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Ausgabe:

1942

Spalte:

163-165

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hollnsteiner, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Kirche im Ringen um die christliche Gemeinschaft 1942

Rezensent:

Wolf, Ernst

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Ifi3 Theologische Literaturzeitung 1942 Nr. 5/6 164

sten ,„Vagantenlieder"-Handschriften. So bildet der Band che nicht mehr der mystische Leib mit dem sichtbaren

eine Bereicherung unserer gelehrten Literatur über eines ! Haupte des Papsttums, sondern eine anorganische Masse

der reizvollsten und anziehendsten Probleme der mittel- von gläubigen Menschen, die ihre Leitung nur in seiner

alterlichen Geschichte, vorsichtig und kritisch im einzel- repräsentierenden Kirchenversammlung, dem Oeneralkon-

nen, ergebnisreich im ganzen. zil, sehen konnte" (2). — Die Auseinandersetzung mit

Jena, z. zt. Wehrmacht Friedrieh S c h n e i d e r , dieser Schau, die den Schlüssel zu Hollnsteiners Werk

bildet, müßte philosophisch am Wahrheitsbegriff, theo-
Hollnsteiner, Prof. D. Dr. Johannes: Die Kirche im Ringen um logisch am Begriff der Kirche als corpus Christi mysti-
die christliche Gemeinschaft vom Anfang d. 13. Jahrh. bis zur cum erfolgen, für den Historiker aber innerhalb der BeMitte
d. 15. Jahrh. Freiburg Br.: Herder 1940. (xn, 552 s.) ' Währung dieser Sicht an der Gestaltung des Stoffes

gr. 8° = Kiirchengeschichte. Unter Mitwirk. v. Fachgenossen heraiusg. ! Selbst. Und da enttäuscht H. notwendigerweise. Denn

v. Johann Peter Kirsch. Bd. Ii, 2. RM 14.80; geb. RM 18—. : seine Darstellung kann gar nicht das in Komposition,

Vf. stand — nach dem Tode von J. Greven und Linienführung und Farbengebung überzeugend ausge-

von E. Goeller als Dritter — vor der Aufgabe, diesen führte Gemälde zu dieser Bildidee bieten, weil das späte

Band für die Neubearbeitung des Handbuches von Her- Mittelalter eben viel reicher ist.

genröther-Kirsch (f 1940) zu gestalten; er war daher ' Der „Nominalismus-Individualismus", den H. meint
z.T. an die Traditionen eines Lehrbuchs gebunden und ' — und nicht der etwas öde „Nominalismus" spätschola-
damit zugleich auch an ein Schema. Die kirchengeschicht- j stischer Bildungsprogramme —, ist in seiner Geschichts-
liche Periode des Spätmittelalters, deren relativ frühe i mächtigkeit noch nicht erfaßt, wenn man ihn nur als
Begrenzung zur Reformation hin nicht näher begründet Kraft der Opposition versteht und auch da noch mögwird
, behandelt er in zwei ziemlich gleich umfangreichen , liehst einschränkt. Bezeichnend dafür ist die konstruktive
und gleichgegliederten Teilen: I. Die Kirche auf dem Gewaltsamkeit in dem Abschnitt über die konziliare Idee
Höhepunkt ihrer äußeren Machtentfaltung (Innozenz III. : (396ff.): „Solange man in der Kirche nicht eine Summe
bis Bonifa/. VI IL). — IL Die Kirche im Tiefstand ihrer '■ von Menschen, sondern einen lebendigen Organismus
äußeren Macht und in ihrer Krise (Die Zeit des päpst- , sah, für den der Apostel Paulus das Wort vom mysti-
lichen Exils, des Schismas und der Reformkonzilien, sehen Leib geprägt hatte, konnte es keine Schwierigkeit
1303—1455) und folgt dabei dem Schema: das Papst- j bereiten, als Haupt dieses Organismus einen Einzelmen-
tum (bzw. das Kirchenregiment), äußere Geschichte der 1 sehen anzuerkennen, der nicht vielleicht Delegat und
Kirche, innerkirchliches Leben, wobei in den beiden letz- , Mandatar, sondern eben das Haupt dieser Körperschaft
ten Abteilungen noch je etwa dieselben Unterteilungen J ist. Ist die Kirche aber keine Realität, sondern nur eine
vorgenommen werden. So wird manches notwendig aus- ' Fiktion des abstrahierenden Menschengehirns, ist sie
einandergerissen; der Konziliarismus z. B. wird in Teil II ! keine einheitliche Gemeinschaft, sondern eine Summe
erst im 3. Abschnitt behandelt, also ziemlich entfernt von [ von einzelnen erlösten Individuen, so kann ihre Leitung
Abschn. 1, der dem Kirchenregiment gilt. Wiederholun- nicht ein absoluter Monarch innehaben, sondern eine gegen
sind ebenfalls unvermeidlich, so z. B. über die Bulle wählte Vertretung dieser freien Vereinigung von Men-
Unam sanetam S. 48 und S. 118. Zudem wird die Dar- i sehen, das Generalkonzil.'- „Das Wesen des Konziliaris-
stellung selbst innerhalb der einzelnen Abschnitte recht j mus besteht in der Unterordnung des Papstes unter das
farblos, farbloser m. E. als infolge des Schemas notwen- : allgemeine Konzil. Damit wurde ein absoluter Tradi-
dig wäre. Man begreift es, daß dergestalt der an sich | tionsbruch versucht. Denn seit den ersten kirchlichen
recht schwierige Gegenstand kaum in einer wirklich le- j Zeiten wurde verlangt, daß ein Konzil vom Papst auto-
bendigen Gesamtschau dargestellt werden kann, und ver- [ ris.iert und seine Beschlüsse bestätigt werden müssen, —
steht die Spannung zwischen der Absicht einer in ge- I wenn auch die ersten Konzilien von christlich geworde-
wisser Weise ideengeschichtlichen Erfassung der Periode, ; nen Kaisern einberufen worden sind. Ockhams Nomina-
die der Titel verheißt, und der Durchführung der in | lismus setzte sich über die altchristliche Lehre hin-
ihm formulierten These am Stoff. weg..." Diese Proben mögen geniigen! Die These vom
Hollnsteiner sucht die kirchengeschichtliche Entwick- ! „absoluten Traditionsbruch" entspricht der geschichts-
lung zwischen Innozenz III. und Nikolaus V., dem „macht- i widrigen Theorie vom „autoritär" regierten corpus mysti-
vollen jungen Staufer Friedrich II." und dem „schwa- ' cum, für das ein einzelner Mensch „eben das Haupt die-
chen"(?) Friedrich III. aufzufassen als „das letzte gei- , ser Körperschaft" (!) sein soll. Bezeichnend ist es, daß
stige Ringen um die bleibende äußere Form der abend- | Vf. den Konziliarismus der 4. und 5. Sitzung des Konländischen
christlichen Kirche" (3). Er möchte bei sei- Stanzer Konzils möglichst einzuschränken sucht (401 Ff.,
ner Darstellung der Geschichte der Kirche „in der Perio- ] „keine dogmatische Entscheidung"). Und was kürzlich
de ihrer höchsten äußeren Machtentfaltung und ihrer Seidlmayer in seiner schönen Untersuchung „Die Anfän-
Krise" zeigen, daß es sich dabei handle um „eine logisch j ge des großen abendländischen Schismas" (Span. For-
und organisch verbundene Abfolge von Ideen und Ge- i schlingen der Göres-Ges. R. II, Bd. 5, Münster 1940) im
schehen", nicht bloß um eine „schicksalhaft verankerte Anschluß an Bliemetzrieder (Das Generalkonzil im gros-
Kette von Ereignissen" (1). Von da aus formuliert er die i sen abendländischen Schisma. 1904), G. Ritter (Romanbesondere
kirchengeschichtliche Thematik der Periode: ! tische und revolutionäre Elemente in der deutschen Theo-
„die Kirche im Ringen um die christliche Gemeinschaft". logie am Vorabend der Reformation, Dt. Vj.schr. f. Lit.
Der Sache nach handelt es sich um das Ringen eines in , wiss. u. Geistesgesch. V, 1927; Die Heidelberger Uni-
ihm zugleich von geschichtlich notwendigen, aber doch ; versität I, 1936, 261 ff.), A. Posch (Die ,Concordantia
recht belastenden Weltherrschaf tsansprüchen gerei - catholica' des Nikolaus von Cues. 1930) u.a. gegen die
nigten Kurialismus mit dem kräftig sich meldenden — Überschätzung der Rolle des W. von Ockhain und eines
aber doch nicht erstmals und auch nicht zum letzten „demokratischen" Gedankens im Konziliarismus geltend
Male sich meldenden — Konziliarismus. Hier wird be- gemacht 'hat, was er über die durchaus „restauiative",
reits spürbar, daß Vf. das Thema zu eng faßt, als Thema an der Wiederaufrichtung des Papsttums durch ein Konkirchlicher
Verfassungsgeschichte im abendländischen Ka- zil „ohne" den Papst, nicht „über" dem Papst, interes-
tholizismus. Gewiß, er meint es nicht so. Vielmehr ist sierte verfassungsgeschichtlich und rechtsgeschichtlich
ihm der Konziliarismus (ähnlich wie z. B. auch für Lortz ; positive Bedeutung der konziliaren Anfänge ausführt, all
u. a.) Ausdruck eines bestimmten Zeit-Geistes, nämlich das ist bei H., der manches von diesen Erkenntnissen
des „zur Weltanschauung gediehenen Nominalismus-In- aufgegriffen hat, durch seine Definition und seine grund-
dividualismus", der die Kirche als corpus mysticum be- sätzliche Beurteilung des Konziliarismus wieder unwirk-
drohe. „Man leugnete zunächst theoretisch die reale Exi- sam gemacht. Es wäre sonst nicht weniges in seiner
stenz der Universalien, nahm dadurch den Begriffen Darstellung kräftiger und lebendiger ausgefallen. Das
Kirche und Staat ihr wirkliches Sein. Sie galten nur noch gilt auch für andere Zusammenhänge und vor allem für
als die Summe einzelner Menschen. Damit war die Kir- andere Zusammenhänge und vor allem für die großen