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Ausgabe:

1943

Spalte:

9-12

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Baetke, Walter

Titel/Untertitel:

Das Heilige im Germanischen 1943

Rezensent:

Mensching, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 1/2

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trachtungsweise muß, so alt wie sie ist und obwohl
auch heute noch in verfeinerter Art geübt, doch als überwunden
gelten. Auf jeden Fall verletzt sie die Forderung
, eine echt historische zu sein. Und sie scheint
mir auch nicht im Sinne lebendigen evangelischen Verständnisses
zu liegen, dein die Dialektik zwischen Wort
und Hören der Ort der Glaiibenserfahruiig ist, nicht
aber ein geschichtlicher Akt, ein konziliarer Beschluß
oder dgl. So hat die Kirchengeschichte die Aufgabe zu
zeigen wie in den einzelnen Zeiten sich unter der
Anrede durch das Wort und in den Bedingungen zeitgeschichtlicher
Existenz Christentum dargestellt hat. Der
Historiker, der von dieser Überzeugung ausgeht, wird
im Sinne Rankes und seines bekannten Wortes verfahren
wollen, nach dem jede Epoche unmittelbar zu Oott ist.
Es ist mir kein Zweifel, daß Lietzmanns Geschichte
der alten Kirche unter solchem Gesichtspunkt steht, obwohl
er selber sich nicht über das Grundsätzliche seiner

Geschichtsschreibung geäußert hat. Aber die Zurückhaltung
seines Urteilens,"das von Bultmann " verkannte Bestreben
, die Geschichte nicht in der Horizontalen zu
sehen (um ein Bild Fr. Meineckes zu gebrauchen), ja
selbst die eigentümliche Art, wie er den dogmengescliicht-
lichen Stoff in seine Darstellung hineinnimmt — nicht
als abstrakte Ideengeschichte, sondern ihn stets aus
der Schilderung der führenden christlichen Persönlichkeiten
entwickelnd alles dies findet aus solcher Haltung
seine Erklärung. Damit hat uns Uetzmann selbst
die Antwort auf die eingangs gestellte Frage gegeben.
Indem der Theologe Historiker und Philologe ist, sichert
er dem Glauben den echten Zusammenhang mit
seinem geschichtlichen Fundament und bewahrt sich davor
, daß sein Denken ein freies Schweifen des menschlichen
Geistes wird.

24) ZKO 53, 1934, S. 625.

RELIGION S W ISSENSCHA Fl'

Baetke, Waller: Das Heilige im Germanischen. Tübingen
I. C B. Mohr (Paul Siebeck) 1042. (VIII, 22b S.) 8". RM 9.60;

geh. RM 11.—

Gegen den von R. Otto und anderen vertretenen
Standpunkt, daß Religion wesentlich Erlebnis des Heiligen
sei und ihren Ausgang nehme vom Erlebnis des
Heiligen als numinose Macht, ein Standpunkt, den wir
von der empirischen Religionsgeschichte aus als durchaus
begründet ansehen, sucht Walter Baetke in dem
ersten Teil des vorliegenden Buches einen entscheidenden
Angriff zu führen. Da es sich hier um sehr zentrale
Probleme der vergleichenden Religionswissenschaft handelt
, wird man es gewiß verständlich finden, wenn diesem
ersten Teile eine selbständige Auseinanderselzimg
gewidmet wird.

Im Abschnitt 2 wird die Maua- oder Macht-Vorstellung
erörtert, die von den von Baetke abgelehnten Forschern
(R. Otto, G. van der Leeuw, G. Mensching) an den
Anfang der religionsgeschichtlichen Entwicklung gestellt
wird. B. behauptet, auch die Macht werde, wo sie erfahren
wird, nicht als unpersönliches Es, sondern irgendwie
persönlich apperzipiert und vorgestellt. S. 11
z. B. sagt B., mana komme keinesfalls das Merkmal
des Unpersönlichen zu, was schon daraus ersichtlich sei,
daß auch der Häuptling oder der Priester, also Personen,
mana haben können. Wie aber kann man annehmen,
daß dadurch mana personhaften Charakter bekomme?
Erstens macht der Primitive den Unterschied von Person
und Sache noch garnicht und dann vor allem wird Macht,
die an einer von uns als Person bezeichneten Erscheinung
der Wirklichkeit erlebt wird, dadurch nicht selbst
persönlich. Die Weihekraft des Priesters, die er im Akt
der Weihe empfängt, ist zwar Macht einer Person aber
nicht persönliche Macht, deren Charakteristikum vor allem
bewußter Wille sein müßte. Zweifellos wird Macht
als lebendige, aktive und konkrete Macht erlebt und
nicht als Abstraktum, das aber gibt ihr noch keinen Persönlichkeitscharakter
. Selbst Dämonen und Geister, die
sich der Persongestalt nähern, sind noch nicht mit persönlicher
Macht erfüllt. Auch in ihnen, wie überhaupt
im religiösen Erlebnis der Frühzeit, dominiert das Irrationale
, Dunkle und absolut Regellose. Das ist B. gegenüber
auch aus dem Verhältnis von Heiligkeit und
Macht, wie es im Reliquienkult vorliegt, zu erkennen:
Heiligkeit erweist sich (im Frühstadium) in „Macht-
Taten". Heilige dieser Art sind aber gerade garnicht
als Persönlichkeit und um ihrer persönlichen Macht willen
verehrt, sondern eben um der in ihnen wirksamen
unpersönlichen Macht willen, die hernach noch in ihren
Reliquien nachwirkt und bei der doch gewiß nicht mehr
von persönlicher Macht gesprochen werden kann.

Wenn B. S. 15 mit Recht betont, der Primitiv« apperzipicre
ülvcrnatürliche Kräfte nur „soweit sie auf ihn wirken und er /u

ihnen so in eine persönliche Beziehung tritt", so ist die von B> daraus
gezogene Konsequenz „und in demselben Maße erhalten sie für ihn
auch irgendwie persönlichen Charakter" entschieden abzulehnen; denn
hier wird ein neuer Wortsinn des Persönlichen eingeführt. Man kann
durchaus eine persönliche Beziehung zu unpersönlichen Realitäten
haben, ohne daß deren unpersönlicher Charakter dadurch ins Gegenteil
gewandelt würde, auch nicht für das in Beziehung tretende
Subjekt. Man kann auch nicht, wie B. offenbar möchte, sagen:
das an sich Impersonale werde für den mit ihm in Beziehung Tretenden
persönlich. Das von B. als philosophische Abstraktion m. E.
zu Unrecht bezeichnete hrahman der Inder (S. 15) ist gerade ein
Beweis gegen B's Theorie; denn bekanntlich hat der Begriff des
hrahman eine Geschichte, die auf die impersonale Macht im Opfer«
wort und in der rituellen Formel zurückführt. Dieses ganz konkrete
brahman, das die Brahmanen handhaben, ist durchaus neutral und
inipersonal und wurde auch als solches erlebt.

B. behauptet, die „Machttheoretiker'' hätten das Verhältnis
von Heiligkeit und Macht auf den Kopf gestellt:
nicht sei etwas heilig, weil es Macht habe, sondern umgekehrt
: Macht hat, was heilig ist. Ich würde sagen:
die Wahrheit liegt genau in der Mitte zwischen beiden
Standpunkten. Weder wird Macht an sich selbständig
erlebt und dann der Begriff des Heiligen darauf angewandt
, noch wird Heiligkeit an sich erfahren und Macht
daher oder daraufhin ihr zugesprochen, sondern: das
Heilige wird im Frühstadium als heilige Macht erlebt
, also als Macht sui generis.

Eine inhaltliche Klärung des Wesens des Heiligen ist mit
■ dkseT Macht-These natürlich noch nicht gegeben außer nach der
einen Seite hin, daß das Urerlcbnis am Impersonalen, Unfaßbaren,
Dämonischen sich entzündet. B's später (S. 44) aufgestellte Behauptung
, daß das Heilige dem Menschen nicht als unpersönliches
: Es, sondern als Person, d. h. als Du begegne, wird durch die R«.
ligionsgeschichte m. E. evident widerlegt. Niemand wird das gött-
liehe ,,Du" in der Religionsgeschichtc bezweifeln wollen, aber
das nnminOS« „Es" radikal zu leugnen, heißt doch alle am neutralen
; Einen orientierte Mystik (um nur von der Hochf riMiimigkeit /u reden)
I ignorieren. Ist /. B. das buddhistische Nirvana etwa eine persönliche
Größe, ein göttliches Du, das den Menschen anspricht? Und ist die
| Unterscheidung zwischen Shiva und Shaivain, analog der Eckharts
zwischen deus und deitas, denn kein Beweis dafür, daß das Heilige
a u c Ii als Es nicht nur gedacht, sondern auch erlebt werden kann?

Von besonderer Bedeutung ist der Abschnitt 3, in
dem das „religiöse Erlebnis und das numinose Gefühl"
behandelt werden. Wenn B. den von Otto und anderen
vertretenen Standpunkt, Religion entspringe aus dem
numinosen Gefühl eines objektiv gegebenen Heiligen, bestreitet
mit dem Hinweis darauf, daß also das religiöse
Erlebnis auf einer Art sinnlichen Wahrnehmung beruhe,
so wird damit in. E. die Ottosche Theorie entstellt.'
Die von uns oft gebrauchten Ausdrücke des „witterns",
„Spürens" usw. meinen nicht sensuelle Funktionen. Es
sind vielmehr aus der sinnlichen Begriffswelt genommene
Analogiebegriffe, deren Unbestimmtheit "gerade
das nicht empirisch Sinnliche, sondern ein Ahnen und
j innerliches Erfassen zum ungefähren Ausdruck bringen
sollen. Gemeint ist der „sensus numinis", ein innerer
Sinn also, der möglicherweise durch konkrete, auch sinn-