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Ausgabe:

1943

Spalte:

203-205

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Volkmann-Schluck, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Plotin als Interpret der Ontologie Platos 1943

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1943 Nr. 7/8

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völlige Einäscherung zur Folge hatte, durch die großen
Abgaben zur Türkenbekämpfung wie die Einbußen während
der Reformationszeit, schließlich durch zwei Ausplünderungen
und andere Schädigungen im 30jährigen
Kriege. Der josefinischen Klosteraufhebung entging das
Stift nur mit knapper Not, mußte aber von da an seine
Höfe als Erbhöfe verpachten, bis sie dann im Jahr 1848
samt allen Dörfern und Besitzungen in die Hände der
von der Untertänigkeit befreiten Bauern übergingen.

Der zweite und eigentliche Hauiptteil der vorliegenden
Arbeit zählt in alphabetischer Reihung die Besitzungen
des Stiftes auf Grund der vorhandenen Urkunden
auf und bildet eine Fundgrube für die Ortsgeschichte
des Waldviertels. Das die Darstellung abschließende
Register bietet den Hinweis auf die vorhandenen
Urbare von 1280, 1320, 1346 und 1490, das Stiftungsbuch
sowie das große Quellenwerk von Linck. Die
gründliche und gewissenhafte Arbeit hat für die Heimatgeschichte
bleibenden Wert.

Graz P. D e d i c

KIRCHENGESCHICHTE: SPÄTANTIKE

Volkmann-Schluck, Karl-Heinz: Plotin als Interpret der
Ontologie Piatos. Frankfurt a. M.: klostermann o. J. (VIII, 152 S.)
jrr. 8° = Philosoph. Abhandlungen Bd. 10. RM 8—.

Die vorliegende Monographie, aus der Schule H.-G.
Gadamers hervorgegangen, ist eine nicht leicht zu
lesende, aber höchst interessante Arbeit. Sie darf als
eine vortreffliche Leistung bezeichnet werden; ausgezeichnet
durch Energie und Klarheit des Denkens und
Sorgfalt der Interpretation. Sie stellt sich die Aufgabe,
ein neues Verständnis der Philosophie Plotins zu gewinnen
, welches diese nicht als das Produkt einer Vereinigung
von platonischen Elementen mit solchen nichtgriechischen
Ursprungs begreift, nicht als Kombination
des metaphysischen Systems eines emanativen Hypo-
stasenbaues mit dem mystischen Ideal der Weltauslöschung
. Schon Brehier hatte den Versuch gemacht,
jene schematische Vorstellung einer Kombination zu überwinden
, indem er das „Sein" bei Plotin als „attitude
spirituelle" und von daher das Erkennen des Ursprungs
als Einung mit ihm verstehen wollte. Der Verf. geht
einen anderen Weg. Er sieht die Einheit der Philosophie
Plotins darin begründet, daß Plotin den Ideenbereich
in die denkende Bewegung des Geistes einbezieht; werden
aber die ontologischen Grundformen des Seienden
als die Selbstanschauung des Geistes verstanden, so ergibt
sich die Konsequenz, daß die Seele in dem reflexiven
Blick auf die eigenen Denkinhalte in der Wahrheit
ist.

Es gelingt, diese Einheit zu zeigen, indem aufgewiesen
wird, wie Piatons Ontologie die Problembasis für
Plotins Philosophieren bildet. Daher stellt der Verf. in
einem ersten Abschnitt die „Ontologie Piatos als eine
Grundlegung des Seins der Idee" an der Hand von
Interpretationen zu Piatons Parmenides und Sophistes
dar. Diese Dialoge entfalten die ontologische Problematik
des Eidos, die in der Frage nach der Relation von
„Wissen" und „Seiendem", von Seele und Idee, gipfelt.
Stellt das Zusammensein von Idee und Seele „gleichsam
die Spitze der platonischen Ontologie" dar, so ist
doch von Piaton „das Ineinssein von Seele und Idee als
Wirkung des Guten, in dem beide über die Zweiheit von
Seele und ovoia zusammengeschlossen sind und das daher
jenseits der ovaia liegt", „nicht als Gegenstand einer
thematischen Frage fixiert worden" (S. 35). Plotin aber
macht eben „den Seinssinn dieser Einheit von Seele und
Eidos zum Zentralproblem seines philosophischen Einsatzes
" (S. 35).

Indem Plotin das Problem Piatons aufnimmt, vollzieht
er doch zugleich eine entscheidende Wendung in
der Art des Philosophierens. Bei Piaton hält sich das
Philosophieren in einer grundsätzlich dialektischen Vorläufigkeit
; es „schließt sich nicht im Horizont einer
theoretischen Ontologie ab." (S. 13, vgl. S. 145). Demgegenüber
hat Plotin „in seinem neuen Bewußtsein von
dem Sein der Seele die Aufgabe einer spekulativen
Bewältigung der Idee auf sich genommen" (S. 145).
i Er stellt die Dialektik still und „philosophiert von dem
I Standpunkt des göttlichen Nous in seiner idealen Voll-
| kommenheit aus. Dieser Standort wird dabei nicht einfach
vorausgesetzt, sondern im Vollzug einer sich als
| Ontologie der Seele begrifflich exponierenden seelischen
Bewegung in der philosophischen Selbstanschauuug ge-
1 wonnen" (S. 144 f.).

An der Hand der Interpretation einzelner Plotin-Ka-
j pitel geht die Darstellung vor. Es wird zunächst gezeigt,
I wie im Anschluß an den aristotelischen Nous-Begr'iff
j für Plotin die Frage nach dem Verhältnis von Seele
i und Idee zur Frage nach dem Verhalten des Nous zu
I seinen eigenen Denkinhalten wird. Die Wirklichkeit des
Nous ist sich selbst erwirkende Wirklichkeit, Selbstverwirklichung
; die Beziehung der voiioig auf das wrrcov
ist ein Sich-auf-sich-selbst-beziehen des Nous, reflexive
Bewegung. Von diesem Begriff der reflexiven Bewegung
aus wird die „innerseelische Hinbewegtmg
der Seele von der Sinneswahrnehmung bis zur Einung
mit dem „Einen" begreiflich gemacht", d. h. sie wird
verstanden „als Wiederholung der platonischen Entdeckung
der Seinsart der Seele in einer thematischen Erfassung
dessen, was Seele ist" (S. 45). Die entscheidende
Wendung Plotins liegt also im Gedanken von der
Reflexivität der Seele, in dem Gedanken, daß das seelische
Verhalten nicht zu verstehen ist als ein bloßes
vernehmendes Offensein für die Seinsgehalte, sondern
als die denkende Bewegtheit des Zu-sich-selbst-komj-
mens (S. 79). Die Problematik von Seele und Eidos
ist unter die Frage der Reflexivität der Seele gerückt;
die sich steigernden Weisen des Sich-begreifens der
•Seele müssen schließlich zu dem alle Denkakte übersteigenden
, einsamen, in sich stehenden „Selbst" als
dem Ursprung alles Bestimmten und daher Beschränkten
führen (S. 93).

Das platonische Hinaussehen der Seele über die
Sinnendinge auf die Idee hin wird für Plotin zu einem
steigenden In-sich-hineingehen der Seele (S. 46). Sie
kann sich in der Rückwendung zu sich selbst bringen,
wenn sie die vo^(Uoa selbst in den Bück bringt, und kann
darüber hinaus sich als Denkenkönnen der Eide wissen,
j „Zur Vollendung kommt die Selbstanschauung, wenn die
| Seele sich selbst in dem Angeschauten als denkend
I weiß" (S. 51). Das Transzendenzproblem wird nun von
| der Seinsverfassung des Nous aus schrittweise erhellt (S.
| 60 ff.). Und zwar ist es der platonische Grundbegriff
i der Usia, der den Plotin „bei seiner Grundinteution
I eines thematischen Erfassens der Seele in die „nega-
j tive Theologie" einer alle Dankbarkeit aufhebenden Ent-
weltlichung drängte" (S. 61). Usia meint das Sein,
wie es im Logos als struktural gegliederte Einheit der
„Gestalt" begegnet. Im Gegensatz zu Piaton, dem es
I um das Begreifen der Offenbarkeit des Seienden für
die Seele zu tun war, geht es Plotin nicht darum, aus
! der Analyse der ontologischen Konstitutiva der Usia
j die Gegebenheitsweise des Seienden zu erfassen, sondern
bei ihm „findet eine Reflexion auf das Sehen
| der Usia statt: die Usia ist das herausgeschaute Sein
der Seele selbst, die sich denkend in Eide auslegt und
sich selbst als unterschiedene Seinsgestalten gegenübertritt
. Diese Reflexion auf das Sehen der Usia durch die
I Seele bewirkt nun eine neue Bewußtheit des Gegenüber
von Denkendem und Gedachtem, das allen abgeleiteten
| Seinsarten zugrunde liegt und ihnen vorausgeht, und
i führt von da aus zur Thematisierung der
Aufhebung dieser Differenz im Überstieg
über das Noein. Das „Jenseits des Seins" wird so
j zum unterschiedlosen Einssein der bei sich selbst seienden
Seele" (S. 70). Auf dem Wege einer Interpreta-
I tion des Nous wird gezeigt: die wahre Usia ist die Seele