund des gesamten Materials, daß man nicht sagen könne,
„der Name Menschensohn sei in Jesu Tagen eine übliche
Messiasbezeichnung gewesen: man hat wohl in apokalyptischen
Kreisen unter diesem Namen auf Grund von Dan. 7 vom Messias
geredet, aber in der breiten Masse ist der Ausdruck unbekannt
" (I 480). Wir haben vor Jahren an dieser Stelle (ThLZ
65. Jhg. Sp. 70) die methodische Forderung ausgesprochen,
daß der Ansatz der neutestamentlichen Christologie nicht in irgendwelchen
Erwartungsformen gesucht werden darf, auch
nicht in den alttestamentlichen, sondern allein im Gottesgedanken
Jesu. Dem aber geht Lohmeyer überhaupt nicht nach.
Und das ist wohl die entscheidende Frage: Ist der Gott, der
die alte Ordnung des Kultus setzt, überhaupt der gleiche Gott
wie der, der den Menschensohn in der Gestalt Jesu zu den
Menschen sendet. Weil Lolimeyer diese Frage nicht stellt,
bleibt u. E. seine fruchtbare und wegweisende Untersuchung
doch wieder vor dem Ziele stecken.

Wir haben darauf verzichtet, in exegetische Einzelerörterungen
einzutreten, so ernste Fragen etwa an seine bereits an
anderer Stelle vorgetragene Deutung der Tempelreinigung oder
des Gleichnisses von den bösen Weingärtnern zu stellen wären.
In dem einen Falle scheint uns die Frage berechtigt, ob nicht
die synoptische Berichterstattung den Vorgang abschwächt und
die johanneische Beachtung verdient, die das harte Wort von

der Tempelauflösung, wenn auch in etwas gewandelter Form,
hat; im anderen scheint es uns nicht erwiesen, daß mit dem
Weinberg der Tempel und mit den Pächtern die Priester gemeint
seien. Uns kam es in dieser Berichterstattung darauf

i an, an diese grundsätzlich wichtige und sehr zu begrüßende
Studie nicht F.inzelfragen, sondern grundsätzliche Fragen des

! Jesusverständnisses zu stellen. Wir tun es in der Überzeugung,
dem damit der gegenwärtigen deutschen Theologie aufgegebenen
Problem am meisten zu dienen.

Jena W. Grund mann

Riesenfeld, Harald: Etüde bibliographique sur la notion

bibllque d'ArAriH.
Sah I in, Harald: 1 Esdras 4 et 1 Cor. 13. Uppsala, Geijersgatan 18
(Seminarium Neotestainenticum Upsaliense) 1941. (32 S.) gr. 8° =
Coniectanea Neotestamcntica edenda curavit Anton Fridrichsen, V.
Im 5. Heft der von A. Fridrichsen herausgegebenen Con«
' iectanea Neotestamentica gibt H. Riesenfeld eine Ober«
| sieht über die neuere Literatur zu dem Thema 'Ayt-in und zu
1, Kor. 13. 131 Aufsätze und Untersuchungen werden in sachlicher
Gruppierung und jeweils mit kurzer Inhaltsangabe be-
[ handelt. Die fleißige und an sich nützliche Zusammenstellung
läßt aber unbefriedigt, weil der Verf. die Arbeiten nicht von
einer eigenen Position aus beurteilt, sondern sich überwiegend
auf das Referat beschränkt.

Dagegen bringen die zwei Seiten Kleindruck des Aufsatzes
von H. Sah I in einen neuen Gesichtspunkt zur Beur-
: teilung von 1. Kor. 13, der von großer Wichtigkeit ist. Er
1 zeigt nämlich, daß der Lobpreis der Wahrheit 1. Esr. 4, 34—40
j überraschende formale Verwandtschaften mit 1. Kor. 13 aufweist
. Vgl. I. Esr. 4, 34 f.: iify<JAt| fj yi. xui {n4>r)X6c ö ofoot-
! vog xai ntxvs t«» öqi'muo ö ijXio? . . . xai i dXnfaia tyeyato|
j xai lox»c,OTt-Ou *OQo «faria mit der antithetischen Beispiel-
reihung" 1. Kor. 13, 1—3; die Aufzählung der Eigenschaften
der Wahrheit 1. Esr. 4,39 mit I. Kor. 13,4—6; die Gegenüberstellung
von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit 1. Esr. 4,
37 f.: (tftixoi nfivTFC ot iriol t<öv üvöooWow . . . x<ii §v xfj
! äöixt'g (ti'Toiv 6ftOM>0VMU' 38 f| öe dM)t>Eia iiei mit
1. Kor. 13,8—13 (bes. pim V. 13!) u. a. m. Sahlin kündigt
den Nachweis an, daß der vergleichende Lobpreis IbptÄfum
mryxQiTixöv) eine verbreitete judengriechische Literaturform ge-
' wesen ist, deren sich Paulus 1. Kor. 13 bedient habe. Schon
jetzt, auf Cirund der kurzen Note preliminaire, wird man ihm
zugeben, daß er mit 1. Esr. 4,34 fr. eine Analogie zu 1. Kor.
13 aufgezeigt hat, die dem paulinischen Hohenlied der Liebe in
formaler Hinsicht näher steht als alle Seitenstücke, die bis
jetzt beigebracht worden waren.

Göltingen Joachim Jeremias

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEIN

Bi hl me yer,Univ.-Prof. D.Dr.Karl: Kirchengeschichte. Auf Grund
des Lehrbuches von F. X. v. Funk neubearb. T. 1 : Das christliche
Altertum. 11. Aufl. (XIV, 432 S.). T. 2 : Das Mittelalter. (XX, 517 S.)
gr. 8°. Paderborn : Schöningh 1940. = Wissenschaftl. Handbibliothek.
Theol. Ausg. RM 7.20 u. 9.20.

Mit starker, jedoch „kriegsbedingter" Verspätung sei auf
zwei Bände der Bihlmeyerschen, früher Funkscnen Kirchengeschichte
hingewiesen, die in 11. (bzw. 10. u. 11.) Auflage neu
i herauskommen konnten. Dies ausgezeichnete, im ganzen drei-
i bändige Lehrbuch besitzt für die Katholiken etwa die Bedeutung
, die bei uns das Krügersche „Handbuch der Kirchenge-
schichte für Studierende" Besaß, dessen letzte Auflage aber
| schon weiter zurückliegt. Es ist auch dem Fachgelehrten will-
: kommen mit seiner sorgfältigen und reichen Literaturangaben,
seiner gleichmäßigen Berücksichtigung aller Forschungsgebiete
, und seinen wohlüberlegten Urteilen, die trotz selbstverständ-
1 liehen Messens mit katholischen Maßstäben doch immer bestrebt
bleiben, auch entgegengesetzten Meinungen Rechnung zu tragen
und nach Möglichkeit in die wissenschaftliche Diskussion und
Forschung selbst einzuführen.

Der Band über das Altertum ist gegenüber der letzten
Auflage (1936) nicht wesentlich verändert. Der Umfang ist um
nicht ganz 2 Bogen angewachsen, und davon entfällt natürlich
ein nicht geringer Teil auf die Literaturangaben. Trotzdem
zeigt ein näherer Vergleich immer wieder, mit welcher Sorgfalt
der Verf. den Text überall durchgesehen, im Ausdruck verbessert
und durch kleine Änderungen und Zusätze auf den neuesten
Stand der Forschung gebracht hat (vgl. z. B. § 41,4 paganus,
§ 65,2 Synodalprotokolle, § 70,4 Petrusverehrung; S. 199 eine
grundsätzliche Bemerkung über die Germanenwelt und den Beginn
des Mittelalters). Den auch in dieser Zeitschrift (1938
Sp. 340 f.) ausgesprochenen Wunsch nach einer neuen, mehr