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Ausgabe:

1943

Spalte:

233-236

Autor/Hrsg.:

Wendland, Heinz-Dietrich

Titel/Untertitel:

Geschichtsschreibung und christliche Sozialethik 1943

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Theologische Literalurzeitung 1Q43 Nr. 9/10

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von dem Ende der Wege Gottes. Die Heilsgeschichte
verläuft zweifellos auch in Stufen, in denen auch eine
göttliche Pädagogik erkennbar wird. Das Zeugnis der
Propheten liegt nicht mehr auf der Ebene des hexa-
teuchischen Zeugnisses. „Die Nacht ist vorgerückt, der
Tag ist nahe herbeigekommen". Und doch ist dieses von
jenem nicht aufgehoben. Aber auch dieses prophetische
Wort ist noch verhülltes Christuszeugnis, und doch ist
es seinerseits wiederum nicht vom N. T. aufgehoben.2"
Als der letzte in dieser Reihe, Johannes der Täufer von
Christus hörte, ist er unsicher geworden; und doch
hat ihm der Herr deswegen nicht die Würde eines großen
Propheten aberkannt.-7 In diesem Sinne haben schon
die Reformatoren das Verhältnis des A. T. zum Neuen
im Bild von dem der Morgenröte zu der aufgegangenen
Sonne veranschaulicht.28

Es waren mehr die allgemeinen Fragen der Anlage
einer atL Theologie, die hier skizziert wurden. Zwischen
dem angedeuteten Grundsätzlichen liegt viel Raum zur
Behandlung spezieller Probleme. So müßte U. E., nachdem
die begriffsgeschichtliche Erforschung so erfreulich
in Gang gekommen ist, eine Herausarbeitung der einzelnen
sich durch das A. T. hinziehenden sakralen Traditionen
in Angriff genommen werden. Durch die Herausarbeitung
ihrer Symptome und die Abgrenzung von
anderen Übeiiieferuiigslinien würde in mancher Frage

26) Vgl. hierzu den gichtigen Abschnitt bei Eichrodt: Das
Doppelverhältnis von Weissagung und Erfüllung I, 277 f.

27) W. Zimmerli Auslegung des A. T. Theol. Blätter 1940, 146 f.

28) H. W. Wolf Die Einheit des Bundes. Das Verhältnis von
A. und N. T hei Calvin 1942, 56 ff.

ein klärendes Wort gesprochen werden können. In welcher
Tradition steht denn das Deuteronomium? Offenbar
in einer toto coelo verschiedenen von der, aus der
die Priesterschaft herausredet. Traditionell priesterliches
Denken scheint gekennzeichnet durch eine spezifische
kabod-Theologie. Dem Deuteronomium ist sie ganz
fremd. Wie verhält sich dazu die Tradition des Zeltes

i einerseits, der Lade andererseits? Ebenso bei den Propheten
! Die Inhalte, die sie inspiratorisch empfangen,
sind nicht individuell isoliert, sondern ebenfalls überlieferungsmäßig
gebunden. Sie zerlegen sich der Hauptsache
nach thematisch in wenige Traditionsströme, die
wir auch sonst aus dem A. T. kennen. Die messianische
Verkündigung hat Teil an der David-Zion-Tradition (2.
Sam. 7; 23; Königspsalmen). Bei dem Kampf der Prophe-

j ten gegen Rüstungen, Kriegsrosse, Bündnisse treten
archäische Normen des Heiligen Kriegs in neuem Ge-

; wände auf.

Das bleibt immer die Hauptaufgabe einer atl. Theo-
! logie: das Zeugnis des A. T. gerade in seiner Besonderheit
und in seiner ihm allein eigenen Begrifflichkeit zu
j erarbeiten. Gerade wenn wir uns ganz seiner eigenen
i Schwere und seiner spezifischen Kontur überlassen, dann
I wird sich uns das A. T. selbst in eigener Vollmacht in
! das richtige Verhältnis zum Neuen setzen; es wird sein
gottgesetztes Wächteramt vor der Schwelle des N. T.
ausüben und die Botschaft von Jesus Christus in ihrer
ganzen Fülle vor jeder Verbiegung und Verkürzung
bewahren. Aber freilich, wir werden das A. T. noch viel
i intensiver lesen müssen, bis uns eine Zusammenschau
geschenkt wird, die nicht durch gewalttätige theologische
Verkürzungen erkauft ist.

Geschichtsschreibung und christliche Sozialethik

Rudolf Craemer zum Gedächtnis

Von H e i n z - D i e t r i c h Wendland, Kiel

Am 14. Mai 1941 starb im Alter von 3S Jahren der man ihm vorwarf, er verderbe die politische Geschichts-

Historikcr Rudolf Craemer, zuletzt Leiter der Sozial- Schreibung durch Philosophie und Theologie! Cr. da-

geschichtlichen Abtig. des Arbeitswissenschaftlichen In- gegen war es selbstverständlich, nach der Einheit zu fra-

stituts der Deutschen Arbeitsfront zu Berlin. Sein Lebens- gen, isolierende Methoden und Schulgrenzen aufzuheben,

werk blieb unvollendet, und doch hat nicht nur die poli- universale Weltgeschichte, aus der Tiefe des Schöpfertische
und soziale Historie, sondern auch die Theologie , Glaubens gespeist, zu schreiben, und gerade so, in die-
allen Anlaß, seiner dankbar zu gedenken. Dies gilt vor ; ser Universalität des Ansatzes, zur höchsten geschicht-

allem in doppelter Richtung. Einmal wußte sich Craemer liehen Sachlichkeit zu gelangen. Schon in seinem ersten

im Persönlichsten gebunden an den christlichen Glauben großen Werk, „Gladstone als christlicher

als Geschichtsmacht wie als Zukunftskraft, und die evan- Staatsmann" (Stuttgart 1930) trat dies Streben in

gelische Reformation galt ihm als noch unvollendet. Er aller Klarheit hervor. Es gipfelt in einer Gegenüber-

sah scharf, welche durchgreifende Umschmelzung unser Stellung von Gladstone und Bismarck (S. 479 ff.), die zu

Zeitalter über die historischen Kirchen bringen müsse, dem Tiefsten gehört, was über den Gegensatz deutschen

Nie war er der Meinung, daß die Ausrichtung des hohen und englischen Wesens, angelsächsischen Christentums

Amtes des Geschichtsschreibers, das er seit seinen jüng- und lutherischen Glaubens je gesagt worden ist. Da Cr

sten Anfängen stets als ein Amt politisch-völkischer Ver- die theologischen Quellen in Gladstones Denken und

antwortunp gesehen hatte, gehemmt und zur Unsachlich- Handeln sehr genau verfolgt, ist dies Buch für die heuti-

keit verzerrt würde durch die Lebenskraft eines persön- ge Auseinandersetzung mit dem englischen Christentum

liehen christlichen Glaubens in dem Geschichtsforscher, in seinen eigentümlichen Beziehungen zur Politik von

Der lutherischen Geschichtsanschauung, die Gewalt und großer Bedeutung. Die „theologische Verkleidung welt-

Chaotik der Geschichte als verborgenes Gotteswerk lieber Glucksziele"2 hat Cr., jenseits aller Schla<nvorte

nimmt, zutiefst verhaftet, war es ihm vielmehr zweitens mit Scharfe aufgedeckt. Gerade die Auseinandersetzung

gerade dieser Glaube, der ihn in alle Weiten der Ge- mit dem Geist und dem Christentum Westeuropas (Cr.

schichte und der göttlichen Schöpfung hineiniuhrte und kannte die englische Kirchen- und Geistesgeschichte wie

jede Gestalt und Leistung in der Geschichte in ihrem wenige in Deutschland) führte ihn immer wieder auf

eigentümlicheil Leben und Bestände schauen und durch- die umwälzende Bedeutung Luthers und der deutschen
dringen ließ Die angebliche „Voraussetzungslosigkeit" | Reformation, deren geschichtliche und politische Wirkun-

der Wissenschaft hat für ihn nie Geltung gehabt.1 gen er in seiner Schrift „Ev a n g e 1 i s c h e R e f o r m a -

Cr. strebte, zeitlebens ein dankbarer Schüler von Erich tion als politische Macht" (Göttingen 1933) bis

Mareks, gerade aus diesem Glauben zu einer Form in die Gegenwart verfolgte. Dieser Aufriß sollte in einer

universaler Geschichtsschreibung, in der Glaubens-, großen Untersuchung über das politische Ethos und das

Geistes-, Sozial- und politische Geschichte sich gegen- Staatsbewußtsein in Deutschland in dem Zeitraum von

seitig aufs innigste durchdringen. Kein Wunder, daß der Reformation bis Leibniz aus den Quellen begründet

1) Vgl. das Bekenntnis im Vorwort /u „Glad-tonc als thri.t- 2) Ev. Reformation als politische Macht, (Döttingen 1933 S. 23.

liclier Staatsmann", Stuttgart 1930 S. X. I Vgl. auch „Benjamin Disraeli" Hamburg 1941.