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Ausgabe:

1943

Spalte:

215-216

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fassbinder, Klara Marie

Titel/Untertitel:

Der heilige Spiegel 1943

Rezensent:

Tiling, Magdalene

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auch „die ganze Geschichte" bis zu den Urgründen und
Urquellen des Seins. „Und das alles schließlich steht
vor der umfassenden Wirklichkeit Gottes, und die Predigt
hat die Aufgabe, die Fülle menschlichen Seins in
ihrem konkreten jeweiligen Bestände der Wirklichkeit •
Gottes gegenüberzustellen, soweit das menschlichem Wirken
möglich ist", besser: „Predigt ist Verkündigung
der Wirklichkeit Gottes mit dem Ziel, ,daß allen Menschen
geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit
kommen'. Alles, was auf dem Wege zu diesem
Ziel hindert, muß vermieden werden, alles, was diesem
Ziel dient, ist recht" (S. 321).

Demnach kann es nicht anders sein, als daß auch die
Predigtlehre H.s aus einer ganzheitlichen Lebensschau
heraus gearbeitet werden mußte, und daß sein Buch über
die Predigt zu einem Lebensbuche wurde. Dieses Lebensbuch
behandelt denn auch die großen Themen des Le- j
bens in unserer Zeit. Im 1. Kapitel ist Thema „die
Lage" (hier steht auch eine Übersicht über die gegenwärtige
psychologische Arbeit); im 2. Kapitel: „die
Bedeutung des Subjekts für das Werden der Predigt"
(hier findet man ein Beispiel tiefenpsychologischer Arbeit
, in den Abhandlungen über das „Selbst" des Predigers
, das „Schicksal" des Predigers, über „Amt",
„Theologie", Bekenntnis"); im 3. Kapitel: „der Weg
des Subjekts zum Evangelium und zum Text" (hier steht
im übrigen Wertvollstes zum Fragekreis „Meditation");
im 4. Kapitel: „Gemeinde und Gestaltung" (mit besonderem
Hinblick auf den „priesterlichen Dienst"); im I
5. Kapitel folgt dann die eigentliche „Kunstlehre", die j
spezielle Anleitung zur Predigtarbeit am Schreibtisch und
zur Predigt auf der Kanzel, natürlich ganz erfüllt von
dem Resultat der Lebensschau.

Wer wird nun den Nutzen von diesem Lebensbuch haben? Sicherlich
jeder Homiletiker, jeder strebende Prediger im Amt, jeder
Seelsorger, jeder Christ im Ringen um „Personifikation" — aber
am wenigsten vielleicht der Student als Anfänger in der Predigtarbeit
. Der Student muß die Anfangsgründe der Predigtarbeit anderswo
lernen — dann erst kann er zu diesem Buche greifen. Gewiß
stehen in dem Buche die feinsten Bemerkungen über den Dienst
am Studenten und am Kandidaten — für den Homiletiker. Es
handle sich denn um außergewöhnlich begabte Studenten; solche
Begabungen werden auf dem H.sehen Wege zur Aktivität entbunden
werden, aber nur sie. Die große Menge der gewöhnlichen Begabungen
muß einfachere und gebahntere Wege geführt werden. Das tut dem
großen Verdienst H.s keinerlei Abbruch, aber es legt wieder einmal
die Sorge für die Nicht-Genialen auch unter den Predigern im Amt
neben ein solches Werk wie das von H. Wenn z. B. S. 184 TriH-
haas und Schreiner darin kritisiert werden, daß sie in der Text-
gemäßheit der Predigt eine Sicherung der EvangeHumsgemäßheit
der Predigt sehen und einen Schutz gegen Geschwätz, so haben {
Trillhaos und Schreiner m. E. recht, wenn dem einfachen Prediger
geholfen werden soll — während H. nur den „Könner" im Auge
haben dürfte, wenn er für Evangeiiinmsgemäßlieit contra Textge-
mäßlieit redet. Ähnliches gilt m. E. von der Stellungnahme H.s
in den Fragen „Textlose Predigt" und „Freie Textwahl"; ja wohl
auch von der großzügigen Ablehnung der unter dem Stichwort „bloß
Subjektives" gekennzeichneten Gefahr der „Willkür-Predigt". Ja,
zieht nicht von der Heranführung der Tiefenpsychologie her ein
Ruf nach Genialität in die Homiletik ein? — Aber H. wird mit
Recht erwidern: rem curo, non usum. Und res ist tief und umfassend
dargelegt. So freuen wir uns denn, daß wir ein solch notwendiges,
reiches und freies Buch empfangen haben.

Berlin Leonhard Fendt

Faßbinder, Klara M., und Maria Faßbinder: Der heilige j

Spiegel. Müttergestalten durch d. Jahrhunderte. Paderborn : Bonifacius- '
Druckerei 1941. (311 S., mehr. Taf.) gr. 8°. geb. RM 6.75. |

Im Vorwort dieses, ganz aus katholischem Denken ;
herausgewachsenen Buches heißt es: „Der Ruf der Zeit
geht heute besonders an die Mütter und die mütterliche
Frau." Das Buch will wie in einem hellen Spiegel
das Leben heiliger und anderer vorbildlicher frommer
Mütter zur Darstellung bringen. All diese kurzen Lebensbilder
wollen Würde und Aufgabe der christlichen
Mutter herausstellen, nämlich „Lehrerin, Priesterin und
Hirtin der ihr von Gott anvertrauten Seelen" zu sein, j

um dadurch zur Nacheiferung aufzurufen. Wir werden
von den Gestalten der ersten Mutter Eva und der Mütter
des Neuen Testamentes durch alle Jahrhunderte der
Kirche in über SOLebensbildern bis in die jüngste Gegenwart
geführt. Neben den sächsischen Fürstinnen Mathilde
und Editha, der Herzogin Hedwig von Schlesien, oder
der Maria Theresia und der Fürstin Galützin stehen
die Apoth-ekerstochter Anna Maria Taigi, Dürers Mutter
oder Emilie Hopmann, die bekannte Leiterin des katholischen
Frauenbundes im 19. Jahrhundert und viele andere
. Immer aufs neue wird von der Sorgfalt und Treue,
dem Ernst und der Verantwortung vor Gott berichtet,
mit der diese frommen Mütter ihre oft zahlreichen Kinder
erzogen. Auch die Märtyrerinnen stehen vor uns
als „Mütter", die von tiefer schmerzlicher Liebe zu ihren
Kindern bewegt werden. Die Lebensbilder beruhen auf
eingehendem nüchternen Quellenstudium, sind aber so
einfach und schlicht geschrieben, daß sie sich sehr wohl
zum Vorlesen und zur Besprechung in katholischen
Frauen- und Mädchenkreisen eignen.

Über diese nächstliegende Aufgabe des Buches, den katholischen
Frauen und Müttern einen heiligen Spiegel vorzuhalten, aber sieilen
sich die Verfasserinnen eine weitere Aufgabe, die das Interesse jedes
denkenden Lesers gewinnen muß. Das Buch will sicli ausgesprochener-
maßen mit der in der katholischen Kirche üblichen Anschauung
von dem Vorzug der Witwe und der Jungfrau vor der Ehefrau und
Mutter auseinandersetzen. Gewiß hat manche Frau nach dem Tode
ihres Mannes mehr Zeit für Gott und die Werke der Nächstenliebe
— an vielen anderen frommen Müttern aber wird gezeigt, daß sie
auch schon während ihrer Ehe ein heiligmäßiges Leben geführt
haben und führen konnten. Umgekehrt hat manche fromme Ehefrau
ihren Gatten nach dessen Tode fast noch mehr gelieht als vorher.
Die Verfasserinnen setzen sich ferner mit der Frage auseinander, ob
die Heiligkeit einer Mutter davon abhängt, daß sie ihre Kinder zu
einem Leben der Keuschheit erzog. Sie betonen, daß bei aller Hochschätzung
der Jungfräulichkeit die Erziehung der Töchter zu Frauen
und Müttern ebenso heiliger Auftrag Gottes ist. Endlich aber —
und dieser Hinweis trifft wohl am stärksten den Kern der Frage —
wird nach der Meinung der Verfasserinnen wohl niemand behaupten
dürfen, daß die Mutter und Ehefrau an bräutlicher Hingabe an
Christus der Jungfrau und Witwe nachsteht. Wurde doch so manche
Mutter vieler Kinder, wie die Darstellungen zeigen, schon zu Lebzeiten
ihres Mannes innigster mystischer Vereinigung mit Christus
gewürdigt.

Diese im Vorwort und im Schlußwort niedergelegten Gedanken
erhalten für jeden katholischen Leser ihre Überzeugungskraft
durch die von aller Problematik freien schlichten Darstellungen.
Zugleich aber wird mit alledem das Buch Bitte und Mahnung
an die katholische Kirche. Diese kennt in Meßbuch und Brevier
zur allgemeinen Bezeichnung weiblicher Heiligkeit nur die Worte:
Jungfrau, Märtyrerin und Witwe. In der Allerheiligcnlitanei lautet
der Ruf: „Alle heiligen Jungfrauen und Witwen bittet für uns."
Die Verfasserinnen erhoffen von der Kirche, daß sie klare, die
Mutter ausdrücklich meinende Perikopen für das Fest einer heiliggesprochenen
Mutter bestimmt und daß in der Allerheiligenlitanci der
Ruf erschallen darf: „Alle heiligen Oattinnen und Mütter bittet
für uns."

Die Aufrollung des Problems, wie weit dürfen Jungfräulichkeit
oder Mutterschaft bei dem Urteil über den
Wert der christlichen Frau in die Wagschale geworfen
werden, ist von Interesse auch für die evangelische
Kirche. Denn auch in ihr begegnen wir immer wieder m
der Beurteilung dieser Fragen einer Unsicherheit, einem
auffallenden Schwanken. Während in der katholischen
Kirche einer Überbewertung der Jungfrauen und Witwenschaft
zu Ungunsten der Ehefrau und Mutter, wie es
in diesem Buch geschieht, entgegengetreten werden darf,
handelt es sich in der evangelischen Kirche vielfach um
eine Überbewertung der physischen Mutterschaft. Es
ist dankenswert, daß dies Buch der katholischen wie
der evangelischen Kirche in „heiligem Spiegel" zeigt,
daß die Beurteilung der Frömmigkeit der Frau oder
ihrer fraulichen Befähigung zum Dienst in der Kirche
nicht von schöpfungsgegebenen Funktionen, sondern von
ihrer Stellung zum Herrn der Kirche und von der Erfüllung
ihrer von Gott gegebenen Aufgabe ausgehen
sollte.

Berlin Mgd. von T i 1 i n g