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Ausgabe: | 1943 |
Spalte: | 205-206 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie |
Autor/Hrsg.: | Schmidt, Johanna |
Titel/Untertitel: | Ethos 1943 |
Rezensent: | Bultmann, Rudolf |
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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 7/8
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als der schöpferische Grund alles dessen, was sie ist
(S. 104). „Sie ist die Potenz der Formkräfte, nicht
als sich besonderndes Allgemeines, sondern als dynamische
Einheit, welche die Möglichkeit einer Mannigfaltigkeit
von Wirkungen und Tätigkeitsrichtungen in sich
trägt" (S. 103).
Die „ethische" Absicht auf eine Sammlung der Seele
durcli die Einung im Nous bildet mit der ontologischen
Explikation des Seins eine Einheit. Daher muß der re-
duktiven Bewußtseinsform der sich im Nous mit sich
einigenden Seele die kategoriale Zergliederung des noe-
tischen Seins entsprechen (S. 106). Besteht für Piaton
das Problem, wie die Eide Eines und Vieles zugleich sein
können, so löst sich für Plotin diese Frage dadurch,
daß er das Eidos in das Denken der Seele selbst hineinnimmt
(S. 106 f.). „Die Teilung der Eide-denkenden
Seele, die im Sich-gegenwärtigen in dem vielen Gedachten
gerade eine bleibt , ist sein eigentliches
Problem (S. 106 f.). Er „interpretiert die in der Definition
(der Eide) als „Vermögen zu tun und zu leiden"
ausgedrückte dynamische Beziehung der in einem vorgängigen
Ganzen daseienden Eide als Dynamis der sich
in einer immanenten Zeitlichkeit in den Eide auslegenden
Seele. Durch eine neuartige Einigung von Usia und
Seele schiebt sich bei Plotin vor die Usia das Anschauen
der Seele, oder genauer: die Usia ist von vornherein in
die Seele hineingezogen als ihr gedachtes Sein" (S.
107 f.). Von da aus wird dann das Hypostasenschema
abgebaut und die Emanationslehre interpretiert.
Marburg a. d. Lahn R. Bultmann
Schmidt, Dr. Johanna: Ethos. Beiträge zum antiken Wertempfinden
. Borna: Noske 1941. (VII, 179 S.) 8°. RM 4.80.
Unter dem Titel „Ethos" sind eine Reihe das „Wertempfinden
" der Antike behandelnder Aufsätze zusammengefaßt
, deren jeder für sich selbständig ist, die sich
aber in Stoff und Gedanken vielfach berühren. Der
erste ,,'Hfroc, Mos, Sitte" handelt über den Bedeutungswandel
und vor allem über die Bedeutungsdifferenzierung
der genannten Begriffe, die der Verschiedenheit
der Volkscharaktere entspricht, weshalb der Aufsatz denn
den Untertitel „Begriffsgeschichtliche Hinweise zur Völ-
kercharakterologie" trägt. — Der zweite Aufsatz „Über
die Auffassung des Berufs als Berufung in der Antike"
zeigt, daß die Antike das Bewußtsein göttlicher Berufung
kennt, die den Berufenen (als Dichter, Künstler
oder Staatsmann) zur Leistung in einen bestimmten
Lebensbereieh weist und so der Berufung ein „soziales"
Ziel gibt. Wert- und Überlegenheitsbewußtsein wird zum
Motiv für schöpferische Leistung. — Im dritten Aufsatz
„Mos malorum. Ahnensitte als Grundlage der antiken
Erziehung" wird anschaulich dargestellt, wie in
der Antike der Hinweis auf die Sitte der Vorfahren die
Erzieluingsgrundlage für Familie und Staat abgibt. —
Der vierte Aufsatz „Das Problem der antiken HamaitUas"
JWU ein „Interpretationsbeitrag zur Geschichte und Deutung
des Humanismus" sein. Er entwickelt die Idee
der humanitas an der Ausprägung, die das Menschen-
•deal im Rom des 2. Jahrh.'s gewonnen hat, vor allem
verkörpert in der Person des jüngeren Scipio. Hier hat
das griechische Ideal der jcaAoxÄyaWa eine Form erhalten
, in der die Forderungen der Tapferkeit und des
Maasses, der Weisheit und der Gerechtigkeit zusammengeschlossen
sind, indem die Zucht des mos maiorum
mit griechischer Bildung vereint ist; hier ist zugleich das
Menschliche so an das Göttliche gebunden, daß auch
Nationalismus und Univcrsalismus zur Harmonie gebracht
werden. — Der fünfte Aufsatz „Censura. Eine
staatsethische Studie" behandelt das römische Amt der
Censura und seine Bedeutung für die res publica. —
Per sechste umfangreichste Aufsatz „Politik und Ethik
"n Altertum" wirft die Frage nach den ethischen Ele-
meiiteu der staatlichen Gemeinschaft auf und zeigt,
w.ie in Griechenland die Forderung einer Staatsform,
die den ethischen Grundsätzen entspricht, in der Frage
nach der besten Staatsform wirksam ist, und wie dabei
die Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen
tfii und KoXmfa lebendig ist; ferner, wie die
Größe Roms auf der Einheit von Ethik bzw. Ethos und
Politik beruht und verfällt, sobald der Verfall der
Sitten eintritt. — Der letzte Aufsatz „Philosophia facta
est quae philologia fuit" knüpft an dieses Wort an, in
dem Nietzsche einen Satz des Seneca umkehrt, der es
beklagt, daß zu seiner Zeit die Philosophie zur bloßen
Philologie geworden ist. Die Verf. setzt sich für einen
Begrifv der Philologie im Sinne Nietzsches ein und zeigt,
wie dieser seinen Ursprung bei Sokrates-Platon hat, und
I wie er trotz manchen Bedeutungswandels, dem der Be-
: griff unterlag, immer wieder hervorbricht. Philologie
im echten Sinne meint eine persönlich-ethische Grundhaltung
, die bei den Griechen als spezifisch philosophische
i Haltung ausgeprägt ist, bei den Römern unter staats-
moralische und -pädagogische Zwecke gestellt wird.
Die einzelnen Aufsätze sind nicht Untersuchungen im
strengen Sinn; sie fallen gelegentlich in gelehrte Plauderei
(wenn man so sagen darf). Sie sind aber mit ihrem
Reichrum an Stoff und Gedanken belehrend und an-
| regend. Wie sie auf umfassenden Kenntnissen beruhen,
so vermitteln sie Kenntnis und Anschauung. Besonders
j dankbar ist der Leser für die sehr ausgiebigen Literaturnachweise
in den Anmerkungen.
Marburg a. d. Lahn R. B u 11 m a n n
Od o ar d i, P. Giovanni, O. F. M. Conv.: La dottrina della Penitenza
in S. Ambrogio. Rom : Pont. I'acoltä Teologica O. F. M. Conv. 1941.
(XV, 144 S.) gr. 8°. "1.. 12—.
Fast jeder Punkt in der Geschichte der altkirchlichen
Buße ist umstritten. Zumal für die ersten drei Jahr-
j hunderte hat sich im Lauf der Jahre eine kaum mehr
übersehbare Diskussion entwickelt, die durch Poschmanns
1 großes Werk (Paenitentia secunda 1940) erneut gesichtet
und weiter geführt, aber schwerlich zum Ab-
I Schluß gebracht ist. Es ist an sich zu begrüßen, wenn
jetzt die Bußlehre eines späteren, in dieser Hinsicht
bisher weniger beachteten Kirchenvaters als ein „sei's
auch bescheidener Beitrag zur Klärung der Bußpraxis
in der alten Kirche" (S. XIII) einmal für sich genommen
und untersucht wird. Allein trotz dieser ausgesprochenen
Absicht ist die vorliegende Studie kaum historisch
zu werten. Sie kümmert sich um all das nicht, was
der ambrosianischen Bußanschauung ihre geschichtliche
Eigenart und ihr besonderes Interesse gibt: ihre wesentliche
Unberührtheit von der donatistischen Kontroverse,
die vorwiegend sittliche Prägung im Rahmen einer persönlich
verstandenen Seelsorge, das Zurücktreten des
„Sakramentalen" im Begriff, im Sprachgebrauch und in
der Sache und im einzelnen um Dinge wie die interessante
Auffassung des Petrus als ältesten Typus des
Büßers usw. Die aufschlußreiche Terminologie, die Ambrosius
anwendet, wird vom Verf. nicht verfolgt (und
die tüchtige Arbeit von Jos. Huhn über „die Bedeui-
tung des Wortes Sacramentum beim Kirchenvater Ambrosius
" 1928, anscheinend übersehen). Auch über die
liturgischen Eigentümlichkeiten des Mailänder Bußver-
fahrens und seine Traditionen finden sich nur gelegentlich
kurze Bemerkungen; die Bedeutung der von Ambrosius
tatsächlich geübten Bußzucht gegenüber Kaiser
Thcodosius usw. bleibt vollends ganz beiseite. Das
leitende Interesse ist in einem fast zeitlosen Sinne dogmatisch
, d. h. es geht dem Verf. nur um den Nachweis
der vollen sachlichen Übereinstimmung der ambrosianischen
Bußlehre mit dem heutigen katholischen Dogma
und den entsprechenden Gegensatz zu der höchst summarisch
gekennzeichneten Lehre der „Reformatoren" und
„Protestanten". Hierzu werden die Äußerungen des Ambrosius
in ein vorgegebenes dogmatisches Schema geordnet
und artikelweise unter Überschriften gestellt, die
ihm selber fremd sind, z. B. Wesen der Buße, sakramentaler
Charakter der Buße, Bedeutung der contritio
und attritio usw.. Dabei wird naturgemäß viel Selbst-